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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dichter, Philosoph, Salinentechniker

Fried­rich von Har­den­berg, der sich spä­ter Nova­lis nann­te, gilt bis heu­te als der Roman­ti­ker par excel­lence, als der ein­zi­ge wahr­haf­te Dich­ter der deut­schen Früh­ro­man­tik. Dabei betrach­te­te er selbst sei­ne »Schrift­stel­le­rei« stets als »Neben­sa­che«. Viel­mehr berei­te­te er sich mit Eifer und Sorg­falt auf einen bür­ger­li­chen Beruf vor. Nach einem erfolg­rei­chen Jura­stu­di­um bil­de­te er sich durch ein berg­män­ni­sches Stu­di­um und durch eige­ne inten­si­ve natur­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en wei­ter, um in der kur­säch­si­schen Sali­nen­ver­wal­tung sei­nen Lebens­in­halt zu finden.

Bereits sei­nen Zeit­ge­nos­sen und vor allem den Spät­ro­man­ti­kern war es äußerst befremd­lich, Nova­lis sich als Amts­haupt­mann oder als Berg­bau- und Sali­nen­be­am­ter vor­zu­stel­len. Das schrift­stel­le­ri­sche Schaf­fen von Nova­lis beweist aber eben­falls die­sen Dop­pel­cha­rak­ter. So beinhal­tet die vier­bän­di­ge Gesamt­aus­ga­be sei­ner Wer­ke immer­hin zwei Bän­den mit phi­lo­so­phi­schen und natur­wis­sen­schaft­li­chen Betrach­tun­gen und einen Band mit Brie­fen, auto­bio­gra­fi­schen Frag­men­ten und Nach­trä­gen, wäh­rend sein dich­te­ri­sches Schaf­fen mit Gedich­ten, Lie­dern und Roman­frag­men­ten nur einen Band füllt.

In den dich­te­ri­schen Wer­ken – vor allem in sei­ner Lyrik – hat Nova­lis das eige­ne inne­re Berg­werk ergrün­det und aus­ge­lo­tet, dabei beschritt er bis­lang unbe­kann­te Wege. Aber auch hier rich­te­te er immer wie­der den Blick nach außen. Mensch und Welt, Geist und Natur waren für ihn eine Ein­heit, die er in sei­nen Wer­ken viel­fäl­tig gestal­te­te. Für Nova­lis war Roman­tik nicht sen­ti­men­tal Kit­schi­ges; mit ihr woll­te er das Gewöhn­li­che mit dem Beson­de­ren, das Begrenz­te mit dem Unend­li­chen zusammenführen.

Vor 250 Jah­ren wur­de Fried­rich von Har­den­berg am 2. Mai 1772 auf dem Fami­li­en­gut in Ober­wie­der­stedt (Süd­harz) gebo­ren. Der Fami­li­en­be­sitz bestand aus einem beschei­de­nen, 1683 erbau­ten Renais­sance­schloss und einem Guts­hof. Fried­rich war das zweit­äl­te­ste von elf Kin­dern des aus dem Adel stam­men­den und spä­te­ren Sali­nen­di­rek­tors Hein­rich Ulrich Eras­mus von Har­den­berg und der jun­gen ver­arm­ten Adli­gen Augu­ste Bern­har­di­ne von Böl­zig. Der Vater, Mit­glied der pie­ti­sti­schen Herrn­hu­ter Brü­der­ge­mein­de, erzog die Kin­der mit patri­ar­chi­scher Stren­ge, wäh­rend die Mut­ter von stil­ler, zurück­hal­ten­der Natur war. Da die Bewirt­schaf­tung des Fami­li­en­gu­tes für den Unter­halt der kin­der­rei­chen Fami­lie nicht genug her­gab, nahm der Vater 1784 die Stel­le des kur­säch­si­schen Direk­tors der Sali­nen Artern, Kösen und Dür­ren­berg an, was mit einem Umzug nach Wei­ßen­fels ver­bun­den war. Die Stadt an der Saa­le wur­de zum neu­en Lebens­kreis des jun­gen Fried­rich, die sich in den fol­gen­den Jah­ren durch ihre gün­sti­ge Lage zwi­schen sei­nen spä­te­ren Wir­kungs­or­ten Jena, Ten­nstedt, Bad Dür­ren­berg, Wei­mar und Leip­zig auszeichnete.

Wie sei­ne zehn Geschwi­ster wur­de Fried­rich weit­ge­hend von Haus­leh­rern unter­rich­tet. Sei­ne Schul­bil­dung zur Vor­be­rei­tung eines Stu­di­ums schloss er 1790 am Luther-Gym­na­si­um in Eis­le­ben ab. Im Okto­ber imma­tri­ku­lier­te er sich an der tra­di­ti­ons­reich­sten »Alma Mater Jenen­sis«. An der »Juri­ste­rei« hat­te der jun­ge Stu­dent aller­dings wenig Gefal­len, weit mehr inter­es­sier­ten ihn phi­lo­so­phi­sche Vor­le­sun­gen. Bald gewann er auch Kon­takt zu den Lehr­stuhl­in­ha­bern Fich­te, Schel­ling und Schil­ler. Das rief den Vater auf den Plan, der besorgt war, dass sein Sohn das Stu­di­um und sei­nen beruf­li­chen Wer­de­gang ver­nach­läs­sig­te, und bewog ihn ein Jahr spä­ter zu einem Stu­di­en­wech­sel an die Uni­ver­si­tät Leip­zig. Hier lern­te Har­den­berg Fried­rich Schle­gel (1772-1829) ken­nen, der sein Stu­di­um eben­falls nur halb­her­zig betrieb. Mit Har­den­berg und Schle­gel hat­ten sich zwei intel­lek­tu­ell ver­wand­te See­len gefun­den. Fort­an ver­band sie gemein­sa­me Inter­es­sen wie Phi­lo­so­phie, Geschich­te und Lite­ra­tur. Wie­der dräng­ten die Eltern zu einem wei­te­ren Wech­sel des Stu­di­en­or­tes, und so schloss Har­den­berg sein Jura­stu­di­um im Mai 1793 an der Uni­ver­si­tät Wit­ten­berg mit »erster Cen­sur« ab.

Danach über­zeug­te der Vater sei­nen Sohn von einer Lehr­stel­le bei dem Kreis­amt­mann Coele­stin August Just im Amt Ten­nstedt, um hier prak­ti­sche Erfah­run­gen zu sam­meln. Sein Vor­ge­setz­ter wur­de bald ein väter­li­cher Freund (und spä­ter sein erster Bio­graf). Der 17. Novem­ber 1794 soll­te ein ent­schei­den­des Datum für den jun­gen Har­den­berg wer­den – ein Tag, der auch vie­le Spu­ren in sei­nen Dich­tun­gen hin­ter­las­sen hat. Auf einer gemein­sa­men Dienst­rei­se ins unweit gele­ge­ne Grüningen, lern­te der jun­ge Har­den­berg die Toch­ter des Schloss­her­ren, die erst knapp 13jährige Sophie von Kühn, ken­nen. Eine Schick­sals­be­geg­nung, denn nach einer Vier­tel­stun­de hat­te er sich Hals über Kopf in sie ver­liebt. Heim­li­che Ver­lo­bung am 17. März 1795. Ihr frü­her Tod, sie starb zwei Tage vor ihrem 15. Geburts­tag, stürz­te Fried­rich in eine schwe­re Lebens­kri­se mit Todes­sehn­süch­ten und der Hoff­nung auf die bal­di­ge Wie­der­ver­ei­ni­gung mit sei­ner Sophie. Sei­ne tie­fe Trau­er ver­ar­bei­te­te er in den berühm­ten »Hym­nen an die Nacht«, die 1800 in der Zeit­schrift Athe­nä­um ver­öf­fent­licht wur­den. Sie ent­hal­ten die wesent­li­chen Gedan­ken von Nova­lis‘ roman­ti­scher Reli­gio­si­tät und sei­nes Welt­bil­des und gel­ten bis heu­te als die bedeu­tend­ste Dich­tung der Frühromantik.

Für sein beruf­li­ches Fort­kom­men absol­vier­te Har­den­berg ab Ende 1797 ein mon­tan­wis­sen­schaft­li­ches Zusatz­stu­di­um an der Berg-Aka­de­mie in Frei­berg, wo er sich in Hüt­ten­tech­nik, Stol­len­bau und Gesteins­kun­de wei­ter­bil­de­te. Hier lern­te er Julie von Char­pen­tier, die Toch­ter sei­nes Geo­lo­gie­pro­fes­sors, ken­nen. Neben sei­nem Stu­di­um fand Har­den­berg Zeit, sich der Lite­ra­tur und der Lek­tü­re vor allem von phi­lo­so­phi­schen Wer­ken zu wid­men. Sei­ne poe­tisch-phi­lo­so­phi­schen Betrach­tun­gen und Gedan­ken hielt er in meh­re­ren Frag­ment­samm­lun­gen fest; bei der Ver­öf­fent­li­chung der bekann­te­sten Samm­lung »Blüt­hen­staub« ver­wen­de­te er erst­mals das Pseud­onym Novalis.

In der kur­zen Schaf­fens­pe­ri­ode von drei Jah­ren ent­stan­den die berühm­ten fünf­zehn »Geist­li­chen Lie­der«, der Natur- und Ent­wick­lungs­ro­man »Die Lehr­lin­ge zu Saïs« sowie der Roman »Hein­rich von Ofter­din­gen«, die bei­de Frag­men­te blie­ben. Der jun­ge Min­ne­sän­ger Hein­rich von Ofter­din­gen ist auf der Suche nach der blau­en Blu­me, die ihm in einem para­die­si­schen Traum erschie­nen war. Mit der »Blau­en Blu­me« schuf Nova­lis das wir­kungs­mäch­ti­ge Sym­bol für roman­ti­sches Unend­lich­keits­stre­ben und christ­li­che Reli­gi­on. Der Roman, der roman­ti­sche Gegen­ent­wurf zu Goe­thes Bil­dungs­ro­man »Wil­helm Mei­sters Lehr­jah­re«, ist ein Bei­spiel für ein roman­ti­sches Gesamt­kunst­werk, denn Pro­sa, Poe­sie, Lie­der und Mär­chen ver­schmel­zen hier mit­ein­an­der. In die Lite­ra­tur­ge­schich­te ein­ge­gan­gen ist auch der Jena­er Freun­des­kreis um die Brü­der Schle­gel, Nova­lis, Schel­ling, Fich­te und Tieck. Neben dem Phy­si­ker Rit­ter und dem Phi­lo­soph Niet­ham­mer hat­ten in dem Lite­ra­tur­kreis auch die Frau­en Doro­thea Veit und Caro­li­ne Böh­mer eine tra­gen­de Rol­le. Hier ent­stan­den erste pro­gram­ma­ti­sche Dich­tun­gen der Frühromantik.

Doch zurück zu sei­ner beruf­li­chen Vita. Vor und nach sei­nem Frei­ber­ger Stu­di­um war Nova­lis in Wei­ßen­fels als Sali­nen­ak­zes­sist tätig. Zu sei­nen viel­fäl­ti­gen Auf­ga­ben gehör­ten die Ein­füh­rung und Erpro­bung der Koh­le­feue­rung bei der Salz­ge­win­nung sowie die Suche nach geeig­ne­ten Lager­stät­ten. So erhielt er den Auf­trag, mit dem Bergsti­pen­dia­ten Fried­rich Trau­gott Micha­el Haupt (1776-1852) eine geo­gno­sti­sche Unter­su­chung der Gegend um Leip­zig, Bor­na, Zeitz, Pegau und Zwenkau vor­zu­neh­men. So gese­hen, hat der Poet Har­den­berg einen Bei­trag zum spä­te­ren Braun­koh­len­ab­bau gelei­stet; er hat­te damit – um es posi­tiv aus­zu­drücken – auch einen zumin­dest indi­rek­ten Anteil an der heu­ti­gen Leip­zi­ger Neu­se­en­land­schaft. Heu­te erin­nert ein Gedenk­stein an der Abbruch­kan­te des Tage­baus Profen Süd an das berg­män­ni­sche Wir­ken von Har­den­berg. Im Dezem­ber 1800 wur­de Nova­lis als Amts­haupt­mann (ent­spricht einem heu­ti­gen Land­rat) des Thü­rin­gi­schen Berg­krei­ses mit den Ämtern Wei­ßen­fels, Hel­d­run­gen und Sach­sen­burg betraut. Die damit vor­ge­zeich­ne­te Lauf­bahn konn­te er aber nicht mehr ein­schla­gen. Auch zur geplan­ten Ehe­schlie­ßung mit sei­ner Julie kam es nicht mehr. Am 25. März 1801 starb Nova­lis im Alter von nicht ein­mal 29 Jahren.

Zum 250. Geburts­tag von Nova­lis ist im Ana­con­da Ver­lag eine ein­bän­di­ge und preis­wer­te Aus­ga­be mit sei­nen wich­tig­sten Schrif­ten erschie­nen. Neben Gedich­ten, Lie­dern und den Roma­nen »Die Lehr­lin­ge zu Sais« und »Hein­rich von Ofter­din­gen« sind hier auch die bekann­te­sten Frag­ment­samm­lun­gen ver­tre­ten. Wei­ter­hin sei die ein­zig­ar­ti­ge und lan­ge Zeit ver­schol­le­ne Bio­gra­fie »Fried­rich von Har­den­berg genannt Nova­lis« aus dem Jah­re 1872 von Sophie von Har­den­berg (1821-1898) emp­foh­len, die es in den letz­ten Jah­ren bereits auf sechs Auf­la­gen gebracht hat. Die Nich­te von Nova­lis hat­te zwar selbst kei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen mehr an den Dich­ter, aber als Nach­lass­ver­wal­te­rin hat­te sie nicht nur Zugang zu hand­schrift­li­chen Über­lie­fe­run­gen und Brie­fen, son­dern konn­te auch auf per­sön­li­che Berich­te der Fami­lie und von Freun­den zurückgreifen.

Hans-Diet­rich Dahn­ke /​ Rudolf Wal­bi­ner (Hg.): Nova­lis Wer­ke in einem Band, Ana­con­da Ver­lag, Mün­chen 2022, 392 S., 7,95 €.

Sophie von Har­den­berg: Fried­rich von Har­den­berg genannt Nova­lis, Avox Ver­lag, Leip­zig 2018, 324 S., 19,90 €.