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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Im Land der Räuchermännchen

Im Erz­ge­bir­ge ticken die Men­schen anders. Lei­der. Im Sep­tem­ber hat das Erz­ge­bir­ge noch zwei Direkt­kan­di­da­ten der AfD in den Bun­des­tag geschickt, dann wur­de es still im Land der Löf­fel­schnit­zer. Zumin­dest, was das Imp­fen anging. Der Land­kreis ver­zeich­net noch immer die nied­rig­ste Impf­quo­te im ohne­hin schon impflah­men Sach­sen. Dafür hol­te das Erz­ge­bir­ge Ende Novem­ber den Rekord als erste Regi­on Deutsch­lands, die eine Inzi­denz von über 2000 Neu­in­fek­tio­nen pro 100.000 Ein­woh­ner aufwies.

Erst kurz vor­her war der Weih­nachts­markt von Anna­berg-Buch­holz abge­sagt wor­den. Bis zuletzt hat­te der dor­ti­ge Ober­bür­ger­mei­ster von der Lan­des­re­gie­rung eine Son­der­re­ge­lung – sprich: Aus­nah­me – für die Ver­an­stal­tung gefor­dert. Sein Grund­te­nor: Die Erz­ge­birg­ler hal­ten sich von Natur aus von Frem­den fern. Da kann es gar nicht zu Men­schen­an­samm­lun­gen kom­men, auch nicht auf dem Markt. Erst die Not­ver­ord­nung des Lan­des zwang den OB, laut städ­ti­scher Pres­se­mit­tei­lung »mit dem Her­zen am rich­ti­gen Fleck« aus­ge­stat­tet, in die Knie. Wer in dem abge­lau­fe­nen Jahr Räu­cher­männ­chen und Schwib­bö­gen kau­fen woll­te, muss­te das online tun.

Seit­dem bro­delt es im Gebir­ge. Wie es vom Chef­arzt des Kli­ni­kums in Aue heißt, ken­nen die Ein­ge­bo­re­nen kei­nen Mund-Nasen-Schutz und kei­ne Hygie­ne­re­geln. Bei Demon­stra­tio­nen gegen die nicht ein­ge­hal­te­nen Regeln wer­den regel­mä­ßig Kran­ken­haus­ein­fahr­ten blockiert. Schlim­mer noch: Mit NS-Slo­gans auf ihren Pla­ka­ten flu­ten die Berg­be­woh­ner die Städ­te im Umland und skan­die­ren dort die Sprü­che der rechts­ra­di­ka­len »Frei­en Sach­sen«. Mög­lich wird das, weil selbst loka­le Ärz­te in ihren Pra­xen lais­sez fai­re spie­len und weil die Mit­ar­bei­ter der Ord­nungs­äm­ter lie­ber grü­ßen statt abstra­fen und die Poli­zei auch ille­ga­le Zusam­men­rot­tun­gen auf­mar­schie­ren lässt.

War­um die Men­schen im Erz­ge­bir­ge so reni­tent sind, lässt sich nur ansatz­wei­se erklä­ren. Die Regi­on liegt seit jeher im Abseits, erst geo­gra­fisch hin­ter der Strich­mei­le ent­lang der böh­mi­schen Gren­ze, seit dem Ende des Indu­strie­zeit­al­ters auch wirt­schaft­lich. Im Zukunfts­at­las belegt die Regi­on ver­läss­lich einen der letz­ten Plät­ze, sie gehört zu den zehn ärm­sten Land­krei­sen Deutsch­lands. Man darf sich hier zu Recht ver­ges­sen füh­len, denn seit der Erfin­dung des Schnitz­mes­sers hat die Regi­on mit kei­ner­lei Inno­va­ti­on auf sich auf­merk­sam gemacht. Die durch­schnitt­li­che Bevöl­ke­rung ist immer schlech­ter aus­ge­bil­det, altert und nimmt vor allem ab. Von daher darf man von außen opti­mi­stisch in die Zukunft sehen. Aktu­ell bewoh­nen die Erz­ge­birg­ler aller­dings noch den ein­woh­ner­reich­sten Land­kreis Sachsens.

Nun könn­te man es mit den Wor­ten des letz­ten säch­si­schen Königs sagen: »Macht doch euern Dreck allee­ne!« Aber so ein­fach ist es nicht, denn die erkrank­ten Gebirg­ler flu­ten eben auch die Kli­ni­ken in Leip­zig und Dres­den. Längst wer­den die infi­zier­ten Sach­sen quer durch die Repu­blik geflo­gen, weil die Coro­na- zur Ver­sor­gungs­kri­se gewor­den ist. Was im Erz­ge­bir­ge vor sich geht, muss also auch nor­ma­le Men­schen sorgen.

Unge­ach­tet des­sen reckt sich ein wei­te­rer Held des Erz­ge­bir­ges empor. Jens Weiß­flog, einst Bron­zesie­ger von Thu­ner Bay, klagt dar­über, dass in Ober­wie­sen­thal die Hotels – auch seins – leer ste­hen müs­sen. Urlaub im Hoch­ri­si­ko­ge­biet – für den Ski­sprin­ger kein Pro­blem. Böse Zun­gen könn­ten nun behaup­ten, dass die Leu­te im Erz­ge­bir­ge ja ordent­lich dazu bei­getra­gen haben, dass die Lage so ist, wie sie ist. Aber lei­der muss man wohl bes­ser still sein, selbst wenn man fern­ab des Gebir­ges in Leip­zigs fla­chem Nor­den wohnt, sonst ver­ab­re­den sich wie­der dubio­se Tele­gram-Gestal­ten in irgend­wel­chen Parks, um den näch­sten Fackel­lauf zu planen.