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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein glorioser Jahresta

Dank der Viel­zahl an Gedenk­ta­gen ver­spricht das Jahr 2019, uns immer aufs Neue Freu­de zu berei­ten. Der Rei­gen beginnt mit dem 70. Jah­res­tag der Grün­dung des Nord­at­lan­tik­pak­tes am 4. April. Damals gehör­ten zwölf Staa­ten der NATO an, heu­te sind es 29, die mei­sten von ihnen weit ent­fernt vom Atlan­tik gele­gen. Schon heu­te kön­nen wir uns auf die Frie­dens­bot­schaf­ten aus die­sem Anlass freu­en. Wenig spä­ter, am 23. Mai, fei­ert die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ihr 70-jäh­ri­ges Bestehen. Via Fern­se­hen kön­nen wir end­lich und mehr­fach den Grün­dungs­va­ter des Staa­tes, den »besten Deut­schen« (Umfra­ge des ZDF von 2003) und Autor des Spru­ches »Was küm­mert mich mein Geschwätz von gestern«, Kon­rad Ade­nau­er, wie­der­se­hen. Der 70. Jah­res­tag der Grün­dung des Unrecht­staa­tes DDR am 7. Okto­ber wird ver­ständ­li­cher­wei­se nur am Ran­de Erwäh­nung fin­den. Ganz im Gegen­satz zum 30. Jubi­lä­um des Falls der Mau­er am 9. Novem­ber. Die Deut­schen kön­nen es gar nicht erwar­ten, end­lich wie­der ein­mal in einer Dau­er­schlei­fe die Bil­der der über­glück­li­chen, bald dar­auf vom SED- und Sta­si­joch befrei­ten ost­deut­schen Lands­leu­te beim ersten Über­que­ren der Gren­ze zu genie­ßen. Wie es den Glücks­kin­dern in den Fol­ge­jah­ren des Auf­bau­es Ost ergan­gen ist, davon wer­den wir weit­ge­hend ver­schont blei­ben. Natür­lich gibt es 2019 auch noch manch ande­re Gedenk­ta­ge, die in zahl­rei­chen Über­sich­ten auf­ge­li­stet sind. Ein Jubi­lä­um wird man dar­in nicht fin­den: den 20. Jah­res­tag des Beginns des sieg­rei­chen Luft­krie­ges der NATO gegen Jugo­sla­wi­en. Das ist umso bedau­er­li­cher, da deut­sche ECR- und Rec­ce-Tor­na­dos in der ersten Staf­fel flo­gen und am Rumpf das glei­che Bal­ken­kreuz tru­gen wie einst die Stu­kas, die im April 1941 auf Befehl Hit­lers über Jugo­sla­wi­en her­fie­len und Bel­grad in Schutt und Asche leg­ten. Es wäre doch all­zu schön, zu sehen und zu hören, wie bra­vou­rös unse­re Luft­waf­fe dazu bei­trug, 60 Brücken, 19 Bahn­hö­fe, 13 Flug­hä­fen, 480 Schul­ob­jek­te, 365 Klö­ster, Kir­chen, Kul­tur- und histo­ri­sche Gedenk­stät­ten, dar­un­ter den Park des Geden­kens an die im Zwei­ten Welt­krieg von der deut­schen Wehr­macht erschos­se­nen 7000 jugo­sla­wi­schen Bür­ger, zu zer­trüm­mern oder zu demo­lie­ren. Dank der sprich­wört­li­chen deut­schen Prä­zi­si­ons­ar­beit der vor­an­flie­gen­den Tor­na­dos gelang es den ver­ei­nig­ten NATO-Kräf­ten 110 Kran­ken­häu­ser und 121 Indu­strie­be­trie­be zu zer­stö­ren oder schwer zu beschä­di­gen und über 2500 Men­schen zu töten. Es war eben ein über­aus erfolg­rei­cher Krieg, in des­sen Ergeb­nis das auto­no­me Gebiet Koso­vo aus Ser­bi­en her­aus­ge­bro­chen wur­de. Es ist jam­mer­scha­de, dass der 20. Jah­res­tag des Beginns des glo­rio­sen Luft­krie­ges nicht umfas­send gewür­digt wird und wir wohl um das Ver­gnü­gen gebracht wer­den, zumin­dest die deut­schen Hel­den­ta­ten noch ein­mal zu wür­di­gen. Aller­dings ist es nicht aus­zu­schlie­ßen, dass in den Zen­tra­len der Kriegs­par­tei­en doch heim­lich der heroi­schen Lei­stun­gen der Bun­des­re­pu­blik bei der Zer­schla­gung der Sozia­li­sti­schen Föde­ra­ti­ven Repu­blik Jugo­sla­wi­en gedacht und so man­che Freu­den­trä­ne ver­drückt wird.

Im Hans-Diet­rich-Gen­scher-Haus, dem Sitz der Bun­des­ge­schäfts­stel­le der FDP, könn­te man der diplo­ma­ti­schen Mei­ster­lei­stun­gen des sei­ner­zei­ti­gen Außen­mi­ni­sters Gen­scher geden­ken, der allen dum­men War­nun­gen, dar­un­ter des UN-Gene­ral­se­kre­tärs de Cuél­lar, zum Trotz Ende 1991 die Aner­ken­nung Slo­we­ni­ens und Kroa­ti­ens durch­setz­te. De Cuél­lar hat­te in einem Schrei­ben vom 14. Dezem­ber 1991 an Gen­scher dar­auf hin­ge­wie­sen, dass eine vor­ei­li­ge Aner­ken­nung Slo­we­ni­ens und Kroa­ti­ens in Bos­ni­en eine explo­si­ve Situa­ti­on her­vor­ru­fen könn­te. Wört­lich schrieb er »Solch eine Ent­wick­lung könn­te schwer­wie­gen­de Fol­gen für die gan­ze Bal­kan­re­gi­on haben und wür­de mei­ne eige­nen Bemü­hun­gen, […] die not­wen­di­gen Bedin­gun­gen für die Anwen­dung von frie­dens­er­hal­ten­den Maß­nah­men in Jugo­sla­wi­en zu sichern, ernst­lich gefähr­den.« Gen­scher schlug die War­nung in den Wind und trug damit erfolg­reich zum Aus­bruch des blu­ti­gen Bür­ger­krie­ges in Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na und damit zur end­gül­ti­gen Zer­schla­gung der jugo­sla­wi­schen Föde­ra­ti­on bei.

Mit ein wenig Phan­ta­sie könn­te man sich auch vor­stel­len, dass in der Bun­des­ge­schäfts­stel­le der Grü­nen in Ber­lin-Mit­te ins­ge­heim des 20. Jah­res­ta­ges des Beginns der Befrei­ung Rest-Jugo­sla­wi­ens von der Will­kür der ser­bi­schen Sozia­li­sten und des Men­schen­schläch­ters Slo­bo­dan Miloše­vić freu­de­voll gedacht wird. Immer­hin war es der grü­ne Außen­mi­ni­ster Joseph Mar­tin Fischer, der dem NATO-Waf­fen­gang gegen Jugo­sla­wi­en sei­nen eigent­li­chen Sinn gege­ben hat­te. Bereits 1995, als in sei­ner Par­tei eine hef­ti­ge Debat­te um deut­sche Bun­des­wehr­ein­sät­ze in Bos­ni­en geführt wur­de, hat­te er in sei­nem berühm­ten zehn­sei­ti­gen Brief an sei­ne grü­nen Par­tei­freun­de vom »Wie­der­auf­tau­chen eines blu­ti­gen völ­ki­schen Faschis­mus«« gespro­chen und die Inter­ven­ti­ons­for­de­rung für Bos­ni­en ver­tei­digt. Wört­lich hat­te er fest­ge­stellt: »Ich habe die Posi­ti­on der Inter­ven­ti­ons­pflicht bei Völ­ker­mord – es ist für mich der unver­äu­ßer­li­che Kern des Anti­fa­schis­mus und sei­nes Ver­mächt­nis­ses des ›Nie wie­der Ausch­witz‹ – schon immer ver­tre­ten.« Um die­se fabel­haf­te Erklä­rung zu unter­mau­ern, mach­te Fischer die »ser­bi­sche Son­der­po­li­zei« zur »SS von Herrn Miloše­vić« und die Alba­ner zu unter Schock ste­hen­den Leu­ten, »weil sie den­ken, sie sind plötz­lich im Film ‚Schind­lers Liste‘ auf­ge­wacht«. Für ihn stand außer Zwei­fel: »Es war ein wirk­li­cher Schock, dass Miloše­vić bereit war, zu han­deln wie Sta­lin und Hitler.«

Auch im Kon­rad-Ade­nau­er-Haus, der Bun­des­ge­schäfts­stel­le der CDU, ist es durch­aus mög­lich, dass am 20. Jah­res­tag des Kriegs­be­ginns heim­lich, aber vol­ler Stolz an die eige­ne erfolg­rei­che Jugo­sla­wi­en­po­li­tik gedacht wird. Stolz allein schon des­halb, da einer der ihren, der ehe­ma­li­ge Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster und Ver­fas­sungs­rich­ter Rupert Scholz, einer der ersten war, der die Exi­stenz des jugo­sla­wi­schen Viel­völ­ker­staa­tes öffent­lich in Fra­ge gestellt hat­te. Auf dem im Sep­tem­ber 1991 statt­ge­fun­de­nen »Für­sten­feld­brucker Sym­po­si­um für Füh­rungs­kräf­te aus Bun­des­wehr und Wirt­schaft« hat­te er fest­ge­stellt, »dass der Jugo­sla­wi­en-Kon­flikt unbe­streit­bar fun­da­men­ta­le gesamt­eu­ro­päi­sche Bedeu­tung hat«, um fort­zu­fah­ren: »Wir glau­ben, dass wir die wich­tig­sten Fol­gen des Zwei­ten Welt­krie­ges über­wun­den und bewäl­tigt hät­ten, aber in ande­ren Berei­chen sind wir damit befaßt, noch die Fol­gen des Ersten Welt­krie­ges zu bewäl­ti­gen […]. Jugo­sla­wi­en ist als eine Fol­ge des Ersten Welt­krie­ges eine sehr künst­li­che […] Kon­struk­ti­on.« Welch wei­se pro­phe­ti­sche Wor­te! Sich ihrer nach der Zer­schla­gung die­ser sehr künst­li­chen Kon­struk­ti­on zu erin­nern, ist eine wah­re Wohl­tat für Geist und Seele.

Den mei­sten Anlass zum freu­de­vol­len Geden­ken an den hel­den­haf­ten Luft­krieg hät­te wohl die SPD-Mann­schaft im Wil­ly-Brandt-Haus. War es doch der SPD-Kanz­ler Ger­hard Schrö­der, der am Abend des 24. März 1999 dem deut­schen Volk den Kriegs­ein­tritt mit dem histo­risch ein­ma­li­gen, genia­len Satz mit­teil­te: »Wir füh­ren kei­nen Krieg, aber wir sind auf­ge­ru­fen, eine fried­li­che Lösung im Koso­vo auch mit mili­tä­ri­schen Mit­teln durch­zu­set­zen.« Grün­de für die­sen »kei­nen Krieg« gab es zuhauf. Am über­zeu­gend­sten for­mu­lier­te sie SPD-Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Rudolf Schar­ping. Ihm ging es dar­um, die Schreckens­ta­ten der ser­bi­schen Mon­ster zu ent­lar­ven und damit den Nicht-Krieg zu recht­fer­ti­gen. So berich­te­te er am 21. April 1999 vor der Euro­pean Busi­ness School in Oestrich-Win­kel fol­gen­des: »Wenn ich lei­der sehr ernst zu neh­men­de Berich­te höre, dass inner­halb einer Nacht ein Stadt­teil Prišti­nas geräumt wur­de, dass 3000 Men­schen zusam­men­ge­trie­ben wur­den, dass man am näch­sten Tag nicht mehr fest­stel­len konn­te, wo die­se Men­schen waren, wohl aber Lei­chen­ber­ge auf dem Fried­hof selbst, dann ist das ein sol­ches Bei­spiel. Wenn ich höre, dass in einem klei­nen Ort 28 Leh­rer einer Schu­le aus den Klas­sen­zim­mern her­aus­ge­trie­ben und vor den Augen ihrer Schü­le­rin­nen und Schü­ler erhängt wer­den, dann ist das ein zwei­tes Bei­spiel. Und wenn einem Flücht­lin­ge erzäh­len, und das nicht ein­mal, son­dern mehr­fach, dass man Frau­en ihre Kin­der aus den Armen reißt und ihre Köp­fe abschnei­det, um mit ihnen Fuß­ball zu spie­len, wenn ermor­de­ten Schwan­ge­ren der Bauch auf­ge­schlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurück­ge­legt wird […]. Wenn man dies alles weiß, hof­fe ich, kommt jedem in Deutsch­land die eine oder ande­re Erin­ne­rung hoch.«

Nein, die Hor­ror­ge­schich­ten Schar­pings eig­nen sich nicht für ein freu­de­vol­les Geden­ken an den gro­ßen Sieg. Viel­leicht fin­det die inter­ne Ver­an­stal­tung auch gar nicht statt, zumal die SPD sowie­so gegen­wär­tig auf der Suche nach einem neu­en Pro­fil ist.

Alle dama­li­gen Bun­des­tags­par­tei­en mit Aus­nah­me der PDS haben die Aggres­si­on gegen Jugo­sla­wi­en beför­dert und unter­stützt. Sie wer­den jedoch den Teu­fel tun und ihre Mit­schuld an dem ver­bre­che­ri­schen Krieg ein­ge­ste­hen. Folg­lich ist es mehr als unwahr­schein­lich, dass sie sie intern oder öffent­lich in Erin­ne­rung brin­gen. Gedenk­ver­an­stal­tun­gen die­ser Par­tei­en wer­den wohl nicht statt­fin­den, die geschil­der­ten sind ima­gi­när. Die Zita­te dage­gen sind echt.