Wenn eine neue Regierung ins Amt kommt, fragen die Zeitungen den Arbeitgeberpräsidenten, was er sich von der neuen Regierung erwarte. Er sagt dann das, was Arbeitgeberpräsidenten immer sagen: Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, die Unternehmenssteuern auch, der Staat gebe zu viel für »Soziales« aus, die Staatsquote sei zu hoch, die bürokratischen Regulierungen der Wirtschaft seien »Gift für die Konjunktur«, die Regierung müsse endlich für mehr Wachstum sorgen, für mehr Netto vom Brutto usw. usw., die üblichen CDU-FDP-Floskeln eben. Das alles nennt er dann »dringend gebotene Reformen«, denn schon das Wort Reform klingt ja so, als würde dadurch etwas besser. Die Zeitungen könnten sich also die Mühe des Interviews sparen und einfach Sachen aus dem Archiv nachdrucken. Als jedoch am 5. Mai 2025 die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem deutschen Arbeitgeberpräsidenten brachte, kam dann plötzlich doch eine Frage vor, die neu war: »Was sagen Sie zu dem Argument, statt Arbeit durch höhere Sozialbeiträge immer teurer zu machen, sollte man hohe Vermögen stärker zur Finanzierung heranziehen?« Blöd wäre das nicht. Schon 2021ergab eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, dass 77 Prozent der Befragten die Einführung einer Vermögenssteuer befürworteten. Die Zahl der Menschen in Deutschland mit mehr als 100 Millionen Dollar, so das RedaktionsNetzwerk Deutschland im Juli 2024, stieg in nur einem Jahr um 10 Prozent. Auch die Zahl der Publikationen, die eine Begrenzung des Reichtums fordern, nimmt zu. Der Philosoph Christian Neuhäuser betrachtet »Reichtum als moralisches Problem« (so der Titel seines Buches von 2018, neu aufgelegt 2024), weil er ein »Zusammenleben in Würde« gefährde. Immer öfter wird im öffentlichen Diskurs darauf hingewiesen, dass die Reichen und Superreichen gemessen an ihren Möglichkeiten fast nichts zum Gemeinwesen beitragen. Im Gegenteil, für die wenigen Steuern, die ihnen der Staat abverlangt, finden sie noch »Schlupflöcher« und »Steueroasen«; ein ganzes Heer von Rechtsanwälten und Beratern ist nur mit der »Steueroptimierung« (d. h. Minimierung) für die Reichen beschäftigt.
Am 19. April 2024 meldete das Handelsblatt: »Studie beweist: Superreiche zahlen weniger Steuern als der Mittelstand. Die Zahl der Milliardäre nimmt zu. Gleichzeitig sinken die Steuersätze, die für Superreiche gelten. BMW-Erbin Susanne Klatten etwa zahlt einer Studie zufolge weniger Abgaben als der Durchschnittsbürger.« Kurzum: Es ist der Gesetzgeber, der für die Superreichen die »Steuerschlupflöcher« erfindet, wer denn sonst. In mehreren Dokus und einer pädagogisch wertvollen »Comedy-Dramaserie« des ZDF haben wir gelernt, wie der Cum-Ex-Betrug funktionierte: Die Banker und Investoren ließen sich die Kapitalertragssteuer für Dividenden vom Finanzamt doppelt zurückerstatten, obwohl sie nur einmal gezahlt worden war. Alle haben wir uns darüber (wie auch über die Cum-Cum-Geschäfte) brav empört – aber glatt vergessen zu fragen, weshalb eine Kapitalertragssteuer überhaupt zurückerstattet wird. Wenn die Familie Quandt allein für ihre BMW-Aktien zwei Milliarden Euro Dividende erhält und davon 25 Prozent Steuern bezahlt, weshalb erstattet ihr der Staat dann diese Steuer wieder zurück? Kein Mensch weiß es. Auch Lars Klingbeil nicht. Es gibt auch keinen guten Grund dafür. Egal. Finden wir uns einfach damit ab, dass es die Hauptaufgabe des demokratischen Rechtsstaats ist, den Reichtum der Reichen zu schützen, wozu auch gehört, dass er die untere Hälfte der Gesellschaft, die über so gut wie gar kein Vermögen verfügt, mit seinem Sozialhaushalt einigermaßen sediert, denn Aufruhr mögen die Reichen nicht. Es reicht ihnen schon, wenn die Süddeutsche Zeitung ab und zu die eine oder andere unangenehme Frage stellt. (Das Blatt gilt deshalb noch immer als »linksliberal«, was aber nichts bedeutet.)
Die Antwort des Arbeitgeberpräsidenten auf die unangenehme Frage ging, wie nicht anders zu erwarten, so: »Wir haben nach Belgien schon die höchste Steuern- und Abgabenlast in Europa. Warum lassen wir nicht diese Sozialneiddebatte und sprechen darüber, dass der Staat endlich lernen muss, seine Gier zu zähmen?« Interessant ist, dass die Reichen immer glauben, jemand neide ihnen ihren Reichtum. Sie meinen, alle Menschen dächten in den Kategorien, in denen sie selbst denken. Dabei geht es gar nicht um Neid und Missgunst. Sondern nur darum, ob der Staat seinen Aufgaben nachkommen kann. Und für die braucht er eben Geld. Täglich lesen wir, wie es um Toiletten in Schulen bestellt ist, nämlich so ekelerregend, dass die Kinder sie nicht mehr benutzen. Brücken sind so marode, dass sie wegen Einsturzgefahr gesperrt werden müssen. Von den Verspätungen der Bahn weiß der Arbeitgeberpräsident nur aus der Zeitung, denn er hat seine Dienstlimousine mit Fahrer (worum ihn weiß Gott niemand beneidet). Eine Kommune nach der anderen muss ihr Hallenbad schließen, sei es, weil sie für die Renovierung nicht aufkommen, sei es, weil sie den laufenden Betrieb nicht finanzieren kann. Der Arbeitgeberpräsident braucht kein öffentliches Hallenbad, er hat sein privates, von dem er glaubt, wir (der Pöbel) würden ihn darum beneiden. Was der Arbeitgeberpräsident nicht kapiert: Für die Kinder der unteren Hälfte der Gesellschaft wäre ein öffentliches Hallenbad eminent wichtig, damit sie schwimmen lernen können. Das »Seepferdchen« ist bekanntlich das erste Abzeichen, das die Kinder im Schwimmunterricht erwerben, und es ist sehr beliebt. Aber immer weniger Kinder lernen schwimmen, weil die oberen 10 Prozent der Gesellschaft, denen 67 Prozent des vorhandenen Vermögens gehören, dem »gierigen« Staat das Geld für kommunale Hallenbäder nicht gönnen. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft meldet, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen am Badesee ertrinken, weil sie nicht schwimmen gelernt haben. Einen Arbeitgeberpräsidenten muss so etwas nicht interessieren.
Hallenbad und »Seepferdchen« sind nur ein Beispiel für die vielen staatlichen Aufgaben, die der Arbeitgeberpräsident gar nicht auf dem Monitor hat. Er ist mit seinem Denken in den egoistischen Kategorien wie Gier, Neid und Missgunst blind für die ganz einfachen Notwendigkeiten des Gemeinwesens. Deshalb fügt er noch hinzu: »Wenn wir bei den Steuern für die Reichsten noch etwas draufschlagen, kommt verschwindend wenig heraus.« (Leider waren Bastian Brinkmann und Roland Preuß nicht gut genug auf das Interview vorbereitet, um diese Behauptung an Ort und Stelle widerlegen zu können.) Dass »verschwindend wenig« herauskommt, hat der Arbeitgeberpräsident möglicherweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen, denn die druckt diese Fake News mindestens einmal pro Woche. Wenn es um den Schutz des Reichtums der Reichen geht, ist sofort Schluss mit der berühmten Faktentreue der FAZ.
Rechnen wir also selbst nach. Wohlgemerkt: Es geht um das Vermögen der Superreichen, und nur das soll besteuert werden, nicht das Milliönchen, das sich ein Normalsterblicher über die Jahre zusammengespart hat. Nehmen wir nur die 813 Deutschen, die laut Manager-Magazin (SH/2024) im Jahr 2023 über 200 Millionen Euro besaßen, nämlich zusammen 1223,09 Milliarden. Würde man sie mit nur fünf Prozent besteuern (das ist weniger als das durchschnittliche jährliche Wachstum ihres Vermögens), dann ergäbe das 61,19 Milliarden Euro. Der Arbeitgeberpräsident nennt das »verschwindend wenig«. Die Ampel-Koalition zerbrach wegen 60 Milliarden Euro an Corona-Krediten, die die Regierung im Nachtragshaushalt 2021 gerne für den Klimafonds umgewidmet hätte, was das Bundesverfassungsgericht nicht erlaubte. Man könnte auch alle, die über 100 Millionen Euro besitzen, heranziehen, und man könnte sie auch mit zehn Prozent besteuern (was dann schon über ein Viertel des Bundeshaushalts von 2024 ergäbe); sie würden es nicht merken und an ihrem täglichen Leben würde sich nichts ändern. Aber trotzdem wollen sie nicht adäquat zum Gemeinwesen beitragen. Weshalb nicht? Nennen wir es einfach mal Gier. Die zählt zu den sieben Todsünden und ist eine Erscheinungsform der Würdelosigkeit. »Seht zu und hütet euch vor aller Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat«, heißt es im Evangelium nach Lukas (12,15). Christen sind die Superreichen also nicht, bestenfalls bigott.
Wir wissen nicht, ob der Arbeitgeberpräsident Zeit hat, in seinem privaten Hallenbad zu schwimmen, wir wissen nicht einmal, ob er überhaupt schwimmen kann, auch nicht, ob er jemals das Seepferdchen-Abzeichen gemacht hat. Rechnen kann er jedenfalls nicht, so viel ist gewiss.
Muss ein Arbeitgeberpräsident rechnen können? Nein, er muss nur den neoliberalen Sermon halbwegs fehlerfrei abspulen, das genügt. Aber lässt er sich dann nicht in Bälde durch eine KI ersetzen? Eine Künstliche Intelligenz als Arbeitgeberpräsident, weil dessen natürliche zu wünschen übriglässt, ist das realistisch, oder nur ein Traum? Ein Wunschtraum oder ein Alptraum? Der Arbeitgeberpräsident zur Süddeutschen: »Wovon ich heimlich träume, das wollen Sie gar nicht wissen.« Stimmt. Wenigstens ein Satz, mit dem er Recht hat.