Im beginnenden Herbst gibt es so manches Naturspektakel zu bestaunen: Blätter werden bunt, Bäume kahl und Jäger fromm. In katholischen Hubertusmessen zelebriert man die kurzzeitige Symbiose von Jägerschaft und Religion ihrem Seltenheitswert entsprechend schrill. Dröhnende Blasmusik, federgeschmückte Trachten und vor dem Altar ausgebreitete Tierkörper sind hier zumeist obligat.
Von Nicht-Jägern werden Veranstaltungen dieses Formats häufig belächelt – als bedürfnisorientierte Seelsorge, als befremdliche Sakral-Folklore oder als religiös-verbrämte Legitimation eines gewaltaffinen Hobbies. Man unterschätzt damit allerdings, dass es sich bei der Hubertusmesse um eine hochfunktionale und durchaus moderne Angelegenheit handelt – für Religiöse und Jäger gleichermaßen.
Theologisch lässt sich das, was in den Hubertusmessen passiert, mit einem Begriff der frühen Dogmengeschichte rekonstruieren, der aufzeigen sollte, was passieren kann, wenn zwei eigentlich klar separierte Bereiche der Wirklichkeit in Personalunion zusammenfinden. Die »Idiomenkommunikation«, also einen Tausch von Eigentümlichkeiten oder Eigenschaften, hat man etwa in der Begegnung der zwei Naturen Christi ausgemacht: Gott und Mensch nehmen hier jeweils Anteil aneinander und tauschen ihre Eigenschaften wechselseitig, so die dogmatische Überzeugung.
In der Moderne wurde diese Formel häufig aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst. Man kann sie daher durchaus mit analytischem Gewinn auf andere Szenerien übertragen – auch auf die Hubertusmesse. Diese Messe ist demnach nicht nur ein Translationsriemen, der Jagd und religiösen Kult jeweils ineinander übersetzbar macht, sondern sie ermöglicht einen regelrechten Eigenschaftstausch. Die Kirche erhält Anteil an jenen Eigenschaften, die man ihr jahrhundertelang abgesprochen hat – einem plakativ-behaupteten naturverbundenen Umweltschutz. Und die Jägerschaft profitiert umgekehrt von den ideellen Ressourcen der Religion; sie erhält Anteil am Leitmotiv der Kleriker als fürsorgliche Hirten der eigenen Herde.
Die Folgen dieser Idiomenkommunikation kann man in den Äußerungen von Jägern beobachten. Die Jagd auf Tiere, ihre gewaltsame, mit Leid, Qual und panischer Angst verbundene Verfolgung und Tötung präsentiert sich dort auffallend häufig als eine Art von Care, also von Pflege- und Sorgearbeit. Der schießbereite Schütze geriert sich als zugewandter Schützer und Beschützer, gar als Freund der Tiere – er zehrt in seinen Selbstbeschreibungen also von der symbolischen Sinnquelle, die ihm (zweifelsohne nicht nur, aber vielleicht vorrangig) von religiöser Seite eröffnet wird.
Sowohl der von Jägern routinemäßig vorgebrachte Hinweis, dass neuerdings vermehrt Frauen zur Jagd gingen, wie auch ihre Ablehnung der unpersönlich und maschinell tötenden Tierindustrie hat unmittelbar mit diesem Schema zu tun. Die von Jägern präferierte Gewalt wird in eine Form eingepasst, die das Töten von Tieren als eine Art von höchstpersönlicher Zuwendung deutet. Im Letzten rekurriert diese Deutung auf die Logik und Sprache von Sexualstraftätern: Hier wie dort wird gegen den offensichtlichen Erweis des Gegenteils behauptet, dass dem Opfer durch die zugefügte Gewalt eigentlich doch etwas Gutes getan würde – das naturgemäß ein wenig zurückgebliebene Opfer wisse dies bloß im Moment noch nicht so recht zu schätzen.
Ganz auf dieser Linie findet sich in der Jägerschaft demnach auch immer mal wieder die Argumentation, dass die Jagd den Tieren einen qualvollen natürlichen Tod erspare. Man stelle sich nur vor, jemand käme auf die Idee, diese Rhetorik im menschlichen Miteinander anzuwenden – etwa den eigenen Nachbarn kurz und schmerzlos zu erschießen und sich dann dadurch aus der Affäre ziehen zu wollen, dass man behauptet: Naja, früher oder später wäre er ja sowieso gestorben, und vielleicht ja sogar wesentlich qualvoller; eigentlich habe man ihm also einen Gefallen erwiesen?!
Der Versuch, die Deutungshoheit über das eigene Tun durch eine derart schräge Umdeutung zurückzugewinnen, funktioniert erschreckend gut: Mit dem denkbar banalen Bluff, Gewalt als Care-Arbeit zu verkaufen, gewinnt die Jägerschaft gesellschaftlich an Ansehen.
Man kann daher kaum überschätzen, wie erfolgreich diese Kommunikationsstrategie ist – in der Jagd und auch darüber hinaus. In einer Phone-In-Sendung zum Thema Tierschutz und Fleisch im DLF, an der ich selbst vor einiger Zeit als Gast teilgenommen habe, meldete sich ein Schafhalter telefonisch zu Wort. Seine tierschützerischen Ambitionen wollte er mit dem Hinweis belegen, dass er immer bei seinen Schafen sei und sie sogar, wie er sich ausdrückte, »beim Sterben begleiten« würde. Wenige Sätze später war dann klar, dass mit dem Hinweis auf diese aufopferungsvolle »Sterbebegleitung« wenig anderes als der Umstand gemeint war, dass er die Tiere selbst schlachtet.
Die Suggestion, dass tötende Gewalt eine Form der persönlichen Zuwendung und Sorge darstellt, prägt die Diskurslandschaft rund um das Thema Jagd. Sie bildet die zurzeit vielleicht prominenteste Legitimationsformel, die Menschen mit dem gewohnheitsmäßigen Töten der Jägerschaft versöhnen soll. Wer sich dennoch schwer damit tut, die jährliche Tötung von rund 1,5 Millionen Tieren als eine große Charity-Party anzuerkennen, dem entgegnen Jäger gern, dass sie doch immerhin enorme Zeit in die sogenannte Hege investierten. Wie sehr ihr Verständnis von Hege dabei von hegemonialen Überzeugungen durchzogen ist, bemerken sie in der Regel eher selten. Diese hegemoniale Seite zeigt sich aber bereits darin, dass Jäger die Tiere im Winter vorrangig deswegen füttern, weil sie so für das nächste Jahr ausreichend ortsfestes Wild zum Abschuss vorfinden.
Es sind aber nicht nur derart schlichte Zweckrationalitäten, die die vermeintlich selbstlose Care-Arbeit der Jägerschaft entlarven – noch gravierender ist, dass die Rede von der sorgenvollen Pflege einem rechtslibertären Phantasma folgt, das suggeriert: Indem man sich um andere kümmert, gewinnt man die Verfügungsgewalt über das fremde Leben. Der Jäger pflegt, um legitim zerstören und töten zu können; sein Verständnis von Fürsorge und Pflege folgt dem Bedürfnis, sich das Gegenüber vollständig zu eigen zu machen. Bis in das moderne Recht hinein gilt das Wild schließlich deswegen als Wild, weil es »herrenlos« und der Aneignung dementsprechend freigegeben ist. Man muss diese schiefe Überzeugung nicht erst auf unser Sozialleben übertragen, um zu begreifen, wie verquer sie ist. Der jägerischen Logik tut dies gleichwohl keinen Abbruch: Vor wenigen Jahren etwa drohte der Landesjagdverband Hessen im Stil eines trotzigen Dreijährigen damit, die Hege einzustellen, sollte die entsprechende Tierart nicht mehr getötet werden dürfen.
Die pflegende Zuwendung gegenüber anderen erleben wir in der Regel als einen Zweck an sich. Der Andere ist dabei stets normativer Maßstab aller Care-Bemühungen. In den Rhetoriken von Sorge, Hege und Pflege, wie sie im Kontext der Jagd vorgebracht werden, drückt sich völlig konträr dazu eine instrumentelle Logik aus, die nicht nur die fatale Verschränkung der Jagd mit dem Eigentum(srecht) als solchem, sondern auch mit jenen neoliberalen Zertrümmerungsgesten belegt, die als ultimatives Freiheitserleben dargestellt werden: Nur dann, wenn der Jäger das gehegte Objekt der Begierde final töten und zerstören kann, bewahrheitet sich, was Jagd-Magazine und -Verbände als besonderes Freiheitserlebnis in der wilden Natur beschwören.
Erst die Zerstörung des Anderen beweist die Freiheit des Jägers – denn nur dann, wenn das Gegenüber leidet und stirbt, kann er sich wirklich vollkommen sicher sein, hier seine eigene Freiheit am Werk zu sehen: Seinen Tod nämlich kann das Tier niemals selbst gewollt haben, er muss also zwangsläufig auf den Jäger und dessen Agieren zurückzuführen sein. Für dieses prekäre Freiheitserleben sind Jäger dann in der Tat bereit, eine ganze Menge an Hege zu leisten – mit tatsächlicher Fürsorge und Zugewandtheit sollte man diese allerdings nicht verwechseln.