Kostbar wirkt der matt schillernde Bernstein. Welcher Fritz sich so nennt, hat einen Grund.
Fritz Weigles/F. W. Bernsteins so zart locker bewegliche Zeichnerhand ruht. Für mich war er der Letzte, der andere befähigen konnte, Weltgetöse und Menschentreiben zeichnerisch treffsicher zu erfassen. Zeitlebens blieb er ein lernend Lehrender. Die Güte seiner Zeichenkunst hielt sich immer die Waage mit einer selten gewordenen menschlichen Güte.
Gerade deshalb war er besonders dafür geeignet, erst in Strichlagen und dann zunehmend in Reimspielen (wer kennt nicht: »Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.«) die Marotten der Mitmenschen aufs Korn zu nehmen. Das ging früh schon los, dass der brave Fritz Weigle als angestellter Lehrer ganz eigene Seitenwege einschlug. Der 1938 im tiefsten Schwaben Geborene startete 1964 als rotzfrecher Satiriker bei der Zeitschrift Pardon in Frankfurt am Main voll durch. Und befand sich mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter in bester akademisch gebildeter Gesellschaft. Mit Hans Traxler und Chlodwig Poth wurde aus der Dreierbande eine Fünferkorona absoluter Sonderklasse – »Neue Frankfurter Schule« genannt. Sie stand für politisch linke Positionen und künstlerische Intentionen in der alternativen Publizistik.
Nach Übergang von Pardon zu Titanic wurde die redaktionelle Bindung lockerer. Schon allein die Verpflichtung als Hochschullehrer für »Komische Zeichenkunst« (ja, so etwas gab es mal!) ergab das. Sie führte ihn über Göttingen nach Westberlin. Das begünstigte 1990 den denkbar engen Kontakt zur Kollegenschaft der Ostseite der fallenden Mauer. Wir verstanden uns auf Anhieb so prachtvoll, dass mit Manfred Bofinger sogar ein längerer zeichnerischer komischer Briefwechsel zu Buche schlug.
Seit am 20. Dezember die böse Adventsüberraschung der Todesnachricht kam, wissen wir, dass die komische Zeichnerszene nun wieder um einen Kopf und eine Hand von Bedeutung ärmer ist. Dazu ausgerechnet desjenigen, der jahrelang noch Talente gegen die zunehmende zeichnerische Verödung der Medienlandschaft auf den Weg brachte. Schon allein durch das Beispiel der handschriftlich und handzeichnerisch inspirierten Variante. Denn die bürgt für die Lebendigkeit der Aussage, die Menschen erreicht. Die Unmittelbarkeit der saloppen Rede und Zeichensprache – wo finden wir sie heute so sympathisch? Seit die einst flotte Schreibe von Axel Hacke und Harald Martenstein zunehmend vom Ernst des Lebens ein- und überholt wird, gibt es das kaum noch. Wobei Bernsteins Neigung, Politisches zu kommentieren, am Ende gegen Null ging. Der Abgesang aller »Neu-Frankfurter Schulgänger« war halt von verhaltener Komik gesättigte Zurückhaltung.
Inzwischen wetteiferten die Nachrufer wichtiger Gazetten im Nachholen einer Hochachtung eines stets bescheiden Hintergründigen. Bernstein war uns chronisch unbeachteten Satirikern des Ostens nahe. Sein Verständnis von Menschenbeobachtung und literarischem Feinsinn war uns vertraut. Freundlichkeit muss nicht immer gleich zu Freundschaft werden. Bei ihm gab es da keine Grenze. Berühmte Namen von Goethe ab- und aufwärts veralberte er wiederum äußerst respektlos. Da kam seine intime Nähe zu ihnen zum Vorschein. Unter Kumpeln hat man da keine Hemmungen. Das und manches andere an und von Bernstein wird uns fehlen.