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Titel0812

Technokraten machen Politik  (Susanna Böhme-Kuby)

Der Regierungswechsel von Berlusconi zu Monti führte Italien vom Regen in die Traufe. Die von den internationalen Finanzmärkten im Sommer 2011 auferlegten Maßnahmen zur »Rettung« des Landes vor dem drohenden »default« werden seit letztem November von Mario Montis »governo tecnico« unter dem Damoklesschwert des neuen Unwortes »spread« (Zinsdifferenz der italienischen Staatsanleihen zu den deutschen) durchgezogen. Die italienische Regierung hat die Kosten den am leichtesten erreichbaren Bürgern auferlegt, das heißt den einzigen sicheren Steuerzahlern: den Rentnern und den Lohnabhängigen.

Die Bevölkerung hat die Maßnahmen zwar nicht ohne Vorbehalte hingenommen, aber angesichts der von den großen Medien propagierten Lage des Landes »am Rande des Abgrunds« ertragen die Betroffenen die sozialen Einschnitte zähneknirschend erstaunlich ruhig. Massive direkte Rentenkürzungen wie auch indirekte durch die sofortige Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 – ohne schonende Übergänge –, werfen die Finanzen und Pläne Hunderttausender über den Haufen. Die Wiedereinführung einer stark erhöhten Grundsteuer auf Immobilien (80 Prozent der Italiener leben in Wohneigentum) sowie der Anstieg vieler kommunaler Gebühren und die höchsten Energiekosten Europas belasten die Normalgehälter erheblich, die im Schnitt 30 bis 50 Prozent unter den deutschen liegen. Nicht vergessen werden darf für eine realistische Einschätzung der Lage, daß es in Italien weder Kindergeld noch Pendlerpauschalen gibt, kaum steuerliche Freibeträge und vor allem: noch immer keine allgemeine Arbeitslosenversicherung. Die offizielle Arbeitslosenquote erreicht fast zehn Prozent, bei Jugendlichen liegt sie weit über 30 Prozent. Dabei sind die Finanzen von Familien schon angespannt, denn die Rezession ist keineswegs neu: Allein die unter 35jährigen verloren seit 2008 eine Million Arbeitsplätze, im laufenden Jahr werden nach offiziellen Angaben weitere Hunderttausende abgebaut.

Der private Konsum ist stark eingebrochen. Zahllose Kleinbetriebe mußten schließen. Bereits 2011 haben fast 12.000 Betriebe aufgeben, nicht zuletzt weil die Banken, die sich über die Europäische Zentralbank zinsgünstig refinanzieren konnten, keinerlei Kredite mehr gewähren. Die Zahl der Selbstmorde von vor dem Ruin stehenden Kleinunternehmern und Arbeitslosen ist landesweit spürbar angestiegen. Daß es daneben immer noch Mittelschichten gibt, die auch durch Steuerhinterziehung über größere finanzielle Spielräume verfügen, wird auch durch die verstärkten Einsätze der Steuerfahnder nicht wesentlich tangiert. Deren Einsätze werden vornehmlich telegen an Luxusorten wie Cortina und Capri durchgezogen, sind aber de facto nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Eine wirksame Bekämpfung der weit verbreiteten illegalen Praxis ist nicht in Sicht. Informationen, wie die über das Privatvermögen der zehn reichsten Italiener (rund 50 Milliarden Euro), das dem von drei Millionen Steuerzahlern an der unteren Grenze entspricht, verhallen inmitten der täglichen Meldungen über Korruption und wahrhaft feudale Privilegien der »Kaste« der Berufspolitiker, deren Ansehen sich gegen Null bewegt. Die Stimmenthaltung bei den Kommunalwahlen am 6. Mai wird größer als je zuvor sein, bestenfalls werden die Wähler Bürgerlisten bevorzugen.

Montis Technokraten »reformieren” derzeit die Arbeitsgesetzgebung, vorgeblich um durch weitere Flexibilisierung Neuinvestitionen aus dem Ausland anzulocken, um ein phantomhaftes »Wachstum« zu erzielen – aber eine nennenswerte Industriepolitik ist in der sich verschärfenden Rezession nicht abzusehen. Kernstück der Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften ist der seit je umkämpfte Artikel 18, dessen letzte Kündigungsschutzbestimmungen geschliffen werden sollen. Fiat-Chef Marchionne steht dabei Pate, die von ihm bereits durchgeführte Ausschaltung des Tarifrechts inklusive Verbannung der kämpferischen Metall-Gewerkschafter der FIOM aus seinen Fabriken in Pomigliano und Melfi (s. Ossietzky Heft 16/10 und 2/11) hat Grenzen versetzt. Gegen eine definitive Unterordnung menschlicher Kriterien unter die unkontrollierte Macht sogenannter ökonomischer Rationalität formiert sich Widerstand: Weitere landesweite Streiks sind angesagt.