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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Alles vergessen, nichts hinzugelernt?

Es gibt Bücher, deren Neu­auf­la­ge gera­de­zu erfor­der­lich ist. Vor allem, wenn ihre Inhal­te wich­ti­ge Mah­nun­gen zu aktu­el­len Ent­wick­lungs­ten­den­zen ent­hal­ten. Zu die­sen Büchern gehört der von Hein­rich Han­no­ver und Eli­sa­beth Han­no­ver-Drück ver­fass­te Band »Poli­ti­sche Justiz 1918 – 1933«. Erst­mals erschien er 1966 und hat den­noch an Aktua­li­tät in kei­ner Wei­se ver­lo­ren. Der weit­hin bekann­te Straf­ver­tei­di­ger hat­te zusam­men mit sei­ner dama­li­gen Frau, die als Histo­ri­ke­rin tätig war, die Ent­wick­lung der Justiz in der Wei­ma­rer Repu­blik unter­sucht. Bei­spiel­haft stel­len die Autoren eine Rei­he bedeut­sa­mer Ver­fah­ren aus jener Zeit vor und beleuch­ten deren poli­ti­sche Hin­ter­grün­de. Die Spann­brei­te reicht von der Beschrei­bung der Rich­ter­schaft nach der Besei­ti­gung des Kai­ser­rei­ches über Noskes Schieß­erlass vom 9. März 1919, die Fol­gen des Kapp-Put­sches bis hin zur Dar­stel­lung ein­zel­ner aus­ge­wähl­ter poli­ti­scher Mor­de, wie bei­spiels­wei­se an dem dama­li­gen Außen­mi­ni­ster Walt­her Rathen­au. Die gewalt­sa­me Tötung von 15 Arbei­tern in der Nähe des thü­rin­gi­schen Mech­ter­städt fällt eben­falls in die­se Ära (sie­he »Die Mor­de von Mech­ter­städt«, Ossietzky 12/​2016). Ein Kapi­tel wid­men die Autoren dem Pro­zess gegen Hit­ler, der sich zusam­men mit ande­ren wegen Hoch­ver­rats auf­grund der Vor­gän­ge vom 9. Novem­ber 1923 im Mün­che­ner Bür­ger­bräu­kel­ler ver­ant­wor­ten muss­te und zu einer mil­den Stra­fe von fünf Jah­ren Festungs­haft ver­ur­teilt wur­de, wovon er nur einen klei­nen Teil ver­bü­ßen muss­te. Es folgt die Dar­stel­lung von Feme­mor­den. Unter den Mör­dern fin­den sich Namen wie Rudolf Höß oder Mar­tin Bor­mann, die in der Nazi­zeit ab 1933 Kar­rie­re machen soll­ten. In dem Kapi­tel über Lan­des­ver­rat fin­det sich auch der Pro­zess gegen Carl von Ossietzky, an den erst vor kur­zem in die­ser Zeit­schrift erin­nert wur­de (»Ein uner­schrocke­ner Her­aus­ge­ber«, Ossietzky 18/​2019).

Bedeut­sam und mar­kant für jene Zeit ist auch das Ver­fah­ren um den dama­li­gen Reichs­an­walt Paul Jor­ns, der 1919 als Kriegs­ge­richts­rat die Unter­su­chung der Ermor­dung von Rosa Luxem­burg und Karl Lieb­knecht führ­te und deren Mör­der begün­stig­te. Sei­ne Rol­le kam erst fast zehn Jah­re spä­ter ans Tages­licht. Die in einem Arti­kel gegen Jor­ns erho­be­nen Vor­wür­fe über sei­ne Rol­le bei der Scho­nung der Mör­der war­fen zugleich auch die Fra­ge­stel­lung auf, inwie­weit der inzwi­schen zum Reichs­an­walt auf­ge­stie­ge­ne Jurist über­haupt an dem höch­sten deut­schen Gericht, dem Reichs­ge­richt in Leip­zig, tätig sein kann. Das kratz­te natür­lich an Jor­ns Ehre, und er fühl­te sich belei­digt, stell­te Straf­an­trag gegen den Redak­teur der Zeit­schrift Das Tage-Buch. Doch der Pro­zess ver­lief anders als von ihm ange­nom­men. In der Beweis­auf­nah­me stell­te sich her­aus, dass die Behaup­tun­gen des Jour­na­li­sten der Wahr­heit ent­spra­chen und Jor­ns den Mör­dern Vor­schub gelei­stet hat­te. Man kam nicht umhin, den Redak­teur frei­zu­spre­chen. Die fol­gen­den Instan­zen sahen das letzt­lich nicht anders, auch wenn der Redak­teur nach Zurück­ver­wei­sung durch das Reichs­ge­richt letzt­lich zu einer gerin­gen Stra­fe ver­ur­teilt wur­de, wohl auch, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Jor­ns Kar­rie­re scha­de­te das kei­nes­wegs – im Gegen­teil. Unter den Nazis folg­te er einem Ruf an den Volks­ge­richts­hof und war dort bis zu sei­nem Tode 1938 tätig. An dem Aus­gangs­pro­zess gegen den Jour­na­li­sten vor dem Schöf­fen­ge­richt in Ber­lin nahm auch mein lang­jäh­ri­ger Men­tor Fried­rich Karl Kaul als jun­ger Refe­ren­dar neben dem Sit­zungs­ver­tre­ter der Staats­an­walt­schaft, dem er zuge­teilt war, teil. Ich erin­ne­re mich gut, wie er mehr­fach von dem Ver­fah­ren berich­te­te, in das er in der Über­zeu­gung von der Inte­gri­tät des preu­ßi­schen Rich­ters ging und in des­sen Ver­lauf sein bis dahin ihm ver­mit­tel­tes Welt­bild in wei­ten Tei­len erschüt­tert wur­de, was ihn dazu brach­te, sich für lin­ke Ent­wick­lungs­we­ge zu interessieren.

Das Autoren­paar Han­no­ver zeigt in sei­nem Buch wei­ter­hin auf, dass es auch wäh­rend der Wei­ma­rer Repu­blik bereits Justiz gegen Kom­mu­ni­sten gab und die Gesin­nung zum Gegen­stand recht­li­cher Bewer­tung wur­de. Wen wun­dert es da, dass auch Lite­ra­tur und Kunst die Gerich­te beschäf­tig­ten, wenn die Urhe­ber sich durch ihre Wer­ke kri­tisch mit dem dama­li­gen Zeit­geist auseinandersetzten.

Wider­spruch gegen die bestehen­de Ord­nung wur­de auch in der Wei­ma­rer Repu­blik nicht gedul­det und ent­schie­den bekämpft, wenn nötig auch mit den Mit­teln des Straf­rechts. Mor­de­ten reak­tio­nä­re Krei­se und waren die Opfer einer kom­mu­ni­sti­schen Gesin­nung oder lin­ken Ein­stel­lung auch nur ver­däch­tig, hat­ten die Mör­der gute Aus­sich­ten, nicht bestraft zu wer­den oder mit Baga­tell­stra­fen und höchst eigen­tüm­li­chen Begrün­dun­gen davon­zu­kom­men. So schuf die Justiz in der vor­fa­schi­sti­schen Pha­se Vor­aus­set­zun­gen, auf die die Nazi-Justiz ab 1933 nur noch ver­schärft auf­zu­bau­en brauch­te. Die Buch­au­to­ren bele­gen, dass die Wei­ma­rer Zeit kei­nes­wegs von so viel Libe­ra­li­tät geprägt war, wie erst unlängst anläss­lich des 100. Jah­res­ta­ges die­ser Repu­blik behaup­tet wur­de. Man­cher der täti­gen Juri­sten emp­fahl sich durch sei­ne Vor­ge­hens­wei­se für eine naht­lo­se Über­nah­me in die faschi­sti­sche Justiz und wur­de nicht sel­ten auch dort erneut zum Hand­lan­ger bei der Schaf­fung von Unrecht und der Ver­tu­schung poli­tisch moti­vier­ter straf­ba­rer Hand­lun­gen. Der Ein­fluss des poli­ti­schen Zeit­gei­stes auf die juri­sti­schen Ent­schei­dun­gen ist deut­lich ables­bar. Der aktu­el­len Buch­aus­ga­be ist eine Rezen­si­on des frü­he­ren hes­si­schen Gene­ral­staats­an­walts Fritz Bau­er vor­an­ge­stellt, die aus dem Jahr 1967 stammt. Er for­mu­lier­te: »Zu den belieb­ten Lebens­lü­gen unse­rer deut­schen Umwelt gehört die Annah­me, der nazi­sti­sche Unrechts­staat habe anno 1933 begon­nen. Das Autoren­team Han­no­ver weiß und beweist, dass der Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht über Nacht gekom­men ist, übri­gens auch nicht über Nacht wie­der ver­schwand.« Bau­er erwei­tert auch den bekann­ten Spruch »Der Kai­ser ging, die Gene­rä­le blie­ben« um den Zusatz, dass das auch für die Beam­ten und Rich­ter galt. Kaul brach­te es in sei­nem Schluss­vor­trag im Ausch­witz-Pro­zess 1965 auf den Punkt: »Des­we­gen ist es erfor­der­lich, klar­zu­stel­len, dass nicht erst am 30. Janu­ar 1933, dem Tage, an dem der Natio­nal­so­zia­lis­mus in die Macht gescho­ben wur­de, der Mord zur Staats­dok­trin in Deutsch­land erho­ben wur­de! Die Anfän­ge hier­für lie­gen weit frü­her: Es waren die Schüs­se, die Karl Lieb­knecht und Rosa Luxem­burg meu­chel­ten, die Schüs­se, denen die aus bit­te­rer Erfah­rung zu Kriegs­geg­nern gewor­de­nen Kapi­tän­leut­nant Paa­sche und Haupt­mann Baer­feld zum Opfer fie­len, denen die Staats­män­ner Erz­ber­ger und Rathen­au erla­gen … Die­se Schüs­se waren es, die den Auf­takt bil­de­ten für jenen schau­er­li­chen Zug von Toten und Gemor­de­ten, … der wei­ter­ging Jah­re und Jah­re und von dem wir heu­te wis­sen, dass er gera­de­wegs in Ausch­witz endete.«

Hein­rich Hannover/​Elisabeth Han­no­ver-Drück: »Poli­ti­sche Justiz 1918 – 1933«, Metro­pol Ver­lag, 368 Sei­ten, 22 €