Ilse Aichingers Gedicht »Nachruf« bezieht sich auf die Legende vom Heiligen Martin, der einem Bettler die Hälfte seines Mantels gegeben haben soll. Es lautet:
»Gib mir den Mantel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.«
Der Bettler möchte mehr, als ihm der Heilige geben wollte. Einen solchen Nachruf möchte ich der Ex-Außenministerin mit auf den Weg geben, bevor sie in der Periode 2025/6 die UN-Generalversammlung leiten wird.
Baerbock hielt offenkundig in ihrer »feministischen Außenpolitik« die »klaren Ansagen« für einen gleichwertigen Ersatz für Diplomatie. So wie Trump die Zölle, liebte sie die Sanktionen und Embargos.
Statt die Jahrhunderte auf der Suche nach ernsthaft praktizierter feministischer Außenpolitik zu durchstreifen, will ich für diesen Nachruf ein Beispiel aus der griechischen Antike heranziehen: die Komödie »Lysistrata« des athenischen Dichters Aristophanes.
»Lysistrata« wurde im Jahr 411 v. u. Z. in Athen aufgeführt, zu einem Zeitpunkt, als sich dieser einst hegemoniale griechische Stadtstaat nach zwei Jahrzehnten des Krieges gegen Sparta in katastrophaler Lage fand. Dies galt zugleich für den Bereich der Innenpolitik: Im selben Jahr entmachteten in Athen Aristokraten die demokratische Regierung durch einen Putsch. Man könnte von einem »Rechtsruck« sprechen.
In dieser Situation nimmt die besagte Lysistrata, eine Frau aus dem Volke, die Dinge in die Hand, indem sie sich mit Athenerinnen und Frauen aus dem »Feindstaat« Sparta verbündet. Ihr Mittel, die Männer durch einen Sex-Streik zum Frieden zu zwingen, ist sicher nicht auf die Gegenwart übertragbar; auch zeigt sich in dem Stück, dass Lysistrata die Frauen nur mit harter Hand dazu bringen kann, das politische Programm zu realisieren. Als den Frauen bewusst wird, dass es Lysistrata mit ihrem Programm ernst ist, rufen einige: »Der Krieg soll weitergehen.« Der Widerstand ist also beträchtlich.
Dieser Teil der Handlung weist auf die Herkunft des antiken griechischen Theaters aus dem ausschweifenden Dionysos-Kult, der, wie in Euripides‘ »Bacchen« dargestellt, sogar staatsgefährdend wirken konnte. Andererseits gewährte es dem Publikum ein Ausmaß an Gedankenfreiheit, das heute nicht mehr selbstverständlich ist.
Doch abseits komödiantischer Fantasie ist durchaus ein politisches Programm der Lysistrata zu erkennen. Sie nimmt das militaristische Gehabe der Männer nicht ernst und sagt: »Jetzt laufen sie auf dem Markt bei den Töpfern und ebenso bei den Gemüsehändlern in Waffen herum, als ob sie Korybanten (Priester der Muttergottheit Kybele, die einen Waffentanz aufführen) wären.«
Mit den Sanktionen und Embargos sind sie und die anderen Frauen aus verschiedenen Gründen nicht einverstanden: Die Chorführerin der Frauen wirft dem Chorführer der Männer vor, dass sie keinen der begehrten Aale aus dem Nachbarstaat Böotien kaufen konnte, »weil du es so beschlossen hast«. Eine andere Folge der Handelsbeschränkungen ist noch viel wichtiger, soll der Sex-Streik der Frauen Aussicht auf Erfolg haben: Eine der Frauen klagt: »Seit die Milesier von uns abgefallen sind, habe ich nicht einmal einen 15-Zentimeter-Dildo gesehen.«
So werden die Sanktionsbeschlüsse der Männer kritisiert; dabei ist Athen im Krieg.
Der Althistoriker Victor Ehrenberg stellt in seinem Buch »Aristophanes und das Volk von Athen« (engl.: 1943/ deutsch: 1968) fest: »Seinerzeit bedeutete dieses Friedensstück (Lysistrata) kühnsten Defaitismus.« Heute ließe es sich auf Grund des weiblichen Blicks auf das Militär als Beispiel für eine feministische Außenpolitik bezeichnen.
In einer Szene stellt Lysistrata ihre »Theorie« bildlich dar, nachdem der Ratsherr – Vertreter der »Rechtsruck«-Regierung! – ihr vorgehalten hat: »Wie wollt nun ihr imstande sein, dem gewaltigen Durcheinander in den Ländern ein Ende zu machen und es aufzulösen?« Daraufhin nimmt Lysistrata ihm den Wollkorb ab, den ihm zuvor eine alte Frau in die Hand gegeben hatte, und sagt zu ihm: »Ganz einfach! Wie wir Wollgarn, wenn es uns durcheinandergeraten ist, so nehmen und sachte mit unseren Spindeln auseinanderziehen, das hierhin und das dorthin, so werden wir auch diesen Krieg auflösen (…).« Dieses Vorgehen wird in allen Einzelheiten parallel zum Umgang mit der Rohwolle ausgeführt.
Aristophanes‘ Stück geht gut aus: Die Spartanerin Lampito, die in ihre Heimatstadt zu Verhandlungen abgesandt worden war, kommt aus Sparta zurück, mit dem Ergebnis, dass ihre Landsleute dem Friedensschluss mit Athen zugestimmt haben. Das Stück endet mit gemeinsamem Gesang und Tanz.
In der Realität ging die Geschichte (nicht nur für Athen) leider schlecht aus: Zwar siegte Sparta über Athen, doch konnte es seine Hegemonie nicht lange aufrechterhalten.
Dies alles sei Frau Baerbock als Merkposten für ihre Aufgabe in der UNO mitgegeben. Ihr möge mit der Methode der Lysistrata besserer Erfolg zuteilwerden.