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Titel0811

Kriegsgründe (nach Shakespeare)  (Manfred Wekwerth)

Seit der Eroberungskrieg mit dem NATO-Schlag 1999 gegen Jugoslawien auf der Geschichtsbühne wieder Einzug gehalten hat, plagt die nicht auf Intelligenz geeichten Militärs ein Problem: die Kriegsgründe! Die öffentliche Bekanntgabe dessen, warum man Krieg führt.

An und für sich ist das Führen von Kriegen heute wieder leichter geworden. Der unvergeßliche Bundespräsident Köhler formulierte es schlüssig: Sinn von Kriegen ist die Sicherung des Zugangs zu den Rohstoffen. Dafür gebührt ihm Dank, denn er sprach unverblümt mutig die Wahrheit aus. Aber mit der Wahrheit allein gewinnt man eben keinen Krieg, es muß heute mehr als je zuvor an seine »humanitäre Mission« geglaubt werden, und die kann nicht Öl, Gas oder Kohle heißen.

Denn auch der heutige Krieg braucht nicht nur intelligente Waffen, denkende Sprengköpfe, umsichtige AWACS-Maschinen, er braucht Menschen. Nicht nur als Bediener der High-Tech-Waffen (das immer weniger), sondern als deren Opfer. Da entscheidet auch die Anzahl der Opfer über die Qualität der Waffen und also über die Chancen des Sieges. (Für die Generalität ist es ein Verlust, die größte Anzahl der Opfer nicht mit auflisten zu dürfen, weil es sich um »Zivilisten« handelt, die als Kollateralschaden kaum zu Buche schlagen.) Mehr als jeder frühere »heroische« Mann-gegen-Mann-Krieg braucht der High-Tech-Krieg Menschen, denn es sind nicht nur seine Opfer, sondern auch seine Wähler. Und die müssen an die »Heroik« (humanitäre Mission) glauben, denn sie sollen ihn ja wählen.

Kurz: Mehr als jeder andere Krieg braucht der heutige einen Kriegsgrund, der zu Herzen geht und nicht an die Nieren.

Also liegt hier für heutige Krieger das Hauptproblem: der Kriegsgrund.

Als Politik noch Politik war, also die Hohe Schule der Täuschung beherrschte, lieferte sie überzeugende Gründe, und der Krieg konnte als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln gelten. Die Krieger fanden für ihre blutige Arbeit ein günstiges Gelände vor. Denken wir nur an Bismarcks Emser Depesche oder an Hitlers Idee mit dem fingierten polnischen Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz. Die perfekte Täuschung hatte die Kriege sozusagen »eingeläutet«, auf daß die Öffentlichkeit geradezu nach Krieg rief und die Generäle – durch nichts abgelenkt – vom Leder ziehen konnten.

Und heute? Heute sind die Kriege schneller da als die Gründe, warum man sie führt.

Als die ersten Bomben auf Bagdad fielen, suchte man vergeblich die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, vor denen man die Menschheit zu schützen vorgab. So wurde der Krieg zur blutigen Suche nach dem Kriegsgrund, und um ihn nicht sofort wegen der Massenvernichtungslüge abbrechen zu müssen, gab es schnell einen neuen Kriegsgrund: Sturz des teuflischen Diktators Saddam Hussein. Und als der gestürzt war und sich nichts änderte, im Gegenteil, die Lage im Land immer katastrophaler wurde, hieß nun der Kriegsgrund »Einführung von Demokratie«. Und als auch dies nichts brachte, gab es nur noch Krieg und keinen Grund mehr, dafür aber lange Dauer.

Zur Zeit liegt Tripolis im Bombenhagel, und wieder hat die Suche nach einem einleuchtenden Kriegsgrund begonnen. Gegenwärtig gibt es vier:
- Schutz der Bevölkerung vor Luftangriffen Gaddafis (deshalb das Bombardement von Tripolis),
- Sturz des teuflischen Diktators Gaddafi (dem man noch vor kurzem Waffen lieferte),
- Unterstützung der Rebellen (von denen man bis heute nicht weiß, was sie eigentlich wollen) und
- Einführung von Demokratie (schon von Bagdad her bekannt).

Es herrscht Verunsicherung bei der NATO, weil es für alle Gründe Befürworter gibt und man verbissen nach dem richtigen Kriegsgrund sucht, da sonst doch wieder die alte Leier ertönt, es gehe um libysches Öl.

Darum mein Vorschlag, Shakespeare zu Rate zu ziehen. In seinem Stück »Troilus und Cressida« gibt es eine ähnliche Situation. Der Trojanische Krieg dauert schon eine Generation, und man hat den Kriegsgrund vergessen. Er war begonnen worden, weil der Trojanerprinz Paris die Frau des Griechenfürsten Menelaos entführt hatte und sich weigerte, sie zurückzugeben. Die Griechen organisierten eine Art NATO, und neunundsechzig Staaten fielen über Troja her. Das war zwar ein alter Plan, aber die Entführung der Helena gab endlich Gelegenheit, ihn zu realisieren. Leider vergaß man wegen der Länge des Krieges den Kriegsgrund. Aber der geniale Propagandist Ulisses sah darin keinen Verlust, sondern eine große Chance, den Krieg zu verlängern. So konnte man nämlich je nach Bedarf den Kriegsgrund von Tag zu Tag wechseln, ohne daß man in den Verdacht der Standpunktlosigkeit geriet. Denn es war gerade der fehlende Kriegsgrund, der den Krieg so variabel und dauerhaft machte.

Der afghanische Krieg dauert erst zehn Jahre, doch er könnte, was seine Erhaltung betrifft, einen neuen Anschub gebrauchen, da sich der Kriegsgrund Bin Laden längst verbraucht hat, was sich in Deutschland in achtzig Prozent Kriegsgegnern niederschlägt.

Die Lösung des Problems ist einfach die, in Zukunft nicht nach einem einzigen Kriegsgrund zu suchen, sondern ihn nach der Forderung des Tages bewußt zu wechseln – am besten als zyklische Wiederholung der Kriegsgründe.

Und dieser Vorschlag, nach Shakespeare, ist für die ganze Breite der Politik verwendbar. Warum soll ein Politiker nur eine einzige Meinung haben? Er kommt bloß in den Verdacht der Phantasielosigkeit.

Welch Reichtum und Vielfalt, wenn zum Beispiel ein Politiker oder eine Politikerin die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern und sie gleichzeitig abschalten will? Ich bin sicher: Beides ist gefragt. Es kommt eben darauf an, wer fragt.

Auf jeden Fall sollten Unternehmen (wie auch der Krieg eines ist) nicht an Gründen scheitern, wenn sie Unternehmungen und damit Unternehmern von Nutzen sind.