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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Globaler Waffen-Wahn

Die Welt brennt. Und der Waf­fen­han­del flo­riert. Kriegs­ge­rät ist glo­bal gefragt. Rekord­ver­däch­ti­ge ein­tau­send-neun­hun­dert-sieb­zehn Mil­li­ar­den US-Dol­lar (in Zah­len: 1.917) haben die Staa­ten der Welt 2019 für Rüstungs­gü­ter aus­ge­ge­ben. Es ist der höch­ste Wert seit 1988, so das Inter­na­tio­na­le Frie­dens­for­schungs­in­sti­tut in Stock­holm (SIPRI) in sei­nen aktu­el­len Jah­res­be­richt. Es ist dar­über hin­aus der größ­te jähr­li­che Zuwachs bei den Mili­tär­aus­ga­ben seit 2010. Auf die USA ent­fal­len mit 732 Mil­li­ar­den US-Dol­lar gan­ze 38 Pro­zent der welt­wei­ten Rüstungs­aus­ga­ben. Auch Deutsch­land hat zu der Stei­ge­rung bei­getra­gen: Um gan­ze zehn Pro­zent, auf 49,3 Mil­li­ar­den US-Dol­lar, hat das Land sei­ne Mili­tär­aus­ga­ben im Ver­gleich zum Vor­jahr erhöht.

Der SIPRI-Bericht doku­men­tiert: Ins­ge­samt gaben die 29 NATO-Mit­glie­der im Jahr 2019 rund 1035 Mil­li­ar­den US-Dol­lar aus. Deut­lich gestei­gert hat auch Chi­na sei­ne Mili­tär­aus­ga­ben: 261 Mil­li­ar­den. Damit liegt es mit 14 Pro­zent der welt­wei­ten Aus­ga­ben auf Rang zwei hin­ter den Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Neben Chi­na sorgt eine wei­te­re asia­ti­sche Groß­macht für Auf­se­hen: Indi­en erhöh­te sei­ne Rüstungs­aus­ga­ben 2019 um knapp sie­ben Pro­zent auf 71,1 Mil­li­ar­den US-Dol­lar – und ver­dräng­te im welt­wei­ten Ran­king Sau­di-Ara­bi­en vom drit­ten Platz. Im Ver­gleich zu den rie­si­gen Sum­men der »Big Play­er« ver­blas­sen die Rüstungs­aus­ga­ben der rest­li­chen Welt. Die Län­der Süd­ame­ri­kas gaben zusam­men rund 53 Mil­li­ar­den US-Dol­lar aus, die Hälf­te davon ver­bucht Bra­si­li­en. Die Län­der in Süd­ost­asi­en kom­men gemein­sam auf rund 41 Mil­li­ar­den US-Dol­lar und die Län­der des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents ins­ge­samt auf knapp über 42 Mil­li­ar­den US-Dollar.

Vie­le Zah­len, vie­le Mil­li­ar­den. Die Poli­tik spricht rou­ti­niert von gewach­se­nen Mili­tär­aus­ga­ben und not­wen­di­gen Ver­tei­di­gungs­ko­sten. Es gehe um natio­na­le Sicher­heit, um mili­tä­ri­sche Bünd­nis­se, um stra­te­gi­sche Gleich­ge­wich­te. Das Cre­do der Mili­tär-Poli­ti­ker: »Wer Frie­den will, muss in Rüstung inve­stie­ren.« Allein das sei Garant gegen Kriegsgefahr.

Klar ist: Wo viel inve­stiert wird, wird auch viel pro­du­ziert. Auf Nach­fra­ge folgt Ange­bot, auf Ange­bot Nach­fra­ge. Dafür sor­gen gro­ße Rüstungs­kon­zer­ne, mit­tel­stän­di­sche Waf­fen-Fabri­kan­ten und Zulie­fe­rer. Beim Ver­gleich des Fünf­jah­res­zeit­raums 2015 bis 2019 mit den Zah­len der Jah­re 2010 bis 2014 zeigt sich: Der inter­na­tio­na­le Waf­fen­han­del ist in die­ser Zeit um gut fünf Pro­zent gewach­sen, im Ver­gleich zu 2005 bis 2009 sogar um 20 Pro­zent. Ein expan­si­ver, lukra­ti­ver Markt. Ein Bombengeschäft.

Damit kom­men wir zur Ein­nah­men-Sei­te. Auch hier sind die USA Spit­zen­rei­ter. Kein Land macht mehr Umsatz. Gleich ob Bush, Oba­ma, Trump oder Biden im White Hou­se sit­zen: Die US-Rüstungs­kon­zer­ne kön­nen sich der Zustim­mung ihrer Regie­rung sicher sein. Waf­fen­ver­käu­fe sind ein wich­ti­ger Teil der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik. Die zwölf US-Unter­neh­men, die in der Rang­li­ste erfasst sind, ste­hen für 61 Pro­zent der Ver­käu­fe. Welt­weit bester Kun­de ame­ri­ka­ni­scher Rüstungs­kon­zer­ne der letz­ten Jah­re: Sau­di-Ara­bi­en. Aus­ge­rech­net in die Kri­sen­re­gi­on Mitt­le­rer Osten wur­den in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren mehr Waf­fen ver­kauft als in den fünf Jah­ren zuvor. Auf Platz zwei im Ran­king der größ­ten Waf­fen-Pro­du­zen­ten. Chi­na. Inzwi­schen befin­den sich vier chi­ne­si­schen Kon­zer­ne unter den welt­weit größ­ten Rüstungs­kon­zer­nen. Der tat­säch­li­che Wert der Waf­fen­ver­käu­fe der gesam­ten chi­ne­si­schen Rüstungs­in­du­strie dürf­te – so die SIPRI-Stu­die – ins­ge­samt zwi­schen 70 und 80 Mil­li­ar­den Dol­lar lie­gen. Ten­denz stei­gend. Russ­land bleibt wei­ter­hin dritt­größ­ter Waf­fen­händ­ler der Welt. Als umsatz­star­ker Rüstungs­an­bie­ter hat sich seit Jah­ren auch Frank­reich eta­bliert und 72 Pro­zent mehr Kampf­ge­rät expor­tiert als im vor­he­ri­gen Fünf­jah­res­zeit­raum. USA, Chi­na, Russ­land und Frank­reich sind das Spit­zen-Quar­tett im glo­ba­len Waffen-Wahn.

Und Deutsch­land? Das Land gehört seit Jah­ren zu den wich­tig­sten Rüstungs­lie­fe­ran­ten – und damit zu den fünf Staa­ten, deren Expor­te über drei Vier­tel des glo­ba­len Han­dels mit Kriegs­ge­rät aus­ma­chen. Die deut­sche Bun­des­re­gie­rung spricht den­noch gern davon, eine »restrik­ti­ve« Rüstungs­export­po­li­tik zu betrei­ben. Doch so rich­tig pas­sen will die Aus­sa­ge nicht zu den offi­zi­el­len Zah­len. Auch deut­sche Rüstungs­expor­te haben kräf­tig zuge­legt. Der bis­he­ri­ge Höchst­stand aus dem Jahr 2015 wur­de mit 7,95 Mil­li­ar­den Euro für Rüstungs­gü­ter knapp über­trof­fen. Geneh­migt wur­de die Aus­fuhr von Kriegs­waf­fen im Wert von etwa 2,6 Mil­li­ar­den Euro und »son­sti­ger Rüstungs­gü­ter« im Wert von knapp 5,4 Mil­li­ar­den Euro.

Die Bun­des­re­gie­rung begrün­det die Waf­fen­lie­fe­run­gen, vor allem in soge­nann­te »Dritt­län­der«, die weder der EU noch der NATO ange­hö­ren, mit dem »stra­te­gi­schen Gleich­ge­wicht« in Kon­flikt-Regio­nen. Und mehr ist dazu nicht zu erfah­ren, denn sobald es um Rüstungs­expor­te geht, zieht sich die Regie­rung auf angeb­li­che Geheim­hal­tungs­pflich­ten zurück. Wer wel­che Waf­fen aus Deutsch­land bekommt, wird im Bun­des­si­cher­heits­rat ent­schie­den. Und der – das regelt nun ein­mal ein Gesetz – tagt und ent­schei­det »ver­trau­lich«. Die Öffent­lich­keit – also wir, die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger – erfah­ren von den Beschlüs­sen meist erst nach erfolg­ter Lie­fe­rung. Den Umfang der Aus­fuh­ren in Dritt­staa­ten stuft die Regie­rung als »Ver­schluss­sa­che« ein.

Wir ler­nen: Rüstungs­ge­schäf­te haben viel mit Poli­tik zu tun, mit stra­te­gi­schen, wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen. Die hei­mi­sche Rüstungs­in­du­strie kann zufrie­den sein. Die Lob­by­isten haben ihr Job ordent­lich erle­digt. Mit dem Segen der Poli­tik. Deut­sche Wert­ar­beit von Fir­men wie Rhein­me­tall, Krauss-Maffei Weg­mann und Heck­ler & Koch ist welt­weit gefragt. Auch wenn es sich bei den Begün­stig­ten der zahl­rei­chen Mil­lio­nen-Deals mit­un­ter um – freund­lich for­mu­liert – ziem­lich unde­mo­kra­ti­sche, auto­ri­tä­re Regime han­delt, in denen Men­schen­rech­te nicht beson­ders geach­tet wer­den. Die Geschäf­te lau­fen glän­zend. Für mora­li­sche Beden­ken ist da kein Platz.

Und: Wir soll­ten hier nicht nur über U-Boo­te, Pan­zer und aller­lei gro­ßes Gerät spre­chen, son­dern auch über soge­nann­te »Klein­waf­fen«. Der Begriff klingt harm­los, bei­na­he nied­lich. Dabei fal­len die­sen Waf­fen, ver­gli­chen mit schwe­ren Waf­fen, welt­weit die mei­sten Men­schen zum Opfer. Und kaum ein ande­res Mords­werk­zeug lässt sich so leicht wei­ter­ver­kau­fen oder wei­ter­schmug­geln. So ist es eine gän­gi­ge und belieb­te Auto­sug­ge­sti­on der deut­schen Rüstungs­in­du­strie, dass deut­sche Klein­waf­fen nur an »zuver­läs­si­ge Part­ner« gelie­fert wür­den und dass die­se Part­ner die Waf­fen nur gegen böse Fein­de von außen ein­set­zen, nie gegen die eige­ne Bevöl­ke­rung. Wie zwei­fel­haft die­se Beteue­run­gen sind, zei­gen Bil­der aus Ägyp­ten, Alge­ri­en oder Saudi-Arabien.

In den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren expor­tier­te Deutsch­land Kriegs­waf­fen im Gesamt­wert von fast 17 Mil­li­ar­den Euro, wie aus dem Rüstungs­export­be­richt der Bun­des­re­gie­rung her­vor­geht. Und die Rüstungs­in­du­strie setzt wei­ter­hin auf Wachs­tum, neue Märk­te, neue digi­ta­le Waf­fen­sy­ste­me. Mili­tärs und Ver­tei­di­gungs­exper­ten sind sich einig: Droh­nen sind die Waf­fen der Zukunft.

Sol­da­ten steu­ern per Joy­stick Tau­sen­de Kilo­me­ter vom Kriegs­schau­platz ent­fernt die per­fek­ten Tötungs­ma­schi­nen. Auf Kol­la­te­ral­schä­den kann dabei nicht immer Rück­sicht genom­men wer­den. Sie flie­gen laut­los, sie töten mit gro­ßer Prä­zi­si­on, und sie sind unschlag­bar preis­wert. Eine »Pre­da­tor« bei­spiels­wei­se kostet gera­de mal fünf Mil­lio­nen Dol­lar, ein Kampf­flug­zeug vom Typ »F-35 Light­ning« schlägt dage­gen mit mehr als 100 Mil­lio­nen Dol­lar zu Buche. Droh­nen sind also wah­re Schnäpp­chen im Kampf gegen Ter­ro­ri­sten und ande­re böse Mäch­te in der Welt. Ab 2028 wol­len Deutsch­land, Frank­reich, Ita­li­en, Spa­ni­en und womög­lich wei­te­re EU-Mit­glied­staa­ten auf die bewaff­nungs­fä­hi­ge »Euro­droh­ne« umsat­teln, die euro­päi­sche Rüstungs­fir­men unter Füh­rung von Air­bus bis dahin seri­en­reif ent­wickelt haben wollen.

Ob Droh­nen, Bom­ben, Rake­ten, diver­ses Kriegs­ge­rät oder »Klein­waf­fen« – die Welt rüstet wei­ter auf. Der Waf­fen-Wahn nimmt kein Ende. Schaf­fen Waf­fen Frie­den und Sta­bi­li­tät? Kann ein »Gleich­ge­wicht des Schreckens« Kon­flikt­par­tei­en tat­säch­lich zügeln und bewaff­ne­te Gewalt­an­wen­dung ver­hin­dern, zumin­dest aber erheb­lich ein­schrän­ken? Immer wie­der begrün­den Staa­ten Waf­fen­kauf und Waf­fen­ex­por­te damit, dass sie der regio­na­len und glo­ba­len Sta­bi­li­tät dien­ten. Auf­rü­sten als Abschreckungs­ef­fekt, der poten­zi­el­le Angrei­fer von einem Waf­fen­gang abhält und mög­li­cher­wei­se dazu ver­an­lasst, in einen Dia­log zu tre­ten. Rea­li­sti­sche Welt­sicht oder from­mer Wunsch?