Der reichste Deutsche hat eine von ihm selbst in Auftrag gegebene Studie zur Firmengeschichte seines Unternehmens im Giftschrank verschwinden lassen. Das berichtet der Autor von »Braune Erben«, David de Jong, in der US-Zeitschrift Vanity Fair. Demnach hatte der rund 37 Milliarden Euro schwere Milliardär Klaus-Michael Kühne im Vorfeld des 125-jährigen Unternehmensjubiläums 2015 die Forscher des »Handelsblatt Research Institute« damit beauftragt, eine Historie der Firma Kühne+Nagel zu verfassen. Das Kapitel zur Rolle seines Vaters und seines Onkels zur Nazizeit habe ihm gar nicht gepasst, berichtet Vanity Fair. Kühne habe Änderungen gefordert und bei einer Telefonkonferenz darauf bestanden: »Mein Vater war kein Nazi.«
Als die Forscher sich weigerten, die Firmenhistorie den Wünschen Kühnes anzupassen, habe dieser gesagt, dann werde die Studie eben nicht veröffentlicht. »Fragt bloß nicht, wo der Reichtum herkommt«, heißt es daher zusammenfassend im Artikel der Vanity Fair.
Die Nazi-Vergangenheit von Kühne+Nagel ist in der Vergangenheit bereits öfter thematisiert worden. Klaus-Michael Kühne wurde 1937 als einziges Kind des Speditionskaufmanns Alfred Kühne und als Enkel von August Kühne geboren. Mitbesitzer Adolf Maass verließ 1933 kurz nach der Machtübernahme der Nazis die Firma. Er sei von Kühnes Vater und Onkel aus der Firma gedrängt worden, ohne eine Entschädigung für seine Anteile zu erhalten, gab später sein Sohn Gerhard Maass zu Protokoll.
Adolf Maass war Jude. Es gelang ihm und seiner Frau noch, ihre drei Kinder ins Ausland zu schicken, selbst konnten sie sich nicht retten. 1944 brachten die Nazis die Eheleute nach Auschwitz und ermordeten sie dort. Nur Tage, nachdem die Brüder Alfred und Werner Kühne sich 1933 von ihrem ehemaligen Partner Maass getrennt hatten, traten beide in die NSDAP ein. Nachdem es sich praktisch selbst arisiert hatte, entwickelte sich das Speditionsunternehmen Kühne+Nagel in den folgenden Jahren zu einem mehrfach ausgezeichneten »nationalsozialistischen Musterbetrieb«.
Ab 1942 wirkte das Unternehmen in großem Stil an der systematischen Ausplünderung der europäischen Juden mit und schaffte jüdisches Eigentum aus besetzten Gebieten ins Deutsche Reich. Es ging um rund 30.000 Bahnwaggons sowie 500 Schiffsladungen mit geraubten Möbeln aus den Haushalten von deportierten und ermordeten Menschen. Kühne+Nagel war die bevorzugte Firma der Nazis für dieses schmutzige Geschäft mit dem Namen »M-Aktion« – »M« für Möbel. Das Unternehmen habe quasi ein Monopol darauf gehabt, sagte Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München, der Vanity Fair. Der Reichtum der Kühne-Inhaber wuchs in dieser Zeit den Recherchen des US-Magazins zufolge beträchtlich.
Heute gilt ihr Nachfahre Klaus-Michael Kühne als der vermögendste Deutsche, dem die Hansestadt Hamburg am 20. September ihren »Gründerpreis der Kategorie Lebenswerk« verlieh. Hier ist Aufklärung gefordert. Aktivisten der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten weisen vor Ort die Schuld des großen Kapitals an der Vernichtung der Demokratie, an Kriegsvorbereitung und Massenvernichtung von Menschen nach. Es wurde erklärt: Wir stellen Anträge und richten Eingaben an zuständige Stellen, um die Tatorte der Täter des großen Geldes zu kennzeichnen und ihre Taten zu beschreiben.
Die Rolle der ökonomischen Eliten beim Aufstieg des Faschismus und seiner Kriegsführung dürfe nicht länger verschwiegen werden, schon gar nicht in den Gedenkstätten, die dieses Thema mehr und mehr ausklammern. Ferner sei der Prozess der Entschädigung zu Ende zu bringen. Wenn geraubte Kunstschätze an die Erben zurückgegeben werden, dann sollte auch den Hinterbliebenen der Sklavenarbeit der vorenthaltene Lohn erstattet werden. Die Erben der braunen Ausbeuter, die heute zu den reichsten Familien im Land gehören, seien zu enterben; neben Stolpersteinen für die Opfer soll es auch Warntafeln vor den Tätern und ihren Nachfahren geben. Es sollen Straßenumbenennungen erreicht werden. Beabsichtigt ist ferner, am Sitz von Rheinmetall (Düsseldorf) gemeinsam mit Bündnispartnern Aktionen zu starten. Das Sponsoring Rheinmetalls für den BVB Dortmund erfordere entschiedenen Protest, z. B. mit Unterschriftensammlungen und Mahnwachen, auch mit Transparenten im Stadion, wie sie bereits zu sehen waren.
Seit 120 Jahren beteiligt sich Borsig/Rheinmetall an schwersten Kriegsverbrechen. Im Zweiten Weltkrieg schritten den Blitzkriegern die Konzernvertreter von Rheinmetall und anderen hinterher, um Stahlwerke und andere Betriebe zu arisieren und zu rauben und 15 Millionen Zwangsarbeiter ins Reich zu holen, auf dass sie als Sklaven u. a. für Rheinmetall arbeiteten. Viele wurden durch Arbeit vernichtet. Allein die Reichswerke Hermann Göring (Konzernleitung für Rheinmetall) versklavten 300.000 sog. Ostarbeiter. Viele Tausend Sklaven schufteten an anderen Rheinmetall-Standorten. Heute zählt Rheinmetall zu den größten aktuellen Kriegsgewinnlern.
Zum Fall wie dem der Kühnes wurde bereits vor einem Jahr in Bremen ein Mahnmal errichtet. Bremer Behörden folgten einer Anregung der Zeitung TAZ, unterstützt von der VVN-BdA und der Jüischen Gemeinde, und schufen das »Mahnmal zu Erinnerung an die massenhafte Beraubung europäischer Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime und die Beteiligung bremischer Unternehmen, Behörden und Bürgerinnen und Bürger«. Allerdings gab es erhebliche Verzögerungen. Kern des Konflikts war dabei immer, wie dicht das Mahnmal an das Gebäude des Stammsitzes des weltweit agierenden Logistikkonzerns Kühne+Nagel heranrücken darf.
Die VVN-BdA-Kampagne zur Aufklärung über die Rolle der reichsten Familien in der Nazizeit soll sich auch auf die folgenden ausdehnen: Die Fam. Quandt und besonders ihr Wirken in Hagen und Hannover sowie die Familie Dieter Schwarz, Lidl-Eigner. Diese und Kühne sowie zwei weitere verfügen heute über ein größeres Vermögen als die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Dieses Vermögen wurde vor allem bis 1945 durch Kriegsgewinn angehäuft.