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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine neue Kunst

Jedes Han­dy hat eine Kame­ra. Und jeder, der so ein Smart­phone besitzt, knipst sich durchs Leben. (Das gilt natür­lich auch für den weib­li­chen Teil der Welt­be­völ­ke­rung.) Dar­um, so scheint es, gibt es wohl kei­nen Win­kel im wei­ten Rund, der noch nicht auf die­se Wei­se »doku­men­tiert« wor­den ist. Gut, das ist immer noch bes­ser, als den Namen mit dem Mes­ser in einer Baum­rin­de zu ver­ewi­gen oder mit Schrift­zug an histo­ri­schem Gemäu­er mit­zu­tei­len, dass man dage­we­sen sei. Der Chip ist gedul­dig, und irgend­wann wer­den die elek­tro­ni­schen Bil­der gelöscht oder ver­schwin­den ohne jede Spur im Nichts.

Vie­le Foto­gra­fen hal­ten die­se Knip­se­rei für ein Ärger­nis. Sie leben von ihrer Arbeit und lei­den dar­un­ter, wenn Redak­tio­nen Han­dy­schnapp­schüs­se pro­fes­sio­nel­len Fotos vor­zie­hen. Auch wenn für Licht­bild­ner unver­än­dert der Satz gilt, den der Maler Clau­de Monet für sei­nes­glei­chen for­mu­lier­te: Es kommt nicht dar­auf an, was man malt, son­dern wie man es malt. Doch wenn’s um Geld geht und um Weg­werf­pro­duk­te wie Zei­tun­gen und illu­strier­te Zeit­schrif­ten, stellt sich die­se Fra­ge nicht.

Jener Monet kam 1840 in Paris zur Welt – ein Jahr, nach­dem die dor­ti­gen Aka­de­mien der Wis­sen­schaf­ten und der Kün­ste der Welt die Daguer­reo­ty­pie prä­sen­tiert hat­ten. In den fol­gen­den Jah­ren nahm das neue Medi­um »Pho­to­gra­phie« eine rasan­te tech­ni­sche und inhalt­li­che Ent­wick­lung. Aller­dings fan­den nicht weni­ge, dass das über­haupt kei­ne Kunst sei, was damit pro­du­ziert wer­de. Bau­de­lai­re erklär­te 1859, dass Male­rei sei­nen Geist erleuch­te, was man von einem mit einer Maschi­ne geschaf­fe­nen Abbild nicht behaup­ten kön­ne. Vie­le Maler sahen das nicht so – sie lie­ßen sich von den Foto­gra­fien zuneh­mend inspi­rie­ren wie eben auch die Foto­gra­fen sich von den Malern und deren Tech­ni­ken zum Expe­ri­ment ange­regt fühl­ten. Etwa von den Impres­sio­ni­sten, die 1874 im Ate­lier des Pari­ser Foto­gra­fen Nadar kol­lek­tiv aus­stell­ten. Im Unter­schied zu sei­nen malen­den Freun­den wie Monet, Degas, Piss­ar­ro und Cezan­ne war Nadar mit sei­nen Fotos – etwa mit Por­träts von Pro­mi­nen­ten und Auf­nah­men der Pari­ser Abwas­ser­ka­nä­le – zu einem beacht­li­chen Ver­mö­gen gekom­men, wes­halb er die not­lei­den­den Künst­ler-Kol­le­gen finan­zi­ell unterstützte.

Heu­te befin­den sich 34 Monets im Besitz des in Pots­dam leben­den Unter­neh­mers und Mäzens Has­so Platt­ner, der für sie und vie­le ande­re Impres­sio­ni­sten in Pots­dam neben Schin­kels Niko­lai­kir­che und dem Bran­den­bur­gi­schen Land­tag eigens ein Haus errich­ten ließ, das Palais Bar­be­ri­ni. Es rühmt sich, dass es außer­halb von Paris kein Ort der Welt gebe, wo so vie­le Monets ver­sam­melt sind. Dazu kom­men noch vie­le Mei­ster­wer­ke von Renoir, Mor­isot, Sis­ley, Piss­ar­ro, Signac und ande­rer Impres­sio­ni­sten. Seit genau fünf Jah­ren nun lockt das Haus am Alten Markt mit beein­drucken­den Aus­stel­lun­gen die Mas­sen nach Pots­dam, die­se ist inzwi­schen wohl die acht­zehn­te Expo­si­ti­on, im Janu­ar erst schloss »Impres­sio­nis­mus in Russ­land. Auf­bruch zur Avant­gar­de«. Trotz Coro­na-Beschrän­kun­gen sahen fast hun­dert­tau­send Besu­cher die mit der Staat­li­chen Tret­ja­kow-Gale­rie in Mos­kau zustan­de gekom­me­ne Schau, mehr als dop­pelt so vie­le wie zur zuvor ver­an­stal­te­ten Rem­brandt-Aus­stel­lung gekom­men waren. Trau­ri­ge Neben­be­mer­kung: Die­se wun­der­ba­re Aus­stel­lung wür­de wohl aktu­ell nicht mehr statt­fin­den kön­nen. Was für ein Irrsinn …

Geschickt ver­steht man es im Muse­um Bar­be­ri­ni, den eige­nen Fun­dus immer wie­der in einem ande­ren Kon­text zu prä­sen­tie­ren. So auch jetzt wie­der, seit Febru­ar in einer Kom­bi­na­ti­on von foto­gra­fi­schen und gemal­ten Bil­dern, beti­telt: »Eine neue Kunst. Pho­to­gra­phie und Impres­sio­nis­mus«. Die Kura­to­ren des Hau­ses – in die­sem Fal­le der inter­na­tio­nal bekann­te Foto­gra­fie- und Impres­sio­nis­mus­exper­te Ulrich Pohl­mann als Gast – haben es auch dies­mal wie­der geschafft, mit dem Vor­han­de­nen und mit Leih­ga­ben auf tau­send Qua­drat­me­tern bemer­kens­wert Über­ra­schen­des zu zeigen.

Die offe­rier­ten Licht­bil­der doku­men­tie­ren zugleich auch die Geschich­te der Foto­gra­fie in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts – bis hin, was didak­tisch fol­ge­rich­tig ist, zu den klo­bi­gen Kästen und mobi­len Ent­wick­lungs­la­bors, in denen die Foto­gra­fen in che­mi­schen Dämp­fen sich oft früh den Tod hol­ten. Him­mel und Meer, die Wol­ken­ma­le­rei und das Spiel von Licht und Schat­ten in land­schaft­li­chen Wei­ten oder im Park neben­an inter­es­sier­ten die Foto­gra­fen, auch Brücken und Wege, Stra­ßen­sze­nen und Bau­wer­ke – die Sujets der Frei­luft­ma­ler und der Frei­luft­fo­to­gra­fen gli­chen sich. Nahe­lie­gend, die Abbil­dun­gen neben­ein­an­der zu prä­sen­tie­ren. Am Ein­gang hängt leit­mo­ti­visch neben einem Gemäl­de Monets mit den Krei­de­fel­sen im nord­fran­zö­si­schen Étretat von 1885 ein Bild, das 1864 Lou­is Alphon­se Davan­ne foto­gra­fier­te: die glei­che Klip­pe, nur mit Fischer­hüt­ten im Vor­der­grund. »Wett­streit und Dia­log zwi­schen Malern und Pho­to­gra­phen« heißt es im Begleit­text an der Wand, kurz und sach­lich und nicht ideo­lo­gisch auf­ge­la­den wie etwa die Erläu­te­run­gen bei der Aus­stel­lung »Hin­ter der Mas­ke. Künst­ler in der DDR« 2017/​18, die damals den Unmut vie­ler Besu­cher hervorriefen.

Ein wenig poli­ti­sche Zeit­ge­schich­te hät­te aller­dings nicht gescha­det. Es fin­det sich nir­gend­wo, auch nicht im vor­züg­li­chen Kata­log, ein Hin­weis etwa auf die Pari­ser Kom­mu­ne, auf den deutsch-fran­zö­si­schen Krieg, den Auf­bruch des Kapi­ta­lis­mus in den Impe­ria­lis­mus. Die­se gesell­schafts­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen und Ein­schnit­te kor­re­spon­dier­ten gewiss auch mit der Kunst, doch dies wird weder in Bil­dern noch Kom­men­ta­ren sicht­bar. Eine Foto­gra­fie von Lou­is Vert, ent­stan­den um 1900, zeigt einen Clo­chard auf einer Pari­ser Stra­ße – das ist der ein­zi­ge Hin­weis dar­auf, dass es neben der hei­len, gemal­ten oder abge­lich­te­ten Welt damals auch noch eine ande­re gege­ben haben muss.

Die exzel­len­te Expo­si­ti­on wird ab Okto­ber, eben­falls für ein Vier­tel­jahr, auch in Wup­per­tal zu sehen sein. Das dor­ti­ge Von der Heydt-Muse­um war am Zustan­de­kom­men der Aus­stel­lung in Pots­dam part­ner­schaft­lich beteiligt.

Die Samm­lung ist bis zum 8. Mai 2022 im Muse­um Bar­be­ri­ni am Alten Markt in Pots­dam zu sehen, täg­lich – bis auf Diens­tag – geöff­net von 10 bis 19 Uhr, Ein­tritt nur mit Mas­ke und einem Zeit­fen­ster-Ticket (https://shop.museum-barberini.de/#/tickets?lang=de).