Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Chronik des Grauens   Griechen erklären Flüchtlingen den Krieg

Die Rhe­to­rik ist mar­tia­lisch. Tha­nos Ple­v­ris, der frisch­ge­backe­ne grie­chi­sche Migra­ti­ons­mi­ni­ster, redet von »Inva­si­on«. Meh­re­re Regie­rungs­ab­ge­ord­ne­te spre­chen von »hybri­dem Krieg« oder einer »Not­la­ge«. Ein gro­ßer Teil der Medi­en schreibt, dass Kre­ta von ille­ga­len Ein­wan­de­rern regel­recht »über­schwemmt« werde.

In der ersten Hälf­te des Jah­res 2025 kamen nach Anga­ben der [grie­chi­schen] Küsten­wa­che 7336 Geflüch­te­te auf der Mit­tel­meer­in­sel Kre­ta und der klei­nen vor­ge­la­ger­ten Insel Gav­dos an. Im Juli kamen noch fast 2000 dazu. Das sind fast 350 Pro­zent mehr als im Jahr 2024, aber kei­ne Zahl, die die Beschrei­bung »Inva­si­on« ver­dient. Zudem wäre es für eine gro­ße Insel wie Kre­ta theo­re­tisch kein Pro­blem, mit 9.000 oder 10.000 Geflüch­te­ten zurecht­zu­kom­men. Zum Ver­gleich: Im Jahr 2015 waren es über eine Mil­li­on Geflüch­te­te, die auf viel klei­ne­ren Inseln wie Les­bos und Kos anka­men, also hun­dert­mal mehr. Aber die gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Stim­mung ist im Jahr 2025 anders, sowohl in Euro­pa als auch in Griechenland.

Die Ein­hei­mi­schen auf Kre­ta, die im Jahr 2024 fast vier Mil­lio­nen Tou­ri­sten emp­fan­gen haben, weh­ren sich vehe­ment gegen die Ent­ste­hung eines Lagers für die neu­en Flücht­lin­ge. (…) Also wer­den die Neu­an­kömm­lin­ge im Moment wei­ter nach Mala­ka­sa bei Athen oder nach Nord­grie­chen­land weitergeleitet. (…)

Gleich­zei­tig sind für den grie­chi­schen Migra­ti­ons­mi­ni­ster alle Flücht­lin­ge »ille­ga­le Migran­ten«, die ins Gefäng­nis gehö­ren und droht den Geflüch­te­ten mit redu­zier­ten Essens­ra­tio­nen. Ple­v­ris behaup­tet, dass die Men­schen in den geschlos­se­nen Lagern viel zu gut essen und erklär­te wie­der­holt, dass sein Mini­ste­ri­um für Ein­wan­de­rung »kein Hotel« sei.

Fakt ist, dass in Grie­chen­land nur Asyl­be­wer­ber mit Lebens­mit­teln ver­sorgt wer­den. Aner­kann­te Flücht­lin­ge und auch die­je­ni­gen, deren Asyl­an­trag abge­lehnt wur­de, die aber im Land blei­ben, weil sie nir­gend­wo anders hin­kön­nen, haben kein Recht auf Lebensmittelversorgung. (…)

Hin­zu kommt, dass die Neu­an­kömm­lin­ge der­zeit sowie­so kei­nen Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren haben – und damit auch kein Recht auf Lebens­mit­tel­ver­sor­gung. Denn nach­dem letz­te Woche ein neu­es Gesetz ver­ab­schie­det wur­de (mit den Stim­men der Regie­rungs­par­tei Nea Dimo­kra­tia und Abge­ord­ne­ten klei­ne­rer rech­ter Par­tei­en), nimmt Grie­chen­land für min­de­stens drei Mona­te kei­ne Asyl­an­trä­ge von Geflüch­te­ten mehr an, die über den See­weg aus Nord­afri­ka ins Land kommen.

Das Gesetz ist umstrit­ten, nach Auf­fas­sung vie­ler Rechts­exper­ten ver­fas­sungs­wid­rig und im ekla­tan­ten Wider­spruch zu den euro­päi­schen Wer­ten. Aber nicht ein­mal die EU-Kom­mis­si­on stellt sich quer.

Ple­v­ris hat jetzt juri­stisch freie Hand für sei­ne Plä­ne, die Neu­an­kömm­lin­ge ohne Asyl­ver­fah­ren zurück­zu­schicken. »Es gibt Län­der, in die wir sie zurück­schicken kön­nen, Län­der, mit denen wir ein Abkom­men haben, und ande­re, in die sie frei­wil­lig zurück­keh­ren kön­nen«, behaup­te­te er am Wochen­en­de im TV Sen­der SKAI.

Doch stimmt das? Eine von drei Per­so­nen, die sich der­zeit in Abschie­bungs­haft befin­den, ist aus Ägyp­ten und kann laut dem grie­chi­schen Ombuds­mann unter den der­zei­ti­gen Umstän­den nicht zurück­ge­schickt wer­den. Die grie­chi­sche Regie­rung wür­de des­we­gen gern einen Deal mit Kai­ro machen, aber noch gibt es den nicht.

Nach Anga­ben des Migra­ti­ons­mi­ni­ste­ri­ums stam­men die mei­sten Asyl­be­wer­ber, die in den ersten fünf Mona­ten des Jah­res 2025 in Grie­chen­land ange­kom­men sind, aus Afgha­ni­stan (31 Pro­zent), gefolgt von Ägyp­ten (16,4 Pro­zent), Syri­en (6,2 Pro­zent), Paki­stan (5,2 Pro­zent), Sudan (4,5 Pro­zent) und Ban­gla­desch (3,6 Pro­zent). Es ist jedoch zwei­fel­haft, ob die­je­ni­gen, die kein Asyl bekom­men bzw. kei­nes bean­tra­gen dür­fen, in alle die­se Län­der zurück­ge­schickt wer­den können.

Trotz alle­dem arbei­tet der Migra­ti­ons­mi­ni­ster wei­ter an der Poli­tik der Abschreckung und berei­tet einen neu­en Gesetz­ent­wurf vor, der für die­je­ni­gen, die sich wei­gern, das Land zu ver­las­sen, drei Jah­re Gefäng­nis ohne Bewäh­rung und 10.000 Euro Geld­stra­fe vorsieht. (…)

In den Ohren des rech­ten Publi­kums in Grie­chen­land klin­gen Ple­v­ris´ Plä­ne viel­ver­spre­chend, und nur das ist der Regie­rung wich­tig. Doch eigent­lich weiß man in der Regie­rung sehr gut, dass mit Gefäng­nis-Dro­hun­gen oder mit den zwei Fre­gat­ten, die Pre­mier­mi­ni­ster Mit­so­ta­kis neu­lich zur Patrouil­le vor die liby­sche Küste ent­sandt hat, das Pro­blem nicht gelöst wer­den kann.

Im Moment ist der zer­stör­te Staat Liby­en der Ort, an dem sich die­je­ni­gen ver­sam­meln, die den afri­ka­ni­schen Krie­gen, dem Hun­ger und der Per­spek­tiv­lo­sig­keit ent­flie­hen wol­len und auf eine Gele­gen­heit zur Über­fahrt nach Euro­pa war­ten. Allein vor dem Krieg im Sudan sind 14 Mil­lio­nen Men­schen geflo­hen – vor allem nach Tschad, Ägyp­ten, Süd­su­dan, Äthio­pi­en und eben Liby­en (Kaki Bali, Focus online, erschie­nen in Koope­ra­ti­on mit der Deut­schen Wel­le, 16.07.2025).

 

 

Ausgabe 15.16/2025