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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kinder appellieren an die Vernunft

Es ist gera­de zwei Jah­re her, dass eine fünf­zehn­jäh­ri­ge schwe­di­sche Kli­ma­ak­ti­vi­stin Geschich­te schrieb und zum Sym­bol einer gan­zen Wel­le von Umwelt­pro­te­sten wur­de. Jugend­li­che und Kin­der lehn­ten sich gegen die Zer­stö­rung ihrer Zukunft auf. Mit der Coro­na-Pan­de­mie scheint die­se Bewe­gung ver­ebbt – macht es noch Sinn, gegen den umwelt­zer­stö­ren­den Mas­sen­tou­ris­mus zu pro­te­stie­ren, der nun infol­ge der pan­de­mie­be­ding­ten Restrik­tio­nen gestoppt ist? Oben­drein brem­sen die Restrik­tio­nen die Stra­ßen­pro­te­ste von Umwelt­schüt­zern aus. Aber weit­ge­hend auch die The­ma­ti­sie­rung der Umwelt­zer­stö­rung durch Wer­ke von Kunst und Lite­ra­tur … So ist es sehr sym­pa­thisch und begrü­ßens­wert, dass das Ber­li­ner Atze-Musik­thea­ter mit der Pro­duk­ti­on »No Pla­net B – Das Gericht der Kin­der zum Kli­ma­wan­del« an die Kli­ma­pro­te­ste vor Ein­bruch der Pan­de­mie anknüpft.

Autor Tho­mas Sut­ter hat in sei­nem Text das Her­ein­bre­chen der Kli­ma­ka­ta­stro­phe samt deren Fol­gen beschrie­ben. Regis­seur Yüksel Yol­cu ist es mit­tels Schau­spiel­kunst, Musik und Vide­os gelun­gen, die­se begreif­bar für ein sehr jun­ges Publi­kum auf die Büh­ne zu stel­len. Dabei wird die Ram­pe immer wie­der über­wun­den, durch­bro­chen – nicht zuletzt in einer sol­chen Öff­nung der Sze­ne bestehen ästhe­ti­scher Reiz und Spaß der Auf­füh­rung: Die Zuschau­er wer­den direkt ange­spro­chen, auch ange­sun­gen, wer­den auf­ge­for­dert zum Mit­tun; und am Ende geht das sze­ni­sche Gesche­hen jäh über in eine Publi­kums­dis­kus­si­on: Die drei jun­gen Leu­te, dar­un­ter zwei Kin­der, die zu Beginn die welt­be­deu­ten­den Bret­ter stürm­ten, haben ein Gericht gebil­det und wol­len nun zu einem Urteil über Kli­ma­sün­der kommen.

Wen aber soll man ver­ur­tei­len? Einer durch­schnitt­li­chen Nor­mal­bür­ge­rin wird der Pro­zess gemacht. Zu Recht – denn schließ­lich gehört die­se Frau Salz­mann, die Nach­ba­rin der Kin­der, zu der über­gro­ßen Mehr­heit derer, die aus Ego­is­mus, aus Gedan­ken­lo­sig­keit und auch aus schlich­ter Über­for­de­rung zur Umwelt­zer­stö­rung bei­getra­gen haben. Hat sie durch ihre unver­nünf­ti­ge Lebens­wei­se unsin­nig viel Ener­gie ver­schwen­det? Gewiss. Hat sie Unmen­gen an Pla­ste­müll erzeugt? Gewiss. Hät­te sie – statt mit dem Auto zu fah­ren – manch­mal bes­ser das Rad nut­zen sol­len? Gewiss. Hät­te sie auf ener­gie­fres­sen­de Urlaubs­flü­ge und eine exzes­si­ve Inter­net­nut­zung lie­ber ver­zich­ten sol­len? Gewiss. Frau Salz­mann ist schuld, und das kind­li­che Publi­kum darf sich Stra­fen ausdenken.

Es ist sicher sinn­voll, an die Ver­nunft zu appel­lie­ren und auf die Mit­ver­ant­wor­tung jedes ein­zel­nen Men­schen hin­zu­wei­sen. Aber wer ist in wel­chem Umfang an der bevor­ste­hen­den Kata­stro­phe schuld? Haben nicht öko­no­mi­sche und sozia­le Ver­hält­nis­se – sprich: Wachs­tums­zwang, Kon­su­mis­mus, pro­fit­gei­le Aus­beu­tung von Mensch und Natur – etwas mit der fort­schrei­ten­den Kata­stro­phe zu tun? Davon ist nichts, rein gar nichts auf der Büh­ne zu hören. Bei der Urauf­füh­rung am 3. Okto­ber kam aller­dings eine Ein­re­de aus dem Zuschau­er­raum: Man lebe im Kapi­ta­lis­mus, und gro­ße Tei­le der Umwelt­zer­stö­rung resul­tier­ten doch wohl aus des­sen Zwän­gen … Auf sol­che Erkennt­nis­se aus der Welt der Erwach­se­nen gibt das Stück für Kin­der ab zehn Jah­re kei­ne Ant­wort und kann sie wohl auch nicht geben.

Tho­mas Sut­ter »No Pla­net B – Das Gericht der Kin­der zum Kli­ma­wan­del«, Atze Musik­thea­ter, www.atzeberlin.de