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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zwei Ausstellungen, die Furore machen

Unser Blick auf den Maler Emil Nol­de wird sich ver­än­dern müs­sen: Nol­de ein über­zeug­ter Natio­nal­so­zia­list, der in der Nach­kriegs­zeit sei­ne Bio­gra­phie »umge­schrie­ben« hat? Dass er Mit­glied der Nazi-Par­tei war und den­noch als »ent­ar­te­ter« Künst­ler von den Nazis geäch­tet wur­de, das wuss­te man. Aber jetzt hat die Stif­tung Ada und Emil Nol­de in See­büll ihr Archiv geöff­net und zwei Wis­sen­schaft­ler, Bern­hard Ful­da und Aya Soi­ka, mit der Auf­ar­bei­tung der Nazi-Ver­gan­gen­heit Nol­des beauf­tragt – und da erge­ben sich neue Fak­ten: Nol­de erhoff­te vom NS-Regime die Aner­ken­nung als Staats­künst­ler, er blieb die gan­ze Nazi-Zeit über­zeug­tes Mit­glied der NSDAP und Anti­se­mit und ver­such­te ver­geb­lich, die Nazi-Grö­ßen zu über­zeu­gen, dass er wegen sei­ner moder­nen Male­rei kein »ent­ar­te­ter« Künst­ler sei. Es gelang ihm dann auch, dass sei­ne Gemäl­de Ende 1938 aus der Wan­der­aus­stel­lung »Ent­ar­te­te Kunst« ent­fernt wur­den. Aber 1941 wur­de er den­noch aus der Reichs­kam­mer der bil­den­den Kün­ste aus­ge­schlos­sen und erhielt Aus­stel­lungs-, Ver­kaufs- und Publikationsverbot.

Die »Unge­mal­ten Bil­der«, die klein­for­ma­ti­gen Aqua­rel­le, die er trotz »Mal­ver­bo­tes« ins­ge­heim in sei­nem See­bül­ler Wohn­sitz gemalt haben will und die ihn dann in der Nach­kriegs­zeit zum Ver­tre­ter einer »inne­ren Emi­gra­ti­on« erho­ben, sind zum gro­ßen Teil schon vor 1933 oder erst nach 1945 ent­stan­den. Denn Zeich­nun­gen oder Aqua­rel­le als Vor­bil­der für Gemäl­de zu ver­wen­den, war schon vor 1914 inte­gra­ti­ver Bestand­teil von Nol­des künst­le­ri­schem Schaf­fen. Der Begriff der »Unge­mal­ten Bil­der« eig­ne­te sich nach 1945 vor­züg­lich, um das erlit­te­ne Berufs­ver­bot zu dra­ma­ti­sie­ren und sich somit als Opfer zu stilisieren.

Die Ergeb­nis­se der Recher­chen wer­den jetzt in einer Aus­stel­lung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin im Ham­bur­ger Bahn­hof vor­ge­stellt. Sie umfasst sowohl authen­ti­sche Quel­len­be­le­ge als auch das in der NS- und der Nach­kriegs­zeit ent­stan­de­ne künst­le­ri­sche Werk. Nol­des pri­va­te Insze­nie­rung, die Hän­gung sei­ner Gemäl­de und Aqua­rel­le im soge­nann­ten Bil­der­raum sei­nes See­bül­ler Hau­ses, konn­te rekon­stru­iert wer­den: Es waren nord­deut­sche Land­schaf­ten und Mee­res­bil­der, Still­le­ben und Blu­men­bil­der aus allen Zeit­ab­schnit­ten. Abge­se­hen von Titeln wie »Hei­li­ges Feu­er« oder »Hei­li­ges Opfer« (bei­de 1940) oder auch blon­den und blau­äu­gi­gen Kin­dern und Frau­en haben sie aber nichts mit der NS-»Blut- und Boden«-Ideologie zu tun.

Nol­de hat nach dem Krieg – das kann in der Aus­stel­lung unmiss­ver­ständ­lich gezeigt wer­den – sei­ne Rol­le wäh­rend der Nazi-Zeit durch Aus­las­sun­gen und Ergän­zun­gen in eine »Hel­den­er­zäh­lung« ver­wan­delt. Er wur­de nun als ver­folg­ter »Weg­be­rei­ter einer neu­en deut­schen Kunst« und als Opfer der NS-Kunst­po­li­tik wahr­ge­nom­men. Der Welt­erfolg von Sieg­fried Lenz’ Roman »Deutsch­stun­de« (1968), der das Berufs­ver­bot Nol­des im NS-Regime her­vor­hebt, hat ihn end­gül­tig zu einem ver­folg­ten Künst­ler der Moder­ne im Wider­stand gegen das NS-Regime wer­den las­sen. 1971 hin­gen dann drei der »Unge­mal­ten Bil­der« auch schon in der Resi­denz von Bun­des­prä­si­dent Gustav Heinemann.

Um Miss­ver­ständ­nis­se aus­zu­schlie­ßen: Nol­de ist ein gro­ßer Künst­ler, er bleibt der Alt­mei­ster der Moder­ne. Aber man muss nun nicht nur mit dem Wider­spruch Nol­de als über­zeug­ter Natio­nal­so­zia­list und zugleich als »ent­ar­te­ter« Künst­ler im Nazi-Regime, son­dern auch dem eines gro­ßen Künst­lers und eines – nicht die Maß­stä­be eines gro­ßen Künst­ler­tums erfül­len­den – Cha­rak­ters leben. Werk und Bio­gra­phie, auto­bio­gra­fi­sche Selbst­sti­li­sie­rung und Werk­re­zep­ti­on sind im Fal­le Nol­des nicht mehr zu tren­nen. Damit wer­den aber auch neue Blick­wei­sen auf die Dyna­mik von Kunst­in­sze­nie­rung und künst­le­ri­scher Iden­ti­tät, von Kunst­werk und Künst­ler­bio­gra­fie eröff­net. Aber gro­ße Kunst ver­selb­stän­digt sich auch, wächst über die Bio­gra­phie, den jewei­li­gen Cha­rak­ter des Künst­lers hinaus.

Anders ist die Situa­ti­on der ein­sti­gen Brücke-Künst­ler Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pech­stein in der NS-Zeit, wie sie zeit­gleich die Aus­stel­lung »Flucht in die Bil­der?« im Brücke-Muse­um zeigt. Sie wird kura­tiert von Mei­ke Hoff­mann (For­schungs­stel­le »Ent­ar­te­te Kunst«, Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin), Lisa Marei Schmidt (Direk­to­rin des Brücke-Muse­ums) und Aya Soi­ka (Bard Col­lege Ber­lin). Hier soll das Bild des von den Nazis als »ent­ar­tet« dif­fa­mier­ten Expres­sio­nis­mus dif­fe­ren­zier­ter betrach­tet wer­den als bis­her. Bei Pech­stein, Schmidt-Rottluff und Heckel sei­en die NS-Ideen durch­aus nicht nur auf Ableh­nung gesto­ßen. Der Begriff der »inne­ren Emi­gra­ti­on«, den man bis­her für sie in Anwen­dung brach­te, wird hier neu erör­tert. In den ersten Jah­ren der NS-Zeit konn­ten sie ihre Wer­ke noch in Gale­rien und Kunst­ver­ei­nen aus­stel­len und finan­zi­ell eini­ger­ma­ßen zurecht­kom­men. Es bestand zunächst noch die Hoff­nung, den Expres­sio­nis­mus als nor­disch-deut­sches Gegen­mo­dell zum fran­zö­sisch inspi­rier­ten Impres­sio­nis­mus zu legi­ti­mie­ren. Doch dann wur­den ihre Wer­ke 1937 in der Aus­stel­lung »Ent­ar­te­te Kunst« an den Pran­ger gestellt. Wie die Künst­ler in den letz­ten Kriegs­jah­ren ihre Exi­stenz und ihr künst­le­ri­sches Werk sicher­ten, war indi­vi­du­ell sehr unter­schied­lich, ihre Ate­liers waren zer­stört, die Akti­ons­be­din­gun­gen aber weni­ger von den offi­zi­el­len Maß­ga­ben abhän­gig als von ihren per­sön­li­chen Ver­bin­dun­gen, Lebens- und Exi­stenz­be­din­gun­gen. Ihre Male­rei in der Nazi-Zeit kann man zwar nicht gera­de als »Wider­stands­kunst« bezeich­nen, aber doch als bewuss­ten Rück­zug aus der Öffent­lich­keit. Ihre Land­schafts­ma­le­rei als »Meta­pher des Wider­stands« zu benen­nen, dürf­te wohl nach wie vor sei­ne Berech­ti­gung haben, jeden­falls kann von einer Visua­li­sie­rung der NS-Sym­bo­lik kei­ne Rede sein.

Ernst Lud­wig Kirch­ner, Grün­dungs­mit­glied der Brücke, hat­te schon 1917 Deutsch­land ver­las­sen und sich in die Schweiz zurück­ge­zo­gen. Mag er auch anfangs eini­ge Hoff­nun­gen in die NS-Kunst­po­li­tik gesetzt haben, wur­de dann sei­ne Hal­tung dem NS-Regime – vor allem auch Emil Nol­de – gegen­über unmiss­ver­ständ­lich. Nach­dem 32 sei­ner Arbei­ten in der Aus­stel­lung »Ent­ar­te­te Kunst« aus­ge­stellt und er aus der Preu­ßi­schen Aka­de­mie der Kün­ste aus­ge­schlos­sen wor­den war, schrieb er im Febru­ar 1938 an sei­nen Bru­der: »Ich bin durch die deut­schen Ereig­nis­se tief erschüt­tert und doch bin ich stolz dar­auf, dass die brau­nen Bil­der­stür­mer auch mei­ne Wer­ke ver­fol­gen und ver­nich­ten. Ich wür­de es als Schmach emp­fin­den, von ihnen gedul­det zu wer­den.« Vier Mona­te spä­ter ging er in den Tod – aus Ver­zweif­lung über die gei­sti­ge und poli­ti­sche Ent­wick­lung in Deutsch­land, die Dif­fa­mie­rung sei­ner Kunst und sei­ne zuneh­men­de kör­per­li­che Schwäche.

Zwei Aus­stel­lun­gen also, die hef­ti­gen Dis­put aus­lö­sen und doch heil­sa­me Wahr­hei­ten vermitteln.


»Emil Nol­de – Eine deut­sche Legen­de. Der Künst­ler im Natio­nal­so­zia­lis­mus«, Ham­bur­ger Bahn­hof, Di-Fr 10-18, Do 10-20, Sa/​So 11-18 Uhr, bis 15. Sep­tem­ber, Kata­log 39 €. – »Flucht in die Bil­der? Die Künst­ler der ›Brücke‹ im Natio­nal­so­zia­lis­mus«, Brücke-Muse­um, Bus­sard­steig 9, Mi-Mo 11-17 Uhr. bis 11. August, Kata­log 29,90 €.