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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ende der Wiederholung

Als die Mobi­le Aka­de­mie Ber­lin bei mir anfrag­te, ob ich etwas zu dem von ihr in die­sem Jahr unter dem Titel Ende der Wie­der­ho­lung prä­sen­tier­ten Markt für nütz­li­ches Wis­sen und Nicht-Wis­sen bei­tra­gen wol­le, und zwar zum The­ma Tra­gö­die & Far­ce: War­um Marx glaub­te, dass sich Geschich­te wie­der­holt, sag­te ich gern zu, denn ich mag sol­che Ver­rückun­gen und Ver­rückt­hei­ten. Ich begann dann, in den Quel­len zu recher­chie­ren, und was ich dabei an Über­ra­schen­dem her­aus­fand, schien mir nicht nur inter­es­sant als Ein­lei­tung zu dem vor­ge­se­he­nen halb­stün­di­gen Gespräch, son­dern auch für die Lese­rin­nen und Leser von Ossietzky.

Ich zitie­re zunächst das, was Marx dazu wirk­lich geschrie­ben hat: »Hegel bemerkt irgend­wo, dass alle gro­ßen welt­ge­schicht­li­chen Tat­sa­chen und Per­so­nen sich sozu­sa­gen zwei­mal ereig­nen. Er hat ver­ges­sen hin­zu­zu­fü­gen: das eine Mal als Tra­gö­die, das ande­re Mal als Farce.«

Mit die­sen bei­den Sät­zen beginnt er 1852 eine Dar­stel­lung mit dem Titel Der acht­zehn­te Bru­mai­re des Lou­is Bona­par­te. Der Titel spielt auf ein damals noch sehr bekann­tes histo­ri­sches Ereig­nis an, denn am 18. Bru­mai­re des Jah­res 8 des fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­onska­len­ders, am 9. Novem­ber 1799, mach­te sich Napo­le­on Bona­par­te durch einen Staats­streich zum Allein­herr­scher Frank­reichs. 52 Jah­re spä­ter, am 2. Dezem­ber 1851, putsch­te sich sein Nef­fe Lou­is Bona­par­te eben­falls durch einen Staats­streich an die Macht.

Napo­le­on war eine wirk­lich bedeu­ten­de welt­hi­sto­ri­sche Per­sön­lich­keit gewe­sen, was man von sei­nem Nef­fen wahr­lich nicht behaup­ten kann. Marx mein­te: »Der acht­zehn­te Bru­mai­re des Idio­ten für den acht­zehn­ten Bru­mai­re des Genies«, und ähn­lich urteil­te der gro­ße fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Vic­tor Hugo, der nach dem Staats­streich im eng­li­schen Exil leb­te, und damals ein poli­ti­sches Pam­phlet mit dem Titel Napo­lé­on le Petit (Napo­le­on der Klei­ne) publi­zier­te. Der Titel sagt eigent­lich alles und bestä­tigt das Urteil von Marx wenig­stens in der Hin­sicht, dass der zwei­te Staats­streich, ver­gli­chen mit dem ersten, eine lum­pi­ge Far­ce gewe­sen ist.

Die­ses Urteil hat­te Marx aller­dings von sei­nem Freund Engels über­nom­men und dabei eini­ges hin­zu­ge­dich­tet. Engels hat­te ihm schon am 3. Dezem­ber, also einen Tag nach dem Staats­streich, in einem Brief geschrie­ben: » (…) und es scheint wirk­lich, als ob der alte Hegel in sei­nem Gra­be die Geschich­te als Welt­geist lei­te­te und mit der größ­ten Gewis­sen­haf­tig­keit alles sich zwei­mal abspin­nen lie­ße, ein­mal als gro­ße Tra­gö­die und das zwei­te Mal als lau­si­ge Farce.«

Engels hat also sei­nen Bezugs­punkt – »als ob der alte Hegel« – viel vor­sich­ti­ger als Marx for­mu­liert und auch ohne jeden Vor­wurf. Das war völ­lig rich­tig, denn bei Hegel, in sei­nen Vor­le­sun­gen über die Phi­lo­so­phie der Geschich­te, lesen wir zum Pro­blem der Wie­der­ho­lung das glat­te Gegen­teil: »Über­haupt wird eine Staats­um­wäl­zung gleich­sam im Dafür­hal­ten der Men­schen sank­tio­niert, wenn sie sich wie­der­holt. So ist Napo­le­on zwei­mal gefan­gen wor­den, und zwei­mal ver­trieb man die Bour­bo­nen. Durch die Wie­der­ho­lung wird das, was im Anfang nur als zufäl­lig und mög­lich erschien, zu einem Wirk­li­chen und Bestätigten.«

Hier­nach fin­den die Wie­der­ho­lun­gen in einem kur­zen, von den Betei­lig­ten selbst erleb­ten Zeit­raum statt, und nicht in über meh­re­re Gene­ra­tio­nen rei­chen­den Zeit­räu­men, recht­fer­ti­gen folg­lich auch nicht das Wort von der »Wie­der­ho­lung in der Geschichte«.

Abge­se­hen von all die­sen Rich­tig­stel­lun­gen muss schließ­lich bezwei­felt wer­den, dass Marx den Macht­an­tritt des gro­ßen Napo­le­on als eine Tra­gö­die betrach­tet hat.

Der von ihm selbst for­mu­lier­te Ver­gleich ist also schief, ein wohl nicht zu Ende durch­dach­ter Gei­stes­blitz, und soll­te als nicht son­der­lich geglück­ter Ver­such eines Bon­mots betrach­tet und in sei­nem Gehalt nicht über­stra­pa­ziert werden.

So viel zum ideen­ge­schicht­li­chen Kon­text. Bleibt aber die Fra­ge, ob sich Geschich­te wie­der­holt. Und da hal­te ich mich an Geor­ge San­ta­ya­na (1863-1952), den in Spa­ni­en gebo­re­nen und in den USA auf­ge­wach­se­nen Phi­lo­so­phen, der die letz­ten vier Jahr­zehn­te sei­nes Lebens wie­der in Euro­pa ver­brach­te (zunächst in Frank­reich, dann in Eng­land und schließ­lich in Ita­li­en). Er hat­te schon in sei­ner US-ame­ri­ka­ni­schen Zeit, in sei­nem 1905/​6 erschie­ne­nen zwei­bän­di­gen Werk The Life of Rea­son, for­mu­liert: »Wer sich nicht der Ver­gan­gen­heit erin­nern kann, ist dazu ver­dammt, sie zu wiederholen.«

Sor­gen wir also für ein Ende der Wiederholung.