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Hindernisse für die deutsche Exportwalze  (Otto Meyer)

Im Streit um Griechenlands Staatsschulden konnte sich Kanzlerin Merkel auf dem EU-Gipfel in Brüssel durchsetzen – aber zu einem hohen Preis. Nicht nur Merkels Auftritt als »Madame Non« und neue »Eiserne Lady« rief in den Medien europaweit Empörung über neudeutsches Großmachtgehabe hervor. Noch empfindlicher traf die deutschen Kapitalmanager die zunehmende Kritik an den Exportüberschüssen der BRD. Die aggressive deutsche Exportwirtschaft verdrängt seit Jahren mit ihren geringen und immer noch weiter abgesenkten Lohnstückkosten, den viel zu niedrigen Löhnen und Sozialabgaben ihre Konkurrenten vom Markt und ist so auch die eigentliche Ursache für das Schuldendesaster nicht nur der verächtlich »PIGS« abgekürzten Länder Portugal, Italien, Griechenland und Spanien. Sie bringt selbst Länder wie Frankreich und England in Schwierigkeiten.

2008 konnten zum Beispiel in Frankreich deutsche Waren für 97 Milliarden Euro abgesetzt werden, die Importe von dort nach Deutschland hatten dagegen nur einen Wert von 66,7 Milliarden Euro; so entstand gegenüber der BRD ein Defizit von 30 Milliarden Euro in der französischen Handelsbilanz, das zu ähnlichen Fehlbeträgen aus den Vorjahren zu addieren ist. Gegenüber Großbritannien lag der deutsche Exportüberschuß 2008 bei mehr als 22 Milliarden Euro, gegenüber Italien bei 18 Milliarden, fast ebenso hoch gegenüber Spanien. Dagegen sind die griechischen Defizite (rund acht Milliarden Euro jährlich gegenüber der BRD) eher Peanuts. Doch werden sie offenbar als existentiell für die Durchsetzungskraft deutscher Wirtschaftsinteressen eingeschätzt, so daß ein Exempel statuiert werden muß, auch unter Inkaufnahme aufkommender antideutscher Ressentiments.

Wirklich gefährlich könnte es allerdings werden, wenn Forderungen aus den Nachbarländern nach einem Stabilisierungsbeitrag der BRD um sich griffen. »Luxemburgs Premier Juncker forderte einen höheren Tarifabschluß für den öffentlichen Dienst in Deutschland«, wußte empört die FAZ zu berichten; doch unsere immer noch staatsnah agierende Gewerkschaft ver.di begnügte sich mit einem geringeren Abschluß. Frankreichs Finanzministerin Lagarde verlangte bei einem Deutschlandbesuch, daß »deutsche Unternehmen höhere Löhne zahlen«, und sie nannte dafür wettbewerbspolitische Gründe; doch die angeblich so starke IG Metall schloß einen gedeckelten, unternehmerfreundlichen Tarifvertrag ab. Der »Zeitung für Deutschland« (Eigenzuschreibung der FAZ) gingen derartige Appelle aus EU-Ländern – auch wenn die deutschen Gewerkschaften keinen Nutzen daraus zogen – entschieden zu weit. Sie klärte auf, was zu tun sei und wer in Europa führt und wer gefälligst zurückzutreten hat: »Muß man jetzt aufpassen, daß die Bundesregierung nicht auch noch Hand an die Tarifautonomie legt? Die schrumpfende französische Industrie ist doch kein Vorbild fürs Überleben in einer globalisierten Wirtschaftswelt. Europa wäre nicht geholfen, wenn man Deutschland schwächt.«

Das manager magazin argumentierte scheinbar verständnisvoller und titelte: »Deutsches Lohndumping sprengt die Währungsunion«. Ausführlich wurde zunächst die Einschätzung von Heiner Flassbeck referiert, für kurze Zeit Finanzstaatssekretär unter Oskar Lafontaine, heute Chefökonom bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Dessen Fazit: »Wir haben kein Problem mit Griechenland, sondern mit Deutschland«, denn durch systematisches Lohndumping grabe Deutschland den anderen EU-Staaten Marktanteile ab. Ökonomische Fakten wurden aufgezählt: »Während die Lohnstückkosten der deutschen Industrie seit der Einführung des Euro um 14 Prozent gesunken sind, blieben sie in Griechenland … gleich. In Portugal stiegen sie um fünf Prozent, in Spanien um 28 und in Italien gar um 46 Prozent.« Ich ergänze: In Frankreich betrug der Anstieg 14, in England 18 14 Prozent.

Anschließend kam im manager magazin der Finanzexperte Michael Heinen von der Deutschen Bank zu Wort, der Flassbecks Einschätzung anfänglich sogar zu teilen schien: Die Haushaltsdefizite der Südländer »gehen auch auf das Konto geringerer Wachstumsperspektiven, die eine Folge mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sind«. Doch Heinen zog andere Konsequenzen als Flassbeck. Aus der Sicht des Großbank-Experten »sollten dafür aber nicht unbedingt die Löhne steigen«. Er forderte stattdessen: »Die griechischen Löhne beispielsweise müßten um 25 Prozent sinken … Die Anpassung ist zu schaffen.« Außerdem plädierte er für eine »Steuerstrukturreform, die den Bürgern wieder mehr Geld in die Hand gibt.« Welche »Bürger« der Banker aus Deutschland da im Sinn hatte, ließ er unausgesprochen. Wohl kaum die Arbeiter und Angestellten im unteren und mittleren Lohnbereich, auch nicht die Rentnerinnen und Rentner; sie sollen – außer durch Senkung der Reallöhne auch durch Anhebung der Mehrwertsteuer und Kürzung der Sozialleistungen alle Lasten tragen. »Mehr Geld in die Hand bekommen« müssen nach Meinung des Bankers selbstverständlich die Bezieher höherer Einkommen und die Kapitalbesitzer – ähnlich, wie es die neoliberalen Steuer- und Sozialreformer aus SPD, Grünen, Union und FDP in Deutschland schon vorgemacht haben und wie es gegenwärtig die schwarz-gelbe Koalition mit neuem Elan weiterführen will.

Die Welt der Bezieher des manager magazins dürfte damit wieder in Ordnung sein. Ähnlich verrenkt sich der Spiegel. Die Bild-Zeitung hat derweil dafür zu sorgen, daß die Massen nach Anstachelung nationaldeutscher Gefühle mitziehen und sich freuen, wenn den »faulen Südländern« mal ordentlich der Marsch geblasen wird.

Doch wie lange sich Resteuropa diesen deutschen Crashkurs gefallen läßt, ist damit noch nicht entschieden. Der Spiegel zitierte den französischen Ökonomen Christian Stoffaes mit der Warnung: »Deutschland muß sich vorsehen, nicht zum Haßobjekt in Europa zu werden.« Die BRD-Exportwalze zeigt schon erste Bremsspuren, ihr könnte bald ein Stopp drohen.

Dies ist der dritte Teil von Otto Meyers Serie, die im Heft 5/10 unter der Überschrift »Griechenland am Pranger« begonnen hat. Fortsetzung folgt.