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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sprachgewalt als Sprachverlust

Wenn man die­ses Buch liest, ist es, als sei man zurück­ver­setzt wor­den in die beklem­men­den fünf­zi­ger Jah­re, als rücke die graue Gegen­wart der »jun­gen« DDR noch ein­mal auf einen zu, als sei man ein Kind. Und es pras­seln wie­der die Wör­ter auf einen her­ab, bei denen man sich nur ducken konn­te und natür­lich auch soll­te. Das Buch von Elke Lorenz zieht einen hin­ein in jene DDR-Welt, die vie­le Straf- und Zwangs­mög­lich­kei­ten kann­te und hand­hab­te, in der die Unter­drückung mit­tels Spra­che aber beson­ders gern benutzt wur­de und per­fi­de funk­tio­nier­te. Stän­dig war von einem »Macht­wort« die Rede, das nötig sei. Mei­ne Mut­ter und mein Vater for­der­ten Macht­wor­te des Chefs auf der Dienst­stel­le; sie selbst spra­chen Macht­wor­te zu Hau­se. Und dies in den »klei­nen Ver­hält­nis­sen« einer Eisenbahnerfamilie.

Wenn man aber wie die Prot­ago­ni­stin des Romans von Elke Lorenz, nur genannt »das Mäd­chen«, Toch­ter eines im Sozia­lis­mus zum Staats­an­walt avan­cier­ten ehe­ma­li­gen Feld­gen­dar­men (also »Ket­ten­hun­des«) der Wehr­macht (aus unklar blei­ben­den Grün­den spricht die Autorin von »Armee­po­li­zei«) ist. dann ist man den Macht­wor­ten ganz und gar aus­ge­lie­fert. Und die­ses Aus­ge­lie­fert­sein beschreibt Elke Lorenz über­aus ein­dring­lich. Wie mit Spra­che unter­drückt wur­de und wer­den kann, das führt ihr Buch vor, es ist Roman, Bericht und Ana­ly­se in einem.

Mit sinn­lee­ren Phra­sen bricht »der Mann« (anders wird der Vater, der gefürch­te­te Staats­an­walt, nie genannt) jeden Wider­stand. Wenn man sie liest und wie­der zu hören meint, dann fragt man sich, wie es kam, dass sie so wirk­sam waren. Hat­te es damit zu tun, dass man glaub­te, gern glau­ben woll­te, hier­zu­lan­de den Fort­schritt gepach­tet zu haben? Weil sie von »Auto­ri­tä­ten« gebraucht wur­den – den Eltern, den Leh­rern, Par­tei­se­kre­tä­ren? Über­zeu­gend erzählt Elke Lorenz, wie die­se »Erzie­hung« auf sie wirk­te, ihre Kind­heit und Jugend bis ins Erwach­sen­sein bestimm­te, auch, wie sie den Umgang mit Macht­wor­ten und ihre Anwen­dung selbst erlernt. Und wie schwer die Befrei­ung von ihnen fällt. Sie gelingt erst, als der »Mann« auf dem Toten­bett liegt. Da gehen Anspra­chen wie: »Seht Genos­sen, ich sage euch offen und ehr­lich, das Anlie­gen mei­ner heu­ti­gen Rede besteht dar­in, wie es uns bis­her gelun­gen ist, im Sin­ne der 12. Tagung des Zen­tral-komi­tees der SED, der 7. Tagung des Bun­des­vor­stan­des des FDGB sowie des Beschlus­ses des Polit­bü­ros vom 13. Sep­tem­ber den sozia­li­sti­schen Wett­be­werb in Vor­be­rei­tung des Jah­res­ta­ges …« in ein rich­ti­ges Kau­der­welsch über: »Chi dis da bis ds …« Dass die Toch­ter nun sagen kann, dass sie ihren Vater (den sie nun auch so anre­den kann) ver­steht, das ist eine beein­drucken­de Pas­sa­ge, die anrüh­rend und von gro­ßer Mensch­lich­keit ist.

Sol­che Sze­nen blei­ben in einem nach der Lek­tü­re. Da wird die Wir­kung erzielt, die man­cher Exkurs der Autorin, in dem die Schreib­ab­sich­ten erklärt wer­den, man­che Betrach­tun­gen über das Schrei­ben und die Kom­men­ta­re zu gegen­wär­ti­gen Lite­ra­tur­ent­wick­lun­gen, wie etwa auf Sei­te 92: »Bücher sind ja heu­te nichts Beson­de­res mehr … « nicht haben. Denn der­glei­chen hat der Roman gar nicht nötig. Nein, die Geschich­te eines Man­nes, der immer recht hat, weil er Macht hat und die­se in Wor­ten mani­fe­stiert, der ver­hört, anklagt, ver­ur­teilt, Leben zer­stört mit sei­nen Wort­hül­sen; die Geschich­te sei­ner Fami­lie und vor allem die sei­ner Toch­ter, die ist so stark, so wir­kungs­voll, so wich­tig und nötig, dass sie sich allein trägt. Und jeder, der meint, »frü­her, im Osten« da sei doch alles bes­ser gewe­sen, der soll­te sofort zu lesen begin­nen, wie »Macht­wor­te« wir­ken.   

Elke Lorenz: Macht­wor­te, Roman, Mit­tel­deut­scher Ver­lag 2022, 244 S., 20 €.