Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Gleiches für Ungleiche

 

Kann ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men (BGE) eine Ant­wort auf die desa­strö­sen, inhu­ma­nen Aus­wir­kun­gen des kapi­ta­li­sti­schen Systems, auf die Aus­wir­kun­gen der Coro­na-Pan­de­mie im Spe­zi­el­len, sein? Hat es das Poten­ti­al, das kapi­ta­li­sti­sche Wirt­schafts­sy­stem zu überwinden?

Grund­ein­kom­men gewinnt Zustimmung

Die Rufe nach exi­stenz­si­chern­den Ein­kom­men für alle, ohne Repres­si­on wer­den lau­ter. Eine in Medi­en und sozia­len Netz­wer­ken, zuneh­mend auch in Wirt­schafts­krei­sen popu­lä­re Idee ist das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men (BGE). Nach einer Umfra­ge des Euro­pean Social Sur­vey (ESS) lagen im Herbst 2019 die Zustim­mungs­ra­ten in Deutsch­land für ein BGE bei 48 Pro­zent, in Ost­deutsch­land bei 58 Pro­zent. Die Dis­kus­sio­nen im Netz wäh­rend der Coro­na-Ruhe­zeit deu­ten auf wei­te­re Zustim­mung hin. Eben­so die sechs Peti­tio­nen zu zeit­lich begrenz­ten BGE, die zusam­men über eine Mil­li­on Unterstützer*innen haben. Nach Ana­ly­sen des ESS geht die Zustim­mung zu einem BGE oft mit jun­gem Alter, hoher Bil­dung und einem nied­ri­gen Ein­kom­men sowie poli­tisch eher lin­ker Ein­stel­lung einher.

Bedingt oder bedingungslos

Die Top-Mel­dung im August war, dass ab kom­men­dem Früh­jahr eine Lang­zeit­stu­die zum Grund­ein­kom­men gestar­tet wird. 120 Teil­neh­me­rIn­nen sol­len über drei Jah­re hin­weg monat­lich 1200 Euro erhal­ten, unab­hän­gig von ihrem son­sti­gen Ein­kom­men oder Ver­mö­gen, unver­steu­ert. Ein­zi­ge Gegen­lei­stung ist die Beant­wor­tung von sie­ben Fra­ge­bö­gen. Bewer­ben kön­nen sich alle über 18-Jäh­ri­gen mit Haupt­wohn­sitz in Deutsch­land. Inner­halb weni­ger Tage mel­de­ten sich knapp zwei Mil­lio­nen Men­schen. Das Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schaft DIW und der Ver­ein Mein Grund­ein­kom­men such­ten außer­dem 1380 Pro­ban­den als Ver­gleichs­grup­pe. Die not­wen­di­gen fünf Mil­lio­nen Euro wur­den von mehr als 150.000 pri­va­ten Spen­dern auf­ge­bracht. Zwei Mil­lio­nen Bewer­ber­be­rIn­nen – 120 wer­den per Zufall aus­ge­wählt. Obwohl die Stu­die bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men genannt wird, ist es nicht bedin­gungs­los, son­dern an die Bedin­gun­gen gebun­den: Alter, begrenz­te Anzahl der Teil­neh­men­den, Befri­stung und Finan­zie­rung. Ein BGE aber soll für jede*n Bürger*in – unab­hän­gig von der wirt­schaft­li­chen Lage – und auf Dau­er eine gesetz­lich fest­ge­leg­te und für jeden glei­che vom Staat aus­ge­zahl­te finan­zi­el­le Zuwen­dung sein, ohne Gegenleistung.

Wenn wir aber über Grund­ein­kom­men reden, müs­sen wir dif­fe­ren­zie­ren zwi­schen einem bedin­gungs­lo­sen und einem beding­ten Grund­ein­kom­men. Letz­te­res ist abhän­gig von Bedin­gun­gen, mei­stens dem Ein­kom­men, dem Alter, der Anzahl der­je­ni­gen die es erhal­ten. Sol­che Expe­ri­men­te – fälsch­li­cher­wei­se bedin­gungs­los genannt – gab und gibt es vie­le, nicht nur das Drei­jah­res-Modell aus dem Hau­se des DIW. Die süd­afri­ka­ni­sche Regie­rung will erwerbs­lo­sen Erwach­se­nen zwi­schen 18 und 59 Jah­ren, die kei­ner­lei son­sti­gen Sozi­al­lei­stun­gen erhal­ten, 350 Rand (18 Euro) monat­lich zur Ver­fü­gung stel­len, damit die schwer­sten sozia­len Aus­wir­kun­gen durch Ein­kom­mens­aus­fäl­le wäh­rend der Coro­na-Kri­se gemil­dert wer­den. In Spa­ni­en wer­den 462 bis 1015 Euro an 23- bis 65-Jäh­ri­ge ver­teilt, die in Haus­hal­ten leben, deren Ein­kom­men pro Per­son unter 230 Euro liegt. Gro­ße media­le Auf­merk­sam­keit hat­te das zwei­jäh­ri­ge fin­ni­sche Expe­ri­ment der kon­ser­va­ti­ven Regie­rung. Dort soll­te mit 560 Euro (für fin­ni­sche Ver­hält­nis­se wenig) her­aus­ge­fun­den wer­den, ob sich Men­schen mit dem Geld häu­fi­ger einen Job suchen als ohne.

Auch Grund­ein­kom­mens­ex­pe­ri­men­te in ande­ren Staa­ten sind an Bedin­gun­gen gebun­den, zum Bei­spiel in Kenia (200 Dör­fer), den Nie­der­lan­den und Lau­sanne (Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger), Bra­si­li­en (ärm­ste Haushalte/​Dörfer im Land), Indi­en und Nami­bia (Orte, in denen beson­de­re Armut herrscht) Kana­da (1000 Fami­li­en, abhän­gig vom Ein­kom­men), Oak­land und Zürich (begrenz­te Zahl von frei­wil­li­gen Teilnehmer*innen). In allen Fäl­len sind es Trans­fer­lei­stun­gen – mei­stens staat­li­che –, ohne gleich­zei­tig gefor­der­te öko­no­mi­sche Gegen­lei­stun­gen oder Repressionen.

Ein gutes Leben für alle

Ein gutes Leben für alle – das ist der huma­ni­sti­sche Gedan­ke, der hin­ter der hohen Zustim­mung zum BGE steht. Ent­spre­chend der For­de­rung der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rech­te »Alle Men­schen sind frei und gleich an Wür­de und Rech­ten gebo­ren« schluss­fol­gern Befürworter*innen, alle Men­schen müss­ten gleich behan­delt wer­den. Das Netz­werk Grund­ein­kom­men for­dert es des­we­gen als indi­vi­du­el­les Recht.

Glei­ches für Ungleiche

Men­schen sind wirt­schaft­lich und sozi­al kei­nes­wegs gleich­ge­stellt. Es ist des­we­gen unge­recht, wenn sozi­al Unglei­che glei­che sozia­le Zuwen­dun­gen vom Staat erhal­ten, wenn Rei­che und sozi­al ABGE­häng­te, finan­zi­ell gleich behan­delt wer­den. Das BGE-Gerech­tig­keits­emp­fin­den impli­ziert, dass öko­no­misch gese­hen, alle Men­schen gleich sei­en. Es führt weg von der Rea­li­tät der sozia­len Spal­tung, den Klas­sen­ver­hält­nis­sen im Kapi­ta­lis­mus, und lenkt ab von Dis­kus­si­on und Hand­lun­gen um die unmit­tel­ba­ren not­wen­di­gen näch­sten Schrit­ten: die Ver­tei­di­gung erkämpf­ter und erstrit­te­ner sozia­ler, demo­kra­ti­scher und Arbeits­rech­te, kurz des Sozialstaats.

In der aktu­el­len Situa­ti­on wird deut­lich, dass schutz­los Daste­hen­de, Solo­selbst­stän­di­ge, Erwerblo­se, Kurzarbeiter*innen, Klein­ge­wer­be­trei­ben­de, Handwerker*innen, Kul­tur­schaf­fen­de oder Freiberufler*innen ein exi­stenz­si­chern­des Ein­kom­men drin­gend benö­ti­gen. Eine Mil­li­on klei­ne Unter­neh­men haben Pro­ble­me, beschreibt der Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Ste­fan Sell die Situa­ti­on wäh­rend des Coro­na-Still­stan­des. Ihre Lage muss dau­er­haft gebes­sert wer­den. Nicht aber die der Rei­chen oder Super­rei­chen. Auch der geho­be­ne Mit­tel­stand und braucht kein BGE. Und sol­len sie es über Steu­ern zurück­zah­len, steht das Grund­ein­kom­men nicht mehr jedem zu, dann ist es bedingt.

Höhe­re und repres­si­ons­freie Grundsicherung

Mit ein­fa­chen Geset­zes­än­de­run­gen lie­ße sich das umge­hend errei­chen, zum Bei­spiel mit: Erhö­hung von Arbeits­lo­sen- und Kurz­ar­bei­ter­geld ver­bun­den mit dau­er­haf­ter Ver­län­ge­rung; wert­ge­si­cher­tem Min­dest­lohn von 15 Euro pro Stun­de; dra­sti­scher Auf­stockung von Hartz IV und ein­fa­chem Zugang zu Hartz IV, Bafög und Lern­mit­tel­frei­heit für die Hartz-IV-Bezieher*innen; höhe­rer Grund­si­che­rung für Künstler*innen, Frei­be­ruf­ler und Solo­selb­stän­di­ge; voll­stän­di­ger Abschaf­fung der Mehr­wert­steu­er auf Grund­nah­rungs­mit­tel und Mie­ten, gekop­pelt mit Preis- und Miet­ober­gren­zen und -kon­trol­len; kosten­lo­sem öffent­li­chen Nah­ver­kehr; Ver­bot von Zwangs­räu­mun­gen und Strom­sper­ren; men­schen­wür­di­ger Unter­brin­gung von Obdach­lo­sen; dau­er­haf­tem Ver­bot pre­kä­rer Arbeitsverhältnisse.

Fix könn­ten Regie­rung und Bun­des­tag sol­che Geset­ze ver­ab­schie­den, wie wir gera­de wäh­rend der Coro­na-Zeit bei den Mil­li­ar­den­pa­ke­ten erlebt haben, die vor­ran­gig an Unter­neh­men gehen.

Wer zahlt?

Wenn nun aber bis­he­ri­ge Trans­fer­lei­stun­gen auf mehr Men­schen über­tra­gen wer­den sol­len, stei­gen Steu­er­gel­der und Abga­ben. Eine höhe­re Besteue­rung von Ver­mö­gen, Erb­schaf­ten, Besteue­rung aus­län­di­scher Kon­zer­ne, Erhö­hung des Spit­zen­steu­er­sat­zes, wie von BGE-Befür­wor­tern gefor­dert, ist rich­tig, wird aber nicht über Wah­len ent­schie­den, son­dern muss erkämpft werden.

So gibt es unter­schied­li­che Finan­zie­rungs­kon­zep­te der BGE-Befür­wor­ter. Ralf Krä­mer von der »Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik« (Memo-Grup­pe) hat bereits 2017 das »sozia­le« BGE-Kon­zept von Tei­len der Links­par­tei durch­ge­rech­net. Auf drei Sei­ten kam zu dem ver­nich­ten­den Urteil, dass unter kapi­ta­li­sti­schen Bedin­gun­gen ein sol­ches »sozia­les« BGE über­wie­gend durch die abhän­gig Beschäf­tig­ten finan­ziert wer­den müss­te, die per Sal­do Ein­bu­ßen ver­zeich­nen wür­den. Das zen­tra­le Pro­blem ist, dass viel Geld an Per­so­nen aus­ge­zahlt wird, die es in ihrer aktu­el­len Lebens­pha­se nicht brau­chen, weil sie gera­de gesund sind, eine Arbeit haben und Geld ver­die­nen. Ande­rer­seits aber kommt jeder von uns in beson­de­re Lebens­pha­sen, in denen er schutz­be­dürf­tig ist, wie Kind­heit, Alter, Krank­heit, Pfle­ge oder Arbeits­lo­sig­keit. In die­sen Fäl­len ist der der­zei­ti­ge Sozi­al­staat – so ver­bes­se­rungs­be­dürf­tig er auch ist – dem BGE über­le­gen, weil bei glei­cher Sum­me der Sozi­al­aus­ga­ben, ziel­ge­nau unterstützt.

BGE ver­fe­stigt Eigen­tums­ver­hält­nis­se und das kapi­ta­li­sti­sche System

Dis­kus­sio­nen über das BGE, also eine ande­re Umver­tei­lung von Sozi­al­lei­stun­gen aus längst erar­bei­te­ten und pri­vat ange­eig­ne­ten Ver­mö­gen, len­ken von der Ent­ste­hung und dem Aneig­nungs­pro­zess des Mehr­werts ab. Das Aus­beu­tungs­ver­hält­nis ist aber nur mög­lich auf Grund der Eigen­tums­ver­hält­nis­se der Kapi­ta­li­sten­klas­se an den ent­schei­den­den Pro­duk­ti­ons­mit­teln. Dar­über wird bei der Dis­kus­si­on über ein BGE vor­nehm geschwie­gen. Es wird sug­ge­riert, dass durch eine ande­re Ver­tei­lung der bereits pri­vat ange­eig­ne­ten Wer­te Gerech­tig­keit ent­stün­de. Eine Über­win­dung des kapi­ta­li­sti­schen Systems ist dann nicht mehr notwendig.

Höhe­re Primäreinkommen

Schon im Kapi­ta­lis­mus jedoch ist der Kampf um einen höhe­ren Anteil am Mehr­wert im Ent­ste­hungs­pro­zess not­wen­dig, um höhe­re Pri­mär­ein­kom­men. Die stän­dig erhöh­te Pro­duk­ti­vi­tät muss von den Unter­neh­mern den Arbei­ten­den aBGE­gol­ten wer­den durch aus­kömm­li­che Löh­ne. Dadurch könn­ten Sozi­al­lei­stun­gen ver­rin­gert wer­den. Von den höhe­ren Löh­nen wür­den dann auch höhe­re Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge zu höhe­ren Ver­si­che­rungs­lei­stun­gen füh­ren. Die erhöh­te Pro­duk­ti­vi­tät muss auch aBGE­gol­ten wer­den durch dra­sti­sche Arbeits­zeit­ver­kür­zung bei vol­lem Lohn- und Per­so­nal­aus­gleich um mehr Men­schen kür­ze­re Voll­ar­beits­plät­ze zu ermög­li­chen, so dass weni­ger Men­schen auf Trans­fer­lei­stun­gen ange­wie­sen sind. Dazu gehö­ren auch die dra­sti­sche Her­ab­set­zung des Ren­ten­ein­tritts­al­ters und die kosten­lo­se Aus­bil­dung bis zum Hoch­schul­ab­schluss. Um das zu errei­chen, sind star­ke, bünd­nis­brei­te Arbeits­kämp­fe not­wen­dig. Sie sind Vor­aus­set­zung für Kämp­fe zur Über­win­dung des kapi­ta­li­sti­schen Systems.

Vor­sicht Diebe

Tes­la-Chef Elon Musk mit PayPal zum Mil­lio­när, mit Tes­la sowie SpaceX zum Mil­li­ar­där gewor­de­ner Arbeits­platz­ver­nich­ter, lockt mit einem BGE. Mit der Fin­te: »Künstliche Intel­li­gen­zen und Robo­ter wer­den den Men­schen die Arbeit weg­neh­men«, lenkt Musk – wie vie­le sei­ner Klas­se – von den tat­säch­li­chen Arbeits­platz­ver­nich­tern im Kapi­ta­lis­mus ab. Seit Jahr­zehn­ten – vor allem aber seit 1989, dem Zusam­men­bruch einer Alter­na­ti­ve zum Kapi­ta­lis­mus – ver­wei­gert sei­ne Klas­se bei enorm stei­gen­der Pro­duk­ti­vi­tät Real­lohn­er­hö­hun­gen, Arbeits­zeit- und Lebensarbeitszeitverkürzungen, Wert­schöp­fungs­ab­ga­be sowie ver­bes­ser­te Arbeits­be­din­gun­gen. Im Gegen­teil, sie streicht immer höhe­re Pro­fi­te aus den erar­bei­te­ten Wer­ten der Vie­len ein – in die eige­ne Tasche, für neue Aus­beu­tungs­in­ve­sti­tio­nen oder Finanz­spe­ku­la­tio­nen. Auch die Coro­na-Maß­nah­men der Regie­rung schef­feln ihnen Mil­li­ar­den in die Taschen, wäh­rend ande­re nicht mehr wis­sen, wie sie dau­er­haft ihre Mie­te zah­len kön­nen. Musk eben­so wie Tele­kom-Chef Hött­ges, SAP-Vor­stands­mit­glied Leu­kert, der DM-Auf­sichts­rat und -Gründer Wer­ner und vie­le, die auf der Web­site »Wirt­schaft für Grund­ein­kom­men« wer­ben, machen sich Gedan­ken, wie sie sich in der immer offe­ner zuta­ge tre­ten­den Klas­sen­ge­sell­schaft vor dem Zorn der Men­schen schützen kön­nen. Die Ergeb­nis­se der Klas­sen­po­li­tik las­sen sich kaum noch ver­tu­schen: Armut trotz Arbeit, Arbeits- und Obdach­lo­sig­keit, Per­spek­tiv­lo­sig­keit und Resi­gna­ti­on. Mit dem Weiß­wä­scher­wort von der »gespal­te­nen Gesell­schaft« soll der Klas­sen­cha­rak­ter des Kapi­ta­lis­mus ver­schlei­ert wer­den. SAP-Vor­stands­mit­glied Bernd Leu­kert hält ein BGE für wich­tig, »damit die Gesell­schaft nicht aus­ein­an­der­bricht«. Trans­fer­zah­lun­gen, mit denen die schlimm­sten Auswüchse gemil­dert wer­den, sol­len nicht stei­gen, aber auch die Lohn­zah­lun­gen sol­len wei­ter ver­rin­gert wer­den. Musks Vor­schlag »Der Staat wird jedem Men­schen ein Grund­ein­kom­men zah­len müssen« ent­la­stet die Ver­mö­gen­den, denn den Groß­teil der Steu­er­auf­kom­men zah­len wir durch die Mas­sen­steu­ern. Die Ver­mö­gen­den tra­gen mit ihren Steu­ern auf Gewin­ne und Ver­mö­gen nur ein Drit­tel des Steu­er­auf­kom­mens. Da trifft er sich mit Götz Wer­ner, der alle Sozi­al­ab­ga­ben für das BGE strei­chen und dafür die Mehr­wert­steu­er auf 50 Pro­zent erhö­hen will. So soll noch tie­fer in unse­re Taschen gegrif­fen wer­den, Kom­bi­löh­ne für die Unter­neh­men staat­lich finan­ziert wer­den und ganz neben­bei das erkämpf­te Sozi­al­ver­si­che­rungs­sy­stem nicht nur wei­ter geschlif­fen, son­dern völ­lig aBGE­ris­sen werden.

Einig ist sich die herr­schen­de Klas­se kei­nes­wegs, ob und – wenn ja – wie ein sol­ches BGE bezahlt, wie es aus­ge­stal­tet wer­den soll, und ob es eine geeig­ne­te Metho­de ist, die beherrsch­te Klas­se ruhig zu hal­ten. Die Mehr­heit des Kapi­tals fin­det im Augen­blick noch kei­nen rech­ten Geschmack dar­an, aber eine klei­ne Frak­ti­on wirbt umso inten­si­ver dafür. So ist es durch­aus im Inter­es­se der Klas­se, wenn in eini­gen Län­dern Expe­ri­men­te gestar­tet wer­den. Die Wir­kun­gen ver­schie­de­ner Vari­an­ten die­ser Idee kön­nen aus­pro­biert wer­den. Beson­ders inter­es­sant ist die Idee auch des­halb, weil sie von einem Teil der beherrsch­ten Klas­se – beson­ders aus den pre­ka­ri­sier­ten Mit­tel­schich­ten – eupho­risch auf­ge­nom­men wird. Somit eig­net sich das BGE auch als vorzügliches Ablen­kungs- und Spalt­in­stru­ment. Mil­lio­nen haben kei­ne Erwerbs­ar­beit oder kei­ne zum Aus­kom­men, müssen unge­lieb­te Fron­ar­beit ver­rich­ten, die weder Befrie­di­gung noch Selbst­be­wusst­sein ver­mit­telt, unter deren Stress sie phy­sisch und psy­chisch zer­stört und gedemütigt wer­den. Sie lei­den unter Repres­sio­nen, pre­kä­ren Arbeits­ver­hält­nis­sen, sind aus den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hän­gen aus­ge­schlos­sen. Vie­le unter ihnen ver­spre­chen sich vom BGE Befrei­ung aus die­ser chan­cen- und hoff­nungs­los schei­nen­den sozia­len Situa­ti­on, Befrei­ung vom Lohnarbeitszwang.

Der übergroße Teil der in Betrie­ben und Arbeits­stät­ten Beschäf­tig­ten und ihre Gewerk­schaf­ten sind am BGE nicht inter­es­siert oder leh­nen es ab. Das zei­gen nicht nur Dis­kus­sio­nen in Betrie­ben und Gewerk­schaft, son­dern auch das nega­ti­ve Abstim­mungs­er­geb­nis in der Schweiz im Juni. 77 Pro­zent der Teilnehmer*innen der Volks­in­itia­ti­ve lehn­ten das BGE ab. Auch die 2013 gestar­te­te offi­zi­el­le Euro­päi­sche Bürgerinitiative haben nur 285.042 Europäer*innen unter­schrie­ben (40.542 in Deutsch­land). Ver­gleicht man damit die 3,2 Mil­lio­nen Unter­schrif­ten der selbst­or­ga­ni­sier­ten Euro­päi­schen Bürgerinitiative gegen TTIP 2015 zeigt sich, dass es trotz Wer­bung weder eine kraft­vol­le Arbeiter*innen- noch Bürgerbewegung für das BGE gibt, eine wesent­lich stär­ke­re aber gegen TTIP und CETA. Die neo­li­be­ra­len Prot­ago­ni­sten des BGE aber geben so schnell nicht auf. In Deutsch­land wur­de im ver­gan­ge­nen Jahr eine Par­tei BGE gegründet.

Ent­kop­pe­lung von Erwerbs­ar­beit und Ein­kom­men – Soli­da­ri­tät oder Egoismus

Es ist eine illu­sio­nä­re Vor­stel­lung, dass wir Ein­kom­men von der Erwerbs­ar­beit lösen könn­ten. Auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne mag das gehen, nicht aber für eine Gesell­schaft als Gan­zes. Die Waren und Dienst­lei­stun­gen, die wir brau­chen, um zu über­le­ben, fal­len nicht vom Him­mel, son­dern wer­den durch Erwerbs­ar­beit pro­du­ziert. Soli­da­risch pro­du­zie­ren heißt, jede/​r muss dar­an einen Anteil haben, selbst­ver­ständ­lich zu guten tarif­li­chen Löh­nen mit kur­zer Voll­zeit. Auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne gibt es heu­te schon die Ent­kop­pe­lung unter bestimm­ten Bedin­gun­gen: Krank­heit, Arbeits­lo­sig­keit, Pfle­ge oder Alter. Auch Men­schen mit gro­ßen Ver­mö­gen lei­sten sie sich. Aber all die indi­vi­du­el­len »Ent­kop­pe­lun­gen« sind durch die Schaf­fung von Wer­ten im Arbeits­pro­zess zustan­de kom­men, von der Gesell­schaft erbracht und finan­ziert worden.

Es wider­spricht jedem eman­zi­pa­to­ri­schem Soli­da­ri­täts­ge­dan­ken, dass die einen ent­schei­den, sie arbei­ten nicht, ande­re aber dafür zwölf oder mehr Stun­den sich aus­beu­ten las­sen müs­sen, um so das BGE zu erar­bei­ten. Denn alle Wer­te – die einer Gesell­schaft zur Ver­fü­gung steht, sei­en es Löh­ne, Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge, Sozi­al­lei­stun­gen, Steu­ern, Gewin­ne, Pro­fi­te der Rei­chen – sind durch die Arbeit, durch die Schaf­fung der Wer­te im Arbeits­pro­zess zustan­de gekom­men. Sie zu ver­tei­len, soll­te ein demo­kra­ti­scher Pro­zess sein. Dazu bedarf es im Kapi­ta­lis­mus eines soli­da­risch aus­ge­bau­ten star­ken Sozi­al­staats mit aus­rei­chend gut aus­ge­bil­de­ten und gut bezahl­ten Sozi­al­be­treu­ern, die nach Bedarf ohne Repres­si­on aus­ge­ben – und ohne den ange­spar­ten »Not­gro­schen« anzutasten.

Auch in einer zukünf­ti­gen sozia­li­sti­schen Gesell­schaft wird das so sein. Erst in einer höhe­ren Pha­se einer kom­mu­ni­sti­schen Gesell­schaft, wird eine Gesell­schaft auf ihre Fah­ne schrei­ben kön­nen: Jeder nach sei­nen Fähig­kei­ten, jedem nach sei­nen Bedürfnis.

Lese­emp­feh­lun­gen: Chri­stoph But­ter­weg­ge: »Weder gerecht noch rea­li­stisch« in Ossietzky 20/​2018; Ruth Becker »Wun­der­mit­tel oder Dro­ge?« in Ossietzky 21/​2017; https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/2/beitrag/bedingungsloses-grundeinkommen-viel-zustimmung-aber-auch-grosse-ablehnung.html#footnote-004-backlink

https://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/de/article/532.zum-postfaktischen-BGE-konzept-der-bag-grundeinkommen-in-der-linken.html