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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Arbeitgeberpräsident und das Seepferdchen

Wenn eine neue Regie­rung ins Amt kommt, fra­gen die Zei­tun­gen den Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten, was er sich von der neu­en Regie­rung erwar­te. Er sagt dann das, was Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten immer sagen: Die Lohn­ne­ben­ko­sten sei­en zu hoch, die Unter­neh­mens­steu­ern auch, der Staat gebe zu viel für »Sozia­les« aus, die Staats­quo­te sei zu hoch, die büro­kra­ti­schen Regu­lie­run­gen der Wirt­schaft sei­en »Gift für die Kon­junk­tur«, die Regie­rung müs­se end­lich für mehr Wachs­tum sor­gen, für mehr Net­to vom Brut­to usw. usw., die übli­chen CDU-FDP-Flos­keln eben. Das alles nennt er dann »drin­gend gebo­te­ne Refor­men«, denn schon das Wort Reform klingt ja so, als wür­de dadurch etwas bes­ser. Die Zei­tun­gen könn­ten sich also die Mühe des Inter­views spa­ren und ein­fach Sachen aus dem Archiv nach­drucken. Als jedoch am 5. Mai 2025 die Süd­deut­sche Zei­tung ein Inter­view mit dem deut­schen Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten brach­te, kam dann plötz­lich doch eine Fra­ge vor, die neu war: »Was sagen Sie zu dem Argu­ment, statt Arbeit durch höhe­re Sozi­al­bei­trä­ge immer teu­rer zu machen, soll­te man hohe Ver­mö­gen stär­ker zur Finan­zie­rung her­an­zie­hen?« Blöd wäre das nicht. Schon 2021ergab eine Umfra­ge der Ber­tels­mann-Stif­tung, dass 77 Pro­zent der Befrag­ten die Ein­füh­rung einer Ver­mö­gens­steu­er befür­wor­te­ten. Die Zahl der Men­schen in Deutsch­land mit mehr als 100 Mil­lio­nen Dol­lar, so das Redak­ti­ons­Netz­werk Deutsch­land im Juli 2024, stieg in nur einem Jahr um 10 Pro­zent. Auch die Zahl der Publi­ka­tio­nen, die eine Begren­zung des Reich­tums for­dern, nimmt zu. Der Phi­lo­soph Chri­sti­an Neu­häu­ser betrach­tet »Reich­tum als mora­li­sches Pro­blem« (so der Titel sei­nes Buches von 2018, neu auf­ge­legt 2024), weil er ein »Zusam­men­le­ben in Wür­de« gefähr­de. Immer öfter wird im öffent­li­chen Dis­kurs dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Rei­chen und Super­rei­chen gemes­sen an ihren Mög­lich­kei­ten fast nichts zum Gemein­we­sen bei­tra­gen. Im Gegen­teil, für die weni­gen Steu­ern, die ihnen der Staat abver­langt, fin­den sie noch »Schlupf­lö­cher« und »Steu­er­oa­sen«; ein gan­zes Heer von Rechts­an­wäl­ten und Bera­tern ist nur mit der »Steu­er­op­ti­mie­rung« (d. h. Mini­mie­rung) für die Rei­chen beschäftigt.

Am 19. April 2024 mel­de­te das Han­dels­blatt: »Stu­die beweist: Super­rei­che zah­len weni­ger Steu­ern als der Mit­tel­stand. Die Zahl der Mil­li­ar­dä­re nimmt zu. Gleich­zei­tig sin­ken die Steu­er­sät­ze, die für Super­rei­che gel­ten. BMW-Erbin Susan­ne Klat­ten etwa zahlt einer Stu­die zufol­ge weni­ger Abga­ben als der Durch­schnitts­bür­ger.« Kurz­um: Es ist der Gesetz­ge­ber, der für die Super­rei­chen die »Steu­er­schlupf­lö­cher« erfin­det, wer denn sonst. In meh­re­ren Dokus und einer päd­ago­gisch wert­vol­len »Come­dy-Dra­ma­se­rie« des ZDF haben wir gelernt, wie der Cum-Ex-Betrug funk­tio­nier­te: Die Ban­ker und Inve­sto­ren lie­ßen sich die Kapi­tal­ertrags­steu­er für Divi­den­den vom Finanz­amt dop­pelt zurück­er­stat­ten, obwohl sie nur ein­mal gezahlt wor­den war. Alle haben wir uns dar­über (wie auch über die Cum-Cum-Geschäf­te) brav empört – aber glatt ver­ges­sen zu fra­gen, wes­halb eine Kapi­tal­ertrags­steu­er über­haupt zurück­er­stat­tet wird. Wenn die Fami­lie Quandt allein für ihre BMW-Akti­en zwei Mil­li­ar­den Euro Divi­den­de erhält und davon 25 Pro­zent Steu­ern bezahlt, wes­halb erstat­tet ihr der Staat dann die­se Steu­er wie­der zurück? Kein Mensch weiß es. Auch Lars Kling­beil nicht. Es gibt auch kei­nen guten Grund dafür. Egal. Fin­den wir uns ein­fach damit ab, dass es die Haupt­auf­ga­be des demo­kra­ti­schen Rechts­staats ist, den Reich­tum der Rei­chen zu schüt­zen, wozu auch gehört, dass er die unte­re Hälf­te der Gesell­schaft, die über so gut wie gar kein Ver­mö­gen ver­fügt, mit sei­nem Sozi­al­haus­halt eini­ger­ma­ßen sediert, denn Auf­ruhr mögen die Rei­chen nicht. Es reicht ihnen schon, wenn die Süd­deut­sche Zei­tung ab und zu die eine oder ande­re unan­ge­neh­me Fra­ge stellt. (Das Blatt gilt des­halb noch immer als »links­li­be­ral«, was aber nichts bedeutet.)

Die Ant­wort des Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten auf die unan­ge­neh­me Fra­ge ging, wie nicht anders zu erwar­ten, so: »Wir haben nach Bel­gi­en schon die höch­ste Steu­ern- und Abga­ben­last in Euro­pa. War­um las­sen wir nicht die­se Sozi­al­neid­de­bat­te und spre­chen dar­über, dass der Staat end­lich ler­nen muss, sei­ne Gier zu zäh­men?« Inter­es­sant ist, dass die Rei­chen immer glau­ben, jemand nei­de ihnen ihren Reich­tum. Sie mei­nen, alle Men­schen däch­ten in den Kate­go­rien, in denen sie selbst den­ken. Dabei geht es gar nicht um Neid und Miss­gunst. Son­dern nur dar­um, ob der Staat sei­nen Auf­ga­ben nach­kom­men kann. Und für die braucht er eben Geld. Täg­lich lesen wir, wie es um Toi­let­ten in Schu­len bestellt ist, näm­lich so ekel­er­re­gend, dass die Kin­der sie nicht mehr benut­zen. Brücken sind so maro­de, dass sie wegen Ein­sturz­ge­fahr gesperrt wer­den müs­sen. Von den Ver­spä­tun­gen der Bahn weiß der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent nur aus der Zei­tung, denn er hat sei­ne Dienst­li­mou­si­ne mit Fah­rer (wor­um ihn weiß Gott nie­mand benei­det). Eine Kom­mu­ne nach der ande­ren muss ihr Hal­len­bad schlie­ßen, sei es, weil sie für die Reno­vie­rung nicht auf­kom­men, sei es, weil sie den lau­fen­den Betrieb nicht finan­zie­ren kann. Der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent braucht kein öffent­li­ches Hal­len­bad, er hat sein pri­va­tes, von dem er glaubt, wir (der Pöbel) wür­den ihn dar­um benei­den. Was der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent nicht kapiert: Für die Kin­der der unte­ren Hälf­te der Gesell­schaft wäre ein öffent­li­ches Hal­len­bad emi­nent wich­tig, damit sie schwim­men ler­nen kön­nen. Das »See­pferd­chen« ist bekannt­lich das erste Abzei­chen, das die Kin­der im Schwimm­un­ter­richt erwer­ben, und es ist sehr beliebt. Aber immer weni­ger Kin­der ler­nen schwim­men, weil die obe­ren 10 Pro­zent der Gesell­schaft, denen 67 Pro­zent des vor­han­de­nen Ver­mö­gens gehö­ren, dem »gie­ri­gen« Staat das Geld für kom­mu­na­le Hal­len­bä­der nicht gön­nen. Die Deut­sche Lebens-Ret­tungs-Gesell­schaft mel­det, dass in den letz­ten Jah­ren immer mehr Men­schen am Bade­see ertrin­ken, weil sie nicht schwim­men gelernt haben. Einen Arbeit­ge­ber­prä­si­den­ten muss so etwas nicht interessieren.

Hal­len­bad und »See­pferd­chen« sind nur ein Bei­spiel für die vie­len staat­li­chen Auf­ga­ben, die der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent gar nicht auf dem Moni­tor hat. Er ist mit sei­nem Den­ken in den ego­isti­schen Kate­go­rien wie Gier, Neid und Miss­gunst blind für die ganz ein­fa­chen Not­wen­dig­kei­ten des Gemein­we­sens. Des­halb fügt er noch hin­zu: »Wenn wir bei den Steu­ern für die Reich­sten noch etwas drauf­schla­gen, kommt ver­schwin­dend wenig her­aus.« (Lei­der waren Basti­an Brink­mann und Roland Preuß nicht gut genug auf das Inter­view vor­be­rei­tet, um die­se Behaup­tung an Ort und Stel­le wider­le­gen zu kön­nen.) Dass »ver­schwin­dend wenig« her­aus­kommt, hat der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent mög­li­cher­wei­se in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung gele­sen, denn die druckt die­se Fake News min­de­stens ein­mal pro Woche. Wenn es um den Schutz des Reich­tums der Rei­chen geht, ist sofort Schluss mit der berühm­ten Fak­ten­treue der FAZ.

Rech­nen wir also selbst nach. Wohl­ge­merkt: Es geht um das Ver­mö­gen der Super­rei­chen, und nur das soll besteu­ert wer­den, nicht das Mil­li­ön­chen, das sich ein Nor­mal­sterb­li­cher über die Jah­re zusam­men­ge­spart hat. Neh­men wir nur die 813 Deut­schen, die laut Mana­ger-Maga­zin (SH/​2024) im Jahr 2023 über 200 Mil­lio­nen Euro besa­ßen, näm­lich zusam­men 1223,09 Mil­li­ar­den. Wür­de man sie mit nur fünf Pro­zent besteu­ern (das ist weni­ger als das durch­schnitt­li­che jähr­li­che Wachs­tum ihres Ver­mö­gens), dann ergä­be das 61,19 Mil­li­ar­den Euro. Der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent nennt das »ver­schwin­dend wenig«. Die Ampel-Koali­ti­on zer­brach wegen 60 Mil­li­ar­den Euro an Coro­na-Kre­di­ten, die die Regie­rung im Nach­trags­haus­halt 2021 ger­ne für den Kli­ma­fonds umge­wid­met hät­te, was das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nicht erlaub­te. Man könn­te auch alle, die über 100 Mil­lio­nen Euro besit­zen, her­an­zie­hen, und man könn­te sie auch mit zehn Pro­zent besteu­ern (was dann schon über ein Vier­tel des Bun­des­haus­halts von 2024 ergä­be); sie wür­den es nicht mer­ken und an ihrem täg­li­chen Leben wür­de sich nichts ändern. Aber trotz­dem wol­len sie nicht adäquat zum Gemein­we­sen bei­tra­gen. Wes­halb nicht? Nen­nen wir es ein­fach mal Gier. Die zählt zu den sie­ben Tod­sün­den und ist eine Erschei­nungs­form der Wür­de­lo­sig­keit. »Seht zu und hütet euch vor aller Hab­gier, denn nie­mand lebt davon, dass er vie­le Güter hat«, heißt es im Evan­ge­li­um nach Lukas (12,15). Chri­sten sind die Super­rei­chen also nicht, besten­falls bigott.

Wir wis­sen nicht, ob der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Zeit hat, in sei­nem pri­va­ten Hal­len­bad zu schwim­men, wir wis­sen nicht ein­mal, ob er über­haupt schwim­men kann, auch nicht, ob er jemals das See­pferd­chen-Abzei­chen gemacht hat. Rech­nen kann er jeden­falls nicht, so viel ist gewiss.

Muss ein Arbeit­ge­ber­prä­si­dent rech­nen kön­nen? Nein, er muss nur den neo­li­be­ra­len Ser­mon halb­wegs feh­ler­frei abspu­len, das genügt. Aber lässt er sich dann nicht in Bäl­de durch eine KI erset­zen? Eine Künst­li­che Intel­li­genz als Arbeit­ge­ber­prä­si­dent, weil des­sen natür­li­che zu wün­schen übrig­lässt, ist das rea­li­stisch, oder nur ein Traum? Ein Wunsch­traum oder ein Alp­traum? Der Arbeit­ge­ber­prä­si­dent zur Süd­deut­schen: »Wovon ich heim­lich träu­me, das wol­len Sie gar nicht wis­sen.« Stimmt. Wenig­stens ein Satz, mit dem er Recht hat.