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Titel719

Einmischung nicht gemeinnützig  (Georg Rammer)

Die politische Bewertung klingt alarmierend: Das Urteil sei rechts-, verfassungs- und demokratiewidrig (so der Publizist Werner Rügemer), es fördere die Entpolitisierung und beschränke den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum (Allianz Rechtssicherheit) und signalisiere die Rückkehr zu einem autoritären Regierungsstil (Jurist Ulf Buermeyer). In der Tat: Das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) zum Thema Gemeinnützigkeit der Bewegung Attac, die sich für eine ökologische, solidarische und friedliche Weltwirtschaftsordnung einsetzt, gibt Anlass zu Unruhe.

 

Fünf Jahre lang schwebte über Attac das Damoklesschwert des Entzugs der Gemeinnützigkeit. Mit der Folge, dass keine Spendenquittungen ausgestellt, Räume nicht zu günstigen Konditionen angemietet und keine Zuschüsse aus öffentlichen Kassen beantragt werden konnten. Zwar bedeutet das BFH-Urteil noch nicht die definitive Aberkennung des Prädikats »gemeinnützig«; es setzt aber für politisches Engagement so enge Grenzen, dass dem letztinstanzlichen Kasseler Gericht praktisch kein Ermessensspielraum bleibt. Dabei bedrohen die BFH-Kriterien, die den Geist vergangener Zeiten verströmen, absehbar Tausende engagierter Vereine.

 

Das BFH-Urteil VR 60/17 »Politische Betätigung und Gemeinnützigkeit« ist unter Berücksichtigung der Hintergründe und der beabsichtigten Wirkung eindeutig ein politisches Urteil. Denn zunächst hatte Attac vom zuständigen Kassler Gericht ohne Wenn und Aber die Gemeinnützigkeit bestätigt bekommen. Aber das Finanzamt ging in Revision – nicht von sich aus, sondern auf Anweisung: Das Bundesfinanzministerium unter Wolfgang Schäuble wollte partout ein anderes Urteil. Ging es Schäuble um Recht oder ums Sparen? Nichts dergleichen.

 

Mit Attac sollte ein Exempel statuiert werden: So ergeht es allen, die sich kritisch gegen neoliberale Politik und für soziale Gerechtigkeit engagieren. Offensichtlich setzt es der Regierungspolitik zu, wenn sich Menschen und Organisationen gegen Steuerflucht und Steueroasen, gegen die undemokratische Macht der Konzerne und Banken und die Allmacht der Märkte einsetzen. Oder für gerechten Welthandel, soziale Gerechtigkeit und Einhaltung der Menschenrechte aktiv werden – also für die Schwerpunktthemen von Attac. Ist das eine böse Unterstellung? Offensichtlich nicht, wenn man berücksichtigt, welche Vereine, welche »knallharten Lobbyorganisationen der Industrie und des Militärs«, welche »miliardenschweren Unternehmensstiftungen« (W. Rügemer) als gemeinnützig anerkannt sind, ohne jede Beanstandung seitens der Politik oder der Finanzgerichte.

 

Etwa die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, eine Rüstungslobby mit massivem Einfluss auf die Politik, bestens vernetzt in Wirtschaft, Medien, Bundeswehr und Wissenschaft: »In den Führungsgremien […] sind hochrangige Entscheidungsträger aus diesen Bereichen vertreten« (DWT-Selbstdarstellung). Oder die Desiderius-Erasmus-Stiftung: Sie steht nach eigenem Bekunden der AfD nahe und bemüht sich, als offizielle Partei-Stiftung anerkannt zu werden. Erika Steinbach, früher Bundestagsabgeordnete für die CDU und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, fungiert als Vorstandsvorsitzende. Bemerkenswert auch die »gemeinnützigen« Verdienste des Europäischen Instituts für Klima & Energie (EIKE), eine »Speerspitze der neoliberalen Anti-Klima- und Anti-Umwelt-Lobby in Europa« (Susan Bonath, RT 19.3.19) mit engen Verbindungen zu AfD, CDU und FDP. Seine Mittel setzt das Institut für die Leugnung der menschenverursachten Klimaschäden ein. Selbstverständlich darf auch die enorm finanzkräftige und politisch einflussreiche Bertelsmann Stiftung – maßgeblich am Hartz-IV-Gesetz beteiligt – nicht auf der Liste der staatstragenden Gemeinnützigkeit fehlen oder die Atlantik-Brücke, die »Mutter aller US-Netzwerke in Deutschland« (Hermann Ploppa) mit ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz, Top-Lobbyist und Aufsichtsratschef von BlackRock Deutschland.

 

Die wenigen Beispiele zeigen: Als förderungswürdig – mit Hilfe der Gerichte – gilt eine staatstragende, neoliberale und militaristische Ideologie. Die Bedeutung des Urteils gegen Attac reicht aber noch tiefer. Es zielt nicht nur auf Schwächung und Ausschaltung kritischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – auch die Deutsche Umwelthilfe, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und das politische Netzwerk Campact müssen um die weitere Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit bangen –, sondern auf außerparlamentarisches Engagement generell. Laut § 52 der Abgabenordnung (AO) sind nämlich Tätigkeiten gemeinnützig, wenn sie die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu fördern trachten. Aufgezählt werden etwa Religion und Wissenschaft, Kunst und Kultur, aber auch Sport einschließlich Schach, Heimatpflege, Tierzucht und Kleingärtnerei, Karneval und Hundesport. Ganz am Schluss der langen Liste erwähnt wird die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens und des bürgerlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke. Aber der Präsident des BFH, Rudolf Mellinghoff, urteilt über Attac: »Dazu gehört nicht die politische Betätigung auf allen möglichen Feldern« (Monitor, 14.3.19). Zählt er Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder Klimakatastrophe zu »allen möglichen Feldern«?

 

Das Urteil spricht allen demokratischen Prinzipien Hohn. Es erlaubt politische Forderungen, nicht aber den Einsatz für deren Umsetzung: »Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck«, so der Leitsatz des Urteils. Danach soll das Meinungs- und Gestaltungsmonopol auf die Parteien beschränkt bleiben. Diese Einschränkung ist eines autoritären Staates würdig und verletzt zudem den Artikel 21 GG, wonach die Parteien an der Meinungsbildung mitwirken, aber auch nicht mehr.

 

Das Bundesfinanzministerium hat im Zusammenwirken mit dem Bundesfinanzhof für Klarheit gesorgt: Der Einsatz außerparlamentarischer NGOs gegen militarisierten Marktradikalismus wird abgestraft. Es ist ein Lehrstück: Wen, welche Bestrebungen unterstützt der Staat – und wer wird Repressionen ausgesetzt? Die Machtelite will nicht durch Aktionen zur Durchsetzung der Menschenrechte in der kapitalistischen Wirtschaft gedrängt werden. Man will ungestört 70 Jahre Grundgesetz feiern, ohne ständig an seine Verwirklichung gemahnt zu werden. Im autoritären neoliberalen Kapitalismus verliert »Gemeinnützigkeit« zusammen mit dem Gemeinwohl offensichtlich seine Bedeutung. Aber die verbreitete Empörung über das Urteil zeigt: Die hohen Staatsvertreter könnten sich verkalkuliert haben. Schon SchülerInnen erkennen: Wenn Lösungen in diesem System so schwer zu erreichen sind, dann sollten wir vielleicht das System ändern.

 

 

Der Autor ist Mitglied bei Attac.