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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Von Preisträgern und Ausgezeichneten

Jedes Jahr am 10. Dezem­ber wer­den in Stock­holm fei­er­lich die Nobel­prei­se über­reicht, mit einer Aus­nah­me: Die Ehrung des Frie­dens­no­bel­preis­trä­gers fin­det nicht im schwe­di­schen Par­la­ment, son­dern im Rat­haus der nor­we­gi­schen Haupt­stadt Oslo statt. Über­ra­schun­gen sind bei der Ver­lei­hungs­ze­re­mo­nie nicht zu erwar­ten, denn die aus­er­wähl­ten Preis­trä­ger wer­den schon im Okto­ber bekannt gege­ben. Den Frie­dens­no­bel­preis, der zur­zeit mit zehn Mil­lio­nen schwe­di­schen Kro­nen (cir­ca 950.000 Euro) dotiert ist, erhält in die­sem Jahr das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm (World Food Pro­gram­me, WFP) der Ver­ein­ten Natio­nen. Aus­ge­zeich­net wird es »für sei­ne Anstren­gun­gen bei der Bekämp­fung von Hun­ger, für sei­nen Bei­trag zur Ver­bes­se­rung der Bedin­gun­gen für Frie­den in Kon­flikt­re­gio­nen und für sei­ne Rol­le als Motor von Bemü­hun­gen, den Ein­satz von Hun­ger als Waf­fe in Krie­gen und Kon­flik­ten zu ver­hin­dern«, so das fünf­köp­fi­ge nor­we­gi­sche Nobel­preis­ko­mi­tee in sei­ner Bekannt­ma­chung vom 9. Oktober.

Als größ­te huma­ni­tä­re Orga­ni­sa­ti­on auf der Welt, die gegen den Hun­ger und für Ernäh­rungs­si­cher­heit kämpft, unter­stütz­te das WFP 2019 nach eige­nen Anga­ben fast 100 Mil­lio­nen Men­schen in 88 Län­dern, 30 Mil­lio­nen sei­en voll­stän­dig von der UN-Orga­ni­sa­ti­on ernährt wor­den. Die Gesamt­zahl der akut Hun­gern­den habe jedoch nicht weni­ger als 135 Mil­lio­nen betra­gen. In die­sem Jahr habe sich die Situa­ti­on wei­ter ver­schlech­tert, die Zahl der Men­schen, die von aku­tem Hun­ger bedroht sind, habe sich auf 270 Mil­lio­nen ver­dop­pelt. »In Län­dern wie dem Jemen, der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go, Nige­ria, Süd­su­dan und Bur­ki­na Faso hat die Kom­bi­na­ti­on von gewalt­tä­ti­gen Kon­flik­ten und Coro­na-Pan­de­mie zu einem dra­ma­ti­schen Anstieg der Zahl der Men­schen geführt, die dem Hun­ger­tod nah sind.« Auch Natur­ka­ta­stro­phen infol­ge des Kli­ma­wan­dels trei­ben die Zah­len in die Höhe.

Geteil­tes Echo

Die Wahl des WFP zum Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger 2020 stieß auf ein geteil­tes Echo. Es gab viel Lob und Aner­ken­nung für die rund 15.000 WFP-Mitarbeiter*innen, die kei­ne Mühe scheu­en, um dem UN-Ziel »Zero Hun­ger« und einer nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung der Län­der mit unsi­che­rer Ernäh­rungs­la­ge näher zu kom­men. Aber es waren auch skep­ti­sche Töne zu hören: Hat nicht die Ver­tei­lung von Hilfs­gü­tern dazu geführt, dass sich die Men­schen man­cher­orts dar­an gewöhnt haben, arbeits­lo­se Almo­sen­emp­fän­ger zu sein? Ist dabei nicht das Prin­zip der Hil­fe zur Selbst­hil­fe in Ver­ges­sen­heit gera­ten? Benut­zen nicht die rei­chen Län­der die UNO-Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on, um ihre Agrar­über­schüs­se los­zu­wer­den, und ver­hin­dern sie damit nicht die Ent­wick­lung einer eige­nen Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­ti­on in den ärme­ren Ländern?

Die Kri­tik mag auf den ersten Blick plau­si­bel erschei­nen. Aber sie zäumt das Pferd von hin­ten auf. Nicht die Exi­stenz des WFP ver­hin­dert, dass die Situa­ti­on der Men­schen in den Län­dern des soge­nann­ten glo­ba­len Südens nach­hal­tig gebes­sert wird. Viel­mehr sind es die Macht­ver­hält­nis­se in den betrof­fe­nen Län­dern, die neo­ko­lo­nia­len Abhän­gig­kei­ten, die gewalt­schwan­ge­ren Kon­kur­renz­me­cha­nis­men, die zahl­rei­chen Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen. Ist also die Bekämp­fung des Hun­gers auf der Welt eine Sisy­phos-Arbeit, die ihr Ziel nie errei­chen kann? Immer­hin ist es Chi­na gelun­gen, unter Mit­wir­kung des WFP in den letz­ten 40 Jah­ren mehr als 800 Mil­lio­nen Men­schen aus der abso­lu­ten Armut zu füh­ren. Ein unge­heu­rer Erfolg, der aber merk­wür­di­ger­wei­se in der Debat­te um das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm und den Frie­dens­no­bel­preis kei­ne Rol­le spielt.

Der Kan­di­dat im Hochsicherheitsgefängnis

Wenn vom Frie­dens­no­bel­preis 2020 die Rede ist, darf nicht geschwie­gen wer­den von einem, der vor­ge­schla­gen, aber nicht gewählt wur­de: Juli­an Assan­ge, Mit­grün­der der Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks, der 2010 den Mut hat­te, Zehn­tau­sen­de gehei­mer Doku­men­te über völ­ker- und men­schen­rechts­wid­ri­ge Akti­vi­tä­ten des US-Mili­tärs und der US-Geheim­dien­ste in Irak und Afgha­ni­stan ins Netz zu stel­len. Sei­ne Nomi­nie­rung, unter ande­ren durch Abge­ord­ne­te der Links­par­tei, ist Teil einer Kam­pa­gne zur Frei­las­sung des muti­gen austra­li­schen Whist­le­b­lo­wers. Denn der sieht sich seit­her, statt dass ihm für die Auf­deckung der Ver­bre­chen gedankt wird, von Sei­ten ver­schie­de­ner Staa­ten unter wech­seln­den Vor­wän­den ver­folgt. Die US-Regie­rung klagt ihn wegen Spio­na­ge an und ver­langt von Groß­bri­tan­ni­en, wo er zur­zeit im Lon­do­ner Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis Bel­marsh gefan­gen gehal­ten wird, die Aus­lie­fe­rung. Nach meh­re­ren Anhö­run­gen zwi­schen Febru­ar und Okto­ber 2020 will das Zen­tra­le Straf­ge­richt am 4. Janu­ar 2021 sei­ne Ent­schei­dung über das Ver­lan­gen der USA ver­kün­den. Soll­te Assan­ge aus­ge­lie­fert wer­den, dro­hen ihm bis zu 175 Jah­re Haft. Wie auch immer die Ent­schei­dung aus­fällt, das Ver­fah­ren wird in jedem Fal­le vor der zwei­ten Instanz fort­ge­setzt wer­den. Der Gesund­heits­zu­stand von Assan­ge gibt aller­dings Anlass zu größ­ter Sor­ge, wie lan­ge er die Haft­be­din­gun­gen und die zer­mür­ben­den Gerichts­ter­mi­ne noch durch­hal­ten kann. Der Frie­dens­no­bel­preis wäre eine sehr ver­dien­te Aner­ken­nung für Juli­an Assan­ge – und eine Ermu­ti­gung für Men­schen, die über Kriegs­ver­bre­chen nicht schwei­gen wollen.

Irgend­wie bekannt

Ossietzky-Lesern und -Lese­rin­nen kommt das alles irgend­wie bekannt vor, hat­te sich doch auch Carl von Ossietzky durch Auf­deckung ille­ga­ler Machen­schaf­ten des Mili­tärs bei den Herr­schen­den unbe­liebt gemacht. Schon in der unter­ge­hen­den Wei­ma­rer Repu­blik als Lan­des­ver­rä­ter gebrand­markt, wur­de er 1933 erneut ver­haf­tet und ins KZ Son­nen­burg ver­schleppt. Um der For­de­rung nach sei­ner Frei­las­sung Nach­druck zu ver­lei­hen, schlu­gen sei­ne poli­ti­schen Freun­de im Exil ihn im Som­mer 1934 für den Frie­dens­no­bel­preis vor, lei­der zu spät für eine Nomi­nie­rung noch in dem­sel­ben Jahr. 1935 wur­de der Vor­schlag frist­ge­recht ein­ge­reicht und eine inter­na­tio­na­le Kam­pa­gne für Ossietzky gestar­tet. »Die Mehr­heit der Schwei­zer Bun­des­ver­samm­lung, 120 fran­zö­si­sche Abge­ord­ne­te und 13 Pro­fes­so­ren reich­ten Anträ­ge zugun­sten Ossietz­kys ein. In Nor­we­gen selbst bear­bei­te­te [Wil­ly] Brandt uner­müd­lich die nor­we­gi­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie, die als Regie­rungs­par­tei Vor­schlags­recht besaß. Am 23. Janu­ar 1936 erklär­te sie sich für Ossietzky: ›Nie­mand ist zur Zeit berech­tig­ter für die Aner­ken­nung, die die Zuer­tei­lung von Nobels Frie­dens­preis bedeu­tet.‹ Wei­te­re Anträ­ge kamen recht­zei­tig aus Groß­bri­tan­ni­en, Bel­gi­en, Däne­mark, Schwe­den, den Nie­der­lan­den, der CSR, der Tür­kei und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten.« (Lothar Wie­land, Der Frie­dens-Nobel­preis 1935 – Chro­nik eines mora­li­schen Sie­ges) Der über­ra­schend von ande­rer Sei­te vor­ge­schla­ge­ne Prä­si­dent der Tsche­cho­slo­wa­kei, Tomáš Gar­ri­gue Masa­ryk, erklär­te auf Bit­ten sein Des­in­ter­es­se an der eige­nen Nomi­nie­rung. Das nor­we­gi­sche Nobel­preis­ko­mi­tee scheu­te jedoch zunächst die offe­ne Kon­fron­ta­ti­on mit der Regie­rung des Deut­schen Rei­ches und ver­zich­te­te auf die Benen­nung eines Preis­trä­gers für 1935. Die Wahl wur­de im Novem­ber 1936 nach­ge­holt, und Ossietzky bekam nach­träg­lich den Frie­dens­no­bel­preis 1935 ver­lie­hen. Kurz dar­auf wur­de er aus der Gesta­po­haft entlassen.

Die Kam­pa­gne geht weiter

Als Wil­ly Brandt, der sich in der Kam­pa­gne für Carl von Ossietzky enga­giert hat­te, 1971 selbst den Frie­dens­no­bel­preis erhielt, erin­ner­te er in sei­ner Dan­kes­re­de an den Preis­trä­ger von 1935 mit den Wor­ten: »Sei­ne Ehrung war ein mora­li­scher Sieg über die Mäch­te der Barbarei.«

Die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Żaklin Nastić (Die Lin­ke) sag­te mit Blick auf den Kan­di­da­ten 2020: »Assan­ge hat einen wich­ti­gen Bei­trag zur Auf­klä­rung der Öffent­lich­keit und damit auch für den Frie­den gelei­stet. Nicht die­je­ni­gen, die Kriegs­ver­bre­chen auf­klä­ren, gehö­ren kri­mi­na­li­siert, son­dern die­je­ni­gen, die die­se bege­hen.« Dem kann man nur zustim­men. Die Kam­pa­gne für die Ehrung und Frei­las­sung von Juli­an Assan­ge geht weiter.