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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Irrwege der EU-Agrarpolitik

Die land­wirt­schaft­li­che Nah­rungs­er­zeu­gung zu sichern und zu för­dern, ist das völ­lig berech­tig­te Ziel der gemein­sa­men Agrar­po­li­tik (GAP) der EU. Und da wird wahr­lich nicht gekleckert, son­dern geklotzt. Mit rund 60 Mil­li­ar­den Euro wird die Land­wirt­schaft von den Mit­glied­staa­ten sub­ven­tio­niert. Damit sind die Agrar­sub­ven­tio­nen der mit Abstand größ­te Ein­zel­po­sten im EU-Haus­halt. Inzwi­schen hat man sich nach lan­gem Rin­gen auch end­lich auf ein Agrar­re­förm­chen geei­nigt, das 2023 in Kraft tre­ten soll und dann – zeit­lich gestreckt – die eine oder ande­re bis­he­ri­ge Unwucht (Sub­ven­tio­nen wer­den dann bei­spiels­wei­se auch, nach und nach, stär­ker an öko­lo­gi­sche Kri­te­ri­en gekop­pelt) vor­sich­tig kor­ri­gie­ren soll.

Das ist zu begrü­ßen, aber viel zu kurz gesprun­gen. Obwohl die Ver­ga­be­pra­xis wegen Intrans­pa­renz, offen­sicht­li­cher Unge­rech­tig­kei­ten und einer sträf­li­chen Ver­nach­läs­si­gung des Umwelt­fak­tors seit Jah­ren in der Kri­tik steht, sper­ren sich ins­be­son­de­re die natio­na­len Bau­ern­ver­bän­de – sowie die ihnen nahe­ste­hen­den natio­na­len Land­wirt­schafts­mi­ni­ste­ri­en – über­all gegen eine ernst­haf­te Reform oder gar ein Absen­ken der För­de­rung. Aus gutem Grund? Um ihre Kli­en­tel zu schüt­zen? Wer etwas genau­er hin­schaut, kommt bei der Ant­wort­su­che ins Grü­beln. Denn die größ­ten Nutz­nie­ßer der aus Brüs­sel spru­deln­den Finanz­quel­len sind nicht etwa land­wirt­schaft­li­che Betrie­be, wie man mei­nen soll­te, son­dern öffent­li­che Behör­den wie etwa Lan­des­äm­ter, Mini­ste­ri­en, Lan­des­be­trie­be und Stadt­ver­wal­tun­gen oder gro­ße Mol­ke­rei­un­ter­neh­men und gar­ten­bau­li­che Erzeu­ger­or­ga­ni­sa­tio­nen. Die­je­ni­gen hin­ge­gen, die Bau­ern, für die der gan­ze Auf­wand angeb­lich betrie­ben wird, lan­den bei der Geld­ver­ga­be unter fernerliefen.

Im Mai 2019 ver­öf­fent­lich­te die Bun­des­an­stalt für Land­wirt­schaft und Ernäh­rung (BLE), wozu sie nun­mehr – nach hart­näcki­gen Wider­stän­den von Sei­ten der Sub­ven­ti­ons­be­zie­her und ihrer poli­ti­schen Unter­stüt­zer – durch EU-Recht gezwun­gen wur­de, erst­mals eine Liste der deut­schen Emp­fän­ger aller Agrar­zah­lun­gen im Haus­halts­jahr 2018. Nach »Bau­ern« sucht man in die­ser Auf­stel­lung lan­ge ver­ge­bens. Ange­führt wird sie vom Mini­ste­ri­um für Land­wirt­schaft und Umwelt Meck­len­burg-Vor­pom­mern, das aus dem Agrar­topf der EU mit statt­li­chen 10,4 Mil­lio­nen Euro geför­dert wur­de, gefolgt vom Lan­des­be­trieb für Küsten­schutz, Husum, des­sen Hoch­was­ser­schutz-Maß­nah­men die EU mit 5,92 Mil­lio­nen Euro unter­stützt hat. Nun gut, gera­de in Erwar­tung eines anstei­gen­den Mee­res­spie­gels ist ein ver­bes­ser­ter Küsten­schutz an Nord- und Ost­see sicher drin­gend gebo­ten, und die Dei­che schüt­zen selbst­ver­ständ­lich auch Ackerflächen.

Wie auch immer. Bis die ersten »grö­ße­ren« land­wirt­schaft­li­chen Betrie­be auf der Sub­ven­ti­ons-Liste auf­tau­chen, sie wer­den also tat­säch­lich auch bedacht, dau­ert es eine Wei­le. Die Beto­nung liegt dabei, des­halb die Anfüh­rungs­zei­chen, auf »groß«. Und hier ringt man schon nach Fas­sung: Wor­in, um Him­mels wil­len, besteht der Sinn sol­cher Steue­rung? Klar, wer mehr Flä­che bewirt­schaf­tet und mehr Tie­re hält, der braucht wohl auch irgend­wie mehr. Das leuch­tet auf den ersten Blick ein, wider­spricht aber auf den zwei­ten Blick der fun­da­men­ta­len Ska­len­lo­gik der Indu­stria­li­sie­rung. Danach gilt: Je grö­ßer die Flä­che oder Stück­zahl, desto bes­ser, desto profitabler.

Das eben spie­gelt sich in der För­der­pra­xis wider. Der über­wie­gen­de Teil der Sub­ven­ti­ons­sum­me, die soge­nann­ten Direkt­zah­lun­gen aus dem EU-Agrar­fonds »für die land­wirt­schaft­li­chen Betrie­be« – und einen Lan­des­be­trieb für Küsten­schutz wür­de ich spon­tan nicht dazu­rech­nen –, ist tat­säch­lich an die Grö­ße gekop­pelt. Je mehr Hekt­ar jemand bewirt­schaf­tet, je mehr Groß- oder Klein­vieh jemand mästet oder melkt, desto mehr Geld kann von der EU abge­ru­fen wer­den. Geför­dert wer­den, kurz gesagt, ins­be­son­de­re die­je­ni­gen Groß­be­trie­be, die den fata­len Trend zur Indu­stria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft wesent­lich vor­an­trei­ben. Laut Agrar-
Atlas 2019 kas­sier­ten 20 Pro­zent der Emp­fän­ger 80 Pro­zent der För­der­sum­me. Ob es für die­sen selt­sa­men Ver­tei­lungs­schlüs­sel, außer viel­leicht einer seit Jah­ren zur Gewohn­heit geron­ne­nen Pra­xis, irgend­ei­nen halb­wegs ver­nünf­ti­gen Grund gibt, ist schwer­lich zu ergrün­den. Im Gegen­teil, von kom­pe­ten­ter Sei­te stößt man allent­hal­ben auf star­ke Ein­wän­de gegen die prak­ti­zier­te Agrar-Sub­ven­ti­ons­po­li­tik, sowohl grund­sätz­li­cher wie auch gewis­ser­ma­ßen betriebs­wirt­schaft­li­cher Art.

Begin­nen wir mit dem letzt­ge­nann­ten Ein­wand. Bereits vor Jah­ren hat ein For­scher­team der Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät »die Ver­tei­lungs­ef­fek­te der EU-Direkt­zah­lun­gen in der deut­schen Land­wirt­schaft« unter­sucht und hier­für die Geschäfts­be­rich­te und Bilan­zen von mehr als 11.000 Betrie­ben und knapp 500 grö­ße­ren Agrar­fir­men ana­ly­siert. Das Ergeb­nis war an Ein­deu­tig­keit kaum zu über­bie­ten. Wäh­rend die EU-Sub­ven­ti­ons­zah­lun­gen bei Fami­li­en­be­trie­ben durch­schnitt­lich rund 30 Pro­zent des Jah­res­ge­winns aus­mach­ten, betrug der Anteil der För­de­rung am Jah­res­ge­winn von Groß­be­trie­ben statt­li­che 70 Pro­zent. In ande­ren Wor­ten, die Fami­li­en­be­trie­be arbei­ten wesent­lich effek­ti­ver, wohin­ge­gen die Agrar­fa­bri­ken ohne EU-Gel­der kaum lebens­fä­hig wären. Ent­spre­chend fiel das Urteil der Wis­sen­schaft­ler aus: Die Direkt­zah­lun­gen sei­en ein Bei­trag zur Ungleich­heit und zur Fehl­ent­wick­lung in der Land­wirt­schaft. Die Groß­emp­fän­ger, im Ver­bund mit ein­fluss­rei­chen Lob­by­isten, hät­ten mit ihrer Durch­set­zungs­macht eine Agrar­po­li­tik beför­dert, die zu den größ­ten wirt­schaft­li­chen Irr­tü­mern zäh­le. Hier wür­den Groß­be­trie­be gezüch­tet und künst­lich am Leben gehal­ten, etwa Mast­stäl­le mit zig­tau­sen­den Schwei­nen, die nur mit Hil­fe der Steu­er­zah­ler zum Him­mel stin­ken können.

Sehr viel grund­sätz­li­cher noch kri­ti­sier­te schon der im Auf­trag von Welt­bank und Ver­ein­ten Natio­nen erstell­te, im Jahr 2008 vor­ge­stell­te »Welt­agrar­be­richt« (https://www.weltagrarbericht.de/) den Zustand der Agrar­wirt­schaft und das Wir­ken der Agrar­po­li­tik. Mehr als 400 Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler hat­ten dar­in den Stand des Wis­sens über die glo­ba­le Land­wirt­schaft, ihre Geschich­te und ihre Zukunft zusam­men­ge­fasst. Nach mehr­jäh­ri­ger inter­na­tio­na­ler For­schung for­der­ten sie am Ende nichts ande­res als eine radi­ka­le Abkehr von der indu­stria­li­sier­ten Land­wirt­schaft, die mehr Ener­gie ver­brau­che, als sie pro­du­zie­re, öko­lo­gisch buch­stäb­lich ver­brann­te Erde hin­ter­las­se, sozia­le Ungleich­heit her­vor­brin­ge und den Welt­hun­ger nicht, wie stets ver­spro­chen, redu­zie­re, son­dern sei­ne Zunah­me in Kauf neh­me. Ein schlech­te­res Zeug­nis ist nicht denk­bar. Getan hat sich seit­her jedoch wenig.

Dabei beschränk­ten sich die Exper­ten durch­aus nicht auf ihr ver­nich­ten­des Urteil, son­dern gaben kon­kre­te Hin­wei­se, wel­che Schrit­te nötig wären, um sowohl die Welt­ernäh­rungs­si­tua­ti­on zu sta­bi­li­sie­ren als auch die Umwelt zu ent­la­sten. So zei­gen sie bei­spiels­wei­se, dass über­all dort, wo Tie­re Gras und ande­re Pflan­zen fres­sen, die nicht direkt zur mensch­li­chen Nah­rung tau­gen, das Lebens­mit­tel­an­ge­bot ver­grö­ßert wird. Als das dring­lich­ste und sicher­ste Mit­tel, den Hun­ger zu bekämp­fen, emp­fah­len die Autorin­nen und Autoren des »Welt­agrar­be­richts« des­halb Inve­sti­tio­nen in die klein­bäu­er­li­che Pro­duk­ti­on. Bei ent­spre­chen­der Ver­füg­bar­keit von Land, Was­ser und Geld erwirt­schaf­te sie einen deut­lich höhe­ren Nähr­wert pro Hekt­ar als die indu­stri­el­le Land­wirt­schaft, und zwar mit einem nied­ri­ge­ren exter­nen Input und ent­spre­chend gerin­ge­ren Umweltschäden.

Aber Poli­tik und Wirt­schaft machen im Gro­ßen und Gan­zen wei­ter wie bis­her, nicht nur in der EU, son­dern welt­weit. Wie krass ungleich und unge­recht die in der Land­wirt­schaft geschaf­fe­nen Wer­te zwi­schen Her­stel­lern, Roh­stoff-, Lebens­mit­tel- und Ein­zel­han­dels­kon­zer­nen ver­teilt wer­den, hat erst kürz­lich (2019) eine Stu­die der Ent­wick­lungs­hil­fe­or­ga­ni­sa­ti­on Oxfam am Bei­spiel von Assam-Tee offen­ge­legt (https://www.oxfam.de/system/files/schwarzer-tee-weisse-weste-assam.pdf. Danach sieht die »Wert­schöp­fungs­ket­te« bei­spiels­wei­se für ein Paket Mar­ken­schwarz­tee mit 50 Tee­beu­teln fol­gen­der­ma­ßen aus: Von den cir­ca drei Euro, die ein sol­ches Päck­chen in Deutsch­land kostet, gehen 2,60 Euro an die Lebens­mit­tel­kon­zer­ne, wie etwa »Tee­kan­ne« oder »Meß­mer«, und die Super­märk­te, 20 Cent behal­ten die Zwi­schen­händ­ler ein, 16 Cent bekom­men die Plan­ta­gen­be­trei­ber, und 4 Cent blei­ben am Ende für die Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter übrig. Am Ver­kaufs­preis für den Tee sind die­je­ni­gen, die die­sen »Schatz« heben, die ihn anbau­en, pfle­gen und ern­ten, also gera­de ein­mal mit 1,3 Pro­zent betei­ligt. Für die hie­si­gen Milch­bau­ern sieht der Ver­tei­lungs­schlüs­sel nur unwe­sent­lich bes­ser aus. Das ist der »töten­de Kapi­ta­lis­mus« (sie­he Ossietzky 5/​2021), den auch die EU mit ihrer »Agrar­hil­fe« befördert.