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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Care-Arbeit mit dem Gewehr?

Im begin­nen­den Herbst gibt es so man­ches Natur­spek­ta­kel zu bestau­nen: Blät­ter wer­den bunt, Bäu­me kahl und Jäger fromm. In katho­li­schen Huber­tus­mes­sen zele­briert man die kurz­zei­ti­ge Sym­bio­se von Jäger­schaft und Reli­gi­on ihrem Sel­ten­heits­wert ent­spre­chend schrill. Dröh­nen­de Blas­mu­sik, feder­ge­schmück­te Trach­ten und vor dem Altar aus­ge­brei­te­te Tier­kör­per sind hier zumeist obligat.

Von Nicht-Jägern wer­den Ver­an­stal­tun­gen die­ses For­mats häu­fig belä­chelt – als bedürf­nis­ori­en­tier­te Seel­sor­ge, als befremd­li­che Sakral-Folk­lo­re oder als reli­gi­ös-ver­bräm­te Legi­ti­ma­ti­on eines gewalt­a­ffi­nen Hob­bies. Man unter­schätzt damit aller­dings, dass es sich bei der Huber­tus­mes­se um eine hoch­funk­tio­na­le und durch­aus moder­ne Ange­le­gen­heit han­delt – für Reli­giö­se und Jäger gleichermaßen.

Theo­lo­gisch lässt sich das, was in den Huber­tus­mes­sen pas­siert, mit einem Begriff der frü­hen Dog­men­ge­schich­te rekon­stru­ie­ren, der auf­zei­gen soll­te, was pas­sie­ren kann, wenn zwei eigent­lich klar sepa­rier­te Berei­che der Wirk­lich­keit in Per­so­nal­uni­on zusam­men­fin­den. Die »Idio­men­kom­mu­ni­ka­ti­on«, also einen Tausch von Eigen­tüm­lich­kei­ten oder Eigen­schaf­ten, hat man etwa in der Begeg­nung der zwei Natu­ren Chri­sti aus­ge­macht: Gott und Mensch neh­men hier jeweils Anteil anein­an­der und tau­schen ihre Eigen­schaf­ten wech­sel­sei­tig, so die dog­ma­ti­sche Überzeugung.

In der Moder­ne wur­de die­se For­mel häu­fig aus ihrem ursprüng­li­chen Kon­text gelöst. Man kann sie daher durch­aus mit ana­ly­ti­schem Gewinn auf ande­re Sze­ne­rien über­tra­gen – auch auf die Huber­tus­mes­se. Die­se Mes­se ist dem­nach nicht nur ein Trans­la­ti­ons­rie­men, der Jagd und reli­giö­sen Kult jeweils inein­an­der über­setz­bar macht, son­dern sie ermög­licht einen regel­rech­ten Eigen­schafts­tausch. Die Kir­che erhält Anteil an jenen Eigen­schaf­ten, die man ihr jahr­hun­der­te­lang abge­spro­chen hat – einem pla­ka­tiv-behaup­te­ten natur­ver­bun­de­nen Umwelt­schutz. Und die Jäger­schaft pro­fi­tiert umge­kehrt von den ideel­len Res­sour­cen der Reli­gi­on; sie erhält Anteil am Leit­mo­tiv der Kle­ri­ker als für­sorg­li­che Hir­ten der eige­nen Herde.

Die Fol­gen die­ser Idio­men­kom­mu­ni­ka­ti­on kann man in den Äuße­run­gen von Jägern beob­ach­ten. Die Jagd auf Tie­re, ihre gewalt­sa­me, mit Leid, Qual und pani­scher Angst ver­bun­de­ne Ver­fol­gung und Tötung prä­sen­tiert sich dort auf­fal­lend häu­fig als eine Art von Care, also von Pfle­ge- und Sor­ge­ar­beit. Der schieß­be­rei­te Schüt­ze geriert sich als zuge­wand­ter Schüt­zer und Beschüt­zer, gar als Freund der Tie­re – er zehrt in sei­nen Selbst­be­schrei­bun­gen also von der sym­bo­li­schen Sinn­quel­le, die ihm (zwei­fels­oh­ne nicht nur, aber viel­leicht vor­ran­gig) von reli­giö­ser Sei­te eröff­net wird.

Sowohl der von Jägern rou­ti­ne­mä­ßig vor­ge­brach­te Hin­weis, dass neu­er­dings ver­mehrt Frau­en zur Jagd gin­gen, wie auch ihre Ableh­nung der unper­sön­lich und maschi­nell töten­den Tier­in­du­strie hat unmit­tel­bar mit die­sem Sche­ma zu tun. Die von Jägern prä­fe­rier­te Gewalt wird in eine Form ein­ge­passt, die das Töten von Tie­ren als eine Art von höchst­per­sön­li­cher Zuwen­dung deu­tet. Im Letz­ten rekur­riert die­se Deu­tung auf die Logik und Spra­che von Sexu­al­straf­tä­tern: Hier wie dort wird gegen den offen­sicht­li­chen Erweis des Gegen­teils behaup­tet, dass dem Opfer durch die zuge­füg­te Gewalt eigent­lich doch etwas Gutes getan wür­de – das natur­ge­mäß ein wenig zurück­ge­blie­be­ne Opfer wis­se dies bloß im Moment noch nicht so recht zu schätzen.

Ganz auf die­ser Linie fin­det sich in der Jäger­schaft dem­nach auch immer mal wie­der die Argu­men­ta­ti­on, dass die Jagd den Tie­ren einen qual­vol­len natür­li­chen Tod erspa­re. Man stel­le sich nur vor, jemand käme auf die Idee, die­se Rhe­to­rik im mensch­li­chen Mit­ein­an­der anzu­wen­den – etwa den eige­nen Nach­barn kurz und schmerz­los zu erschie­ßen und sich dann dadurch aus der Affä­re zie­hen zu wol­len, dass man behaup­tet: Naja, frü­her oder spä­ter wäre er ja sowie­so gestor­ben, und viel­leicht ja sogar wesent­lich qual­vol­ler; eigent­lich habe man ihm also einen Gefal­len erwiesen?!

Der Ver­such, die Deu­tungs­ho­heit über das eige­ne Tun durch eine der­art schrä­ge Umdeu­tung zurück­zu­ge­win­nen, funk­tio­niert erschreckend gut: Mit dem denk­bar bana­len Bluff, Gewalt als Care-Arbeit zu ver­kau­fen, gewinnt die Jäger­schaft gesell­schaft­lich an Ansehen.

Man kann daher kaum über­schät­zen, wie erfolg­reich die­se Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie ist – in der Jagd und auch dar­über hin­aus. In einer Pho­ne-In-Sen­dung zum The­ma Tier­schutz und Fleisch im DLF, an der ich selbst vor eini­ger Zeit als Gast teil­ge­nom­men habe, mel­de­te sich ein Schaf­hal­ter tele­fo­nisch zu Wort. Sei­ne tier­schüt­ze­ri­schen Ambi­tio­nen woll­te er mit dem Hin­weis bele­gen, dass er immer bei sei­nen Scha­fen sei und sie sogar, wie er sich aus­drück­te, »beim Ster­ben beglei­ten« wür­de. Weni­ge Sät­ze spä­ter war dann klar, dass mit dem Hin­weis auf die­se auf­op­fe­rungs­vol­le »Ster­be­be­glei­tung« wenig ande­res als der Umstand gemeint war, dass er die Tie­re selbst schlachtet.

Die Sug­ge­sti­on, dass töten­de Gewalt eine Form der per­sön­li­chen Zuwen­dung und Sor­ge dar­stellt, prägt die Dis­kurs­land­schaft rund um das The­ma Jagd. Sie bil­det die zur­zeit viel­leicht pro­mi­nen­te­ste Legi­ti­ma­ti­ons­for­mel, die Men­schen mit dem gewohn­heits­mä­ßi­gen Töten der Jäger­schaft ver­söh­nen soll. Wer sich den­noch schwer damit tut, die jähr­li­che Tötung von rund 1,5 Mil­lio­nen Tie­ren als eine gro­ße Cha­ri­ty-Par­ty anzu­er­ken­nen, dem ent­geg­nen Jäger gern, dass sie doch immer­hin enor­me Zeit in die soge­nann­te Hege inve­stier­ten. Wie sehr ihr Ver­ständ­nis von Hege dabei von hege­mo­nia­len Über­zeu­gun­gen durch­zo­gen ist, bemer­ken sie in der Regel eher sel­ten. Die­se hege­mo­nia­le Sei­te zeigt sich aber bereits dar­in, dass Jäger die Tie­re im Win­ter vor­ran­gig des­we­gen füt­tern, weil sie so für das näch­ste Jahr aus­rei­chend orts­fe­stes Wild zum Abschuss vorfinden.

Es sind aber nicht nur der­art schlich­te Zweck­ra­tio­na­li­tä­ten, die die ver­meint­lich selbst­lo­se Care-Arbeit der Jäger­schaft ent­lar­ven – noch gra­vie­ren­der ist, dass die Rede von der sor­gen­vol­len Pfle­ge einem rechts­li­ber­tä­ren Phan­tas­ma folgt, das sug­ge­riert: Indem man sich um ande­re küm­mert, gewinnt man die Ver­fü­gungs­ge­walt über das frem­de Leben. Der Jäger pflegt, um legi­tim zer­stö­ren und töten zu kön­nen; sein Ver­ständ­nis von Für­sor­ge und Pfle­ge folgt dem Bedürf­nis, sich das Gegen­über voll­stän­dig zu eigen zu machen. Bis in das moder­ne Recht hin­ein gilt das Wild schließ­lich des­we­gen als Wild, weil es »her­ren­los« und der Aneig­nung dem­entspre­chend frei­ge­ge­ben ist. Man muss die­se schie­fe Über­zeu­gung nicht erst auf unser Sozi­al­le­ben über­tra­gen, um zu begrei­fen, wie ver­quer sie ist. Der jäge­ri­schen Logik tut dies gleich­wohl kei­nen Abbruch: Vor weni­gen Jah­ren etwa droh­te der Lan­des­jagd­ver­band Hes­sen im Stil eines trot­zi­gen Drei­jäh­ri­gen damit, die Hege ein­zu­stel­len, soll­te die ent­spre­chen­de Tier­art nicht mehr getö­tet wer­den dürfen.

Die pfle­gen­de Zuwen­dung gegen­über ande­ren erle­ben wir in der Regel als einen Zweck an sich. Der Ande­re ist dabei stets nor­ma­ti­ver Maß­stab aller Care-Bemü­hun­gen. In den Rhe­to­ri­ken von Sor­ge, Hege und Pfle­ge, wie sie im Kon­text der Jagd vor­ge­bracht wer­den, drückt sich völ­lig kon­trär dazu eine instru­men­tel­le Logik aus, die nicht nur die fata­le Ver­schrän­kung der Jagd mit dem Eigentum(srecht) als sol­chem, son­dern auch mit jenen neo­li­be­ra­len Zer­trüm­me­rungs­ge­sten belegt, die als ulti­ma­ti­ves Frei­heits­er­le­ben dar­ge­stellt wer­den: Nur dann, wenn der Jäger das geheg­te Objekt der Begier­de final töten und zer­stö­ren kann, bewahr­hei­tet sich, was Jagd-Maga­zi­ne und -Ver­bän­de als beson­de­res Frei­heits­er­leb­nis in der wil­den Natur beschwören.

Erst die Zer­stö­rung des Ande­ren beweist die Frei­heit des Jägers – denn nur dann, wenn das Gegen­über lei­det und stirbt, kann er sich wirk­lich voll­kom­men sicher sein, hier sei­ne eige­ne Frei­heit am Werk zu sehen: Sei­nen Tod näm­lich kann das Tier nie­mals selbst gewollt haben, er muss also zwangs­läu­fig auf den Jäger und des­sen Agie­ren zurück­zu­füh­ren sein. Für die­ses pre­kä­re Frei­heits­er­le­ben sind Jäger dann in der Tat bereit, eine gan­ze Men­ge an Hege zu lei­sten – mit tat­säch­li­cher Für­sor­ge und Zuge­wandt­heit soll­te man die­se aller­dings nicht verwechseln.