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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Denkmäler im Oderbruch

Das Oder­bruch: Land­schaft im äußer­sten Osten. Eichen­al­leen, klei­ne Stra­ßen­dör­fer mit Feld­stein­kir­chen, fla­ches Land, auf den Fel­dern hin und wie­der ein Kra­nich­paar. Miss­trau­en Sie dem fla­chen Land, denn unse­re Vor­fah­ren und ihre Geschich­te sind beson­ders gna­den­los dar­über hin­weg­ge­gan­gen. Noch heu­te kann man hier kei­nen Gra­ben zie­hen, ohne dass eine ver­ro­ste­te Waf­fe, ein Stahl­helm, ein Ske­lett erscheint. Dabei hat­te schon Reichs­grün­der Otto von Bis­marck vor Hän­deln mit den Völ­kern im Osten gewarnt. Inzwi­schen, fast ist es schon wie­der ver­zie­hen und ver­ges­sen, hat eine unbe­darf­te Außen­mi­ni­ste­rin den nach ihm benann­ten Raum im Aus­wär­ti­gen Amt umbe­nannt. Sei­ne Stand­bil­der wer­den geschmäht, geschän­det, mit Far­be besprüht und gehö­ren nun­mehr zu jenen, denen soge­nann­te Akti­vi­sten eines Tages unge­straft den Kopf abhacken werden.

Fla­ches Land, Schlacht­feld. Ent­spre­chend zahl­reich sind die Denk­mä­ler in den Dör­fern. Zum Teil haben die Men­schen sie frei­lich nach 1989 erst wie­der ans Licht brin­gen müs­sen. So wie in Frie­dersdorf (Vier­lin­den), wo Bau­ern den von einem Helm gekrön­ten Sand­stein­block mit der Auf­schrift »Unse­ren Gefal­le­nen« fast ein hal­bes Jahr­hun­dert zuvor ver­gra­ben hat­ten. Eife­rer woll­ten damals das Mahn­mal spren­gen, schon um den Namen der Guts­her­ren – von der Mar­witz, auch ihre Söh­ne waren unter den Gefal­le­nen – und ande­rer aus dem Gedächt­nis der Men­schen zu til­gen. Heu­te, da man sich meist mit der Umbe­nen­nung von Stra­ßen und Apo­the­ken zufrie­den­gibt und die Begeg­nung mit Ein­woh­nern scheut, steht der Stein unbe­hel­ligt auf kirch­li­chem Grund: Gleich neben einem ande­ren, der den Toten der Roten Armee ewi­gen Ruhm und Ehre ver­spricht. Der Sand­stein hat den unter­ir­di­schen Auf­ent­halt nicht ohne Scha­den über­stan­den, doch ein Stein­metz füg­te unkennt­lich gewor­de­ne Namen wie­der hin­zu. Übri­gens fin­det sich in der Kir­che dahin­ter der Grab­stein eines Gene­rals von der Mar­witz, dem Fried­rich II. einst den Befehl erteil­te, ein säch­si­sches Schloss zu plün­dern. Von der Mar­witz wei­ger­te sich – der­glei­chen sei eines preu­ßi­schen Offi­ziers unwür­dig – und ließ sich ent­las­sen. »Wähl­te Ungna­de, wo Gehor­sam nicht Ehre brach­te«, steht des­halb auf sei­nem Grab­stein. Die Wor­te gel­ten als heim­li­che Losung jener meist adli­gen Offi­zie­re, die Hit­ler durch ein Atten­tat besei­ti­gen woll­ten. Mit dem Bild, das zahl­rei­che histo­ri­sche Betrach­tun­gen vom »preu­ßi­schen Jun­ker« zeich­nen, ist der­glei­chen jeden­falls nicht vereinbar.

Fla­ches Land? Weil es trocken­ge­leg­tes Auen­land ist. In Let­schin, nicht weit von Frie­dersdorf, haben sie nach der Wen­de einen mehr als lebens­gro­ßen Fried­rich II. aus Bron­ze wie­der auf­ge­stellt, der seit den fünf­zi­ger Jah­ren hin­ter Gur­ken­fäs­sern und Stroh ver­steckt war, weil Unver­söhn­li­che ihn ver­schrot­ten woll­ten. Gewöhn­lich waren das eil­fer­ti­ge Weg­be­rei­ter eines Wan­dels, der ihnen Vor­tei­le brin­gen soll­te. Die sowje­ti­schen Befehls­ha­ber hin­ge­gen respek­tier­ten Denk­mä­ler zumeist, sofern sie nicht mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­bun­den waren. »Alter Mann mit Stock kann blei­ben«, soll ein Kom­man­dant im Hin­blick auf ein Stand­bild Fried­richs des Gro­ßen gesagt haben. Des­sen Eben­bild im nahen Neu­treb­bin ist 1952 den­noch ein­ge­schmol­zen wor­den und wur­de erst 1994 durch den Bild­hau­er Roland Rother wiederhergestellt.

»Das dank­ba­re Oder­bruch«, steht auf einer bron­ze­nen Kranz­schlei­fe am Lets­chi­ner Denk­mal. Dar­un­ter lie­gen Blu­men und ein Dut­zend Kar­tof­feln. Ein schö­ner Brauch, der zum Unmut der Gärt­ner täg­lich auf der Grab­plat­te des Königs im Park von Sans­sou­ci wie­der­holt wird. Nun, die Men­schen wis­sen, dass es nicht der König war, der in Bran­den­burg die ersten Kar­tof­feln leg­te, der Ent­wäs­se­rungs­grä­ben durch die Sümp­fe im Oder­bruch zog und Kanä­le und Schöpf­wer­ke bau­te. Sie wis­sen, dass die Ern­ten dort von Sied­lern aus Hes­sen, Meck­len­burg, Würt­tem­berg, Sach­sen, aus Nie­der­öster­reich, der Schweiz, der Pfalz, dem fran­zö­sisch­spra­chi­gen Neu­en­burg und aus der Neu­mark ein­ge­bracht wur­den: Will­kom­mens­kul­tur mit Arbeits­pflicht. Aber wie immer, sofern man ihn ver­ehrt, fällt der Ruhm dem jewei­li­gen Herr­scher zu, und ihm wird am Ende in den Mund gelegt, er habe eine Pro­vinz gewon­nen, ohne einen ein­zi­gen Sol­da­ten zu ver­lie­ren. Die Ber­li­ner haben ihn übri­gens gehasst.

Steht die Son­ne hoch, dann scheint der alte Zyni­ker zu lächeln. Dafür gibt es eigent­lich wenig Grund ange­sichts des Ver­falls und der schä­bi­gen Fas­sa­den rings­um. Kei­ne Fra­ge, wel­che Par­tei die Men­schen in Let­schin seit Jah­ren wäh­len. Fried­richs Denk­mal steht vor dem vor einem Jahr­zehnt geschlos­se­nen »Gast­hof Zum Alten Fritz« – und gegen­über vom Obe­lis­ken, der dem Geden­ken an drei­hun­dert­ein­und­drei­ßig sowje­ti­sche Sol­da­ten gewid­met ist. Seit der Errich­tung sind ein­hun­dert­sieb­zehn Gefal­le­ne hin­zu­ge­kom­men: Wie gesagt, noch heu­te kann man hier kei­nen Gra­ben zie­hen, ohne dass eine ver­ro­ste­te Waf­fe, ein löche­ri­ger Stahl­helm, ein ver­mo­dern­des Ske­lett erscheint.

Let­schin ist schon des­halb ein wenig bekannt, weil Theo­dor Fon­ta­ne dort sei­ne Lehr­zeit in der Apo­the­ke des Vaters ver­brach­te und der »Gast­hof zum Alten Fritz« ihm als Vor­bild für die mör­de­ri­sche Her­ber­ge in »Unterm Birn­baum« dien­te. Wenn heu­te jedoch man­chem der Name des zu Let­schin gehö­ren­den Dor­fes Kie­nitz geläu­fi­ger ist, dann liegt das an den Gedenk­fei­ern und Kranz­nie­der­le­gun­gen, die dort seit dem Kriegs­en­de immer wie­der ein­mal statt­fin­den. Denn Kie­nitz war am 31. Janu­ar 1945 der erste Brücken­kopf am West­ufer der Oder, den die Rote Armee ein­nahm. Die etwa zwei­ein­halb­tau­send Ein­woh­ner und hun­der­te Flücht­lin­ge gerie­ten dabei zwi­schen die Fron­ten: im Westen Tod durch Artil­le­rie­be­schuss und Angrif­fe der deut­schen Luft­waf­fe, im Osten, am jen­sei­ti­gen Ode­ru­fer, Gefan­gen­schaft und häu­fig auch Plün­de­rung und Ver­ge­wal­ti­gung. Die Erin­ne­rung an jene Zeit soll nun ein 1971 ein­ge­weih­tes Denk­mal bewah­ren: ein Pan­zer T 34, den der umtrie­bi­ge Bür­ger­mei­ster von Kie­nitz vom Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster der DDR erbat und tat­säch­lich bekam: aus­ge­mu­stert, aber auf­ge­tankt und fahr­tüch­tig. Ein Fest­tag für die Dorf­ju­gend. Foto­gra­fien zei­gen Kin­der, die unbe­schwert auf dem Pan­zer her­um­klet­tern – ganz so, wie es Jahr­zehn­te spä­ter Bun­des­kanz­ler Scholz auf einem für die Ukrai­ne bestimm­ten LEOPARD tat. Die bis­wei­len zu hören­de Behaup­tung, der T 34 sei im Janu­ar 1945 über die zuge­fro­re­ne Oder nach Kie­nitz gerollt, ist frei­lich eine Legende.

Statt­des­sen wur­de seit den Tagen der Wen­de hin und wie­der offen gefragt, ob der Pan­zer noch in das Bild des Dor­fes pas­se. Aber selbst vie­le jener Kie­nit­zer, die Augen­zeu­gen der letz­ten Kriegs­ta­ge waren, woll­ten nicht mehr auf das Denk­mal ver­zich­ten. Eine Ant­wort könn­te viel­leicht ein ande­res, ein unge­wöhn­li­ches Mahn­mal geben, das von Roland Rother ent­wor­fen und 1999 ein­ge­weiht wur­de. Es steht gegen­über vom Pan­zer und ist aus Feld­stei­nen auf­ge­rich­tet wor­den, die im Dorf und in der Umge­bung gesam­melt wur­den. Mit­ten zwi­schen zwei Feld­stein­wän­den blieb Raum in der Form eines Kreu­zes aus­ge­spart, bei­der­seits vom Kreuz­um­riss tra­gen zwei stäh­ler­ne Plat­ten die Auf­schrift »DEN OPFERN 1939-1945«. Gewid­met ist das Denk­mal ins­be­son­de­re den »vie­len tau­send Opfern des Zwei­ten Welt­krie­ges (…), die, unbe­kannt geblie­ben, in den Dör­fern des Oder­bruchs, in der Feld­mark, in den Gehöl­zen und Wie­sen, am Deich und im Strom ihr namen­lo­ses Grab gefun­den haben«.

Es gibt in Kie­nitz und Let­schin sowie dar­über hin­aus noch weit­aus mehr Denk­mä­ler im Oder­bruch. So wird zum Bei­spiel nach Neu­har­den­berg rei­sen, wer wei­ter­hin Fried­rich II. ver­ehrt, oder bes­ser nach See­low, wo ein ande­rer T 34 steht: im Gegen­satz zu jenem in Kie­nitz ein häss­li­ches, ver­ro­ste­tes Unge­tüm mit unge­glät­te­ten Schweiß­näh­ten. Die­ser Pan­zer ist frei­lich wirk­lich über die Oder gekom­men und schoss den Weg nach Ber­lin frei, damit dort nie wie­der ein Kanz­ler von Krieg und Sieg redet.