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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechtsradikaler Terror

Sie haben das Wort nicht gern: Ter­ror. Wenn irgend mög­lich, ver­mei­den es die deut­schen Leit­me­di­en. Es sei denn, irgend­je­mand hat irgend­je­man­den bei einer Blut­tat rufen hören: Allah ist groß. Dann, so schlie­ßen sie mes­ser­scharf, war es auf jeden Fall ein Ter­ror­an­schlag, natür­lich ein islamistischer.

Wie Spra­che benutzt wird, um Men­schen zu mani­pu­lie­ren, konn­ten wir am 9. Okto­ber in dop­pel­ter Aus­fer­ti­gung erle­ben. Was der tür­ki­sche Prä­si­dent Erdoğan, gera­de noch hef­tig umschmei­chelt von unse­rem Innen­mi­ni­ster See­ho­fer, an die­sem Tag begann, war ein Krieg. Doch in den Medi­en sucht man den Begriff nahe­zu ver­geb­lich. Da ist von einer »mili­tä­ri­schen Ope­ra­ti­on«, von »Offen­si­ve«, »Mili­tär­an­griff« oder »Trup­pen­ein­marsch« die Rede. Und das ZDF ver­deut­licht die Bedeu­tung, die es die­sem Krieg bei­misst, noch dadurch, dass es in sei­ner Haupt-Nach­rich­ten­sen­dung, heu­te, über den Beginn der Inva­si­on erst an drit­ter Stel­le infor­miert – nach einem aus­führ­li­chen Bericht über die Fei­er­stun­de zur ersten Mon­tags­de­mon­stra­ti­on in Leip­zig vor 30 Jahren.

Noch sel­te­ner als Krieg taucht der Begriff Ter­ror auf, auch wenn da und dort zuge­ge­ben wird, dass die Artil­le­rie­ge­schos­se und die Bom­ben auf Wohn­häu­ser schon in den ersten Stun­den der Inva­si­on vie­le Zivi­li­sten ver­letzt oder getö­tet haben. Sol­che »Kol­la­te­ral­schä­den« haben offen­bar mit Ter­ror nichts zu tun.

Und der rechts­ra­di­ka­le Ter­ror­an­schlag von Hal­le mit zwei Ermor­de­ten und vie­len Ver­letz­ten? Für die mei­sten Medi­en, an der Spit­ze ARD und ZDF, war es für fast 24 Stun­den ledig­lich ein »Angriff«, »Über­fall«, »Anschlag« oder ein »Atten­tat«. Das änder­te sich erst, als einen Tag spä­ter der Gene­ral­bun­des­an­walt und die Bun­des­ju­stiz­mi­ni­ste­rin unter der Last der Bewei­se von einem rechts-radi­ka­len Ter­ror­akt sprachen.

Doch die mei­sten Bewei­se waren schon in den ersten Stun­den für jeden Jour­na­li­sten deut­lich zu sehen: die Kampf­mon­tur des schwer­be­waff­ne­ten Ter­ro­ri­sten, die an eine gute Aus­bil­dung erin­nern­de Schuss­si­cher­heit, der an die NSU-Gräu­el gemah­nen­de Mord in einem Döner-Imbiss, sei­ne anti­se­mi­ti­schen Beschimp­fun­gen, der miss­lun­ge­ne Ver­such, in eine Syn­ago­ge ein­zu­drin­gen und unter den knapp 80 Gläu­bi­gen ein Blut­bad anzurichten.

Wie ist so etwas in Deutsch­land mög­lich, weh­kla­gen jetzt wie­der vie­le unse­rer Poli­ti­ker und ihre Leit­ar­tik­ler. Sie wol­len nicht an die Blut­spur erin­nert wer­den, die faschi­sti­sche Ter­ro­ri­sten seit Jahr­zehn­ten durch die­ses Land zie­hen. Dazu gehö­ren 1980 das Okto­ber­fe­stat­ten­tat mit zwölf Ermor­de­ten und 213 Ver­letz­ten; 1988 der Brand­an­schlag auf ein Haus in Schwan­dorf, bei dem eine drei­köp­fi­ge tür­ki­sche Fami­lie und ein Deut­scher getö­tet wur­den; 1992 in Mölln der Brand­an­schlag auf ein tür­ki­sches Wohn­haus, der das Leben von zwei Kin­dern und ihrer Oma koste­te sowie neun Schwer­ver­letz­te (bei­de ver­ur­teil­te Ter­ro­ri­sten sind schon wie­der frei); 1993 der Brand­an­schlag auf ein eben­falls von Tür­ken bewohn­tes Haus in Solin­gen mit fünf Toten und 17 Ver­letz­ten; dann der NSU mit zehn Mor­den und mehr als 40 Mord­ver­su­chen sowie Raub­über­fäl­len und Spreng­stoff­an­schlä­gen; 2016 der ras­si­sti­sche Anschlag beim Olym­pia-Ein­kaufs­zen­trum in Mün­chen mit neun Toten und fünf Ver­letz­ten sowie – neben zahl­rei­chen wei­te­ren – der Mord­an­schlag auf die Köl­ner Ober­bür­ger­mei­ste­rin Hen­ri­et­te Reker 2015 und der Mord an Regie­rungs­prä­si­dent Wal­ter Lübcke 2019 – bei­de wegen ihrer posi­ti­ven Ein­stel­lung zu Flüchtlingen.

Allein 2018 wur­den fast 1200 rechts­ra­di­ka­le Straf­ta­ten von den Behör­den regi­striert. Seit 1990 haben die Rechts­ra­di­ka­len 169 Mor­de auf dem Gewis­sen. Da kann man schon fest­stel­len, dass es für sol­che Ter­ror­ak­te wie in Hal­le in Deutsch­land einen frucht­ba­ren Boden gibt.

Und nicht nur das. Auch der letz­te angeb­lich »ein­sa­me Wolf« in Sach­sen-Anhalts Dör­fern regi­striert die Signa­le aus der Gesell­schaft und das Regie­rungs­han­deln: Trotz unzäh­li­ger Schwü­re nach jedem Ter­ror­akt, end­lich den Rechts­ra­di­ka­lis­mus in Staat und Gesell­schaft zu bekämp­fen, pas­sier­te so gut wie nichts. Da meh­ren sich die Bewei­se, dass die Eli­te­trup­pe KSK von Rechts­extre­mi­sten durch­setzt ist, die sich »auf den Tag X« vor­be­rei­ten, da ver­schwin­den unzäh­li­ge Waf­fen und zehn­tau­sen­de Schuss Muni­ti­on in dunk­len, zumeist rechts­ra­di­ka­len Kanä­len, da wer­den bei Bun­des­wehr­an­ge­hö­ri­gen und Poli­zi­sten Listen mit poten­ti­el­len vor­wie­gend lin­ken Opfern gefun­den, die man eli­mi­nie­ren will, da berich­tet die taz über ein rech­tes bun­des­wei­tes Unter­grund-Netz­werk in der Bun­des­wehr, einer »Schat­ten­ar­mee mit besten Ver­bin­dun­gen in deut­sche Behörden«.

Einen Tag nach dem Ter­ror­akt von Hal­le zeig­te das ZDF den Film »Staats­fein­de in Uni­form«. In der Ankün­di­gung dazu heißt es: »Die Recher­chen von ‚ZDFzoom‘-Autor Dirk Laabs bele­gen eine beäng­sti­gen­de Mischung. Spe­zi­al­kräf­te von Poli­zei und Bun­des­wehr, ille­ga­le Muni­ti­on, Waf­fen. Rech­te Feind­bil­der und Todes­li­sten mit Poli­ti­ker­na­men.« Da fragt Armin Schu­ster (CDU), der ehe­ma­li­ge Obmann im 2. NSU-Unter­su­chungs­aus­schuss, ob »ein NSU 2.0« heu­te nicht leich­ter ent­ste­hen könn­te als vor zehn oder 15 Jahren.

Bereits 2016 warf Amne­sty Inter­na­tio­nal Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel vor, ihre Ver­spre­chun­gen gegen­über den Opfern des NSU nicht gehal­ten zu haben und warn­te, bei der Auf­ar­bei­tung der NSU-Ver­bre­chen igno­rier­ten Poli­tik und Poli­zei zen­tra­le Punk­te. Amne­sty spricht von »insti­tu­tio­nel­lem Ras­sis­mus in Deutsch­land«. Es bestehe die Gefahr, dass die rechts­extre­men Struk­tu­ren intakt blie­ben. Die Kern­punk­te des NSU-Kom­ple­xes sei­en von Poli­tik und Poli­zei noch gar nicht genau betrach­tet wor­den. »Und man gewinnt den Ein­druck, dass sie nicht betrach­tet wer­den sollen.«

Wann wer­den Bun­des­kanz­le­rin, Regie­rung und Behör­den end­lich damit begin­nen, das Ver­spre­chen von 2016 zu erfül­len und den rechts­ra­di­ka­len, anti­se­mi­ti­schen Sumpf, der ursäch­lich für sol­che Ter­ror­ak­te wie in Hal­le ist, in Deutsch­land trocken zu legen? Wann?