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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Zionismus und Israels Vernichtungskrieg

Der Mün­che­ner Histo­ri­ker Micha­el Bren­ner schreibt in der Süd­deut­schen Zei­tung (»Die Zer­stö­rung des Zio­nis­mus«, 1.9.2025), die Regie­rung Ben­ja­min Netan­ja­hu zer­stö­re den Zio­nis­mus – wie ihn die Vor­den­ker Theo­dor Herzl, Vla­di­mir Zeev Jabo­tin­sky sowie der Staats­grün­der David Ben-Guri­on im Sinn hat­ten. Doch ist Isra­els gegen­wär­ti­ge Palä­sti­na-Poli­tik tat­säch­lich anti-zionistisch?

Der Zio­nis­mus hat sich im Lau­fe des 20. Jahr­hun­derts als die ulti­ma­ti­ve Ant­wort auf die »jüdi­sche Fra­ge« eta­bliert, wie sie vor allem in Euro­pa gestellt wur­de. Doch je deut­li­cher wird, wie sehr die mes­sia­ni­sche Rech­te das demo­kra­tisch-offe­ne Isra­el immer mehr erdrückt, desto mehr stellt sich die Fra­ge, wel­ches Kräf­te­ver­hält­nis zwi­schen den bei­den zio­ni­sti­schen Lagern zur gegen­wär­ti­gen Kata­stro­phe Isra­els geführt hat. Ist der Link­szio­nis­mus des libe­ra­len Isra­els ein Gegen­mo­dell zum Zio­nis­mus der Rech­ten bzw. der Sied­ler­be­we­gung, oder hat er des­sen Erstar­ken sogar beschleunigt?

Anders gefragt: Ist die mes­sia­ni­sche Rech­te etwa anti­zio­ni­stisch, wie vie­le libe­ra­le Israe­lis glau­ben? Oder ist der Rechts- oder Neo­zio­nis­mus mit Pre­mier­mi­ni­ster Netan­ja­hu, Poli­zei­mi­ni­ster Ita­mar Ben-Gvir und Finanz­mi­ni­ster Beza­lel Smo­t­rich nur eine Umset­zung des Zio­nis­mus in sei­ner radi­ka­len Form, die sich nicht grund­sätz­lich vom Zio­nis­mus der Arbeits­par­tei in den ersten Jahr­zehn­ten des israe­li­schen Staa­tes unterscheidet?

Von Beginn an domi­nier­te die zio­ni­sti­sche Poli­tik der Erobe­rung, Beset­zung und Besied­lung des Lan­des. Erst Anfang der 1990er Jah­re sah sich die israe­li­sche Füh­rung ange­sichts der Ersten Inti­fa­da (»Krieg der Stei­ne«) und des inter­na­tio­na­len Drucks gezwun­gen, Ver­hand­lun­gen mit den Palä­sti­nen­sern auf­zu­neh­men. Die erziel­ten Oslo-Abkom­men führ­ten zwar zur Aner­ken­nung der PLO als allei­ni­ger Ver­tre­tung des palä­sti­nen­si­schen Vol­kes und zum Dia­log mit ihrer poli­ti­schen Füh­rung, doch die für die Umset­zung der Abkom­men ver­ant­wort­li­chen poli­ti­schen Kräf­te in Isra­el erwie­sen sich im Moment der Wahr­heit als viel zu schwach und vor allem als sehr unentschlossen.

Die zio­ni­sti­sche Lin­ke betrach­tet die Ermor­dung des Pre­mier­mi­ni­sters Jitz­hak Rabin im Novem­ber 1995 durch einen jüdi­schen Extre­mi­sten als Wen­de­punkt, ver­gisst aber die Kriegs­po­li­tik sei­nes Nach­fol­gers, Shi­mon Peres. Nur kurz nach Rab­ins Tod ließ der am 5.1.1996 den palä­sti­nen­si­schen Hamas-Draht­zie­her Yahya Ayash in Gaza töten. Die­se extra­le­ga­le Hin­rich­tung führ­te zu einer töd­li­chen Wel­le von Selbst­mord­at­ten­ta­ten der Hamas in den israe­li­schen Städ­ten. Die­se wie­der­um dien­te dem neu­en Likud-Oppo­si­ti­ons­füh­rer Netan­ja­hu dazu, sich als »Mann, der den Ter­ror bekämp­fen wird«, zu prä­sen­tie­ren. Wäh­rend die­se Kri­se mit­ten im Frie­dens­pro­zess sei­ne Wahl­chan­cen zunich­te­mach­te, führ­te Peres die israe­li­schen Streit­kräf­te im April 1996 auch noch in eine wei­te­re Mili­tär­ope­ra­ti­on im Liba­non. »Früch­te des Zorns«, so der Name die­ser Ope­ra­ti­on, soll­te Peres› mili­ta­ri­sti­sches Image bei den bevor­ste­hen­den Wah­len stärken.

Peres schei­ter­te, weil die palä­sti­nen­sisch-israe­li­schen Wäh­ler die Arbeits­par­tei für den Krieg im Liba­non abstraf­ten und nicht zur Wahl gin­gen. Netan­ja­hus Wahl für die erste Amts­zeit (1996-1999), die mit einem Vor­sprung von ledig­lich meh­re­ren tau­send Stim­men erfolg­te, hät­te daher sehr wahr­schein­lich ver­mie­den wer­den kön­nen, wenn Peres zu die­sem Zeit­punkt auf das mili­tä­ri­sche Vor­ge­hen ver­zich­tet hätte.

Doch Peres, der sich selbst als Mann des Frie­dens ver­mark­te­te, konn­te in die­sem kri­ti­schen Moment Ende 1995 ein­fach nicht das tun, was er hät­te tun müs­sen. Es waren Abkom­men mit der PLO unter­zeich­net, es gab einen ver­ein­bar­ten und akzep­tier­ten palä­sti­nen­si­schen Part­ner, die Euro­pä­er und Ame­ri­ka­ner hat­ten ihre Unter­stüt­zung für den Frie­dens­pro­zess zuge­si­chert, die israe­li­sche Rech­te und die jüdi­schen Sied­ler waren durch das Atten­tat auf Rabin, also die Ermor­dung eines Juden durch einen Juden, äußerst geschwächt. Netan­ja­hu dach­te sogar an einen Rück­zug aus der Poli­tik. Und das Wich­tig­ste: Der Zeit­geist ver­lang­te eine poli­ti­sche Lösung für die Palä­sti­na-Fra­ge. Peres muss­te den begon­ne­nen Pro­zess nur zu Ende brin­gen, wenn er wirk­lich an die Tei­lung des Lan­des zwi­schen den bei­den Völ­kern geglaubt und sie wirk­lich gewollt hät­te. Doch aus Angst vor einem palä­sti­nen­si­schen Staat neben Isra­el – der so nicht in den Oslo-Ver­trä­gen fest­ge­legt war, der aber am Ende des Pro­zes­ses hät­te ste­hen müs­sen – mach­te Peres sämt­li­che Feh­ler. Er tapp­te in die Fal­le der von ihm selbst gepräg­ten poli­ti­schen Ord­nung, die immer wie­der Krie­ge anzet­telt, um poli­ti­sche Kri­sen zu bewältigen.

Auch in der Fol­ge blieb der israe­li­sche Mili­ta­ris­mus prä­gend: Aus­ge­rech­net mit Ehud Barak woll­te die link­szio­ni­sti­sche Arbeits­par­tei den Frie­dens­pro­zess fort­set­zen. Der Gene­ral, der als Stabs­chef 1993 Schwie­rig­kei­ten hat­te, den Oslo-Frie­dens­pro­zess mit­zu­tra­gen und als Mini­ster der Rabin-Regie­rung sogar davon Abstand nahm, das zwei­te Oslo-Abkom­men vom Sep­tem­ber 1995 zu unter­stüt­zen, führ­te inner­halb von nur andert­halb Jah­ren an der Macht (1999-2001) den Frie­dens­pro­zess zum Schei­tern. Barak war der­je­ni­ge, der Oslo den Todes­stoß ver­setz­te und Isra­el in eine jah­re­lan­ge blu­ti­ge Zwei­te Inti­fa­da stürz­te, die hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen, wenn die zio­ni­sti­sche Lin­ke einen über­zeug­ten und über­zeu­gen­den Füh­rer gehabt hät­te, der die Tei­lung des Lan­des for­ciert und einen palä­sti­nen­si­schen Staat zuge­las­sen hätte.

Wenn also Peres 1995 und Barak 2000 unter den dama­li­gen, ver­hält­nis­mä­ßig gün­sti­gen histo­ri­schen Bedin­gun­gen so kläg­lich schei­ter­ten, stellt sich die Fra­ge: Führt der israe­li­sche Zio­nis­mus in sei­ner Kom­pro­miss­un­fä­hig­keit und damit in sei­ner inne­ren Logik des Sied­ler-Kolo­nia­lis­mus auch zum Völkermord?

Vor genau acht­zig Jah­ren dis­ku­tier­te Han­nah Are­ndt in ihrem Arti­kel »Zio­nism Recon­side­red« das zer­stö­re­ri­sche Poten­zi­al der Bestre­bun­gen, die die zio­ni­sti­sche Bewe­gung für sich selbst zu for­mu­lie­ren begann. Sie unter­such­te das Kon­zept des jüdi­schen Natio­na­lis­mus mit Begrif­fen des deut­schen Natio­na­lis­mus, der die ver­hee­ren­de Geschich­te einer »spä­ten Nati­on« mani­fe­stier­te. Are­ndt befürch­te­te, dass der Jischuv – die orga­ni­sier­te jüdi­sche Gemein­de in Palä­sti­na – mit sei­nen diver­sen zio­ni­sti­schen Strö­mun­gen zuneh­mend auf Gewalt setzt, um dem Kon­flikt mit den Palä­sti­nen­sern zu begeg­nen. Sie sah 1945 vor­aus, was heu­te befürch­tet wird: Eine gewalt­sa­me Lösung der Palä­sti­na­fra­ge durch die Zio­ni­sten wür­de zwangs­läu­fig zu welt­wei­tem Juden­hass führen.

Mit dem Schei­tern der Oslo-Abkom­men im Jahr 2000 wur­de immer deut­li­cher, dass der Zio­nis­mus, in dem sich Isra­el gera­de­zu ver­schanzt hat, Neue Rech­te her­vor­brin­gen wer­de: eine extre­mi­sti­sche Sied­ler­be­we­gung, die an der Ideo­lo­gie fest­hält, das Land gewalt­sam zu erobern und zu besie­deln mit dem Ziel, einen jüdi­schen Halacha-Staat nach reli­giö­sem Gesetz zu eta­blie­ren. Für den alten säku­la­ren Zio­nis­mus ist das ein Alptraum.

Die­ser äußer­ste rech­te Flü­gel ver­steht sich selbst als zio­ni­stisch und wird in der For­schung als neo­zio­ni­stisch bezeich­net. Tat­säch­lich ent­stand der im heu­ti­gen Isra­el herr­schen­de natio­nal-reli­giö­se Neo­zio­nis­mus aus der Iden­ti­täts­kri­se des zio­ni­sti­schen Isra­el. Seit Beginn der Zwei­ten Inti­fa­da im Jahr 2000 hat sich die israe­li­sche Gesell­schaft weit­ge­hend in sich selbst zurück­ge­zo­gen, ist unpo­li­tisch gewor­den und hat sich mit Hil­fe ihres neo­zio­ni­sti­schen Lang­zeit-Pre­miers Netan­ja­hu von ihrer Geschich­te abgekoppelt.

Der 7. Okto­ber 2023 war ein ver­hee­ren­der Weck­ruf, der jedoch in eine wei­te­re Kata­stro­phe mün­de­te, denn die Mehr­heit der Israe­lis wei­ger­te sich stur – und tut es noch immer –, den Über­ra­schungs­an­griff der Hamas in den Kon­text der israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen Kon­flikt­ge­schich­te ein­zu­ord­nen. Von hier aus war der Weg zur Dämo­ni­sie­rung der Palä­sti­nen­ser nicht mehr weit – eine not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für die dann erfolg­te mas­sen­haf­te Tötung in Gaza. Das Infer­no im Gaza­strei­fen wird in Isra­el jedoch wei­test­ge­hend ausgeblendet.

Isra­els Ver­nich­tungs­krieg gegen die Palä­sti­nen­ser ruft Han­nah Are­ndts War­nung von 1945 wach: Ein auf bru­ta­ler Stär­ke basie­ren­der jüdi­scher Natio­na­lis­mus – der mit­hil­fe der Groß­macht USA ver­sucht, die Palä­sti­nen­ser aus dem Land zu ver­drän­gen – sei nicht nur selbst zum Aus­ster­ben ver­ur­teilt. Die­ser Zio­nis­mus wür­de auch den Hass gegen Juden welt­weit beflügeln.

Die Geschich­te arbei­tet heim­tückisch: Wäh­rend der Neo­zio­nis­mus mit sei­ner Ver­nich­tungs­kriegs­po­li­tik den frucht­ba­ren Boden für den alten Anti­se­mi­tis­mus berei­tet, kehrt die vom zio­ni­sti­schen Isra­el immer wie­der ver­dräng­te Palä­sti­na­fra­ge als neu­es jüdi­sches Pro­blem auf die Büh­ne der Geschich­te zurück.

Dr. Tamar Amar-Dahl, jüdisch-israe­lisch-deut­sche Histo­ri­ke­rin, Ber­lin, ist Autorin des Buches »Der Sie­ges­zug des Neo­zio­nis­mus. Isra­el im neu­en Mill­en­ni­um, Wien 2023. Wei­te­re Ver­öf­fent­li­chun­gen sie­he: https://orcid.org/0009-0000-7360-4743.