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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wo bleibt das Positive?

Erin­nern Sie sich noch an die »herr­li­chen Zei­ten« Anfang die­ses Jahr­hun­derts? Der heu­ti­ge Bekennt­nis­zwang gegen­über Russ(inn)en im In- und Aus­land besagt ja: Wer sich in Russ­land gegen den Krieg aus­spricht und wer sich als Russin/​Russe im Westen nicht expli­zit gegen den Krieg und die rus­si­sche Regie­rung posi­tio­niert, gefähr­det sei­ne bzw. ihre Existenz.

Vor etwa 20 Jah­ren wur­de das in den USA nicht ganz unähn­lich gere­gelt. Wer nicht die Fah­ne her­aus­ge­hängt hat zum völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg auf den Irak mit hun­dert­tau­sen­den Toten, bekam es mit der patrio­ti­schen Nach­bar­schaft zu tun, und wer frie­dens­be­wegt war, bekam auch mal Besuch von Poli­zei und Geheim­dien­sten. Der­weil wur­den Cham­pa­gner auf der Stra­ße aus­ge­kippt und Pom­mes Fri­tes von »French Fries« in »Free­dom Fries« umbe­nannt, um die »fei­gen fran­zö­si­schen Frosch­fres­ser« zu bestra­fen, die sich nicht an der völ­ker­rechts­wid­ri­gen Irak-Aggres­si­on betei­li­gen woll­ten. Zugleich beju­bel­te in der BRD Ange­la Mer­kel die Vor­be­rei­tun­gen und Durch­füh­run­gen des US-Über­falls (wovon sie sich bis heu­te – trotz aller IS-Fol­gen – nicht distan­ziert hat), und der größ­te Teil der sog. seriö­sen Medi­en behan­del­te fast alle, die den Irak nicht bom­bar­die­ren woll­ten, als »anti-ame­ri­ka­nisch«. Kurz vor dem Angriffs­krieg gegen den Irak sag­te der US-Prä­si­dent Geor­ge W. Bush am 7. März 2003: »Wenn es um unse­re Sicher­heit geht, brau­chen wir kei­ne Erlaub­nis von irgend­je­man­dem, auch eine Zustim­mung des UN-Sicher­heits­ra­tes nicht.« Wer sich die Mühe macht, mal die dama­li­ge Kriegs­be­richt­erstat­tung in den niveau­voll­sten Sen­dern wie CNN oder auch in der New York Times mit den heu­te in der EU zen­sier­ten RT-For­ma­ten der Jetzt-Zeit zu ver­glei­chen (vgl. rtde.site), wird sich sehr wun­dern über den Unter­schied und deren jewei­li­ge poli­tisch-justi­zi­el­le Behand­lung. Selt­sam, dass sich an die­se Höhe­punk­te der »west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft« und »regel­ba­sier­ten Frie­dens­ord­nung« 2002/​03 so weni­ge Men­schen erin­nern kön­nen. Erstaun­lich, wie sich die Zei­ten ändern und doch auch glei­chen. »With us or with the Ter­ro­rists« sag­te noch G. W. Bush. Das heißt heu­te: Ent­we­der du ver­trittst zu 100 Pro­zent Nato-Nar­ra­ti­ve, oder du bist »Putin-Fan« (also »Faschist«, ver­steht sich).

50 Jah­re nach der Kuba-Kri­se weiß eigent­lich jeder, was die USA tun wür­den, wenn z.B. rus­si­sche oder chi­ne­si­sche und kuba­ni­sche Trup­pen zusam­men mit Trup­pen aus Mexi­ko an der texa­ni­schen Gren­ze der USA Mili­tär­prä­senz zei­gen wür­den. Im Okto­ber 1962 blockier­ten US-Kriegs­schif­fe sowje­ti­sche Schif­fe, die Waf­fen nach Kuba trans­por­tier­ten, und Prä­si­dent Ken­ne­dy hat­te vor­her erklärt, dass ein Durch­bre­chen der Blocka­de die Eröff­nung eines Krie­ges zwi­schen den USA und der Sowjet­uni­on bedeu­ten wür­de. Da Kuba gera­de ein Jahr vor­her (1961) von den USA über­fal­len wur­de, hat­te es jedes Recht zur Ver­tei­di­gung gegen­über dem Aggres­sor. Der Schwei­zer Histo­ri­ker Danie­le Gan­ser zitiert aus einem der inzwi­schen frei­ge­ge­be­nen Regie­rungs­pro­to­kol­len aus dem Wei­ßen Haus unter Ken­ne­dy. In einer der ersten Sit­zun­gen des Kri­sen­stabs am 16. Okto­ber 1962 zwi­schen 18:30 und 19:55h empör­te sich der US-Prä­si­dent laut Pro­to­koll der­ma­ßen über die sowje­ti­schen Rake­ten auf Kuba, dass er sag­te: »Das ist gera­de so, als wenn wir plötz­lich begin­nen wür­den, eine grö­ße­re Zahl von Mit­tel­strecken­ra­ke­ten in der Tür­kei zu sta­tio­nie­ren. Ich den­ke mal, das wäre ver­dammt gefähr­lich.« Dar­auf­hin mel­det sich sein Natio­na­ler Sicher­heits­be­ra­ter McGe­or­ge Bun­dy: »Na ja, aber genau das haben wir getan, Mr. Prä­si­dent« (vgl. Danie­le Gan­ser: Ille­ga­le Krie­ge, 5. Aufl., Zürich 2017, S. 114f./347). Trotz­dem konn­te sich der Angrei­fer sogar noch als Opfer insze­nie­ren (ein lehr­rei­cher Film hier­zu aus US-Regie­rungs­sicht ist übri­gens trotz alle­dem: »Thir­teen Days«; dt. Trai­ler: https://www.youtube.com/watch?v=ywbLVeGQbHs). Die Lösung der sog. Kuba-Kri­se 1962 könn­te ein wich­ti­ges Lehr­stück für momen­ta­ne inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen darstellen.

Manch­mal fällt einem dazu nur noch Karl Kraus ein – oder Erich Kästner:

Und wo bleibt das Posi­ti­ve, Herr Käst­ner? (1930)

Und immer wie­der schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unter­stri­chen, schreibt:
»Herr Käst­ner, wo bleibt das Positive?«
Ja, weiß der Teu­fel, wo das bleibt.
Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den lee­ren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotz­dem tap­fer zu sein.
Ihr braucht schon wie­der mal Vaseline,
mit der ihr das trocke­ne Brot beschmiert.
Ihr sagt schon wie­der, mit gläu­bi­ger Miene:
»Der sie­ben­te Him­mel wird frisch tapeziert!«
Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
und denkt, unter Zucker ver­schwän­den sie.
Ihr baut schon wie­der Bal­kons vor die Herzen
und nehmt die stram­peln­de See­le aufs Knie.
Die Spe­zi­es Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, dass ich’s hübsch zusammenreime,
und denkt, dass es dann zusammenhält?
Ich will nicht schwin­deln. Ich wer­de nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weiß.
Es gibt genug Lie­fe­ran­ten von Windeln.
Und man­che lie­fern zum Selbstkostenpreis.
Habt Son­ne in sämt­li­chen Körperteilen
und wickelt die Sor­gen in Seidenpapier!
Doch tut es rasch. Ihr müsst euch beeilen.
Sonst wer­den die Sor­gen grö­ßer als ihr.
Die Zeit liegt im Ster­ben. Bald wird sie begraben.
Im Osten zim­mern sie schon den Sarg.
Ihr möch­tet gern euren Spaß dran haben …?
Ein Fried­hof ist kein Lunapark.