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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rudi Dutschke: »Ich bin Revolutionär …«

Er ist für vie­le der Inbe­griff für Wider­stand und Stand­haf­tig­keit – auch heu­te noch, 40 Jah­re nach sei­nem Tod. Am Hei­lig­abend 1979 starb Rudi Dutsch­ke an den Spät­fol­gen des Atten­tats von 1968. Er war eine – wenn nicht sogar die – füh­ren­de Per­sön­lich­keit und das Sprach­rohr der bun­des­deut­schen Studentenbewegung.

Rudolf Dutsch­ke wird am 7. März 1940 als vier­ter Sohn eines Post­be­am­ten in Schön­feld bei Lucken­wal­de (Bran­den­burg) gebo­ren. 1958 legt er sein Abitur ab, da er jedoch den Wehr­dienst in der Natio­na­len Volks­ar­mee ver­wei­gert, wird er vom Stu­di­um der Sport­jour­na­li­stik aus­ge­schlos­sen. So beginnt er eine Leh­re als Indu­strie­kauf­mann im Lucken­wal­der VEB Beschlä­ge. Weni­ge Tage vor dem Mau­er­bau geht er nach West­ber­lin, wo er sein Abitur wie­der­holt, um an der Frei­en Uni­ver­si­tät ein Sozio­lo­gie­stu­di­um auf­neh­men zu kön­nen. Auch in West­ber­lin kann Dutsch­ke die herr­schen­den poli­ti­schen Ver­hält­nis­se nicht akzep­tie­ren. Er trifft sich mit poli­tisch inter­es­sier­ten Stu­den­ten, man dis­ku­tiert, und schnell wird Dutsch­kes rhe­to­ri­sche Bega­bung sicht­bar. Er wird zum Wort­füh­rer der Stu­den­ten­be­we­gung und Mit­be­grün­der der soge­nann­ten Sub­ver­si­ven Akti­on, die sich 1964 dem Sozia­li­sti­schen Deut­schen Stu­den­ten­bund (SDS) anschließt. Außer­dem ist er an der Bil­dung der Außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on (APO) betei­ligt, die sich als Gegen­ge­wicht zur Gro­ßen Koali­ti­on von CDU/​CSU und SPD unter Bun­des­kanz­ler Kurt Georg Kie­sin­ger ver­steht. Damit hat Rudi Dutsch­ke eine grö­ße­re Platt­form gefun­den, und er prägt den Leit­satz: »Ohne Pro­vo­ka­ti­on wer­den wir über­haupt nicht wahrgenommen.«

Die Orga­ni­sa­ti­on von Demon­stra­tio­nen gegen den Viet­nam­krieg, gegen die Bil­dung der gro­ßen Regie­rungs­ko­ali­ti­on und gegen die geplan­ten Not­stands­ge­set­ze steht im Mit­tel­punkt sei­ner Akti­vi­tä­ten. Rudi Dutsch­ke will zurück zu den Wur­zeln von Marx und Luxem­burg, er stu­diert deren Schrif­ten, doch er sieht, »dass deren Ana­ly­se für West­eu­ro­pa ins Lee­re geht«. Im glei­chen Maße, wie sei­ne Popu­la­ri­tät wächst, nimmt auch die Anzahl sei­ner Kri­ti­ker zu, auch aus den eige­nen Rei­hen. 1966 hei­ra­tet er die aus den USA stam­men­de Stu­den­tin Gret­chen Klotz.

Bei einer Demon­stra­ti­on am 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schah von Per­si­en wird der Stu­dent Ben­no Ohnes­org von einem Poli­zi­sten erschos­sen. Das ist der Beginn der Radi­ka­li­sie­rung der Stu­den­ten­be­we­gung, denn die Rufe nach Aktio­nen, auch unter Anwen­dung von Gewalt, wer­den immer lau­ter. Selbst Rudi Dutsch­ke ver­wen­det jetzt den Begriff »Kampf­maß­nah­men«, obwohl er sich von ter­ro­ri­sti­schen Aktio­nen deut­lich abgrenzt. Spä­ter bezeich­net er sie als die »Zer­stö­rung der Ver­nunft«. Er hofft, mit Pro­test­ak­tio­nen die Bevöl­ke­rung auf­zu­rüt­teln und zu mobi­li­sie­ren, doch die­se hat sich längst im Wohl­stands­mief ein­ge­rich­tet. 1968 kommt es zu einem Macht­kampf zwi­schen der Sprin­ger-Pres­se und den Ber­li­ner Stu­den­ten, die die Ent­eig­nung des Ver­le­gers Axel Sprin­ger anstreben.

Am 11. April fal­len drei Schüs­se, die Deutsch­land bewe­gen. Der 23-jäh­ri­ge Josef Bach­mann schießt Rudi Dutsch­ke auf offe­ner Stra­ße nie­der. Mas­siv­ste Unru­hen sind die Fol­ge, vor allem gegen Sprin­ger und die Bild-Zei­tung, die Tage zuvor noch mit der Schlag­zei­le »Stoppt Rudi Dutsch­ke!« mobil gemacht hatte.

Dutsch­ke über­lebt mit schwe­ren Gehirn­ver­let­zun­gen das Atten­tat. Sein Sprach­zen­trum ist beschä­digt, und so ist die­ser Red­ner fast drei Jah­re zum Ver­stum­men ver­ur­teilt. Dutsch­ke reist nach meh­re­ren Ope­ra­tio­nen zu einem Erho­lungs­auf­ent­halt in die Schweiz. Freun­de hel­fen der Fami­lie, unter ihnen auch Ber­lins ehe­ma­li­ger Regie­ren­der Bür­ger­mei­ster Hein­rich Albertz (SPD). 1969 geht Dutsch­ke nach Lon­don, wird aber mehr­fach wegen angeb­lich sub­ver­si­ver Tätig­kei­ten aus­ge­wie­sen. In Däne­mark erhält er schließ­lich eine Anstel­lung als Dozent an der Uni­ver­si­tät von Aar­hus. In der Bun­des­re­pu­blik wird er erst wie­der ab 1976 aktiv und enga­giert sich für die Grü­nen. Von den Ver­let­zun­gen des Atten­tats erholt er sich nie ganz, und so fin­det ihn sei­ne Frau am Hei­lig­abend des Jah­res 1979 nach einem epi­lep­ti­schen Anfall leb­los in der Badewanne.

Rudi Dutsch­ke kämpf­te für eine sozia­li­sti­sche Revo­lu­ti­on und gegen den Staats­so­zia­lis­mus ost­eu­ro­päi­scher Prä­gung. Dabei gehör­te er zu den weni­gen Lin­ken, die die deut­sche Ein­heit for­der­ten. Für die auf­stän­di­sche Jugend, die den gesell­schaft­li­chen Auf­bruch auf ihre Fah­nen schrieb, war er Idol und Hoff­nungs­trä­ger, für sei­ne Geg­ner dage­gen der Bür­ger­schreck und ein »vater­lands­lo­ser Gesell«. Rudi Dutsch­ke, der gehetz­te Revo­lu­tio­när und Polit­re­bell, der Zweif­ler und Unbe­irr­ba­re, der Fami­li­en­va­ter, der deut­sche Ché im Land der Gar­ten­zwer­ge und Gei­stes­grö­ßen. Über sei­nem gan­zen Leben stand als Mot­to: »Ich bin Revo­lu­tio­när. Der Revo­lu­tio­när muss die Revo­lu­ti­on machen.«

Zita­te aus dem Nach­wort von Gret­chen Dutsch­ke-Klotz in: »Rudi Dutsch­ke. Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tage­bü­cher 1963 – 1979«, Kie­pen­heu­er & Witsch, 432 Sei­ten, 24,99 €