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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Blatt vor dem Mund

In deut­schen Medi­en kann man durch­aus Kar­rie­re machen und viel Geld ver­die­nen. Der Groß­teil der Jour­na­li­sten ver­fügt jedoch eher über ein mitt­le­res oder gerin­ges Ein­kom­men. Eben­so wie der legen­dä­re Tel­ler­wä­scher, der zum Mil­lio­när wur­de, kommt der Auf­stieg vom Volon­tär zum Mil­lio­när eher sel­ten vor. Natür­lich gibt es Anne Will, die tat­säch­lich als Volon­tä­rin beim Span­dau­er Volks­blatt anfing und heu­te als Geschäfts­füh­re­rin der Will Media GmbH pro Jahr weit über eine Mil­li­on Euro Jah­res­über­schuss erzielt.

Der erste Schritt aus der jour­na­li­sti­schen Mise­re ist die Fest­an­stel­lung. Schon dar­an schei­tern vie­le. Sie dür­fen sich zwar »freie Jour­na­li­sten« nen­nen, müs­sen aber häu­fig um Auf­trä­ge und Hono­ra­re kämp­fen. Seit 2008 setzt sich der Berufs­ver­band Frei­schrei­ber e.V. mit mäßi­gem Erfolg für die Inter­es­sen die­ses jour­na­li­sti­schen Fuß­volks ein. Wer am Monats­en­de froh ist, die Mie­te bezah­len zu kön­nen, hat es mit­un­ter schwer, sich der Selbst­ver­pflich­tung des Ver­eins zu unter­wer­fen: »Ich ver­pflich­te mich zur Wah­rung der jour­na­li­sti­schen Unab­hän­gig­keit. Ich lege Abhän­gig­kei­ten und Inter­es­sen­ver­pflich­tun­gen offen. Ich lan­cie­re kei­ne als Jour­na­lis­mus getarn­ten PR-Beiträge.«

Ein zuneh­mend heik­les Ter­rain ist der poli­ti­sche Jour­na­lis­mus. Vie­le dies­be­züg­lich ambi­tio­nier­ten Jung­jour­na­li­sten haben resi­gniert und sich in siche­ren Nischen ein­ge­rich­tet: Sport, Kul­tur, Fach­pu­bli­ka­tio­nen oder gleich die »freie« Wirt­schaft. Wer als es poli­ti­scher Jour­na­list tat­säch­lich schafft, eine feste Anstel­lung zu bekom­men, hat die erste Spros­se auf der Kar­rie­re­lei­ter erreicht. Hilf­reich dafür sind ent­spre­chen­de Netz­wer­ke, gern auf euro­päi­scher oder trans­at­lan­ti­scher Ebe­ne. Als frisch­ge­backe­ner Redak­teur hat man immer noch einen fra­gi­len Sta­tus, wes­halb Oppor­tu­nis­mus und Anpas­sung wich­tig sind. Man braucht ein Gespür für das, was die Redak­ti­ons­lei­tung als oppor­tun ansieht. Nicht jedes Medi­um hat Sta­tu­ten wie bei Axel Sprin­ger, wo die Freund­schaft zu den USA und Isra­el fest­ge­schrie­ben ist. Oft­mals sind die »no-gos« viel sub­ti­ler, und sie kön­nen sich auch ändern. Der Mei­nungs­kor­ri­dor, soviel steht fest, wird enger. Mit der Coro­na­kri­se wur­de die Mei­nungs­frei­heit hei­kel, wer Maß­nah­men kri­ti­sier­te oder in Fra­ge stell­te, wur­de schnell zum Schwurb­ler erklärt. Selbst pro­mi­nen­ten Schau­spie­lern, die sich an einem sati­ri­schen Auf­ruf betei­ligt hat­ten (»alles dicht machen«), wur­de mit beruf­li­chen Nach­tei­len gedroht, eini­ge knick­ten ein.

Als der Ukrai­ne­krieg aus­brach, wur­de Russ­land zum Feind­staat erklärt, mit allen Kon­se­quen­zen. Es begann ein tota­ler Medi­en­krieg, der sich gegen alles rich­te­te, was rus­sisch ist, selbst Anna Netreb­ko wur­de aus­ge­la­den. Es war nicht rat­sam, die Situa­ti­on mit der Kuba­kri­se zu ver­glei­chen oder die Ost­erwei­te­rung der Nato zu kri­ti­sie­ren. Russ­land­kor­re­spon­den­ten wie Sabi­ne Adler, einst Gesprächs­part­ne­rin von Wla­di­mir Putin, schlug sich aus Mos­kau nach Kiew durch und ist heu­te geschätz­te Ost­eu­ro­pa-Exper­tin der ARD. Ihre Kol­le­gin Gabrie­le Kro­ne-Schmalz, die den Kon­flikt dif­fe­ren­zier­ter sah, wur­de zur Per­so­na non gra­ta und ver­schwand von den Bildschirmen.

Mei­nungs­frei­heit ist ein hohes Gut, man muss sie sich aber lei­sten kön­nen. In Deutsch­land wird nie­mand wegen sei­ner Mei­nung ein­ge­sperrt, aber ein Jour­na­list, der kei­ne Auf­trä­ge mehr bekommt, rutscht leicht ins Pre­ka­ri­at ab, wenn er nicht über ande­re Res­sour­cen ver­fügt. Aber auch im nicht­jour­na­li­sti­schen Bereich scheint die »Degra­die­rung« wegen unbot­mä­ßi­ger Aus­sa­gen Schu­le zu machen. Im Früh­jahr wur­de Mela­nie Schwei­zer, Refe­ren­tin im Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Arbeit und Sozia­les, nicht nur frist­los ent­las­sen, es wur­de ihr auch der Beam­ten­sta­tus ent­zo­gen. Die Bild-Zei­tung hat­te ange­pran­gert, dass sie auf ihrem pri­va­ten X-Account Isra­el wegen völ­ker­rechts­wid­ri­gem Vor­ge­hen in den besetz­ten Gebie­ten kri­ti­siert hatte.

Wer in den Medi­en reüs­sie­ren will, soll­te sich bei­zei­ten anpas­sen und ein Gespür dafür ent­wickeln, was der Main­stream gou­tiert. Chri­stoph Hei­ne­mann, Mode­ra­tor beim Deutsch­land­funk, spricht vom rus­si­schen Staats­chef gern als dem »mut­maß­li­chen Kriegs­ver­bre­cher Wla­di­mir Putin«. Sei­ne Kol­le­gen haben sich dazu noch nicht hin­rei­ßen lassen.

Über­haupt ist die jour­na­li­stisch gebo­te­ne Tren­nung von Nach­richt und Mei­nung weit­ge­hend obso­let gewor­den. Bei Inter­views lässt man gern durch­blicken, dass man auf der »rich­ti­gen« Sei­te steht. Bei miss­lie­bi­gen Gesprächs­part­nern gleicht das Inter­view oft einem Ver­hör, da wird auch schon mal das Wort abge­schnit­ten und »rich­tig­ge­stellt«. Geneh­men Gästen wie dem ukrai­ni­schen Bot­schaf­ter wird dage­gen gern und oft unein­ge­schränk­te Rede­frei­heit zuge­bil­ligt. Als der DLF es wag­te, den rus­si­schen Bot­schaf­ter zu inter­view­en, ging ein Sturm der Ent­rü­stung durch die Medi­en. Dabei hat­te Redak­teur Moritz Küp­per wohl­weis­lich vor­ab Abtei­lungs­lei­tung, Chef­re­dak­ti­on sowie die Pro­gramm­di­rek­ti­on über sein küh­nes Vor­ha­ben informiert.

Es war wohl ein ein­ma­li­ger Aus­rut­scher. Letz­ten Som­mer schien es einen Licht­blick zu geben: Der palä­sti­nen­si­sche Ver­tre­ter in Deutsch­land wur­de inter­viewt. Aber der Sen­der hat­te wohl ein mul­mi­ges Gefühl, wes­halb gleich nach Ende des Gesprächs der DLF-Kor­re­spon­dent aus Isra­el zuge­schal­tet wur­de und die Aus­sa­gen des Palä­sti­nen­sers aus­führ­lich, Punkt für Punkt, kom­men­tie­ren und wider­le­gen durf­te. Die Welt war wie­der in Ord­nung. (Man stel­le sich vor, ein palä­sti­nen­si­scher Jour­na­list bekä­me die Gele­gen­heit, die Aus­sa­gen des israe­li­schen Bot­schaf­ters zu kommentieren).

Die chi­ne­si­sche Jour­na­li­stin Danhong Zhang kam 1988 nach Deutsch­land, 1990 fing sie bei der Chi­nare­dak­ti­on der Deut­schen Wel­le an, spä­ter wur­de sie stell­ver­tre­ten­de Abtei­lungs­lei­te­rin. 2008 ging ihre Kar­rie­re abrupt zu ende. Ihr Faux­pas: Sie hat­te wäh­rend einer Sen­dung auf die Fra­ge nach den Men­schen­rech­ten in Chi­na geant­wor­tet, immer­hin sei es Chi­na gelun­gen, 400 Mil­lio­nen Men­schen aus der Armut zu holen. Das sei auch ein Bei­trag für Men­schen­rech­te, denn das Recht auf Leben sei auch ein Men­schen­recht. Die dar­auf­fol­gen­de Medi­en­kam­pa­gne koste­te sie ihre lei­ten­de Funk­ti­on, selbst die Unter­stüt­zung von Sino­lo­gen und ein Gut­ach­ten von Ulrich Wickert konn­ten das nicht ver­hin­dern. Danhong Zhang lebt heu­te wie­der in China.

Irgend­wer hat mal gesagt, wenn man weiß, wer der Feind ist, hat der Tag Struk­tur. Die mei­sten Jour­na­li­sten haben das ver­in­ner­licht und leben dabei nicht schlecht. Kri­tik an Ame­ri­ka und Isra­el ist ein hei­ßes Eisen, das man lie­ber nicht anfasst, solan­ge man kei­ne Rücken­deckung aus der Poli­tik hat. Über Trump darf man sich mokie­ren, aber über­trei­ben soll­te man nicht. Vor­sich­ti­ge Zwei­fel am Vor­ge­hen Isra­els in Gaza sind erlaubt. Bei hoch­be­zahl­ten Pro­fis wie Karen Mios­ga oder Mar­kus Lanz kann man sich dar­auf ver­las­sen, dass sie die rich­ti­gen Fra­gen stel­len und auch sonst nicht aus der Rol­le fal­len. Womit wir wie­der bei Anne Will wären. Mit ihrem enthu­sia­sti­schen Bei­trag über die Bun­des­wehr (Angst vor Krieg?) hat sie ein gelun­ge­nes Bei­spiel für »embedded jou­na­lism« abge­lie­fert. Sie beglei­tet einen 16-jäh­ri­gen, der ein »Schnup­per­prak­ti­kum« bei der Trup­pe ablegt, besucht einen Mari­ne­stütz­punkt und spricht in Litau­en an der Gren­ze zu Russ­land mit Offi­zie­ren, im Hin­ter­grund eine Brücke Rich­tung Kali­nin­grad, die schon zur Spren­gung vor­be­rei­tet ist – für den Ernst­fall. So sehen Kar­rie­ren aus.