Es sind die kleinen Gemeinheiten der politischen Rhetorik, die ein Land entlarven. Wenn in diesen Wochen von »schmerzhaften Einschnitten« die Rede ist, weiß jeder Bürger, dass nicht der Ministerialdirektor gemeint ist, sondern der Rentner, die Alleinerziehende oder der Arbeitslose. Sozialpolitische Sparmaßnahmen – Bürgergeld kürzen, Renten dämpfen, Pflegeleistungen »anpassen« – stehen stets schneller auf der Agenda als die Frage, ob man im aufgeblähten Beamtenapparat ein wenig Luft herauslassen könnte. Es ist, als sei die Republik in ihrer Mitte unkündbar – nicht etwa die Demokratie, sondern ihre Beamten.
Deutschland leistet sich etwas, das im europäischen Konzert mittlerweile wie eine schräge Tuba klingt: ein Berufsbeamtentum, verankert im Grundgesetz, ausgestattet mit Lebenszeitgarantie und Sonderpensionen. Während in Skandinavien Verwaltungsangestellte längst normale Beschäftigte sind und in Frankreich der Beamtenstatus zumindest erodiert, verteidigt die Bundesrepublik das preußische Erbe mit einer Inbrunst, als hänge die staatliche Existenz am Beamtenkittel.
Die offizielle Begründung lautet seit Jahrhunderten gleich: Nur die Unkündbarkeit sichere die Loyalität. Als ob Demokratien vor allem durch die Treue ihrer Staatsdiener überlebten – und nicht durch die Kontrolle der Regierten. Wer heute das Lamento über »Sozialschmarotzer« und »fehlende Eigenverantwortung« hört, darf sich fragen, ob nicht eher die Unkündbarkeit selbst zur größten Form des Missbrauchs taugt.
Die Ursprünge sind bekannt: Friedrich Wilhelm I., der »Soldatenkönig«, schuf im 18. Jahrhundert einen Beamtenapparat, der sich durch Disziplin, Gehorsam und unerschütterliche Pflichterfüllung definierte. Friedrich II. adelte diesen Apparat, indem er sich selbst als »erster Diener des Staates« bezeichnete – ein Satz, der so nobel klingt, dass er bis heute gern zitiert wird, obwohl die Dienerschaft stets nur nach oben, nie nach unten verstanden war.
Die Beamten wurden zu einer Art staatlichem Adelsersatz: unkündbar, privilegiert, mit klaren Hierarchien. Schon das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 verankerte Rechte und Pflichten, die im Kern bis heute fortleben. Beamte dienten nicht dem Volk, sondern dem Fürsten – und nach 1918 dem abstrakten »Staat«. In der Weimarer Republik standen sie mehrheitlich auf Distanz zur Demokratie, betrachteten sich als konservatives Bollwerk gegen den »Parteienstaat«. Dass ausgerechnet diese Staatsdiener unter den Nazis zum Werkzeug der Gleichschaltung wurden, war kein Betriebsunfall, sondern systemische Folge. Das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 schuf die Blaupause für Exklusion und Unterordnung: Juden, Linke, Unliebsame wurden entfernt – die Treuen blieben. Und blieben auch nach 1945.
Die junge Bundesrepublik griff auf dieses Reservoir zurück. Statt einen Neuanfang zu wagen, wurden alte Eliten integriert, das Beamtenrecht im Grundgesetz verewigt. Wer an der Verfassung schraubt, stößt auf Artikel 33, Absatz 5: »Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind zu beachten.« Man fragt sich, warum ausgerechnet dieses Relikt monarchischer Herrschaft zum Verfassungsheiligtum erklärt wurde – und warum man die »hergebrachten Grundsätze« der sozialen Demokratie so schnell vergessen hat.
Heute zählt Deutschland rund 1,7 Millionen Beamte. Lehrer, Polizisten, Finanzbeamte, Ministerialräte – und ein Heer von Verwaltungsbeamten, deren Unkündbarkeit und Pensionsansprüche sich in Milliardenkosten niederschlagen. Während die durchschnittliche Netto-Rente nach Angaben des VermögensZentrums Deutschland (VZ) im Dezember 2024 bei Männern rund 1405 Euro und bei Frauen 955 Euro betrug, liegt die Beamtenpension im Schnitt bei über 3.200 Euro.
Wer in Deutschland eine sichere Altersversorgung will, sollte also nicht 45 Jahre lang in die Rentenkasse einzahlen, sondern im richtigen Moment ein Verbeamtungsformular unterschreiben. Der »goldene Käfig« ist keine Metapher, sondern ein handfester Haushaltsposten – gespeist aus Steuergeld, also auch aus den Abgaben jener, die später mit deutlich geringeren Rentenzahlungen überleben müssen.
Das Argument, Beamte verzichteten dafür auf hohe Gehälter, trägt längst nicht mehr. Lehrer etwa liegen im oberen Mittelfeld der Einkommensskala, Polizisten und Verwaltungsjuristen ebenfalls. Wer heute Beamter wird, entscheidet sich für eine Mischkalkulation: weniger Risiko, dafür garantierte Sicherheit – und Privilegien, die in der freien Wirtschaft als Betriebsunfall gelten würden.
Deutschland ist mit diesem Modell nahezu allein. Frankreich kennt zwar noch die »fonction publique«, aber die Zahl der verbeamteten Stellen sinkt, Reformen haben den Status stark relativiert. In Großbritannien sind Civil Servants ganz normale Angestellte, die entlassen werden können. Skandinavien kennt den Beamtenstatus kaum noch, dort regelt das Arbeitsrecht auch für Staatsbedienstete alles Wesentliche.
In Österreich wurde die Verbeamtung massiv zurückgefahren; viele Aufgaben werden von Vertragsbediensteten erfüllt. Italien und Spanien haben die Privilegien des öffentlichen Dienstes längst gekappt. Mit anderen Worten: Während Europa den Beamtenstatus abbaut, pflegt Deutschland sein museales Relikt – und wundert sich über den Spott der Nachbarn.
Der Bund der Steuerzahler schlägt vor, den Beamtenstatus auf hoheitliche Aufgaben zu beschränken – Polizei, Justiz, innere Sicherheit. Sogar ein Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär, fordert eine »Radikalkur« für den Beamtenapparat. Man darf gespannt sein, ob er die Kraft hat, sich mit der eigenen Klientel im öffentlichen Dienst anzulegen. Denn hinter jeder Debatte lauert die Doppelmoral: Wer bei Bürgergeld oder Rente kürzt, darf sich als Haushaltsretter inszenieren. Wer bei Beamtenpensionen Hand anlegt, riskiert den Aufstand einer organisierten Kaste – und damit politischen Selbstmord.
Die Medien spielen dabei ihre eigene Rolle: Während Bürgergeldbezieher als »Sozialschmarotzer« diffamiert werden, erscheinen Beamte als »tragende Säule«. Das Framing ist altbekannt: Schwache gegen Schwächere, Apparate gegen Außenseiter.
Es gibt ein weiteres Privileg, das die Absurdität des Systems wie unter einem Brennglas zeigt: die Rolle der Beamten im Parlament. Wird ein Lehrer, Polizist oder Verwaltungsjurist in den Bundestag gewählt, dann muss er sich nicht fragen, wie er nach Ende der Mandatszeit wieder auf die Beine kommt. Sein Dienstverhältnis ruht einfach – und wartet geduldig auf die Rückkehr des Volksvertreters.
Während die einen ihr politisches Engagement mit dem Risiko bezahlen, beruflich ins Nichts zu fallen, genießen Beamte eine Art politische Freistellungs- und Rückkehrversicherung. Heute Abgeordneter, morgen wieder Oberstudienrat oder Kriminalhauptkommissar – mit allen Pensionsansprüchen, Beförderungsmöglichkeiten und dienstrechtlichen Sicherheiten. Demokratie als Sabbatical, könnte man sagen: ein Ausflug in die Politik, ohne dass der Arbeitsplatz je verloren ginge.
Diese Rückfahrkarte wird gern mit der »Treuepflicht« begründet – der Staat wolle seine Beamten nicht für ihre politische Aktivität bestrafen. Doch in Wahrheit entpuppt sich die Regel als Klassenprivileg. Denn während die Ärztin oder der Handwerker nach einem Mandat mühsam neue Patienten oder Kunden suchen, während die Angestellte auf eine wohlwollende Rücknahme durch ihren Betrieb hofft, darf der Beamte ganz selbstverständlich wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren – als sei nichts gewesen.
Und als wäre das nicht genug, kassiert er doppelt: Abgeordneten-Diäten und Altersentschädigung auf der einen Seite, Pensionsansprüche auf der anderen. Es ist ein Geschäftsmodell der Demokratie, das so nur für Staatsdiener gilt. Wer Bürgergeld bezieht, soll mit weniger auskommen; wer Rentner ist, soll den Gürtel enger schnallen; wer Beamter und Abgeordneter ist, darf die Demokratie gleich zweifach vergolden.
Der eigentliche Skandal liegt jedoch tiefer: Rund ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag stammt selbst aus dem Beamtenapparat. Wer wollte da ernsthaft hoffen, dass die Mehrheit des Parlaments für eine Verfassungsänderung stimmt, die ihre eigenen Privilegien beschneidet? Die »hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums« sind nicht nur juristisch zementiert, sie sind auch politisch durch eine stille Selbstvertretung abgesichert. So wird das Grundgesetz zur Lebensversicherung einer Kaste, die im Namen des Volkes regiert – und zugleich in ihrem eigenen Interesse.
Es ist kein Zufall, dass Deutschland diesen Sonderweg geht. Die Bundesrepublik war von Anfang an eine Demokratie der »institutionellen Stabilität«. Der Beamtenstatus garantierte Kontinuität, verankerte Loyalität – und verhinderte damit zugleich radikale Brüche. Doch was in den 1950er-Jahren als Stabilitätsanker galt, wirkt heute wie ein Klotz am Bein.
Eine Demokratie, die Bürgergeld kürzt, Renten einfriert und Pflegekräfte am Limit arbeiten lässt, während sie gleichzeitig Beamtenpensionen auf Jahrzehnte sichert, wirkt nicht glaubwürdig. Sie wirkt wie ein System, das sich nach innen verschanzt und nach außen spart.
Man stelle sich vor: Ein Bürgergeldempfänger erklärt dem Jobcenter, er könne leider nicht vermittelt werden, da er nach den »hergebrachten Grundsätzen seines Lebensunterhalts« unkündbar sei. Oder eine Rentnerin weigert sich, Kürzungen hinzunehmen, mit der Begründung, ihre Pension sei »verfassungsrechtlich geschützt«. Der Spott läge auf der Hand – aber die Realität zeigt, dass dieses Argument für Beamte ernst gemeint ist.
Die Bundesrepublik schützt nicht die Schwachen, sondern die Starken im Staatsdienst. Der Sozialstaat wird abgebaut, das Beamtenprivileg verteidigt. Demokratie sieht anders aus.
Die eigentliche Frage ist also nicht, ob wir Beamte brauchen. Selbstverständlich braucht ein Staat Polizei, Justiz, Lehrer, Verwaltung. Aber warum muss diese Arbeit mit einem monarchischen Relikt abgesichert sein? Warum gilt Unkündbarkeit als Tugend – und nicht die demokratische Pflicht zur Rechenschaft?
Es wäre an der Zeit, den Beamtenstatus zu demokratisieren: weg von Privilegien, hin zu gleichen Rechten und Pflichten für alle, die im öffentlichen Dienst arbeiten. Loyalität entsteht nicht durch Pensionen, sondern durch Identifikation mit einer Gesellschaft, die fair mit allen umgeht.
Bis dahin bleibt das deutsche Beamtentum ein Denkmal seiner selbst: ein Museumsposten, finanziert von jenen, die man gleichzeitig zur Haushaltskonsolidierung schröpft. Die wahre Revolution in Deutschland wäre nicht die Einführung eines echten Bürgergelds, sondern die Abschaffung des Beamtentums. Aber darauf wartet man wohl länger als auf den Weltfrieden.