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Titel0810

Zum Wohle anonymer Investoren  (Werner Rügemer)

Am 3. März 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv, ein Gebäude von 55 Metern Länge, plötzlich in die davor liegende Baugrube der U-Bahn. Zwei Menschen wurden getötet, mehrere Nachbarhäuser stürzten ebenfalls ein oder mußten abgerissen werden. Ursache war, wie bald feststand, das ungenehmigte Abpumpen von Grundwasser an der Baustelle. Aber auch mehr als ein Jahr später waschen alle Beteiligten ihre Hände in Unschuld.

Beginnen wir mit den sogenannten Verantwortlichen in der Stadt Köln und im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Nach dem Wahlsieg der schwarz-gelben Parteien im Jahre 1999 wurde in Köln die Stadtverwaltung »verschlankt«, und alles hörte auf das Zauberwort »Entbürokratisierung«. In der Ratssitzung vom 23. Mai 2000 feierte Professor Rolf Bietmann von der CDU »das größte Reformwerk der Verwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg«. Die Verwaltung solle, so der ebenso wenig christliche wie demokratische Fraktionsvorsitzende und vielberatende Rechtsanwalt, »das, was besser und kostengünstiger außerhalb der Verwaltung erledigt werden kann, auch außerhalb erledigen«. Und der Vertreter der gelben Gefahr im Kölner Rathaus, Ralph Sterck, jubelte: »Die Investoren werden uns ewig dankbar sein!«

Zu dem Reformwerk gehörte es, dem Amt für Brücken- und U-Bahn-Bau, das seit 1962 erfolgreich den Bau der U-Bahn-Strecken in Köln überwacht hatte, eben diese Aufgabe zu entziehen. Das Personal wurde kräftig abgebaut, aber nicht etwa weil man keine U-Bahn mehr hätte bauen wollen. Die Bauaufsicht für die neue U-Bahn wurde auf die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) übertragen. Diese städtische Aktiengesellschaft, die zu den Stadtwerken gehört, hatte keine Erfahrung und keine Ahnung und ließ die neue Aufgabe »außerhalb erledigen«, beauftragte also ein privates Ingenieurbüro, und zwar das billigste. So wurde alles kostengünstiger. In der Landeshauptstadt Düsseldorf bei der Landesregierung amtet die Ober-Bauaufsicht für das ganze Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die aber hat ebenfalls kein ausreichendes Personal. Auch hier hatte sich eine weder christliche noch demokratische Mehrheitspartei mit den Vertretern der gelben Gefahr zusammengetan und verschiedene Aufsichtsbehörden »verschlankt«. Deshalb ließ dann auch die Düsseldorfer Ober-Aufsicht ein bißchen »außerhalb« erledigen und beauftragte ebenfalls ein privates Ingenieurbüro. Das sei nämlich kostengünstiger, hieß es.

Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma stellte nach dem Einsturz klar: »Ich habe keine Verantwortung. Die liegt bei den Stadtwerken.« Aber die Stadtwerke, deren Aufsichtsratsvorsitzender der vielberatende Rechtsanwalt Bietmann war, verwiesen auf ihr Tochterunternehmen KVB: Die Kölner Verkehrsbetriebe hätten die Bauaufsicht. Der neue KVB-Vorstandschef Jürgen Fenske wiederum erklärte: »Für den Fall, daß es ein Brunnenproblem gab, hatten die KVB keine Kenntnis davon.« KVB-Justitiar Stefan Hertwig ergänzte: Nur die Baufirmen seien zuständig, denn »die KVB hat die Grube nicht geplant«. Die Untere Wasserbehörde der Stadt hatte den Baufirmen vier Grundwasserbrunnen genehmigt, merkte aber nicht, daß die Baufirmen noch 19 zusätzliche Brunnen einrichteten und in den Monaten vor dem Einsturz ein Mehrfaches des genehmigten Grundwassers abpumpten.

Dann ist da noch die Bezirksregierung, auch Regierungspräsidium genannt. Sie hat die Oberaufsicht über die Untere Wasserbehörde und soll im Namen der Landesregierung eigentlich dafür sorgen, daß die Städte nach Recht und Gesetz handeln. Die Bezirksregierung gab nach dem Unglück bekannt, daß die Baufirmen die vorgeschriebenen Berichte über die abgepumpten Wassermengen nie eingereicht hatten. Die Bezirksregierung hatte aber auch nicht nachgehakt, sondern auf die Untere Wasserbehörde verwiesen, die ja die Genehmigung für die Brunnen erteilt habe.

So sah dann als Ergebnis der Jahrhundertreform die »verschlankte« Verwaltung aus: Es gab keine Aufsicht. Alles, jedenfalls ein bißchen, wurde »außerhalb erledigt«. Das sei nämlich kostengünstiger, hatte man der Öffentlichkeit verheißen.

Unter diesen endlich freien Bedingungen konnten auch andere sich endlich ganz unbürokratisch und etwas außerhalb entfalten.

Die zwei größten Baukonzerne Deutschlands haben die fünf Kilometer der neuen Kölner U-Bahnstrecke brüderlich unter sich aufgeteilt: Hochtief AG ist der Generalunternehmer für den Abschnitt Nord am Heumarkt, und Bilfinger Berger AG ist der Generalunternehmer für den Abschnitt Süd am Waidmarkt, wozu die Strecke vor dem eingestürzten Stadtarchiv gehört. Bilfinger Berger ließ ganz unbürokratisch und außerhalb der Genehmigungen immer mehr Brunnen einbauen und immer mehr Grundwasser abpumpen. Man verheimlichte die Gefahren und trieb die Preise hoch. Man schickte die Rechnungen für die immer zahlreicheren Brunnen an die KVB, und die KVB zahlte und zahlte. Das war nämlich kostengünstiger als extra nachzuprüfen, wofür die ungenehmigten Brunnen eigentlich eingebaut wurden. Auch dadurch stiegen die Baukosten von 600 Millionen Euro auf inzwischen mehr als eine Milliarde Euro.

Zwei Wochen nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs legte Vorstandschef Herbert Bodner von Bilfinger Berger den Geschäftsbericht für das Jahr 2008 vor. Er warnte vor »voreiligen Schuldzuweisungen«, die Ursache des Unglücks sei noch überhaupt nicht klar. Im übrigen habe das Geschäftsjahr 2008 »alle Erwartungen übertroffen«: Der Gewinn sei um 30 Prozent auf 298 Millionen Euro gestiegen.

Inzwischen hören wir: Es wurde nicht nur zu viel Grundwasser abgepumpt, es wurde auch zu wenig Beton verfüllt, es wurden Eisenbügel in die stützenden Schlitzwände nicht eingebaut, sondern an Schrotthändler verscherbelt, es wurden Bauprotokolle gefälscht, in denen die Eisenbügel dann doch ordentlich an ihrer vorgesehenen Stelle erscheinen.

Der zuständige Geschäftsführer Keysberg von Bilfinger Berger hält solche Fälschungen für »völlig unakzeptabel und hochkriminell«. Da ist er ganz konsequent und unerbittlich. Aber warum fälschten seine Leute die Protokolle? Der kluge Dr. Keysberg kann sich keinen Grund denken. »Ich will nicht spekulieren«, sagt er mit treuherzigem Augenaufschlag. Unschuldig wie ein neugeborenes Baby. Er arbeitet seit Jahren in der Baubranche, betreut viele Baustellen von Bilfinger Berger, betreute auch die Baugrube vor dem Stadtarchiv und kann sich überhaupt keinen Grund denken.

Vielleicht hilft da ein kurzer Blick in die Praxis. Ein Kölner Bauunternehmer berichtet, wie es heute auf Großbaustellen eben zugeht. Er sagt, »daß bei der Ausschreibung durch die Baufirmen Preise angeboten wurden, zu denen kein seriöses Unternehmen die angeforderte Qualität liefern konnte«. Die Subunternehmer werden von den Generalunternehmern mit Dumping-Werklöhnen erpreßt. Das ist nämlich kostengünstiger, jedenfalls für die Generalunternehmer. Und weiter sagt der Bauunternehmer, der in der Presse zitiert wird, aber natürlich seinen Namen nicht nennen kann: »Es war von vornherein klar, daß der Lieferant pfuschen mußte. Man kann auch beim Beton nicht Wasser zu Wein machen.«

Also, Frage an das Publikum: Wenn Sie Unternehmer wären, was würden Sie tun, um an einen schlecht entlohnten Auftrag zu kommen, damit Ihr Unternehmen überhaupt etwas zu tun kriegt? Zum Beispiel könnten Sie einen Teil des Betons vorher bei einer anderen Baustelle anliefern. Ja, das wäre keine schlechte Idee! Das haben Sie doch sowieso schon ein paarmal gemacht, wie Ihre Konkurrenten auch. Denkbar wäre auch folgendes: Die Eisenbügel mußten gar nicht unbedingt aufwendig von der Baustelle geklaut werden, vielleicht sind sie der Einfachheit halber dort nie angekommen. Das spart auch Transportkosten. So kann man eben etwas ganz unbürokratisch »außerhalb und kostengünstiger erledigen«, wie CDU-Bietmann das damals zur Jahrhundertreform im Kölner Rathaus verkündete.

Irgendetwas fehlt noch in unserer Geschichte. Richtig. Es fehlen die Lichtgestalten unseres dunklen Zeitalters: die Investoren. Sie sind auch irgendwo außerhalb, das ist nämlich kostengünstiger für sie. 2008 sprangen, wie schon erwähnt, 298 Millionen Euro Gewinn für Bilfinger Berger heraus, auch wegen der gestiegenen Preise für die Kölner U-Bahn und für die 40 Meter tiefen Schlitzwände, in denen die Eisenbügel fehlen. Aber wer bekam die vielen schönen Millionen? Wer sind die Aktionäre und Investoren, wem gehört Bilfinger Berger? Zu dieser einfachen Frage haben Sie wahrscheinlich nicht nur in den Kölner Aufklärungsmedien aus dem DuMont-Verlag nichts lesen können, sondern auch in Ihren besonders kritischen Aufklärungsmedien wie der Süddeutschen Zeitung und der taz.

Also, der größte Investor von Bilfinger Berger heißt – nun wie heißt er? Richtig, Sie haben es nicht erraten: Er heißt Invesco Limited. Er hat seinen Sitz etwas außerhalb von Köln und außerhalb von Germany und außerhalb von Old Europe, nämlich in Atlanta, Georgia, United States of America. Invesco legt das Geld für 220 »High Net Worth Clients around the World« an, heißt es auf der Website, also rund um den Globus für Hochnettowert-Kunden, die fünf Millionen Dollar oder mehr gewinnbringend anlegen möchten. Invesco in Atlanta umsorgt seine Kunden: »Helping people worldwide build their financial security«, hilft also weltweit Menschen beim Aufbau ihrer finanziellen Sicherheit, nicht etwa den Kölnern beim Aufbau sicherer Gebäude und U-Bahnen. Das sind offensichtlich zwei unterschiedliche Sicherheiten.

Der zweitgrößte Investor, der den zweitgrößten Teil des Gewinns von 298 Millionen Euro aus dem Jahre 2008 von Bilfinger Berger bekommen hat, heißt DJE Investment S.A. Der Name sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, soll Ihnen auch gar nichts sagen. S.A. bedeutet Société Anonyme. Dieser Anonymus hat seinen Sitz nicht in Atlanta, sondern wo? Vielleicht erraten Sie es diesmal: in der zweitwichtigsten Finanzoase weltweit, nämlich in Luxemburg, bei Köln um die Ecke. Ich will Sie nicht langweilen und nenne Ihnen nur noch kurz den drittgrößten, Investor, Blackrock Incorporated mit Sitz in New York, den viertgrößten, The Bank of New York Mellon, und zuguterletzt den fünftgrößten, Allianz Global Partners. Sie alle bauen mithilfe von Bilfinger Berger an der finanziellen Sicherheit ihrer weltweiten High Net Worth Clients.

Wir haben also erfahren müssen, welche Sicherheit beim Außerhalb-Bauen für die Kölner herauskommt und wie gerade diese Art von kostengünstigem Bauen die Baukosten verdoppeln kann. Die Investoren von Bilfinger Berger und ihre weltweiten High Net Worth Clients haben wahrscheinlich noch nie etwas von der Kölner U-Bahn und dem Einsturz des Historischen Archivs in einer alten Stadt in Old Europe gehört. Diese großen Unbekannten mögen von solchen Störfaktoren gar nichts hören, sondern freuen sich ganz unschuldig über die möglichst lautlose Mehrung ihrer Millionen. Wie schon der Vertreter der gelben Gefahr im Jahre des Heils 2000 bei der Ausrufung des Jahrhundert-Reformwerks im Kölner Rathaus jubelte: »Die Investoren werden uns ewig dankbar sein!«