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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zuschrift an die Lokalpresse

End­lich! Den bereits erprob­ten lan­gen bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Näch­ten hat sich eine wei­te­re hin­zu­ge­sellt: die Nacht der Soli­da­ri­tät! Bra­vo! Das ist eine wich­ti­ge Ergän­zung! Ich habe zwar nicht mehr den genau­en Über­blick über die näch­te­fül­len­de Gesamt­li­ste, ver­mu­te aber, dass es all­mäh­lich schwer wird, noch Leer­stel­len auf­zu­spü­ren. Sei›s drum! In der Nacht vom 29. zum 30. Janu­ar jeden­falls wer­den zwi­schen 22 Uhr und 2 Uhr über 3700 Frei­wil­li­ge »in gemischt­ge­schlecht­li­chen Teams mit min­de­stens drei Mit­glie­dern« (sie­he nd, 11./12. Janu­ar) im nächt­li­chen Ber­lin die Obdach­lo­sen »auf Zähl­strecken« auf­stö­bern und sie nach ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Her­kunft, der Dau­er ihrer Obdach­lo­sig­keit, ihren Part­ner­schafts­be­zie­hun­gen in der Obdach­lo­sig­keit und ihrem Haus­halts­sta­tus befra­gen – vor­aus­ge­setzt, sie sind auch damit ein­ver­stan­den, denn: »Die Befra­gung fin­det frei­wil­lig und anonym statt.« In unse­rer frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung gilt näm­lich »Nie­mand wird in der Nacht geweckt! Es wer­den kei­ne Fotos gemacht!« (Eben­da, S. 25) Zur Zeit gibt es laut Pres­se nur gro­be Schät­zun­gen der Obdach­lo­sen­zah­len, und der Sinn der drei­stün­di­gen »Lan­gen Nacht der Soli­da­ri­tät« soll dar­in bestehen, den Arti­kel 28 der Lan­des­ver­fas­sung »Jeder Mensch hat das Recht auf ange­mes­se­nen Wohn­raum« schon mal durch­zu­pro­bie­ren. Und falls das nicht sofort gelin­gen soll­te, gilt vor­erst die Erklä­rung der Sozi­al­se­na­to­rin: »Obdach­lo­se Men­schen gehö­ren zu die­ser Stadt, und wir hei­ßen sie auch will­kom­men!« Da habe ich aller­dings mei­ne Zwei­fel, ob das die Obdach­lo­sen sehr freut. Ich woh­ne in der Nähe vom S- und U-Bahn­hof Frank­fur­ter Allee, unter des­sen Stra­ßen­brücke stän­dig Men­schen unter beklecker­ten Decken und alten Iso-Mat­ten über­nach­ten und um ein paar Mün­zen für sich und ihre Hun­de sin­gen. Ob es ihnen etwas nüt­zen wür­de, mit einem herz­li­chen Will­kom­mens­gruß ermun­tert zu wer­den, möch­te ich bezwei­feln. Aber viel­leicht haben die Zäh­ler da ande­re Erfah­run­gen – Valen­ti­na Son­nen­schein (36), Sozi­al­ar­bei­te­rin, 10317 Rummelsburg