Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Dialog-Lehrstunde

Öffent­li­che Zwie­ge­sprä­che die­nen der Erkun­dung von Cha­rak­ter und Intel­lekt inter­es­san­ter Zeit­ge­nos­sen. Zumin­dest waren sie ursprüng­lich so ange­legt, als die Talk­shows vor Jahr­zehn­ten in Mode kamen. Die For­schungs­me­tho­de ver­schliss nicht nur durch ihren infla­tio­nä­ren Gebrauch. Sie geriet zuneh­mend zum media­len Basar, auf dem Bücher, Schall­plat­ten, Fil­me oder ande­re kul­tu­rel­le Dienst­lei­stun­gen bewor­ben wur­den. Die immer glei­chen Gestal­ten erzähl­ten ihre längst bekann­ten Geschich­ten und gar­nier­ten sie mit Wer­be­sprech. Die Lan­ge­wei­le wur­de aber auch von den Inter­view­ern pro­vo­ziert, die sich skla­visch an die von Redak­teu­ren fixier­ten Fahr­plä­ne hiel­ten (und hal­ten), wel­che als Kar­ten­block auf ihren Knien ruh­ten. (Unlängst sah ich auf You­Tube ein Zwei­stun­den-Gespräch mit einem sou­ve­rä­nen Ex-Bun­des­kanz­ler, bei dem vom ein wenig hib­be­lig wir­ken­den, irgend­wie unsi­che­ren Fra­ge­stel­ler selbst die abschlie­ßen­de Lob­hu­de­lei abge­le­sen wur­de. Das erin­ner­te mich fatal an einen DDR-Witz über die Unfä­hig­keit zur frei­en Rede unse­rer Obe­ren, des­sen Poin­te im Able­sen des Tages­gru­ßes oder ähn­lich Simp­lem bestand.)

Die Kunst der Unter­hal­tung besteht jedoch nicht im Abfra­gen von Lebens­sta­tio­nen (die fin­det man auch im Inter­net), son­dern dar­in, den Zuhö­rern und -schau­ern das Gefühl zu geben, dass genau jene Fra­gen gestellt wür­den, die man sel­ber gestellt hät­te, sofern man denn pri­vat der Frau oder dem Mann gegen­über­sä­ße. Ein guter Inter­view­er ist in erster Linie ein guter Stell­ver­tre­ter, eine gute Mode­ra­to­rin eine gute Ver­wal­te­rin frem­der Neu­gier. Das A und O für ein gewinn­brin­gen­des Gespräch ist das Inter­es­se für­ein­an­der. Feh­len­de Ent­decker­freu­de kann nicht durch noch so geist­rei­che Aper­çus oder Witz­chen kom­pen­siert wer­den. Mit­ein­an­der reden ist wahr­lich eine Kunst­fer­tig­keit, die von immer weni­ger Men­schen beherrscht wird. Es feh­len die Geduld, den Befrag­ten aus­re­den zu las­sen, und die­sem damit der Raum, einen Gedan­ken zu ent­wickeln. Abwe­send auch die Tole­ranz, eine Ant­wort ein­fach ste­hen zu las­sen, selbst wenn man ande­rer Mei­nung ist.

Einer der weni­gen, der die Mei­ster­schaft des Dia­logs beherrscht, ist Paul Wer­ner Wag­ner, ein stu­dier­ter Kul­tur- und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler aus Ber­lin und begna­de­ter Schach­spie­ler. (Des­halb hat er auch den Vor­sitz der Ema­nu­el Las­ker Gesell­schaft.) Der Mitt­sieb­zi­ger führt mehr als die Hälf­te sei­nes Lebens Gesprä­che mit Pro­mi­nen­ten auf Büh­nen, er hat Rei­hen kre­iert und par­liert regel­mä­ßig in Kinos und Kul­tur­häu­sern vor­nehm­lich im Osten Deutsch­lands. Von dort kamen (und kom­men) oft auch sei­ne Dialogpartner.

Das ist die eine Hälf­te der Ant­wort auf die Fra­ge, war­um die Fried­rich-Ebert-Stif­tung in Sach­sen-Anhalt und die dor­ti­ge Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung die Her­aus­ga­be einer Samm­lung von Wag­ners Gesprä­chen pro­te­gier­te. Die ande­re Hälf­te der Ant­wort: Eini­ge klu­ge Köp­fe in die­sen in Mag­de­burg ansäs­si­gen Insti­tu­tio­nen hat­ten erkannt, dass hier ein­zig­ar­ti­ge zeit­hi­sto­ri­sche Quel­len vor­lie­gen, Zeug­nis­se von beacht­li­chem Wert. Sie doku­men­tie­ren nicht nur beweg­te, oft dra­ma­ti­sche Lebens­läu­fe, son­dern das zwan­zig­ste Jahr­hun­dert schlecht­hin – ins­be­son­de­re deutsch-deut­sche Geschich­te inklu­si­ve ihres Endes 1990. Die Unwie­der­bring­lich­keit des Gesag­ten ist nicht nur der Tat­sa­che geschul­det, dass die mei­sten der in die­sem dicken Band ver­sam­mel­ten drei­zehn Gesprächs­part­ner inzwi­schen nicht mehr sind. Es sind dort Urtei­le etwa über Kunst und Kul­tur, über Poli­tik und Poli­ti­ker ent­hal­ten, die All­ge­mein­gül­tig­keit besit­zen und dar­um aktu­ell sind und bleiben.

Der Phi­lo­soph und Lie­der­ma­cher Hans-Eckardt Wen­zel erklärt in sei­nem Vor­wort Wag­ners Gesprächs­kunst, die sol­ches mög­lich mach­te: »An kei­ner Stel­le dünkt er sich klü­ger als sein Gegen­über. Sei­ne Neu­gier an den Tat­sa­chen treibt ihn an.«

Wag­ners Part­ner sind Maler, Poli­ti­ker, Musi­ker, Ver­le­ger, Regis­seu­re, Schau­spie­ler, Phi­lo­so­phen, Bild­hau­er, es ist – bzw. war – die erste Rei­he in ihrem Metier: Hans Bent­zi­en, Ben­no Bes­son, Jür­gen Bött­cher (d. i. Stra­wal­de), Wie­land För­ster, Frank Hör­nigk, Gustav Just, Man­fred Kar­ge, Wolf­gang Leon­hard, Peter Ruben, Kurt San­der­ling, Kurt Schwaen, Her­mann Weber und Ger­hard Wolf. Vie­les von dem, was sie zu berich­ten wuss­ten, was ihnen PWW also zu ent­locken ver­moch­te, wider­spricht den gän­gi­gen Nar­ra­ti­ven. Oder wie Wen­zel es hin­ter­grün­dig for­mu­liert: »Die­se Inter­views wol­len kei­ne Über­zeu­gungs­ar­beit lei­sten, sie wol­len Spu­ren legen, Infor­ma­tio­nen als Kas­si­ber für die Spä­te­ren, falls sie Wahr­hei­ten fin­den wol­len und den Legen­den der Sie­ger kei­nen Glau­ben mehr schen­ken.« Die Inter­views sol­len der Geschichts­ver­dre­hung – Wen­zel nennt es »geschicht­li­che Arro­ganz« – etwas ent­ge­gen­set­zen. Aller­dings schwingt, nicht unbe­grün­det, auch eine gewis­se Skep­sis mit. »Frei­lich wer­den die, die alles schon wis­sen oder glau­ben alles zu wis­sen, die Tex­te nicht lesen.«

Das ist nicht aus­ge­macht. Natür­lich ste­hen ganz all­ge­mein Schrif­ten heu­te nicht hoch im Kurs. Zum einen, weil es davon zu vie­le gibt und eine Über­sät­ti­gung nicht zu über­se­hen ist. Zum ande­ren, weil Lesen Arbeit bedeu­tet. Und die­se ist zwei­fel­los gegen­über dem Kon­sum leich­ter Kost heut­zu­ta­ge erkenn­bar im Nach­teil. Das aber muss nicht immer so blei­ben. Geschich­te ist nicht nur der ste­te Auf­stieg, son­dern auch eine Pen­del­be­we­gung. Mal schwingt die Ent­wick­lung in die eine, mal in die ande­re Rich­tung. Dass die Lese­un­lust gegen­wär­tig ten­den­zi­ell zunimmt, bedeu­tet nicht zwin­gend, dass dies immer so wei­ter­ge­hen wird – das Pen­del kann auch mal wie­der zurück­schla­gen. Irgend­wann. Und viel­leicht rückt dann auch manch Jour­na­list oder Schrift­stel­ler von der heu­te durch­aus übli­chen Pra­xis ab, die Karl Valen­tin mit einem kur­zen Wort­wech­sel beschrieb: »Was lesen Sie denn?« – »Ich lese Bücher, die ich mir sel­ber schreibe.«

Wag­ners gesam­mel­te Gesprä­che sind allen Inter­view­ern zu emp­feh­len, damit sie etwas ler­nen. Und allen »nor­ma­len« Lese­rin­nen und Lesern, die sich unter­hal­ten und etwas Neu­es erfah­ren wol­len, obgleich es doch aus der Ver­gan­gen­heit kommt.

 Paul Wer­ner Wag­ner (Hrsg.): Vom Mor­gen­rot zum Abend­licht. Was zu beden­ken bleibt – Drei­zehn Gesprä­che zu Kunst und Kul­tur­po­li­tik in der DDR, Ver­lag am Park in der edi­ti­on ost, 370 S., 20 €.