In deutschen Medien kann man durchaus Karriere machen und viel Geld verdienen. Der Großteil der Journalisten verfügt jedoch eher über ein mittleres oder geringes Einkommen. Ebenso wie der legendäre Tellerwäscher, der zum Millionär wurde, kommt der Aufstieg vom Volontär zum Millionär eher selten vor. Natürlich gibt es Anne Will, die tatsächlich als Volontärin beim Spandauer Volksblatt anfing und heute als Geschäftsführerin der Will Media GmbH pro Jahr weit über eine Million Euro Jahresüberschuss erzielt.
Der erste Schritt aus der journalistischen Misere ist die Festanstellung. Schon daran scheitern viele. Sie dürfen sich zwar »freie Journalisten« nennen, müssen aber häufig um Aufträge und Honorare kämpfen. Seit 2008 setzt sich der Berufsverband Freischreiber e.V. mit mäßigem Erfolg für die Interessen dieses journalistischen Fußvolks ein. Wer am Monatsende froh ist, die Miete bezahlen zu können, hat es mitunter schwer, sich der Selbstverpflichtung des Vereins zu unterwerfen: »Ich verpflichte mich zur Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit. Ich lege Abhängigkeiten und Interessenverpflichtungen offen. Ich lanciere keine als Journalismus getarnten PR-Beiträge.«
Ein zunehmend heikles Terrain ist der politische Journalismus. Viele diesbezüglich ambitionierten Jungjournalisten haben resigniert und sich in sicheren Nischen eingerichtet: Sport, Kultur, Fachpublikationen oder gleich die »freie« Wirtschaft. Wer als es politischer Journalist tatsächlich schafft, eine feste Anstellung zu bekommen, hat die erste Sprosse auf der Karriereleiter erreicht. Hilfreich dafür sind entsprechende Netzwerke, gern auf europäischer oder transatlantischer Ebene. Als frischgebackener Redakteur hat man immer noch einen fragilen Status, weshalb Opportunismus und Anpassung wichtig sind. Man braucht ein Gespür für das, was die Redaktionsleitung als opportun ansieht. Nicht jedes Medium hat Statuten wie bei Axel Springer, wo die Freundschaft zu den USA und Israel festgeschrieben ist. Oftmals sind die »no-gos« viel subtiler, und sie können sich auch ändern. Der Meinungskorridor, soviel steht fest, wird enger. Mit der Coronakrise wurde die Meinungsfreiheit heikel, wer Maßnahmen kritisierte oder in Frage stellte, wurde schnell zum Schwurbler erklärt. Selbst prominenten Schauspielern, die sich an einem satirischen Aufruf beteiligt hatten (»alles dicht machen«), wurde mit beruflichen Nachteilen gedroht, einige knickten ein.
Als der Ukrainekrieg ausbrach, wurde Russland zum Feindstaat erklärt, mit allen Konsequenzen. Es begann ein totaler Medienkrieg, der sich gegen alles richtete, was russisch ist, selbst Anna Netrebko wurde ausgeladen. Es war nicht ratsam, die Situation mit der Kubakrise zu vergleichen oder die Osterweiterung der Nato zu kritisieren. Russlandkorrespondenten wie Sabine Adler, einst Gesprächspartnerin von Wladimir Putin, schlug sich aus Moskau nach Kiew durch und ist heute geschätzte Osteuropa-Expertin der ARD. Ihre Kollegin Gabriele Krone-Schmalz, die den Konflikt differenzierter sah, wurde zur Persona non grata und verschwand von den Bildschirmen.
Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, man muss sie sich aber leisten können. In Deutschland wird niemand wegen seiner Meinung eingesperrt, aber ein Journalist, der keine Aufträge mehr bekommt, rutscht leicht ins Prekariat ab, wenn er nicht über andere Ressourcen verfügt. Aber auch im nichtjournalistischen Bereich scheint die »Degradierung« wegen unbotmäßiger Aussagen Schule zu machen. Im Frühjahr wurde Melanie Schweizer, Referentin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nicht nur fristlos entlassen, es wurde ihr auch der Beamtenstatus entzogen. Die Bild-Zeitung hatte angeprangert, dass sie auf ihrem privaten X-Account Israel wegen völkerrechtswidrigem Vorgehen in den besetzten Gebieten kritisiert hatte.
Wer in den Medien reüssieren will, sollte sich beizeiten anpassen und ein Gespür dafür entwickeln, was der Mainstream goutiert. Christoph Heinemann, Moderator beim Deutschlandfunk, spricht vom russischen Staatschef gern als dem »mutmaßlichen Kriegsverbrecher Wladimir Putin«. Seine Kollegen haben sich dazu noch nicht hinreißen lassen.
Überhaupt ist die journalistisch gebotene Trennung von Nachricht und Meinung weitgehend obsolet geworden. Bei Interviews lässt man gern durchblicken, dass man auf der »richtigen« Seite steht. Bei missliebigen Gesprächspartnern gleicht das Interview oft einem Verhör, da wird auch schon mal das Wort abgeschnitten und »richtiggestellt«. Genehmen Gästen wie dem ukrainischen Botschafter wird dagegen gern und oft uneingeschränkte Redefreiheit zugebilligt. Als der DLF es wagte, den russischen Botschafter zu interviewen, ging ein Sturm der Entrüstung durch die Medien. Dabei hatte Redakteur Moritz Küpper wohlweislich vorab Abteilungsleitung, Chefredaktion sowie die Programmdirektion über sein kühnes Vorhaben informiert.
Es war wohl ein einmaliger Ausrutscher. Letzten Sommer schien es einen Lichtblick zu geben: Der palästinensische Vertreter in Deutschland wurde interviewt. Aber der Sender hatte wohl ein mulmiges Gefühl, weshalb gleich nach Ende des Gesprächs der DLF-Korrespondent aus Israel zugeschaltet wurde und die Aussagen des Palästinensers ausführlich, Punkt für Punkt, kommentieren und widerlegen durfte. Die Welt war wieder in Ordnung. (Man stelle sich vor, ein palästinensischer Journalist bekäme die Gelegenheit, die Aussagen des israelischen Botschafters zu kommentieren).
Die chinesische Journalistin Danhong Zhang kam 1988 nach Deutschland, 1990 fing sie bei der Chinaredaktion der Deutschen Welle an, später wurde sie stellvertretende Abteilungsleiterin. 2008 ging ihre Karriere abrupt zu ende. Ihr Fauxpas: Sie hatte während einer Sendung auf die Frage nach den Menschenrechten in China geantwortet, immerhin sei es China gelungen, 400 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Das sei auch ein Beitrag für Menschenrechte, denn das Recht auf Leben sei auch ein Menschenrecht. Die darauffolgende Medienkampagne kostete sie ihre leitende Funktion, selbst die Unterstützung von Sinologen und ein Gutachten von Ulrich Wickert konnten das nicht verhindern. Danhong Zhang lebt heute wieder in China.
Irgendwer hat mal gesagt, wenn man weiß, wer der Feind ist, hat der Tag Struktur. Die meisten Journalisten haben das verinnerlicht und leben dabei nicht schlecht. Kritik an Amerika und Israel ist ein heißes Eisen, das man lieber nicht anfasst, solange man keine Rückendeckung aus der Politik hat. Über Trump darf man sich mokieren, aber übertreiben sollte man nicht. Vorsichtige Zweifel am Vorgehen Israels in Gaza sind erlaubt. Bei hochbezahlten Profis wie Karen Miosga oder Markus Lanz kann man sich darauf verlassen, dass sie die richtigen Fragen stellen und auch sonst nicht aus der Rolle fallen. Womit wir wieder bei Anne Will wären. Mit ihrem enthusiastischen Beitrag über die Bundeswehr (Angst vor Krieg?) hat sie ein gelungenes Beispiel für »embedded jounalism« abgeliefert. Sie begleitet einen 16-jährigen, der ein »Schnupperpraktikum« bei der Truppe ablegt, besucht einen Marinestützpunkt und spricht in Litauen an der Grenze zu Russland mit Offizieren, im Hintergrund eine Brücke Richtung Kaliningrad, die schon zur Sprengung vorbereitet ist – für den Ernstfall. So sehen Karrieren aus.