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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Baerbocks Außenpolitik

Ilse Aichin­gers Gedicht »Nach­ruf« bezieht sich auf die Legen­de vom Hei­li­gen Mar­tin, der einem Bett­ler die Hälf­te sei­nes Man­tels gege­ben haben soll. Es lautet:

»Gib mir den Man­tel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.«

Der Bett­ler möch­te mehr, als ihm der Hei­li­ge geben woll­te. Einen sol­chen Nach­ruf möch­te ich der Ex-Außen­mi­ni­ste­rin mit auf den Weg geben, bevor sie in der Peri­ode 2025/​6 die UN-Gene­ral­ver­samm­lung lei­ten wird.

Baer­bock hielt offen­kun­dig in ihrer »femi­ni­sti­schen Außen­po­li­tik« die »kla­ren Ansa­gen« für einen gleich­wer­ti­gen Ersatz für Diplo­ma­tie. So wie Trump die Zöl­le, lieb­te sie die Sank­tio­nen und Embargos.

Statt die Jahr­hun­der­te auf der Suche nach ernst­haft prak­ti­zier­ter femi­ni­sti­scher Außen­po­li­tik zu durch­strei­fen, will ich für die­sen Nach­ruf ein Bei­spiel aus der grie­chi­schen Anti­ke her­an­zie­hen: die Komö­die »Lysi­stra­ta« des athe­ni­schen Dich­ters Aristophanes.

»Lysi­stra­ta« wur­de im Jahr 411 v. u. Z. in Athen auf­ge­führt, zu einem Zeit­punkt, als sich die­ser einst hege­mo­nia­le grie­chi­sche Stadt­staat nach zwei Jahr­zehn­ten des Krie­ges gegen Spar­ta in kata­stro­pha­ler Lage fand. Dies galt zugleich für den Bereich der Innen­po­li­tik: Im sel­ben Jahr ent­mach­te­ten in Athen Ari­sto­kra­ten die demo­kra­ti­sche Regie­rung durch einen Putsch. Man könn­te von einem »Rechts­ruck« sprechen.

In die­ser Situa­ti­on nimmt die besag­te Lysi­stra­ta, eine Frau aus dem Vol­ke, die Din­ge in die Hand, indem sie sich mit Athe­ne­rin­nen und Frau­en aus dem »Feind­staat« Spar­ta ver­bün­det. Ihr Mit­tel, die Män­ner durch einen Sex-Streik zum Frie­den zu zwin­gen, ist sicher nicht auf die Gegen­wart über­trag­bar; auch zeigt sich in dem Stück, dass Lysi­stra­ta die Frau­en nur mit har­ter Hand dazu brin­gen kann, das poli­ti­sche Pro­gramm zu rea­li­sie­ren. Als den Frau­en bewusst wird, dass es Lysi­stra­ta mit ihrem Pro­gramm ernst ist, rufen eini­ge: »Der Krieg soll wei­ter­ge­hen.« Der Wider­stand ist also beträchtlich.

Die­ser Teil der Hand­lung weist auf die Her­kunft des anti­ken grie­chi­schen Thea­ters aus dem aus­schwei­fen­den Dio­ny­sos-Kult, der, wie in Euri­pi­des‘ »Bac­chen« dar­ge­stellt, sogar staats­ge­fähr­dend wir­ken konn­te. Ande­rer­seits gewähr­te es dem Publi­kum ein Aus­maß an Gedan­ken­frei­heit, das heu­te nicht mehr selbst­ver­ständ­lich ist.

Doch abseits komö­di­an­ti­scher Fan­ta­sie ist durch­aus ein poli­ti­sches Pro­gramm der Lysi­stra­ta zu erken­nen. Sie nimmt das mili­ta­ri­sti­sche Geha­be der Män­ner nicht ernst und sagt: »Jetzt lau­fen sie auf dem Markt bei den Töp­fern und eben­so bei den Gemü­se­händ­lern in Waf­fen her­um, als ob sie Kory­ban­ten (Prie­ster der Mut­ter­gott­heit Kybe­le, die einen Waf­fen­tanz auf­füh­ren) wären.«

Mit den Sank­tio­nen und Embar­gos sind sie und die ande­ren Frau­en aus ver­schie­de­nen Grün­den nicht ein­ver­stan­den: Die Chor­füh­re­rin der Frau­en wirft dem Chor­füh­rer der Män­ner vor, dass sie kei­nen der begehr­ten Aale aus dem Nach­bar­staat Böo­ti­en kau­fen konn­te, »weil du es so beschlos­sen hast«. Eine ande­re Fol­ge der Han­dels­be­schrän­kun­gen ist noch viel wich­ti­ger, soll der Sex-Streik der Frau­en Aus­sicht auf Erfolg haben: Eine der Frau­en klagt: »Seit die Mile­si­er von uns abge­fal­len sind, habe ich nicht ein­mal einen 15-Zen­ti­me­ter-Dil­do gesehen.«

So wer­den die Sank­ti­ons­be­schlüs­se der Män­ner kri­ti­siert; dabei ist Athen im Krieg.

Der Alt­hi­sto­ri­ker Vic­tor Ehren­berg stellt in sei­nem Buch »Ari­sto­pha­nes und das Volk von Athen« (engl.: 1943/​ deutsch: 1968) fest: »Sei­ner­zeit bedeu­te­te die­ses Frie­dens­stück (Lysi­stra­ta) kühn­sten Defai­tis­mus.« Heu­te lie­ße es sich auf Grund des weib­li­chen Blicks auf das Mili­tär als Bei­spiel für eine femi­ni­sti­sche Außen­po­li­tik bezeichnen.

In einer Sze­ne stellt Lysi­stra­ta ihre »Theo­rie« bild­lich dar, nach­dem der Rats­herr – Ver­tre­ter der »Rechtsruck«-Regierung! – ihr vor­ge­hal­ten hat: »Wie wollt nun ihr imstan­de sein, dem gewal­ti­gen Durch­ein­an­der in den Län­dern ein Ende zu machen und es auf­zu­lö­sen?« Dar­auf­hin nimmt Lysi­stra­ta ihm den Woll­korb ab, den ihm zuvor eine alte Frau in die Hand gege­ben hat­te, und sagt zu ihm: »Ganz ein­fach! Wie wir Woll­garn, wenn es uns durch­ein­an­der­ge­ra­ten ist, so neh­men und sach­te mit unse­ren Spin­deln aus­ein­an­der­zie­hen, das hier­hin und das dort­hin, so wer­den wir auch die­sen Krieg auf­lö­sen (…).« Die­ses Vor­ge­hen wird in allen Ein­zel­hei­ten par­al­lel zum Umgang mit der Roh­wol­le ausgeführt.

Ari­sto­pha­nes‘ Stück geht gut aus: Die Spar­ta­ne­rin Lam­pi­to, die in ihre Hei­mat­stadt zu Ver­hand­lun­gen abge­sandt wor­den war, kommt aus Spar­ta zurück, mit dem Ergeb­nis, dass ihre Lands­leu­te dem Frie­dens­schluss mit Athen zuge­stimmt haben. Das Stück endet mit gemein­sa­mem Gesang und Tanz.

In der Rea­li­tät ging die Geschich­te (nicht nur für Athen) lei­der schlecht aus: Zwar sieg­te Spar­ta über Athen, doch konn­te es sei­ne Hege­mo­nie nicht lan­ge aufrechterhalten.

Dies alles sei Frau Baer­bock als Merk­po­sten für ihre Auf­ga­be in der UNO mit­ge­ge­ben. Ihr möge mit der Metho­de der Lysi­stra­ta bes­se­rer Erfolg zuteilwerden.