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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Letzter Applaus

Applaus auf einem Fried­hof ist eine unge­wöhn­li­che Bekun­dung. Und doch stell­te er sich zwi­schen alten Bäu­men und fri­schen Grä­bern an der noch offe­nen Urnen­stel­le auf dem Fried­hof Karls­horst ein, nach­dem sich Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, gute Freun­de und zahl­rei­che Trau­er­gä­ste am 23. Juli von Man­fred Rosen­berg ver­ab­schie­det hat­ten. Ihnen allen war der Voll­blut­mu­si­ker mensch­li­ches Vor­bild, ein­fühl­sa­mer Diri­gent, sou­ve­rä­ner musi­ka­li­scher Beglei­ter und ver­ständ­nis­vol­ler Bera­ter in allen nur mög­li­chen Situa­tio­nen des Lebens gewe­sen. Und der aner­ken­nen­de, von einem Künst­ler­kol­le­gen spon­tan emp­fun­de­ne und von allen Anwe­sen­den auf­ge­nom­me­ne Applaus am Ende des bewe­gen­den Abschie­des war nicht weni­ger als eine Bei­falls­be­kun­dung für sein Kön­nen und eine Aus­strah­lung, wie sie dem Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor nach gro­ßen Kon­zer­ten in Opern­häu­sern ein gan­zes Berufs­le­ben lang eben­so zuteil gewor­den war wie nach der musi­ka­li­schen Lei­tung von Pro­gram­men der klei­nen musi­ka­lisch-lite­ra­ri­schen Form.

Mit Man­fred Rosen­berg ver­liert die bun­des­deut­sche Musik­welt einen Künst­ler, der als Diri­gent die unter­schied­lich­sten Gen­res beherrsch­te und als musi­ka­li­scher Inter­pret der Chan­sons eines Kurt Tuchol­sky oder eines Fried­rich Hol­laen­der den Tex­ten stets einen beson­de­ren Esprit ver­lieh. Er war ein Mann ohne jeden Pro­fi­dün­kel, ein Mensch voll unei­gen­nüt­zi­ger Hilfs­be­reit­schaft und vol­ler ehr­li­cher Soli­da­ri­tät. Geprägt wur­den die­se Eigen­schaf­ten bereits durch die Musi­ker­fa­mi­lie, in der er in sei­ner bran­den­bur­gi­schen Hei­mat auf­wuchs. Und geformt und gefor­dert wur­den sie in den Nach­kriegs­jah­ren, in denen er mit ande­ren jun­gen Leu­ten zum Tanz und zur Unter­hal­tung auf­spiel­te, was den Akteu­ren in den Nach­kriegs­jah­ren statt Hono­rar Über­le­bens­mit­tel einbrachte.

Vie­le Jah­re lang war der Thea­ter­ka­pell­mei­ster und spä­te­re lang­jäh­ri­ge Chef des DEFA- und des nach­fol­gen­den Babels­ber­ger Film­or­che­sters für uns vom Zim­mer­thea­ter Karls­horst eine aus der Fer­ne bewun­der­te Iko­ne. Dann rück­te er uns näher, als er die Ber­li­ner Pro­fi- und Ama­teur-Kaba­rett-Sze­ne noch zu DDR-Zei­ten in Work­shops musi­ka­lisch betreu­te und die »Klein­künst­ler« ein­fühl­sam beriet. Und wir hat­ten zu Beginn der 90er Jah­re mit­ein­an­der zu tun, als er im Thea­ter Karls­horst die musi­ka­li­sche Lei­tung der Kaba­ret­te »Paul Lin­cke ist nicht tot­zu­krie­gen« über­nahm. Die­se Spiel­form war dem Ver­such geschul­det, eine neue sati­risch-musi­ka­li­sche Klang­far­be zu schaf­fen und Künst­lern des abge­wickel­ten Ber­li­ner Metro­pol-Ope­ret­ten­thea­ters zugleich eine neue künst­le­ri­sche Chan­ce zu bie­ten. Das war der Beginn einer Zusam­men­ar­beit, die sich durch Man­freds Über­nah­me der musi­ka­li­schen Lei­tung unse­res Tuchol­sky-Pro­gramms »Das Leben ist gar nicht so – es ist ganz anders …« dau­er­haft vertiefte .

Unse­re Gast­spie­le in Städ­ten wie Han­no­ver, Lübeck, Leip­zig, St. Geor­gen, in Det­mold und Min­den sowie im Schwarz­wald, im Erz­ge­bir­ge, auf Hid­den­see und in den fran­zö­si­schen Pyre­nä­en tru­gen dazu bei, das Nach­den­ken über die Aktua­li­tät Tuchol­skys anzu­re­gen. Der Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor gehör­te zu jenen Künst­lern, die durch ihr Enga­ge­ment in der von den bis­he­ri­gen Besu­chern besetz­ten Kurt-Tuchol­sky-Biblio­thek in der Ber­li­ner Esmarch­stra­ße erfolg­reich dar­auf hin­wirk­ten, die bereits behörd­lich ver­füg­te Schlie­ßung wie­der aufzuheben.

Und Man­fred Rosen­berg war einer jener Ber­li­ner, die laut Kurt Tuchol­sky »stän­dig noch etwas vor­ha­ben«. Er hat­te das sieb­te Lebens­jahr­zehnt bereits hin­ter sich, als er zu den Begrün­dern der »Elb­land­fest­spie­le« gehör­te, deren Kon­zer­te in Wit­ten­ber­ge er in den Anfangs­jah­ren diri­gier­te. Und die Lei­tung der jähr­li­chen Neu­jahrs­kon­zer­te der Volks­so­li­da­ri­tät im Ber­li­ner Kon­zert­haus gab er erst auf, als er den kör­per­li­chen Anstren­gun­gen beim besten Wil­len nicht mehr gewach­sen war.

Er wird uns auch wegen der Erleb­nis­se auf unse­ren gemein­sa­men Auf­tritts­rei­sen unver­ges­sen blei­ben – nicht zuletzt, weil wir uns nicht nur die Büh­ne, son­dern auch das Steu­er teil­ten und gemein­sam unse­ren VW-Bus anscho­ben, wenn wir wie­der ein­mal ste­hen­ge­blie­ben waren …