Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Worte über Wörter

Susan Arndt (54) ist Pro­fes­so­rin für eng­li­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und anglo­fo­ne Lite­ra­tu­ren an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Ich »ent­deck­te« sie vor eini­gen Jah­ren bei einem Besuch des »Muse­ums am Rothen­baum – Kul­tu­ren und Kün­ste der Welt« in Ham­burg, in des­sen Shop ich auf ihr inzwi­schen in drit­ter Auf­la­ge vor­lie­gen­des Buch Ras­sis­mus aus der Beck’schen Rei­he »Die 101 wich­tig­sten Fra­gen« stieß.

War Frei­tag gern Robin­sons Skla­ve? Was lie­ben wir an Win­ne­tou? War­um kennt sich Tar­zan so gut im »Dschun­gel« aus? Fra­gen wie die­se weck­ten mei­ne Neu­gier­de. Was haben denn die Hel­den mei­ner Kind­heits­träu­me und vie­ler gern gese­he­ner Aben­teu­er­fil­me mit Ras­sis­mus zu tun?

Und die Fra­gen gin­gen wei­ter: Gibt es Gene, die Men­schen nach Ras­sen unter­scheid­bar machen? Wes­sen Haut ist eigent­lich »haut­far­ben«? Wor­an erken­ne ich ras­si­sti­sche Wör­ter? Was soll­te am Grund­ge­setz geän­dert wer­den? Und schließ­lich als Fra­ge 101: Gibt es eine Welt ohne Rassismus?

Den Lite­ra­tur­hin­wei­sen ent­nahm ich, dass Susan Arndt schon lan­ge auf­klä­re­risch unter­wegs war. So ver­öf­fent­lich­te sie 2004 das Nach­schla­ge­werk Afri­ka und die deut­sche Spra­che und 2011 das Nach­schla­ge­werk Wie Ras­sis­mus aus Wör­tern spricht – (K)Erben des Kolo­nia­lis­mus im Wis­sens­ar­chiv deut­sche Spra­che. In ihm arbei­tet die Ver­fas­se­rin her­aus, wie wei­ße Euro­päe­rin­nen und Euro­pä­er »kolo­nia­li­sti­sches und ras­si­sti­sches Den­ken erschaf­fen und es in Wis­sens­ar­chi­ven und ihren Begrif­fen kon­ser­viert haben, durch wel­che es bis heu­te wirk­mäch­tig ist«.

Hier setzt Susan Arndts neue­ste Ver­öf­fent­li­chung an: Ras­si­sti­sches Erbe – Wie wir mit der kolo­nia­len Ver­gan­gen­heit unse­rer Spra­che umge­hen. Das Buch ist im Duden­ver­lag erschie­nen, unbe­strit­ten das deut­sche Wis­sens­ar­chiv für Spra­che und Recht­schrei­bung, in dem die­se kon­ser­viert, aber auch moder­ni­siert, inter­pre­tiert und defi­niert wer­den. Per se ein Sujet für Susan Arndt, die sich in ihrem Buch auch das Duden-Uni­ver­sal­wör­ter­buch vor­nimmt. In ihm wie auch in ande­ren Wör­ter­bü­chern des Ver­lags beru­fen sich die Redak­tio­nen »auf eine Fül­le sta­ti­stisch aus­ge­wer­te­ten Mate­ri­als und somit empi­risch abge­si­cher­ter Daten«, dank derer sie »die Ebe­ne der rein sub­jek­ti­ven Bewer­tung hin­ter sich lassen«.

Das glau­ben sie wenig­stens. Susan Arndt hält ihnen ent­ge­gen, dass sie, wenn kri­ti­sche Refle­xio­nen ergänzt wer­den, »nicht ent­lang des Wor­tes ras­si­stisch vor­ge­hen«, son­dern viel­mehr zu For­mu­lie­run­gen wie »ver­al­tet«, »gilt als ver­al­tet« oder »ver­al­tend« grei­fen, dabei aber unge­sagt und unbe­wer­tet las­sen, war­um frü­her gebräuch­li­che Wor­te wie Mohr, Far­bi­ge, Ras­se oder das N-Wort nicht mehr ver­wen­det wer­den sollen.

Die Liste der ras­si­sti­schen Begrif­fe ist lang, von Abori­gi­ne, Busch­mann, Dun­kel­häu­tig, Ent­decken, Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, Eski­mo, Häupt­ling, India­ner, Hei­den reicht sie durch das gan­ze Alpha­bet bis hin zu Plan­ta­gen, Stamm, Schutz­herr­schaft, Tro­pen­me­di­zin, Volk, Wil­de und Zigeu­ner. Wenn Sie nun ungläu­big den Kopf schüt­teln, wenn Sie irri­tiert sind: Sol­che Irri­ta­tio­nen sind gewollt. Viel­leicht über­zeugt Sie beim Lesen die jewei­li­ge Begründung.

Hin­zu kommt ein Trick, des­sen sich die Autorin bedient. Sie hat sich nicht damit begnügt, die inkri­mi­nier­ten Wor­te in Gän­se­füß­chen zu set­zen. Da ihr Buch das Ziel hat, über Ras­sis­mus zu spre­chen, ohne ihn zu repro­du­zie­ren, da es außer­dem »dis­kri­mi­nie­rungs­kri­tisch« ver­fasst sein soll, setzt sie vor und nach »gewalt­vol­len«, ras­si­sti­schen Zita­ten eine Trig­ger-War­nung in Form eines Warn­blit­zes ein. Ein­zel­ne ras­si­sti­sche Wor­te wer­den typo­gra­fisch gebro­chen. Sie wer­den durch­ge­stri­chen, um so deut­lich wer­den zu las­sen, dass sie kon­ta­mi­niert sind. Mit Ver­weis­pfei­len zeigt sie an, wenn es zu dem Wort ein eige­nes Kapi­tel gibt. Außer­dem benennt sie im Text kon­kret Han­deln­de, indem sie nicht: »Im Kolo­nia­lis­mus wur­den Ras­sen erfun­den« schreibt, son­dern: »Es waren Wei­ße, die die­se erfanden.«

Susan Arndt hat ein erhel­len­des Buch geschrie­ben, das gleich­zei­tig eine kur­ze Geschich­te des Kolo­nia­lis­mus beinhal­tet. Ich ver­spre­che Ihnen: Sie wer­den ums Nach­den­ken nicht her­um­kom­men. Sie wer­den erken­nen, dass der wei­ße Blick auf die Welt nicht wei­se ist. Dass vie­le Benen­nun­gen ein Euphe­mis­mus sind für öko­no­mi­schen Raub­bau, Skla­ve­rei, Impe­ria­lis­mus, Kolo­nia­lis­mus und Neo­ko­lo­nia­lis­mus – und für Ras­sis­mus, denn: Er bau­te »als ideo­lo­gi­sche Waf­fe des Kolo­nia­lis­mus Struk­tu­ren, die wei­ße Per­so­nen mit Pri­vi­le­gi­en aus­stat­ten und BIPoC – Black, Indi­ge­nous und Peo­p­le of Color – dafür zah­len lassen«.

Der Autorin geht es in ihrem Buch »nicht um eine admi­ni­stra­tiv betrie­be­ne oder gefor­der­te staat­li­che Sprach­po­li­tik, son­dern um die ana­ly­ti­sche Offen­le­gung des­sen, was ›unse­re‹ Spra­che an Tra­die­run­gen ent­hält, was sie beinhal­tet und somit repro­du­ziert – und dabei durch Ver­leug­nungs­stra­te­gien schützt«. Sie ergrün­det »Wör­ter, die im Kolo­nia­lis­mus geprägt wur­den, um aus Ras­sis­mus her­aus Unrecht als Recht erschei­nen zu lassen«.

Dies ganz im Gei­ste Vol­taires, in des­sen 14. Dia­log zwi­schen dem Kapaun und der Pou­lar­de zu lesen steht: »Die Men­schen bedie­nen sich des Gedan­kens nur zur Recht­fer­ti­gung ihrer Über­grif­fe und gebrau­chen die Spra­che nur, um ihre Gedan­ken zu ver­ber­gen.« Womit der Kapaun die Pou­lar­de über die mensch­li­che Natur und das Böse in ihr auf­klä­ren woll­te, da die­ses auch sie bedro­he (Quel­le: Duden 12, Zita­te und Aus­sprü­che, S. 409).

*

Eben­falls im Duden­ver­lag hat Ronen Stein­ke, Jour­na­list bei der Süd­deut­schen Zei­tung und Ver­fas­ser einer Bio­gra­fie über Fritz Bau­er, den Ermitt­ler und Anklä­ger der Frank­fur­ter Ausch­witz-Pro­zes­se, sei­ne Schrift über Anti­se­mi­tis­mus in der Spra­che – War­um es auf die Wort­wahl ankommt, ver­öf­fent­licht. Sie passt the­ma­tisch sehr gut zu dem Arndt-Buch und zeigt auf, »wie in unse­rer All­tags­spra­che juden­feind­li­ches Gedan­ken­gut trans­por­tiert wird«.

Wie zu Beginn man­ches Anti­se­mi­tis­mus-Semi­nars star­tet Stein­ke mit der Emp­feh­lung, die Wor­te Jude, Jüdin, jüdisch »laut und gleich­zei­tig ohne Hem­mun­gen« aus­zu­spre­chen, so um die 40-mal. Eine Übung, die »für nicht jüdi­sche Men­schen (…) manch­mal schwie­rig« sei, aber auch für etli­che Juden: »Da gehen Bil­der durch den Kopf, es sind nicht nur schö­ne, und auch der Klang der eige­nen Stim­me lässt man­che und man­chen inne­hal­ten.« Denn: »Jude heißt nicht ein­fach Jude, das Wort funk­tio­niert seit Lan­gem auch los­ge­löst von rea­ler jüdi­scher Reli­gi­on oder Her­kunft als grif­fi­ges Negativwort.«

Die Rol­le der hebräi­schen und jid­di­schen Wör­ter in der deut­schen Spra­che, das ist das zen­tra­le The­ma die­ser klei­nen, auf­klä­ren­den Schrift. Da gibt es Wör­ter, die aus dem Jid­di­schen »wegen ihres guten Klangsֿ« über­nom­men wur­den, wie Meschug­ge, Macke, Tache­les, Schmu­sen, Schla­mas­sel und Zores. Und da gibt es ungu­te, zu ver­mei­den­de Wör­ter wie Ische, heu­te abwer­tend für eine Frau mit zwei­fel­haf­tem Leu­mund, Misch­po­ke, Mau­scheln, Schachern und Schmie­re stehen.

Stein­ke been­det sein Buch mit einem ver­blüf­fen­den Aus­flug in den Gesprächs­all­tag: In Deutsch­land wird noch immer »natio­nal­so­zia­li­stisch« buch­sta­biert. Die Natio­nal­so­zia­li­sten hat­ten näm­lich schon 1934 aus der 1890 erst­mals ver­wen­de­ten und in den Jahr­zehn­ten danach von Zeit zu Zeit ver­än­der­ten Buch­sta­bier­ta­fel – anfangs für weni­ge Jah­re mit Zah­len statt Wör­tern – 14 Begrif­fe gelöscht. Die Maß­nah­me soll­te dazu bei­tra­gen, dass die Juden in der Öffent­lich­keit »unsicht­bar« wur­den, bevor sie spä­ter phy­sisch aus­ge­löscht wurden.

So wur­de aus David Dora, aus Jacob Jot, aus Nathan Nord­pol, aus Samu­el Sieg­fried, aus Zacha­ri­as Zep­pe­lin. Das Ypsi­lon muss­te zyni­scher Wei­se »Ypern« wei­chen: In der Schlacht um die bel­gi­sche Stadt hat­te die deut­sche Armee im April 1915 erst­mals Gift­gas als Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fe eingesetzt.

Ich geste­he: Auch ich buch­sta­bie­re mei­nen Vor­na­men mit Kauf­mann Lud­wig Anton Ulrich Sieg­fried, den Nach­na­men mit Nord­pol Ida Lud­wig Ida Ull­rich Sieg­fried, und das, ohne viel dar­über nach­zu­den­ken seit mei­ner Jugend­zeit. Dies umso »unbe­denk­li­cher«, da an den ver­wen­de­ten Namen nichts Ver­werf­li­ches haf­tet und man dem Buch­sta­bier­ka­non die NS-Relik­te nicht anmerkt.

Stein­ke sieht es ähn­lich: »Die Vor­stel­lung, dass Leu­te jetzt ›umler­nen‹, erscheint lebens­fern, wenn nicht gar ein wenig Anton, Lud­wig, Ber­ta, Emil, Richard, Nathan.« Aber, haben Sie’s bemerkt, der Nord­pol ist ver­schwun­den? Denn: »Ein bewuss­te­rer Gebrauch von Spra­che« soll­te auch »ein selbst­be­wuss­te­rer Gebrauch von Spra­che« sein.

(Übri­gens: Die amt­li­che deut­sche Buchst­ab­ta­fel trägt die DIN-Num­mer 5009.)

 Susan Arndt: Ras­si­sti­sches Erbe, Duden­ver­lag, Ber­lin 2022, 256 S., 22 €. – Ronen Stein­ke: Anti­se­mi­tis­mus in der Spra­che, Duden­ver­lag, Ber­lin 2022, 79 S., 8 €.