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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vergessener 11. Mai 1952

Der Poli­zei­ein­satz vom 8. August die­ses Jah­res, bei dem der 16jährige Sene­ga­le­se Mou­ha­med D. von einem Beam­ten mit des­sen Maschi­nen­pi­sto­le erschos­sen wor­den ist, ruft die Erin­ne­rung wach an das Gesche­hen vom 11. Mai 1952 in Essen, bei dem die Poli­zei gezielt mit schar­fer Muni­ti­on auf Teil­neh­mer einer Kund­ge­bung gegen die deut­sche Wie­der­be­waff­nung geschos­sen hat. Dabei gab es einen Toten und meh­re­re zum Teil schwer Verletzte.

Kon­kret rich­te­te sich die Kund­ge­bung gegen die für den 26. Mai geplan­te poli­tisch umstrit­te­ne Unter­zeich­nung des als Gene­ral­ver­trag bezeich­ne­ten Abkom­mens zur Auf­stel­lung deut­scher Streit­kräf­te. Zu der Ver­an­stal­tung wur­den 20.000 Teil­neh­mer aus dem gesam­ten Bun­des­ge­biet erwar­tet. Um dem dama­li­gen Bun­des­kanz­ler Ade­nau­er die bla­ma­ble Begleit­mu­sik zur Ver­trags­un­ter­zeich­nung zu erspa­ren, erließ der nord­rhein-west­fä­li­sche Innen­mi­ni­ster Arnold (CDU) kurz­fri­stig ein Ver­bot, für des­sen Bekannt­ma­chung er sich des Nord­west­deut­schen Rund­funks in Köln bedien­te, der das Ver­bot am 9. Mai in den Abend­nach­rich­ten bekannt gab. Die Poli­zei war mit 2.000 Beam­ten im Einsatz.

Am Tag der Kund­ge­bung ver­sam­mel­ten sich etwa 2.000 über­wie­gend jun­ge Men­schen vor dem Haupt­ein­gang der Gar­ten­bau­aus­stel­lung in Essen, wo es zu schwe­ren Zusam­men­stö­ßen mit der zum Teil berit­te­nen Poli­zei kam. Im Ver­lauf der Aus­ein­an­der­set­zun­gen bewar­fen Demon­stran­ten die Beam­ten mit Stei­nen, die auf dem Rüt­ten­schei­der Kir­mes­platz gezielt das Feu­er mit schar­fer Muni­ti­on aus ihren Dienst­pi­sto­len eröff­ne­ten. Der 21jährige Phil­ipp Mül­ler wur­de dabei durch einen Schuss in den Rücken töd­lich getroffen.

Die Poli­zei behaup­te­te spä­ter, die Demon­stran­ten hät­ten als erste das Feu­er eröff­net. Spä­ter muss­te sie im Land­tag und vor Gericht zuge­ben, dass das gelo­gen war.

Als ich vie­le Jah­re spä­ter ver­sucht habe, Licht in das Gesche­hen zu brin­gen, ant­wor­te­te mir der Prä­si­dent des Land­tags: »Lei­der muss ich ihnen mit­tei­len, dass sich im Archiv des Land­ta­ges kein Hin­weis über eine abschlie­ßen­de Äuße­rung der Lan­des­re­gie­rung über die Vor­gän­ge in Essen auf­fin­den lässt.« Offen­sicht­lich wur­de kei­ner der Ver­ant­wort­li­chen zur Rechen­schaft gezogen.

Mehr dazu unter »Ana­to­mie eines Lügen­kom­plotts«, in Con­rad Taler »Gegen den Wind«, Papy­Ros­sa Ver­lag, 2017, 303 S., 20 €.