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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Helmut Kramer zum Neunzigsten

Ver­ges­sen oder Erin­nern? Schluss­strich oder Auf­ar­bei­tung? Straf­ver­fol­gung oder Amne­stie­rung? Reue oder Recht­fer­ti­gung des Unrechts? Jahr­zehn­te­lang blie­ben die­se Fra­gen strit­tig in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Mäch­ti­ge Inter­es­sen arbei­te­ten mit gro­ßer Ener­gie und unter skru­pel­lo­sem Ein­satz ihres juri­sti­schen Sach­ver­stands im Dien­ste des Ver­ges­sens. Ehe­ma­li­ge NS-Mili­tär­rich­ter – und nicht nur sie – bogen in unse­rem Lan­de das Recht, so wie sie es zuvor schon im NS-Staat getan hat­ten. Aber 1996, also mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert nach der Befrei­ung vom natio­nal­so­zia­li­sti­schen Unrechts­staat, beich­te­te der – per­so­nell ver­jüng­te – Bun­des­ge­richts­hof: Die Kriegs­rich­ter hät­ten als »Ter­ror­ju­stiz« gehan­delt. Sie sei­en »Blut­rich­ter« gewe­sen, die sich eigent­lich »wegen Rechts­beu­gung in Tat­ein­heit mit Kapi­tal­ver­bre­chen hät­ten ver­ant­wor­ten müs­sen«. Kurz davor hat­te die »Wehr­machts­aus­stel­lung« mit der Legen­de von der »sau­be­ren« Wehr­macht aufgeräumt.

Das war end­lich ein­mal eine Zeit der Genug­tu­ung für Juri­sten wie Hel­mut Kra­mer, Otto Grit­sch­ne­der und Man­fred Mes­ser­schmidt, die sich seit Jahr­zehn­ten kri­tisch mit der NS-Justiz aus­ein­an­der­ge­setzt hat­ten. Gegen gro­ße Wider­stän­de – man den­ke an Fil­bin­ger noch 1978 – durch­leuch­te­ten sie vor allem die Mili­tär­ju­stiz, die sich am brau­nen Durch­hal­te­ter­ror mit etwa 30.000 schänd­li­chen Todes­ur­tei­len gegen deut­sche Sol­da­ten betei­ligt hat­te. Zur Rechen­schaft gezo­gen wur­de sie dafür nie.

Beruf­lich arbei­te­te Dr. Hel­mut Kra­mer als Rich­ter am Ober­lan­des­ge­richt Braun­schweig. Zusam­men mit Gleich­ge­sinn­ten grün­de­te er das Forum Justiz­ge­schich­te e. V., das er lan­ge Zeit auch lei­te­te. Mit dem Forum ver­an­stal­te­te er wis­sen­schaft­li­che Fach­ta­gun­gen in der Rich­ter­aka­de­mie Wustrau. Zugleich wirk­te er als Vor­sit­zen­der der Fach­grup­pe Rich­ter und Staats­an­wäl­te in der Gewerk­schaft Öffent­li­che Dien­ste, Trans­port und Ver­kehr. 2010 erhielt er den Fritz-Bau­er-Preis der Huma­ni­sti­schen Uni­on. Sei­ne justiz­ge­schicht­li­chen Fach­kennt­nis­se stell­te Kra­mer auch den Aus­schüs­sen des Deut­schen Bun­des­ta­ges zur Ver­fü­gung, die an der gesetz­li­chen Reha­bi­li­tie­rung der Opfer der NS-Justiz arbei­te­ten. In sei­ner Hei­mat­stadt kämpft Kra­mer noch immer hart­näckig, ja ver­bis­sen dar­um, dass in der Gedenk­stät­te in der Justiz­voll­zugs­an­stalt Wol­fen­büt­tel – das Straf­ge­fäng­nis dien­te in der NS-Zeit als »Zen­tra­le Hin­rich­tungs­stät­te« – nicht nur an die Opfer erin­nert wird, son­dern auch die Täter und das von ihnen began­ge­ne Unrecht ange­mes­sen dar­ge­stellt werden.

Eben­so wie sei­ne 2014 ver­stor­be­ne Frau Bar­ba­ra, die als Juri­stin Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern zur Sei­te stand und Vor­stands­ar­beit im Braun­schwei­ger Frie­dens­zen­trum lei­ste­te, ist Hel­mut Kra­mer Pazi­fist. Zeit­le­bens beschäf­tig­te ihn die Fra­ge, wes­halb sich deut­sche Juri­sten immer wie­der in den Dienst des mili­tä­ri­schen Macht­staa­tes stell­ten, statt gegen Krieg, Kriegs­ver­bre­chen, Geheim­rü­stun­gen und Men­schen­rechts­ver­stö­ße aller Art mit den Mit­teln der Justiz zu oppo­nie­ren und Kriegs­geg­nern bei­zu­ste­hen. Die Ant­wort gibt der Band »Recht ist, was den Waf­fen nützt. Justiz und Pazi­fis­mus im 20. Jahr­hun­dert«, den Hel­mut Kra­mer und ich her­aus­ge­ge­ben haben (Auf­bau Ver­lag 2004, Vor­wort von Hans Jochen Vogel).

Hel­mut Kra­mer hat als kri­ti­scher Jurist eine beacht­li­che Lebens­lei­stung voll­bracht. Mit Enga­ge­ment, Hart­näckig­keit und Zivil­cou­ra­ge kämpf­te er gegen das Ver­ges­sen des Unrechts – und tut es noch heu­te. Zu sei­nem 90. Geburts­tag wür­di­gen ihn Freun­de und Weg­be­glei­ter in Braun­schweig mit einem Fest­kol­lo­qui­um als »Rich­ter – Mah­ner – Streiter«.