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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Grüner Militarismus

Begin­nen wir mit einem klei­nen Quiz. Von wem stam­men die fol­gen­den Aus­sa­gen und For­de­run­gen zur Außen- und Mili­tär­po­li­tik: von der amtie­ren­den Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er (CDU) oder der grü­nen Kan­di­da­tin für das Kanz­le­ri­namt, Anna­le­na Baerbock?

»Das Wich­tig­ste ist der­zeit, den Druck auf Russ­land zu erhöhen.«

Es gibt eine »kla­re rus­si­sche Bedro­hung«, der wir aus einer »Posi­ti­on der Stär­ke« begeg­nen müssen.

»Wir müs­sen erst über eine stra­te­gi­sche Neu­auf­stel­lung (der Bun­des­wehr) spre­chen, dann über die Ausgaben.«

Wir brau­chen eine »Erneue­rung der Bun­des­wehr«, eine »Moder­ni­sie­rung der Waffensysteme«.

Der Ost­see­pipe­line Nord Stream 2 muss die »poli­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on ent­zo­gen« werden.

Ich bin »offen für ein Mora­to­ri­um Nord Stream 2«.

Die Ukrai­ne braucht eine Per­spek­ti­ve »in der EU und in der Nato«.

(Auf­lö­sung: Die Spre­che­rin­nen wech­seln sich ab, Baer­bock hat begonnen.)

»Washing­ton ist (…) in einen klei­nen Baer­bock-Hype ver­fal­len«, schreibt das Han­dels­blatt (2.5.21). Kein Wun­der: Eine poli­ti­sche Ana­ly­se eini­ger Inter­views mit der grü­nen Kanz­ler­kan­di­da­tin zeigt in der Außen- und Mili­tär­po­li­tik eine grund­le­gen­de Über­ein­stim­mung mit der der­zeit vor­herr­schen­den Pra­xis: Die wirt­schaft­li­che Expan­si­on Deutsch­lands und der EU muss mili­tä­risch unter­füt­tert wer­den. Der Feind steht im Osten – da hilft nur Druck und Här­te, also wei­te­re Auf­rü­stung und waf­fen­tech­ni­sche Modernisierung.

Die­se Sicht auf die Welt, die wir aus ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten so gut ken­nen, wird durch Fak­ten nicht getrübt. Die kürz­lich vom schwe­di­schen Frie­dens­for­schungs­in­sti­tut SIPRI ver­öf­fent­lich­ten Rüstungs­da­ten müss­ten eigent­lich nach­denk­lich stim­men. Die Mili­tär­aus­ga­ben haben mit 1981 Mil­li­ar­den US-Dol­lar glo­bal einen Rekord­wert erreicht, trotz der Mah­nun­gen von UN-Gene­ral­se­kre­tär Antó­nio Guter­res, sich statt dem Aus­bau der Waf­fen­ar­se­na­le der Bekämp­fung der Pan­de­mie zu wid­men. Spit­zen­rei­ter sind die USA mit 778 Mil­li­ar­den: knapp 40 Pro­zent aller Mili­tär­aus­ga­ben. Deutsch­land hat 2020 sei­ne Rüstungs­aus­ga­ben mehr als jeder ande­re Staat gestei­gert – in den letz­ten zehn Jah­ren um 28 Pro­zent – groß­zü­gi­ge Aus­ga­ben, die den Tod von Men­schen durch Krie­ge, Hun­ger oder behan­del­ba­re Krank­hei­ten nicht nur in Kauf neh­men, son­dern befördern.

Dar­an wol­len die Grü­nen nichts ändern. Es über­rascht daher nicht, dass die Hoff­nungs­trä­ge­rin der auf­stre­ben­den grü­nen Macht in Deutsch­land von den mei­sten Medi­en wohl­wol­lend beglei­tet wird: Für die vor­herr­schen­de Poli­tik geht von ihr kei­ne Gefahr aus. Frau Baer­bock ist in trans­at­lan­ti­schen Struk­tu­ren und Zir­keln fest ver­an­kert (etwa in der Lob­by­grup­pe Ger­man Mar­shall Fund und dem Euro­pa/­Trans­at­lan­tik-Bei­rat der grü­nen­na­hen Hein­rich-Böll-Stif­tung); sie bekennt sich zur Nato als »zen­tra­lem Akteur« für die Sicher­heit. Die Hein­rich-Böll-Stif­tung hat sich erst im Janu­ar pathe­tisch für Nato und Auf­rü­stung gegen Russ­land und Chi­na enga­giert (vgl. IMI-Ana­ly­se 3/​2021). Frau Baer­bock ver­netzt sich mit der jun­gen Eli­te des Welt­wirt­schafts­fo­rums (Young Glo­bal Lea­ders). Auf ein »Hin­aus­po­sau­nen von Visio­nen« (gemeint ist die Frie­dens­be­we­gung) ver­zich­tet die Real­po­li­ti­ke­rin gern. Und manch­mal auch auf wahr­heits­ge­mä­ße Feststellungen.

Denn wie könn­te sie sonst behaup­ten: »Das Wich­tig­ste ist der­zeit, den Druck auf Russ­land zu erhö­hen, damit das Mins­ker Abkom­men (zur poli­ti­schen Bei­le­gung des Kon­flik­tes in der Ost­ukrai­ne, G. R.) ein­ge­hal­ten wird«? Sie über­geht non­cha­lant die Tat­sa­che, dass es die Regie­rung der Ukrai­ne ist, die das Mins­ker Abkom­men ablehnt und eine mili­tä­ri­sche Lösung mit Hil­fe des Westens sucht (vgl. Rei­ner Braun, »Ukrai­ne: Ste­hen wir vor dem näch­sten (gro­ßen) Krieg?« auf den Nach­Denk­Sei­ten, 11.4.21). Übri­gens führt die Nato zur­zeit mit »Defen­der 21« das bis­lang größ­te Mili­tär­ma­nö­ver in Süd-Ost-Euro­pa und der Schwarz­meer­re­gi­on durch, mit rund 30.000 Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten aus 26 Län­dern – ein­schließ­lich der Ukrai­ne. Nach der offi­zi­el­len Nato-Pla­nung ist bei dem Manö­ver die »Abwehr eines Angriffs aus dem Osten« die zen­tra­le Herausforderung.

Baer­bock möch­te Deutsch­land in der Nato ver­an­kern. Sie befür­wor­tet bewaff­ne­te Droh­nen. Nicht ein­mal die nuklea­re Teil­ha­be Deutsch­lands lehnt sie ab. Sie will den Indu­strie­stand­ort Deutsch­land aus­bau­en, natür­lich im Rah­men der »Markt­wirt­schaft«. Die »Wer­te der libe­ra­len Demo­kra­tien« (eine neue For­mel für »west­li­che Wer­te­ge­mein­schaft«) müs­sen nach ihr hoch­ge­hal­ten wer­den. Meint sie damit die zahl­lo­sen Krie­ge, die (a)soziale Kluft, die unde­mo­kra­ti­schen Frei­han­dels­ver­trä­ge, das Ster­ben der Flücht­lin­ge, die Macht der Kon­zern­gi­gan­ten, die Zer­ris­sen­heit der Welt? Mit ihren Poli­tik­zie­len lösen sich rot-grün-rote Koali­ti­ons­träu­me auf.

Wenn die Poli­to­lo­gin Baer­bock in der FAZ (23.1.21) schreibt: »Demo­kra­tie, Men­schen­rech­te und eine rech­te­ba­sier­te Welt­ord­nung bil­den die gemein­sa­me Wer­te­ba­sis, auf der die Zusam­men­ar­beit zwi­schen der EU und den USA grün­det«, denkt sie dann auch dar­an, wie der Krieg nach Afgha­ni­stan, Irak, Liby­en und Syri­en gebracht wur­de, im Namen der Men­schen­rech­te? Unter wel­chen Bedin­gun­gen, mit wel­chen Zie­len der Putsch in der Ukrai­ne zustan­de kam? Wel­che Erfah­run­gen der Iran und all die Län­der Süd­ame­ri­kas und Afri­kas mit die­ser rech­te­ba­sier­ten Welt­ord­nung und der Poli­tik des Regime Chan­ge gemacht haben? Oder Russ­land mit der Nato-Erwei­te­rung? Denkt sie beim Ein­kla­gen der Men­schen­rech­te (bei denen übri­gens nie von den wirt­schaft­lich-sozia­len und kul­tu­rel­len Men­schen­rech­ten die Rede ist!) an den Jour­na­li­sten Assan­ge, an Flücht­lings­la­ger in der EU, an Droh­nen­an­grif­fe der Nato? Nimmt sie eigent­lich auch Kennt­nis von den Kol­la­te­ral­schä­den der »libe­ra­len Demo­kra­tie« und der kapi­ta­li­sti­schen »Markt­wirt­schaft«, also von Kin­der- und Alters­ar­mut, sozia­ler Ungleich­heit und Aus­beu­tung von Mensch und Natur? Das Ein­for­dern der Men­schen­rech­te bekommt hier einen heuch­le­ri­schen Beiklang.

Der erstar­ken­de grü­ne Macht­an­spruch fin­det in Tei­len der Bevöl­ke­rung, die sich ange­wi­dert von den Macht­spie­len und Skan­da­len der Gro­ßen Koali­ti­on abwen­det, Anklang – ande­ren macht er Angst. Denn zumin­dest die neue Füh­rungs­rie­ge zeich­net sich nicht gera­de nach der Suche nach einer fried­li­chen Welt aus. Wo sind die Kon­zep­te für Abrü­stung und für gewalt­freie Kon­flikt­lö­sung, wo bleibt die Kri­tik des Mili­ta­ris­mus, wo zeigt sich die Bereit­schaft und Fähig­keit, sich in die »ande­re Sei­te« hin­ein­zu­ver­set­zen? Impe­ria­le Wirt­schafts­stra­te­gien und welt­wei­te Mili­tär­ein­sät­ze ken­nen die Men­schen zur Genü­ge. Für eine neue Poli­tik bedarf es zuerst einer gründ­li­chen und auf­rich­ti­gen Ana­ly­se der histo­ri­schen und sozia­len Zusam­men­hän­ge von Kal­tem Krieg, impe­ria­ler und neo­ko­lo­nia­ler Poli­tik sowie der Rol­le der USA, der EU und der Nato bei alle­dem. Dar­auf muss eine akti­ve Abrü­stungs- und Frie­dens­po­li­tik aufbauen.

Bei genaue­rer Betrach­tung sieht das net­te Gesicht der neu­en grü­nen Macht des­halb in Wahr­heit ganz schön alt aus.