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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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China räumt auf

Die Covid-Pan­de­mie hat die Nach­fra­ge nach Fern­un­ter­richt, Online-Tuto­ring und Live-Nach­hil­fe auch in Chi­na in extre­me Höhen getrie­ben. Die Ein-Kind-Poli­tik Chi­nas, aber vor allem das wett­be­werbs­ori­en­tier­te Bil­dungs­sy­stem, spe­zi­ell die Vor­be­rei­tung zur Hoch­schul­zu­las­sung, »Gao Kao«, haben dazu geführt, dass mitt­ler­wei­le 92 Pro­zent der Eltern Nach­hil­fe­in­sti­tu­te beauf­tra­gen, wovon die Hälf­te der Fami­li­en mehr als 1.500 Dol­lar jähr­lich zahlt, wie die Bil­dungs­zei­tung Chi­na Edu­ca­ti­on Paper in einer aktu­el­len Befra­gung von 4000 Eltern her­aus­fand. In Chi­na fin­det die all­seits begehr­te Auf­nah­me­prü­fung ins Col­lege an einem zen­tra­len Ter­min statt, um den stres­si­gen Prü­fungs­tou­ris­mus zu ver­hin­dern, wie er in Frank­reich zu bekla­gen ist, wo wäh­rend einer Woche bei ver­schie­de­nen »Grand Eco­les« die Auf­nah­me­prü­fung geschrie­ben wer­den, um den begehr­ten Stu­di­en­platz zu erlangen.

Um sich das nur in etwa vor­zu­stel­len, was es bedeu­tet, wenn die Hälf­te der Eltern über 1.500 Dol­lar pro Jahr für die Nach­hil­fe ihrer Spröss­lin­ge aus­gibt: Hoch­ge­rech­net ist das ein Mil­li­ar­den­markt, um den sich Groß­un­ter­neh­men, zum Teil an der New Yor­ker und Shang­hai­er Bör­se geli­stet, strei­ten. Aller­dings hat sich da wäh­rend der Pan­de­mie ein mör­de­ri­scher Kon­kur­renz­kampf entwickelt.

Nun ist die Inve­sti­ti­ons­bla­se geplatzt. Der Markt frisst sei­ne Kin­der. Um nur eini­ge Bei­spie­le anzu­füh­ren: Lar­ry Chen, vom Dorf­schul­leh­rer zu einem der reich­sten Unter­neh­mer auf­ge­stie­gen, sah seit Janu­ar den Akti­en­kurs sei­nes Online-Bil­dungs-Unter­neh­mens »GSX Teche­du Inc.« um 88 Pro­zent ins Ufer­lo­se sin­ken und wird sich aus dem Kreis der Mil­li­ar­dä­re ver­ab­schie­den müs­sen. Das Online-Nach­hil­fe-Unter­neh­men »17 Edu­ca­ti­on & Tech­no­lo­gy Group« mach­te im 1. Quar­tal einen Ver­lust von 100 Mio. Dol­lar; die Fir­ma hat­te ver­sucht, sich gegen die Kon­kur­renz mit einem rie­si­gen Mar­ke­tin­ge­tat zu rüsten, und sich dabei über­nom­men, obwohl die Zahl der ein­ge­schrie­be­nen Online- und Prä­senz-Stu­die­ren­den um 105 Pro­zent auf 543.000 gestie­gen war.

Das blieb nicht ohne Reak­tio­nen aus der Bevöl­ke­rung. In den ver­gan­ge­nen Mona­ten jagt ein Shits­torm in den sozia­len Medi­en den ande­ren Im Okto­ber letz­ten Jah­res muss­te »You­win Edu­ca­ti­on« den Betrieb ein­stel­len. Hun­der­te Eltern ver­sam­mel­ten sich vor dem Fir­men­sitz in Bei­jing und for­der­ten ihr Geld zurück. Ende Dezem­ber folg­te der Zusam­men­bruch eines wei­te­ren Online-Nach­hil­fe-Unter­neh­mens, »Xueba.100.com«, Tau­sen­de von Ange­stell­ten wur­den arbeits­los, wäh­rend Schü­ler und Eltern auf Rück­erstat­tung ihrer im Vor­aus bezahl­ten Unter­richts­ge­büh­ren poch­ten, berich­te­te Cai­xin Glo­bal im Dezem­ber 2020. Auch das zur Ali­baba-Grup­pe gehö­ren­de Start-up »Zuoye­bang« ist gezwun­gen, Per­so­nal für Online-Kur­se zur früh­kind­li­chen Ent­wick­lung abzubauen.

Wegen fal­scher Wer­be­ver­spre­chen, was Leh­rer­qua­li­fi­ka­tio­nen und Prei­se betraf, wur­den im Mai Buß­gel­der von jeweils 326.000 Euro gegen »Zuoye­bang« und »Yuan­fu­dao« ver­hängt. Wegen glei­cher Ver­ge­hen wur­den im Juni wei­te­re 13 gro­ße Nach­hil­fe-Unter­neh­men zu einer Geld­bu­ße von ins­ge­samt 4,94 Mio. Dol­lar ver­don­nert. – Die öffent­li­che Empö­rung ver­dich­te­te Gerüch­te über ein har­tes Durch­grei­fen der Markt­re­gu­lie­rungs­be­hör­de »Sta­te Admi­ni­stra­ti­on for Mar­ket Regu­la­ti­on« (SAMR) gegen pri­va­te Nachhilfe-Institute.

Das chi­ne­si­sche Bil­dungs­mi­ni­ste­ri­um hat nun eine neue Auf­sichts­be­hör­de gegrün­det, spe­zi­ell für die Super­vi­si­on von außer­schu­li­schen Nach­hil­fe-Insti­tu­ten, die in den letz­ten Jah­ren in ille­ga­len Akti­vi­tä­ten ver­strickt waren. Ziel ist es, eine exzes­si­ve Lern­be­la­stung nach dem nor­ma­len Unter­richt, aber auch finan­zi­el­le Bela­stun­gen für die Fami­li­en zu ver­hin­dern. Das Erzie­hungs­mi­ni­ste­ri­um fin­det die gigan­ti­schen Wer­be­aus­ga­ben und die Ver­un­treu­ung von im Vor­aus bezahl­ten Stu­di­en­ge­büh­ren zu Recht bedenk­lich. Es wird berich­tet, dass die Ver­ga­be von Lizen­zen ein­ge­schränkt und deren Ver­län­ge­rung mit Auf­la­gen belegt wer­de sowie dass mög­li­cher­wei­se pri­va­te Online-Nach­hil­fe-Insti­tu­te von der Bör­se aus­ge­schlos­sen wür­den. Für Sep­tem­ber, zum Schul­jah­res­an­fang, sei »D-Day« (Dooms-Day, das Jüng­ste Gericht) ange­sagt, wie Cai­xin Glo­bal berichtete.

Daher auch der Alarm­ruf inter­na­tio­na­ler Inve­sto­ren: Plei­ten und Kurs­stür­ze bei bis zu einem Fünf­tel von bör­sen­no­tier­ten Unter­neh­men las­sen die pri­va­te chi­ne­si­sche Fonds­ma­nage­ment-Agen­tur »Kai­yu­an Capi­tal Inter­na­tio­nal« inzwi­schen davon abra­ten, in den pri­va­ten Erzie­hungs­sek­tor zu inve­stie­ren, mel­de­te die Wirt­schafts­platt­form Cai­xin Glo­bal am 25. Juni. »Online-Lern­spe­zia­li­sten ver­bren­nen Geld so schnell, wie sie es auf­trei­ben können.«

Bleibt zu hof­fen, dass einer­seits Eltern mit mehr Kin­dern ihre ego­zen­trisch auf den »Prin­zen« oder die »Prin­zes­sin« fokus­sier­te über­zo­ge­ne Erzie­hungs­men­ta­li­tät ändern, ande­rer­seits die soli­da­ri­sche Hil­fe beim Ler­nen nicht nur von kör­per- und lern­be­hin­der­ten Kin­dern und Jugend­li­chen gera­de bei sich ver­grö­ßern­den Fami­li­en als staat­li­che Auf­ga­be aus­ge­wei­tet und durch kom­mu­na­le und genos­sen­schaft­li­che Struk­tu­ren ergänzt wird.