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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Beitrag zum Personenkult

Lenin schlen­dert über den Lenin­platz. Den jet­zi­gen »Platz der Ver­ein­ten Natio­nen«. Da kichert selbst Lenin. Wel­che Natio­nen sym­bo­li­sie­ren die Stei­ne, die hier her­um­lie­gen? Als ob die­ser Platz Men­schen zuein­an­der brin­gen wür­de. Ohne sein Denk­mal wird er noch trost­lo­ser wir­ken, dach­te er, als er den Abtrans­port sei­nes Denk­mals beob­ach­te­te. Ist eine Wei­le her. Sie, sol­che Denk­mä­ler, sind nie hoch genug gebaut, um in den Him­mel flie­hen zu kön­nen. Die Typen da unten haben nicht kapiert, dass Denk­mä­ler den Blick der Macht trai­nie­ren sol­len: den Men­schen auf Augen­hö­he ausweichen.

Denk­mä­ler brin­gen den­noch nichts. Die damit erreicht wer­den sol­len, bemer­ken sie erst im Moment ihres Abris­ses. Er ver­such­te sich immer zu über­se­hen. Es macht kei­nen Spaß, täg­lich an die eige­nen Pro­ble­me erin­nert zu wer­den. Er stimm­te als Mit­glied der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung gegen sein Denk­mal, die Dis­kus­si­on ver­stand er nicht. Man­che begrei­fen rein gar nichts. Zwei Schrit­te vor­wärts, einen zurück – sein altes Prin­zip. Es kön­nen ja auch zwei zurück sein. Oder zwan­zig. Ver­zäh­len ist menschlich.

Wo vorn und hin­ten ist, dar­über kann man strei­ten. Man soll­te das fle­xi­bel sehen. Und das ewi­ge »man« muss er sich end­lich abge­wöh­nen, que­er ist nicht schwer. Wo er doch jeder Köchin schon früh das Regie­ren eines Staa­tes wünsch­te. Natür­lich hät­te er streng dar­auf geach­tet, wer unter die­sen Umstän­den Köchin wer­den darf. Eine Koch­show, als erster Preis das Regie­rungs­amt in einem klei­nen, für die­se Sen­dung unter Ver­wal­tung genom­me­nes Gebiet, zu einem extra Staat erklärt. Wer rebel­liert gegen eine Pro­mi aus den sozia­len Netz­wer­ken. Schätz­wer­ken. Wie wäre es mit einer Trans­for­ma­ti­on sei­ner sexu­el­len Iden­ti­tät? Haupt­sa­che, in Bewe­gung blei­ben. In die Zukunft blicken und gegen­warts­fä­hig wir­ken. Sich zu sei­nen Sün­den beken­nen, Ver­bre­chen nicht leug­nen, son­dern sei­ne Taten als Stra­fe sei­ner Taten deu­ten. Soll­te er reli­gi­ös wer­den? Rich­tig inten­siv Buße tun, jeden bestra­fen, der nicht mitzieht?

Lenin betrach­tet den Ort, an dem sein Denk­mal stand. Einer woll­te es als efeu­um­rank­te Rut­sche umwid­men. Wie heißt das Sprich­wort: Mir den Buckel run­ter­rut­schen? Wer küm­mert sich noch um Sprich­wor­te, seit es Sprech­ge­rä­te gibt?

Er trägt Son­nen­bril­le, ita­lie­ni­sches Design, sein Gesicht gebräunt (Kana­ri­sche Inseln). Inter­na­tio­na­li­sten waren sie schon immer. In sei­nem neu­en Job denkt er mul­ti­kul­tu­rell, glo­bal. Ver­mö­gens­an­la­ge­be­ra­ter, sehr lukra­tiv, ein wenig ris­kant, da er sich auf Kri­sen­re­gio­nen spe­zia­li­sier­te. Unglaub­lich chan­cen­reich, wenn er über ein paar noch vor­han­de­ne Con­nec­tions Kri­sen beein­flus­sen kann. Aus­lö­sen? Da wür­de er sanft kopf­schüt­telnd lächeln. Er soll­te sich beim Namen »Lenin« nicht mehr ange­spro­chen füh­len. Ninel, der Name rück­wärts, die ein­fach­sten Din­ge ent­schlüs­seln die Men­schen nie.

Er steht immer noch an dem Ort, an dem sein Denk­mal stand und setzt die Bril­le kurz ab. Ein­mal ver­klei­de­te er sich als Skin­head und ver­such­te, ande­re zum Demo­lie­ren der gro­ßen Pla­stik anzu­sta­cheln. Es kam kein Hass auf. Das äng­stigt Ninel damals schon. Wenn die Men­schen zu ver­nünf­tig und locker wür­den, gäbe es weder blu­ti­ge Revo­lu­tio­nen noch aus­rei­chend Kri­sen­ge­bie­te, um erfolg­reich tätig zu sein.

Soll er eine neue poli­ti­sche Kar­rie­re wagen? Ninel bedeckt sich wie­der mit sei­ner Bril­le und spürt, wie sein Blut­druck steigt. Sehr unge­sund. Alles läuft doch, poli­tisch schwankt er zwi­schen wert­kon­ser­va­tiv, Erneue­rer bei den Lin­ken und kon­se­quent erfolgs­ori­en­tiert. Ein Staat starb ab, wie von Marx vor­aus­ge­sagt, als Garant für die Schul­den wer­den sie noch gebraucht und als Krisenerzeuger.

Ninel lächelt, ihn und sei­nes­glei­chen hält kei­ner auf. Er schaut auf die Uhr, gera­de weil er die Zeit ohne­hin weiß. Weg vom Platz und auf zum näch­sten Termin.