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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schweizer Schoggi statt Waffen

Anfang Novem­ber bekam Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin Chri­sti­ne Lam­brecht Post aus dem schwei­ze­ri­schen Bern, die wohl für Über­ra­schung im Bend­ler­block gesorgt haben dürf­te. Bun­des­rat Guy Par­me­lin, der Vor­ste­her des Eid­ge­nös­si­schen Depar­te­ments für Wirt­schaft, Bil­dung und For­schung, ver­wei­ger­te ihr dar­in sei­ne Zustim­mung zu einer Wei­ter­ga­be von Schwei­zer Kriegs­ma­te­ri­al an die Ukrai­ne und berief sich dabei auf das Neu­tra­li­täts­recht. Die Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin hat­te zuvor um 12.400 Patro­nen 35mm-Muni­ti­on schwei­ze­ri­schen Ursprungs für den Flug­ab­wehr­pan­zer GEPARD gebe­ten, um die­se an die Ukrai­ne wei­ter­ge­ben zu können.

Zur Begrün­dung für sei­ne ableh­nen­de Hal­tung ließ Par­me­lin in einer Pres­se­mit­tei­lung weni­ge Tage danach fol­gen­des ver­lau­ten: »Die Schweiz wen­det im Ver­hält­nis Russ­land-Ukrai­ne das Neu­tra­li­täts­recht an, wel­ches Teil des Völ­ker­ge­wohn­heits­rechts ist. Auf­grund des neu­tra­li­täts­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­ge­bots kann die Schweiz einer Anfra­ge um Wei­ter­ga­be von Kriegs­ma­te­ri­al mit Schwei­zer Ursprung an die Ukrai­ne nicht zustim­men, solan­ge die­se in einen inter­na­tio­na­len bewaff­ne­ten Kon­flikt ver­wickelt ist. Zudem schlie­ßen auch die Bewil­li­gungs­kri­te­ri­en des Schwei­zer Kriegs­ma­te­ri­al­ge­set­zes die Lie­fe­rung von Kriegs­ma­te­ri­al an Län­der aus, die in einen inter­na­tio­na­len bewaff­ne­ten Kon­flikt ver­wickelt sind.« Da die recht­li­che Situa­ti­on unver­än­dert sei, »ist eine Zustim­mung zu einer Wei­ter­ga­be von Schwei­zer Kriegs­ma­te­ri­al durch Deutsch­land an die Ukrai­ne wei­ter­hin nicht mög­lich«, so Parmelin.

Die Schweiz ist anson­sten ja bekann­ter­ma­ßen wenig abge­neigt, wenn es um lukra­ti­ve Geschäf­te jed­we­der Cou­leur geht, hier aber fin­det mili­tä­ri­sches Geschäfts­ge­ba­ren sei­ne Gren­zen durch die völ­ker­recht­li­che Schran­ke des Neu­tra­li­täts­rechts, das die Rech­te und Pflich­ten eines neu­tra­len Staa­tes fest­legt. Zu den wich­tig­sten Pflich­ten gehö­ren dem­nach, sich der Teil­nah­me an Krie­gen zu ent­hal­ten, alle Kriegs­par­tei­en im Hin­blick auf den Export von Rüstungs­gü­tern gleich zu behan­deln und den Kriegs­par­tei­en sein Staats­ge­biet nicht zur Ver­fü­gung zu stellen.

Bekann­ter­ma­ßen hat die Bun­des­re­gie­rung eine ganz ande­re Hal­tung zum Krieg in der Ukrai­ne, den sie mit Waf­fen­ex­por­ten, finan­zi­el­len und geheim­dienst­li­chen Mit­teln sowie der Aus­bil­dung von ukrai­ni­schen Sol­da­ten unter­stützt. Von der Sor­ge vor einer etwa­igen Ver­let­zung von Neu­tra­li­täts­pflich­ten kann hier nicht die Rede sein, eher von dem Über­schrei­ten des sprich­wört­li­chen Flus­ses Rubi­kon hin zu einer Kriegs­be­tei­li­gung im völ­ker­recht­li­chen Sin­ne, deren Bri­sanz kei­nes­falls unter­schätzt wer­den soll­te. Im Gegen­teil, denn der Home­page des Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­ums ist unter der Über­schrift »Krieg in der Ukrai­ne – Mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen für die Ukrai­ne« fol­gen­des zu ent­neh­men: »Deutsch­land unter­stützt die Ukrai­ne mit Aus­rü­stungs- und Waf­fen­lie­fe­run­gen – aus Bestän­den der Bun­des­wehr und durch Lie­fe­run­gen der Indu­strie, die aus Mit­teln der Ertüch­ti­gungs­hil­fe der Bun­des­re­gie­rung finan­ziert wer­den.« – »Der Gesamt­wert der im Zeit­raum vom 1. Janu­ar 2022 bis zum 7. Novem­ber 2022 von der Bun­des­re­gie­rung erteil­ten Ein­zel­ge­neh­mi­gun­gen für die Aus­fuhr von Rüstungs­gü­tern beträgt 1.539.564.615 Euro.«

Ach, Frau Lam­brecht, hät­ten Sie dafür nicht bes­ser bei Ihrem eid­ge­nös­si­schen Kol­le­gen Par­me­lin 12.400 Tafeln Schwei­zer Scho­ko­la­de (Schog­gi) anstatt 12.400 Patro­nen 35mm-Muni­ti­on ordern kön­nen? Eine Aus­fuhr­be­schrän­kung hät­te es dafür nicht gege­ben. Und den Rest des Gel­des hät­ten Sie dann außer in den zivi­len Wie­der­auf­bau der Ukrai­ne auch in die drin­gend not­wen­di­gen Bemü­hun­gen für eine neue euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung inve­stie­ren kön­nen. Schließ­lich wird der Welt­frie­den auch dann noch bedroht sein, nach­dem die Waf­fen in der Ukrai­ne zum Schwei­gen gekom­men sind.

Die aktu­el­len Gefah­ren für den Welt­frie­den sind vor allem die Fol­ge aus mili­tär­po­li­ti­schen Hand­lun­gen drei­er revi­sio­ni­stisch han­deln­der Welt­mäch­te: USA, Russ­land und Chi­na, von denen jeder mit unter­schied­li­chen Mit­teln, ideo­lo­gi­schen Hin­ter­grün­den, Inter­es­sen­la­gen und Zie­len nach einer Ver­än­de­rung in sei­nem Sin­ne strebt. Und auch wir sind gewollt und unge­wollt Teil die­ses kom­ple­xen Gesche­hens, von dem wir pro­fi­tie­ren und unter dem wir zu lei­den haben. Ein kon­struk­tiv-nicht­mi­li­tä­ri­scher Umgang mit die­ser unheil­vol­len Gemenge­la­ge ist des­halb sicher höchst anspruchs­voll, bestimmt auch mühe­voll und manch­mal gar hoff­nungs­los, in jedem Fall aber alter­na­tiv­los. Was blie­be denn auch sonst zu tun, um den zuneh­mend dys­to­pi­scher wer­den­den Blicken in unse­re Zukunft ent­ge­gen­zu­wir­ken, anstatt sie ein­fach nur zu igno­rie­ren? »Scho­ko­la­de« wäre Teil einer Lösung.