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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Im Land der Halbleiter

Mit dem Image ist das so eine Sache. Nor­ma­ler­wei­se ent­steht es im Kopf der ande­ren und wird dir von außen ange­hef­tet. Dann sind die Deut­schen pünkt­lich, die Ita­lie­ner faul und die Fran­zo­sen leidenschaftlich.

»Dei­ne Vor­fah­ren waren anschei­nend Ita­lie­ner«, meckert mei­ne Frau am Früh­stücks­tisch in mei­ne phi­lo­so­phi­schen Anwand­lun­gen hin­ein. Und zählt auf, was sie alles schon gemacht hat in Sachen Früh­jahrs­putz. Und alles ohne mich.

»Sag doch ein­fach, wobei ich dir hel­fen soll«, ent­geg­ne ich, aber mein Ein­wand zählt nicht. »Frü­her hast du so was von allein gese­hen und dann auch gemacht«, behaup­tet sie. Ich kann mich zwar beim besten Wil­len nicht dar­an erin­nern, jemals die Küchen­schrän­ke aus­ge­wischt zu haben. Aber so ist das eben mit dem Image: Es stimmt nicht immer mit der Rea­li­tät überein.

Gera­de des­halb kann ein Image manch­mal ziem­lich schmer­zen. Dum­mer­wei­se lässt es sich nicht so ein­fach abschüt­teln. Mit ein biss­chen Staub­wi­schen ist der Image­wan­del jeden­falls nicht erle­digt. Mei­ne Frau hält mich immer noch für einen Italiener.

Das Pro­blem kennt auch Rei­ner Hasel­off. Als Mini­ster­prä­si­dent von Sach­sen-Anhalt hat er sich von einer gerupf­ten Nebel­krä­he zum Ret­ter der CDU gemau­sert. Dafür reich­te bei der letz­ten Wahl ein biss­chen AfD und die post-Mer­kel­sche Alter­na­tiv­lo­sig­keit in den bür­ger­li­chen Par­tei­en. Von Wie­der­auf­er­ste­hung und Volks­par­tei ist zwar nicht mehr die Rede. Aber Hasel­off gilt seit­dem trotz­dem als Fels in der Bran­dung. Der Image­wan­del ist geglückt.

Was ihm als Lan­des­chef gelun­gen ist, steht Hasel­off mit dem Land noch bevor. Ein Image muss her, im Ide­al­fall ein posi­ti­ves. Die größ­te Her­aus­for­de­rung dabei: Den mei­sten Men­schen fällt zu Sach­sen-Anhalt erst ein­mal gar nichts ein. Wer nicht ein­mal 1.500 Fol­lower bei Insta­gram hat, exi­stiert eben über­haupt nicht. Das Land ist für vie­le (West-)Deutsche eine Ter­ra incognita.

Aber wie ein berühm­ter Phi­lo­soph einst sag­te, sind Pro­ble­me ja nur dor­ni­ge Chan­cen. So sah man das auch in Mag­de­burg: Wenn Sach­sen-Anhalt ein unbe­schrie­be­nes Blatt ist, kann man den Leu­ten vor­schrei­ben, was sie zu den­ken haben. Die­se Idee führ­te fast zwangs­läu­fig zu dem Slo­gan »Land der Früh­auf­ste­her«. Damit soll­ten die Sach­sen-Anhal­ter als beson­ders auf­ge­weckt und pfif­fig dar­ge­stellt wir­ken. Immer­hin: Der frü­he Vogel fängt den Wurm. Blöd nur, dass die Leu­te nicht kapie­ren wol­len, dass frü­hes Auf­ste­hen toll und über­haupt das Beste an Sach­sen-Anhalt ist.

Das Ergeb­nis war etwas durch­wach­sen: Das Land bekam end­lich mal ein Image, aber was für eins! Es fehl­te ein­deu­tig noch an Tie­fe. Die kam mit den nach­fol­gen­den Slo­gans »Ursprungs­land der Refor­ma­ti­on« und »Hier macht das Bau­haus Schu­le«. Sach­sen-Anhalt zeig­te sich damit als Urlaubs­ge­biet mit kul­tu­rel­ler Dich­te. Immer­hin hat das »Rei­se­land Sach­sen-Anhalt« mehr als 8.000 Fol­lower bei Insta. Das ist schon nah dran an der Kon­kur­renz von »Schles­wig­Hol­stein­Ur­laub« (19.000 Fol­lower) und »Rhein­land-Pfalz« (21.000 Follower).

Hasel­off erkann­te aber schnell, dass sich mit sol­chen Head­lines kein lang­fri­sti­ges Image erzeu­gen lässt. Zu sehr an kon­kre­te Ereig­nis­se und Orte gebun­den, zu sper­rig, kurz: nicht mehr­deu­tig genug. Des­halb setzt sei­ne Regie­rung seit 2020 auf den ein­gän­gi­ge­ren Slo­gan »#modern­den­ken«. Der ist nicht nur zeit­los, son­dern auch voll­kom­men orts­un­ge­bun­den. Die Bilanz nach zwei Jah­ren Insta­gram-Postings: etwa 2.000 Fol­lower. Viel­leicht ist die Moder­ne doch schon etwas zu sehr in die Jah­re gekom­men, um hipp zu sein.

Aber jetzt hat Hasel­off die gro­ße Gele­gen­heit für einen nach­hal­ti­gen Medi­en­coup. Intel baut zwei Halb­lei­ter­wer­ke in Mag­de­burg, und schon über­schla­gen sich die Mel­dun­gen: größ­te Inve­sti­ti­on seit dem Krieg, Ansied­lung von Zulie­fe­rern, tau­sen­de Arbeits­plät­ze. Und der Lan­des­va­ter spricht die erlö­sen­den Wor­te: »Das wird über Jahr­zehn­te hin­weg das Image unse­res Bun­des­lan­des prägen.«

Nur wie? Hasel­off gibt erste Leit­li­ni­en raus. Sach­sen-Anhalt liegt nicht mehr im Osten, son­dern ist jetzt »ein zen­tra­les Land in Euro­pa«. Mag­de­burg wird sein Gesicht voll­kom­men ver­än­dern und eine wirt­schaft­li­che Boom­town wer­den. Wie die VW-Hoch­burg Wolfs­burg und die Tes­la-Sied­lung Grün­hei­de. Nur digitaler.

Um eine Sache kommt Hasel­off aber nicht her­um: Es muss noch ein kon­kre­ter Slo­gan her. Intel baut zwei Halb­lei­ter­wer­ke für Pro­zes­so­ren und Gra­fik­chips im Mag­de­bur­ger Stadt­teil Eulen­berg. Nichts davon ist auch nur annä­hernd eingängig.

»Was ist denn ein Pro­zes­sor?«, frag­te mei­ne Frau, als sie die Zei­tung durchging.

»Na, das ist eben so ein Ding, das über­all drin ist. Gibst du mir mal den Sportteil?«

Bes­ser kann man ad hoc nicht erklä­ren, wor­um es bei Intel geht. Wahr­schein­lich for­dert Hasel­off des­halb auch, dass sich die Hoch­schul­land­schaft in Sach­sen-Anhalt ändern soll. Damit end­lich mal jemand ganz kon­kret sagen kann, was ein Halb­lei­ter ist und was ein Pro­zes­sor. Dann hät­te man viel­leicht auch einen Ansatz für einen Slo­gan. Und Sach­sen-Anhalt könn­te end­lich ein Image bekommen.