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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Apokalypse überdrüssig

Er gilt als welt­weit teu­er­ster leben­der Maler – das ver­kün­det der Spie­gel. Das Buce­ri­us Kunst Forum nennt ihn dage­gen »einen der bedeu­tend­sten Künst­ler der Gegen­wart«: David Hock­ney, von dem in Koope­ra­ti­on mit der Tate Lon­don in Ham­burg bis zum 10. Mai eine umfas­sen­de Aus­stel­lung gezeigt wird. Sie gibt chro­no­lo­gisch einen Über­blick sei­ner unter­schied­li­chen Peri­oden, von »Woman with a Sewing Machi­ne« (1954), sei­ne Mut­ter als Modell, bis zum groß­for­ma­ti­gen »In the Stu­dio« (Ende 2017), das aus tau­sen­den Fotos von sei­nem Ate­lier ent­stand. Hock­ney ver­sucht in dem Bild – wie in vie­len davor – die Per­spek­ti­ve zu ändern, Raum und Zeit darzustellen.

Was sehen wir? Den Künst­ler. In blau-grün gestreif­ter Strick­jacke steht er inmit­ten sei­ner Wer­ke, klein und fast wie erschla­gen, mit hän­gen­den Armen, dane­ben ein alter Tep­pich mit zwei Ses­seln. Die quietsch­bun­ten Bil­der umge­ben ihn hän­gend, ste­hend auf dem 278,1 mal 760,1 Zen­ti­me­ter gro­ßen Werk, das mit Hil­fe des Com­pu­ters kom­po­niert wurde.

In Brad­ford 1937 gebo­ren, lernt Hock­ney auf der dor­ti­gen School of Art die aka­de­mi­sche Tra­di­ti­on ken­nen. Spä­ter in Lon­don am Roy­al Col­la­ge of Art kommt er mit Künst­lern wie Fran­cis Bacon, Peter Bla­ke zusam­men. Und mit R. B. Kitaj. Der ermun­tert ihn, etwas Eige­nes zu schaf­fen. Das gelingt Hock­ney bald, nach einer New York-Rei­se. Es ent­ste­hen 16 Radie­run­gen nach Wil­liam Hogarths »The Rake´s Pro­gress«, einer Rei­he von acht Ölbil­dern. Hock­neys Serie in Schwarz-Weiß mit bedroh­li­chem Rot beschreibt sei­ne Erfah­run­gen – auch als Homo­se­xu­el­ler – in New York auf unge­wöhn­li­che Wei­se (1961 – 1963). Ein Trip nach Deutsch­land führt ihn ins Ber­li­ner Per­ga­mon­mu­se­um. Ein zufäl­li­ges Zusam­men­tref­fen einer ägyp­ti­schen Köni­gin und eines – leben­den – moder­nen Euro­pä­ers bleibt als Bild im Kopf. Es wird dar­aus das Gemäl­de »The First Mar­ria­ge” (A Mar­ria­ge of Styl­es I) von 1962. Das erste Bild, das die Tate von ihm erwarb.

Skur­ril: »The Ber­li­ner and the Bava­ri­an« (1962). Zwei Köp­fe, einer schmal, blau mit roten Zei­chen im Gesicht, der Ber­li­ner. Der ande­re fast weiß und vier­kan­tig breit, selbst­ge­fäl­lig? Der Bay­er. Hock­ney schrieb dazu: »Kör­per­lich wenig­stens kamen die Bay­ern mir sehr ver­gnügt und prall vor – viel­leicht macht das Bier sie so.« In Ber­lin sah er »sehr weni­ge prall und ver­gnügt aus­se­hen­de Men­schen … Sie schie­nen mir ziem­lich anders zu sein.« Kein Bier dort? Auch bei ihm nicht. Er hat heu­te statt­des­sen einen »Not­vor­rat von 2000 Ziga­ret­ten im Haus«.

Sehr ernst­haft und gefühl­voll Hock­neys homo­ero­ti­sche Radie­run­gen zur Lyrik von Kon­stan­tin Kava­fis von 1966. Es zieht ihn an die West­kü­ste der USA, nach Los Ange­les, 1964. Er liebt die glei­ßen­de Son­ne, die wei­ßen Haus­fas­sa­den, Gär­ten. Sein Gemäl­de »Hol­ly­wood Gar­den« (1966) irri­tiert: Gar­ten? Eine hel­le Haus­wand, dahin­ter noch eine, davor eher klei­ne­re Pal­men, die aus einer grau­brau­nen Flä­che auf­ra­gen. Der Schat­ten­wurf stimmt nicht ganz – ein Blatt fehlt. Absicht? Woll­te Hock­ney die Künst­lich­keit die­ses Gar­tens zei­gen? Und immer wie­der malt er Was­ser. Kei­ne Tei­che, kein Meer – Swim­ming­pools mit Sprung­brett und Duschen mit jun­gen Män­nern. Auch hier kal­te Far­ben, alles kli­nisch sau­ber – unangreifbar.

Bei­spie­le von Hock­neys rea­li­sti­scher Pha­se, er spricht von Natu­ra­lis­mus: das gro­ße Gemäl­de mit vie­len Vor­stu­di­en »Mr. and Mrs. Clark and Per­cy« (1970/​71) – ein Paar, bei des­sen Hoch­zeit er Trau­zeu­ge war, das sich jedoch bald wie­der trenn­te. Ein schö­nes Bild, das die Span­nung zwi­schen den bei­den spür­bar wer­den lässt. Per­cy, der wei­ße Kater auf dem Schoß des Man­nes, sieht zur offe­nen Fen­ster­tür, weg vom Betrach­ter. Celia und Ossie Clark schau­en nach vorn. Er, mit gelang­weil­tem Gesicht auf den Stuhl hin­ge­fläzt, sie steht im lan­gen Kleid, die Arme in die Hüf­ten gestemmt – neben ihr wei­ße Lili­en, neben ihm am Boden ein Tele­fon. An der Wand eine Radie­rung Hock­neys aus der Serie »A Rake´s Pro­gress«. Bis zu den nack­ten Füßen Ossies, die sich in einen Flo­ka­ti-Tep­pich boh­ren – alles Fut­ter für Psy­cho­lo­gen. Ähn­lich bei dem Por­trät von Hock­neys Eltern »My Par­ents« (1977). Bei­de sit­zen auf Holz­klapp­stüh­len, dazwi­schen ein gift­grü­ner Roll­wa­gen mit Kunst­bän­den, ein Tul­pen­strauß und ein klei­ner Spie­gel, der Tei­le von zwei Bil­dern zeigt. Nach 45 Jah­ren Ehe ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­ge­schränkt. Der Vater, tief gebeugt über eines der Bücher, sie im blau­en Kleid, sitzt war­tend, den Blick gera­de­aus, die Hän­de inein­an­der ver­schränkt, die Bei­ne brav neben­ein­an­der gestellt.

In den 1980er Jah­ren lag das Haupt­au­gen­merk des Malers auf der Per­spek­ti­ve. Das zei­gen Litho­gra­fien von Stüh­len und Ses­seln. Hock­ney streicht die nor­ma­le Sicht mit einem roten Kreuz durch. Sei­ne Sicht ist anders. Bei­spiel: die leuch­tend bun­ten Dar­stel­lun­gen des mexi­ka­ni­schen Hotels Acat­lan, 1984/​85 ent­stan­den. Der Blick in den Innen­hof, Säu­len, Bäu­me, die Decke, alles scheint zu stür­zen. Unter Dro­gen gemalt? Zum Schluss das 7,44 Meter lan­ge Gemäl­de, über zwei Meter hoch: »A Clo­ser Grand Can­yon« (1998). Es besteht aus 40 Lein­wän­den. Die Monu­men­ta­li­tät erzeugt Schwin­del­ge­füh­le. Eine Bank davor soll Abhil­fe schaf­fen. Hock­ney selbst spricht von einem »200-Grad-Win­kel«, aus dem man den Grand Can­yon betrach­tet. Man blickt gleich­zei­tig nach vorn und nach unten in ein rie­si­ges Loch. In der Aus­stel­lung leuch­tet es schon von wei­tem in bren­nen­den Rot- und Oran­ge-Tönen und stach­li­gem Grün. Die Per­spek­ti­ve ver­än­dert sich lau­fend, ver­si­chert Hock­ney: »Das Auge ist in stän­di­ger Bewe­gung. Bewegt es sich nicht, ist man tot.«

Und Hock­ney heu­te? Sein neu­es Buch mit 120 Still­le­ben, die den Blick aus dem Schlaf­zim­mer­fen­ster doku­men­tie­ren, mit Hil­fe des iPads gemalt. Das Maga­zin der Süd­deut­schen Zei­tung pro­mo­tet den Band in einem lan­gen Inter­view beim Künst­ler in Hol­ly­wood. Nicht die »Beschis­sen­heit der Welt« wol­le er zei­gen, Blu­men am Fen­ster und das »Vor­bei­zie­hen der Jah­res­zei­ten« – für 1750 Euro das Stück. »Sinn und Zweck« sei­ner Bil­der sei­en »Ver­gnü­gen und Freu­de« – der Preis, der inter­es­sie­re ihn nicht. Im Inter­view spielt Geld die Haupt­rol­le, es fügt sich pass­ge­nau ins Anzei­gen­um­feld. Er sei es über­drüs­sig, bekennt Hock­ney, »wie apo­ka­lyp­tisch die Welt von den Medi­en dar­ge­stellt« wer­de, und bil­de sich ein, es sei sei­ne »Pflicht, die Welt mit einem neu­en Bild aufzuheitern«.

 

Kata­log, her­aus­ge­ge­ben von Kath­rin Baum­stark, Hirm­er Ver­lag, 220 Sei­ten, 39,90 €/​in der Aus­stel­lung 29 €. Bei Redak­ti­ons­schluss hat die Apo­ka­lyp­se zuge­schla­gen: Die Aus­stel­lung ist zunächst bis zum 29. März geschlossen.