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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Urlaubswarnung

Wo immer Sie sich auch gera­de befin­den: Rüh­ren Sie sich nicht vom Fleck, denn es könn­te Ihr letz­ter gewe­sen sein. Nie zuvor war das Böse so immer und über­all wie jetzt. Ob 9-€-Ticket oder eine neue Virus­va­ri­an­te, gepansch­tes Tiro­ler Son­nen­öl, Lie­ge­stuhl­re­ser­vie­rungs­wahn­sin­ni­ge – samt Auto­bahn­stau, der Urlaub­ster­ror ist da. In den bevor­zug­ten Urlaubs­ein­zugs­ge­bie­ten herrscht in den Fuß­gän­ger­zo­nen wegen Abstands­ver­wei­ge­rung erhöh­te COVID­was­weis­sich­va­ri­an­te­an­steckungs­ge­fahr samt Körperausdünstungsgefahr.

Die Mas­sen­me­di­en befürch­ten, dass sie bald kei­ne Mas­sen mehr als Kund­schaft haben wer­den; täg­lich berich­ten sie, dass wir von der Urlaubs­ge­walt umzin­gelt sind, dass uns ein gespen­sti­sches Las­so aus Mord, Tot­schlag, Infla­ti­ons­stei­ge­rungs­ter­ror und Papier­ta­schen­tuch­man­gel wegen Putin all­täg­lich bedroht.

Wer mor­gens noch die Tages­zei­tun­gen auf­schlägt, IQ und Papier­man­gel gefähr­det Inhalt und Umfang beträcht­lich, schlägt sie gleich wie­der zu, damit das Unheil nicht auch noch sei­nen Lauf auf einen sel­ber nimmt. Das Urlau­ben­de nicht nur bei Nacht, son­dern auch am Tage nicht mehr das Haus ver­las­sen – das ist eine wei­te­re Bedro­hungs­wahr­heit –, weil der Wolf sich nicht nur an Scha­fen, Berg­zie­gen und ähn­li­chen Gras­fres­sern ver­greift, son­dern auch Urlau­ber­fleisch in jeder Grö­ße und Qua­li­tät, egal ob vegan oder anders, sei­nem Ernäh­rungs­kreis­lauf zufügt. Es ist lei­der eine düste­re Selbst­ver­ständ­lich­keit gewor­den, dass das fin­ste­re Ver­häng­nis immer lau­ert und nichts anders im Sinn hat, als uns den Gar­aus zu machen.

Füh­ren­de Händ­ler von Hacken und Har­pu­nen, von Revol­vern, Maschi­nen­pi­sto­len und Mache­ten sol­len bereits, noch kurz nach dem Pfingst­kurz­ur­laubs­ge­schäft, rest­los aus­ver­kauft sein. Nur in weni­gen Städ­ten wer­den noch Rest­po­sten an Rasier­mes­sern feil­ge­bo­ten. Über­all fin­det man, nicht nur an den bekann­ten Urlaubs­or­ten Gästin­nen­Gä­ste, die gro­ße Hoff­nung auf Frem­den­ver­kehrs­er­ho­lung setzten.

Nicht nur das unbe­kann­te, aber offen­bar sich auf unheim­li­che Wei­se ver­meh­ren­de Gelich­ter geht um, son­dern auch die Angst. Wer ist noch imstan­de, das Gras so rasch wach­sen zu hören, um her­aus­zu­fin­den, dass er sich nicht in der Gefahr befin­det, in die­ses nicht bald bei­ßen zu müs­sen? Wer hat das Zwei­te Gesicht, um den Bösen Blick zu erken­nen? Die Untie­fen der Frei- und Hal­len­bä­der an Urlaubs­or­ten samt erhöh­ter Ertrin­kungs­ge­fahr wegen feh­len­der Schwimm­mei­ste­rin­nen und Schwimm­mei­ster? Die nied­ri­ge Gesin­nung samt kri­mi­nel­ler Arbeits­ver­wei­ge­rung, Urlaubs­gä­stin­nen Gäste­be­treu­ung zu lei­sten. treibt fröh­li­che Urständ!

Hüten Sie sich davor, mut­wil­lig Ihre Feri­en­woh­nung zu ver­las­sen. Schon im Kor­ri­dor davor kön­nen Krea­tu­ren lau­ern, die es nur dar­auf abge­se­hen haben, es auf Sie abzu­se­hen. Trink­geld­for­de­run­gen ohne Gegen­lei­stung dro­hen über­all. Gehen Sie nach Ein­bruch der Dun­kel­heit – für die­se Urlaubs­zeit gilt 0 bis 24 Uhr – nicht allein auf die Stra­ße, vor Ihrem Haus wim­melt es nur so vor urlaubs­feind­li­chem ein­hei­mi­schem Gesin­del, das ihnen jede Form von Urlaubs­freu­den vergällt.

Schau­en Sie jedem Men­schen, der Ihnen näher als vier­zig Meter kommt, sehr auf­merk­sam ins Gesicht. Wenn er eine fah­le oder dunk­le Haut hat, etwas abste­hen­de Ohren und ein biss­chen röt­li­che Augen, dann sei­en Sie auf der Hut. Sol­che Ele­men­te sind zu allem fähig, vor allem zu den unbe­schreib­lich nie­der­träch­ti­gen Taten, die Sie erst auf Ihrem Grab­stein lesen würden.

Ver­mei­den Sie auch im Urlaub fami­li­är, part­ner­schaft­li­che, sexu­ell über­schrei­ten­de Bezie­hun­gen. Seit län­ge­rem wird beob­ach­tet, dass Men­schen, die mit einem ande­ren zusam­men­le­ben, häu­fi­ger erschla­gen wer­den als sol­che, die kei­nen ande­ren Men­schen kennen.

Im Urlaub kommt es häu­fi­ger zu ver­bal, urba­nen Aus­ein­an­der­set­zun­gen (»Wenn Du noch mal Gaba­lier hörst, ist Lebens­en­de ange­sagt!«). Ein urlau­ben­der Fami­li­en­ver­band bie­tet noch mehr Mor­bi­des. Wenn Sie Toch­ter sind, wird Ihr Vater Sie erwür­gen. Wenn Sie Sohn sind, wird Ihre Mut­ter Sie ver­gif­ten, damit Sie Ihrem Vater nicht sagen kön­nen, war­um der Hilfs­koch drei­mal wöchent­lich Urlaubs­son­der­ver­pfle­gung verschenkt.

Wenn Sie Mut­ter sind, wird Ihre Toch­ter Sie erschie­ßen, weil der Kell­ner eigent­lich ihr Urlaubs­freund ist. Wenn Sie Vater sind, wird Ihr Sohn Sie erschla­gen, weil Sie ihm nie gesagt haben, ein Bub kön­ne im Urlaub mehr als nur die Bedie­nungs­an­lei­tung des Navi­ga­ti­ons­ge­rä­tes für Moun­tain­bikes studieren.

Wol­len Sie beson­ders fein Urlau­ben, emp­feh­le ich die USA – poli­tisch ver­wal­tet von Mul­ti­mil­lio­nä­ren. Erle­ben Sie da, wie Dut­zen­de von Clubs die Poli­tik bestim­men und die Mehr­heit der Bür­ger in Armut und Aus­beu­tung lebt, sich flä­chen­deckend bewaff­net hat und eine Ideo­lo­gie pflegt, die es für eine der höch­sten Prio­ri­tä­ten hält, dass Men­schen dazu aus­ge­rü­stet sind, sich gegen­sei­tig zu erschie­ßen. Dazu kön­nen Sie noch den tief ver­an­ker­ten, meist sogar staat­lich sank­tio­nier­ten Ras­sis­mus bewundern.

Mei­den Sie aber auch Öster­reich, weder ist Wien »anders«, noch hat Salz­burg an Reiz gewon­nen. Wäh­rend der Fest­spiel­zeit wird in der Gastro­no­mie nor­mal gekocht, wie immer, aber für die Fest­spiel­zeit gilt die Preis­ge­ho­be­ne »Fest­spiel­kar­te«. Herr Jeder­mann Hand­auf­hal­ter lässt grü­ßen! In Tirol, wo sogar die Berg­zie­gen jodeln und Leder­ho­sen tra­gen, gilt das Sprich­wort »Bisscht a Tiro­la, bist a Mensch. Bisscht ka Tiro­la bischt a Oaschloch!«

Ich bin eigent­lich noch lan­ge nicht fer­tig, aber es macht mir kei­nen Spaß, hier dem Urlaub Auf­zäh­lun­gen auf­zu­zäh­len, um die­se zur Gewohn­heit gewor­de­ne Gei­ßel der Mensch­heit und ihres Pla­ne­ten qua­si tabel­la­risch zu beschreiben.

Selbst­ver­ständ­lich gibt es auch noch neben dem Urlaub ganz ande­re Kon­stel­la­tio­nen, in denen Sie gezwun­gen sind, Mit­men­schen am wei­te­ren Ein­at­men zu hin­dern. Es gibt genug Leu­te, die mehr auf der Kan­te haben, als es dem Gegen­wert eini­ger Brief­mar­ken ent­spricht; es gibt immer wie­der poli­tisch gewähl­te Stim­men­schän­der. Aber ver­ges­sen Sie nicht, dass Sie, wir alle, even­tu­ell im Visier ste­hen – auch im Urlaub: Das mensch­li­che Zusam­men­le­ben ist immer mehr zu einem Zusam­men­tö­ten gewor­den. Wir kön­nen uns nicht mehr dar­auf ver­las­sen, dass der Näch­ste es gut mit uns meint, wir könn­ten da schon selbst der Näch­ste sein, der den Löf­fel abgibt. Immer­hin kön­nen wir uns, in einer Epo­che des Ent­set­zens, in der die schuld­lo­sen Köp­fe nur so vor sich hin rol­len, damit trö­sten, dass bekannt­lich alle, die dran glau­ben müs­sen, selig werden.

Men­schen, die an der Huma­ni­tät mei­ner Pole­mi­ken zwei­feln, möch­te ich dar­an erin­nern, Weih­nach­ten das Neu­jahrs­kon­zert und Ostern sind vor­bei. Coro­na nicht! Bald und solan­ge der Mor­gen noch graut, der Abend rot­grün­blau­gel­b­li­la strahlt, ist alles mög­lich – auch und gera­de im Urlaub!