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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Festliche Feigen

Unser Vater erzähl­te, als Sieb­zehn­jäh­ri­ger in den ersten Welt­krieg gezo­gen und an der West­front in fran­zö­si­sche Gefan­gen­schaft gera­ten zu sein. Sein Lager befand sich im Süden, das Mit­tel­meer war nicht weit. Gewalt­mär­sche führ­ten in som­mer­li­cher Hit­ze über staub­trocke­ne kah­le Ber­ge. Weni­ge Fei­gen­bäu­me spen­de­ten Schat­ten. Am Boden der san­di­gen Land­stra­ße lagen zer­platz­te Früch­te. Heiß­hung­rig bück­te er sich beim Mar­schie­ren, mög­lichst unbe­merkt, denn sonst setz­te es Trit­te, und kratz­te die wei­chen, kleb­ri­gen Früch­te­häuf­chen mit den Fin­gern vom Boden und leck­te gie­rig das süße kör­ni­ge Frucht­fleisch, das mit Sand und Stein­chen ver­mischt zwi­schen den Zäh­nen knirschte.

Das erzähl­te er ohne nost­al­gi­schen Anflug, weil er mir sei­nen Hun­ger, die Schlä­ge und Trit­te der Wach­mann­schaft ein­dring­lich vor Augen füh­ren woll­te und damit das Elend des Krie­ges. Sei­ne Geschich­te von den Fei­gen, die ich nur getrock­net vom all­jähr­li­chen Weih­nachts­tel­ler kann­te und nun von sei­ner Erzäh­lung in ihre natür­li­che Umge­bung ver­setzt fand, weck­te bei mir eine Sehn­sucht nach dem medi­ter­ra­nen Dahin-ja-dahin zu süd­li­cher Ferne.