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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die letzte Kaste: Beamte

Es sind die klei­nen Gemein­hei­ten der poli­ti­schen Rhe­to­rik, die ein Land ent­lar­ven. Wenn in die­sen Wochen von »schmerz­haf­ten Ein­schnit­ten« die Rede ist, weiß jeder Bür­ger, dass nicht der Mini­ste­ri­al­di­rek­tor gemeint ist, son­dern der Rent­ner, die Allein­er­zie­hen­de oder der Arbeits­lo­se. Sozi­al­po­li­ti­sche Spar­maß­nah­men – Bür­ger­geld kür­zen, Ren­ten dämp­fen, Pfle­ge­lei­stun­gen »anpas­sen« – ste­hen stets schnel­ler auf der Agen­da als die Fra­ge, ob man im auf­ge­bläh­ten Beam­ten­ap­pa­rat ein wenig Luft her­aus­las­sen könn­te. Es ist, als sei die Repu­blik in ihrer Mit­te unkünd­bar – nicht etwa die Demo­kra­tie, son­dern ihre Beamten.

Deutsch­land lei­stet sich etwas, das im euro­päi­schen Kon­zert mitt­ler­wei­le wie eine schrä­ge Tuba klingt: ein Berufs­be­am­ten­tum, ver­an­kert im Grund­ge­setz, aus­ge­stat­tet mit Lebens­zeit­ga­ran­tie und Son­der­pen­sio­nen. Wäh­rend in Skan­di­na­vi­en Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te längst nor­ma­le Beschäf­tig­te sind und in Frank­reich der Beam­ten­sta­tus zumin­dest ero­diert, ver­tei­digt die Bun­des­re­pu­blik das preu­ßi­sche Erbe mit einer Inbrunst, als hän­ge die staat­li­che Exi­stenz am Beamtenkittel.

Die offi­zi­el­le Begrün­dung lau­tet seit Jahr­hun­der­ten gleich: Nur die Unkünd­bar­keit siche­re die Loya­li­tät. Als ob Demo­kra­tien vor allem durch die Treue ihrer Staats­die­ner über­leb­ten – und nicht durch die Kon­trol­le der Regier­ten. Wer heu­te das Lamen­to über »Sozi­al­schma­rot­zer« und »feh­len­de Eigen­ver­ant­wor­tung« hört, darf sich fra­gen, ob nicht eher die Unkünd­bar­keit selbst zur größ­ten Form des Miss­brauchs taugt.

Die Ursprün­ge sind bekannt: Fried­rich Wil­helm I., der »Sol­da­ten­kö­nig«, schuf im 18. Jahr­hun­dert einen Beam­ten­ap­pa­rat, der sich durch Dis­zi­plin, Gehor­sam und uner­schüt­ter­li­che Pflicht­er­fül­lung defi­nier­te. Fried­rich II. adel­te die­sen Appa­rat, indem er sich selbst als »erster Die­ner des Staa­tes« bezeich­ne­te – ein Satz, der so nobel klingt, dass er bis heu­te gern zitiert wird, obwohl die Die­ner­schaft stets nur nach oben, nie nach unten ver­stan­den war.

Die Beam­ten wur­den zu einer Art staat­li­chem Adels­er­satz: unkünd­bar, pri­vi­le­giert, mit kla­ren Hier­ar­chien. Schon das Preu­ßi­sche All­ge­mei­ne Land­recht von 1794 ver­an­ker­te Rech­te und Pflich­ten, die im Kern bis heu­te fort­le­ben. Beam­te dien­ten nicht dem Volk, son­dern dem Für­sten – und nach 1918 dem abstrak­ten »Staat«. In der Wei­ma­rer Repu­blik stan­den sie mehr­heit­lich auf Distanz zur Demo­kra­tie, betrach­te­ten sich als kon­ser­va­ti­ves Boll­werk gegen den »Par­tei­en­staat«. Dass aus­ge­rech­net die­se Staats­die­ner unter den Nazis zum Werk­zeug der Gleich­schal­tung wur­den, war kein Betriebs­un­fall, son­dern syste­mi­sche Fol­ge. Das »Gesetz zur Wie­der­her­stel­lung des Berufs­be­am­ten­tums« vom 7. April 1933 schuf die Blau­pau­se für Exklu­si­on und Unter­ord­nung: Juden, Lin­ke, Unlieb­sa­me wur­den ent­fernt – die Treu­en blie­ben. Und blie­ben auch nach 1945.

Die jun­ge Bun­des­re­pu­blik griff auf die­ses Reser­voir zurück. Statt einen Neu­an­fang zu wagen, wur­den alte Eli­ten inte­griert, das Beam­ten­recht im Grund­ge­setz ver­ewigt. Wer an der Ver­fas­sung schraubt, stößt auf Arti­kel 33, Absatz 5: »Die her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Berufs­be­am­ten­tums sind zu beach­ten.« Man fragt sich, war­um aus­ge­rech­net die­ses Relikt mon­ar­chi­scher Herr­schaft zum Ver­fas­sungs­hei­lig­tum erklärt wur­de – und war­um man die »her­ge­brach­ten Grund­sät­ze« der sozia­len Demo­kra­tie so schnell ver­ges­sen hat.

Heu­te zählt Deutsch­land rund 1,7 Mil­lio­nen Beam­te. Leh­rer, Poli­zi­sten, Finanz­be­am­te, Mini­ste­ri­al­rä­te – und ein Heer von Ver­wal­tungs­be­am­ten, deren Unkünd­bar­keit und Pen­si­ons­an­sprü­che sich in Mil­li­ar­den­ko­sten nie­der­schla­gen. Wäh­rend die durch­schnitt­li­che Net­to-Ren­te nach Anga­ben des Ver­mö­gens­Zen­trums Deutsch­land (VZ) im Dezem­ber 2024 bei Män­nern rund 1405 Euro und bei Frau­en 955 Euro betrug, liegt die Beam­ten­pen­si­on im Schnitt bei über 3.200 Euro.

Wer in Deutsch­land eine siche­re Alters­ver­sor­gung will, soll­te also nicht 45 Jah­re lang in die Ren­ten­kas­se ein­zah­len, son­dern im rich­ti­gen Moment ein Ver­be­am­tungs­for­mu­lar unter­schrei­ben. Der »gol­de­ne Käfig« ist kei­ne Meta­pher, son­dern ein hand­fe­ster Haus­halts­po­sten – gespeist aus Steu­er­geld, also auch aus den Abga­ben jener, die spä­ter mit deut­lich gerin­ge­ren Ren­ten­zah­lun­gen über­le­ben müssen.

Das Argu­ment, Beam­te ver­zich­te­ten dafür auf hohe Gehäl­ter, trägt längst nicht mehr. Leh­rer etwa lie­gen im obe­ren Mit­tel­feld der Ein­kom­mens­ska­la, Poli­zi­sten und Ver­wal­tungs­ju­ri­sten eben­falls. Wer heu­te Beam­ter wird, ent­schei­det sich für eine Misch­kal­ku­la­ti­on: weni­ger Risi­ko, dafür garan­tier­te Sicher­heit – und Pri­vi­le­gi­en, die in der frei­en Wirt­schaft als Betriebs­un­fall gel­ten würden.

Deutsch­land ist mit die­sem Modell nahe­zu allein. Frank­reich kennt zwar noch die »fonc­tion publi­que«, aber die Zahl der ver­be­am­te­ten Stel­len sinkt, Refor­men haben den Sta­tus stark rela­ti­viert. In Groß­bri­tan­ni­en sind Civil Ser­vants ganz nor­ma­le Ange­stell­te, die ent­las­sen wer­den kön­nen. Skan­di­na­vi­en kennt den Beam­ten­sta­tus kaum noch, dort regelt das Arbeits­recht auch für Staats­be­dien­ste­te alles Wesentliche.

In Öster­reich wur­de die Ver­be­am­tung mas­siv zurück­ge­fah­ren; vie­le Auf­ga­ben wer­den von Ver­trags­be­dien­ste­ten erfüllt. Ita­li­en und Spa­ni­en haben die Pri­vi­le­gi­en des öffent­li­chen Dien­stes längst gekappt. Mit ande­ren Wor­ten: Wäh­rend Euro­pa den Beam­ten­sta­tus abbaut, pflegt Deutsch­land sein musea­les Relikt – und wun­dert sich über den Spott der Nachbarn.

Der Bund der Steu­er­zah­ler schlägt vor, den Beam­ten­sta­tus auf hoheit­li­che Auf­ga­ben zu beschrän­ken – Poli­zei, Justiz, inne­re Sicher­heit. Sogar ein Car­sten Lin­ne­mann, CDU-Gene­ral­se­kre­tär, for­dert eine »Radi­kal­kur« für den Beam­ten­ap­pa­rat. Man darf gespannt sein, ob er die Kraft hat, sich mit der eige­nen Kli­en­tel im öffent­li­chen Dienst anzu­le­gen. Denn hin­ter jeder Debat­te lau­ert die Dop­pel­mo­ral: Wer bei Bür­ger­geld oder Ren­te kürzt, darf sich als Haus­halts­ret­ter insze­nie­ren. Wer bei Beam­ten­pen­sio­nen Hand anlegt, ris­kiert den Auf­stand einer orga­ni­sier­ten Kaste – und damit poli­ti­schen Selbstmord.

Die Medi­en spie­len dabei ihre eige­ne Rol­le: Wäh­rend Bür­ger­geld­be­zie­her als »Sozi­al­schma­rot­zer« dif­fa­miert wer­den, erschei­nen Beam­te als »tra­gen­de Säu­le«. Das Framing ist alt­be­kannt: Schwa­che gegen Schwä­che­re, Appa­ra­te gegen Außenseiter.

Es gibt ein wei­te­res Pri­vi­leg, das die Absur­di­tät des Systems wie unter einem Brenn­glas zeigt: die Rol­le der Beam­ten im Par­la­ment. Wird ein Leh­rer, Poli­zist oder Ver­wal­tungs­ju­rist in den Bun­des­tag gewählt, dann muss er sich nicht fra­gen, wie er nach Ende der Man­dats­zeit wie­der auf die Bei­ne kommt. Sein Dienst­ver­hält­nis ruht ein­fach – und war­tet gedul­dig auf die Rück­kehr des Volksvertreters.

Wäh­rend die einen ihr poli­ti­sches Enga­ge­ment mit dem Risi­ko bezah­len, beruf­lich ins Nichts zu fal­len, genie­ßen Beam­te eine Art poli­ti­sche Frei­stel­lungs- und Rück­kehr­ver­si­che­rung. Heu­te Abge­ord­ne­ter, mor­gen wie­der Ober­stu­di­en­rat oder Kri­mi­nal­haupt­kom­mis­sar – mit allen Pen­si­ons­an­sprü­chen, Beför­de­rungs­mög­lich­kei­ten und dienst­recht­li­chen Sicher­hei­ten. Demo­kra­tie als Sab­ba­ti­cal, könn­te man sagen: ein Aus­flug in die Poli­tik, ohne dass der Arbeits­platz je ver­lo­ren ginge.

Die­se Rück­fahr­kar­te wird gern mit der »Treue­pflicht« begrün­det – der Staat wol­le sei­ne Beam­ten nicht für ihre poli­ti­sche Akti­vi­tät bestra­fen. Doch in Wahr­heit ent­puppt sich die Regel als Klas­sen­pri­vi­leg. Denn wäh­rend die Ärz­tin oder der Hand­wer­ker nach einem Man­dat müh­sam neue Pati­en­ten oder Kun­den suchen, wäh­rend die Ange­stell­te auf eine wohl­wol­len­de Rück­nah­me durch ihren Betrieb hofft, darf der Beam­te ganz selbst­ver­ständ­lich wie­der an sei­ne alte Wir­kungs­stät­te zurück­keh­ren – als sei nichts gewesen.

Und als wäre das nicht genug, kas­siert er dop­pelt: Abge­ord­ne­ten-Diä­ten und Alters­ent­schä­di­gung auf der einen Sei­te, Pen­si­ons­an­sprü­che auf der ande­ren. Es ist ein Geschäfts­mo­dell der Demo­kra­tie, das so nur für Staats­die­ner gilt. Wer Bür­ger­geld bezieht, soll mit weni­ger aus­kom­men; wer Rent­ner ist, soll den Gür­tel enger schnal­len; wer Beam­ter und Abge­ord­ne­ter ist, darf die Demo­kra­tie gleich zwei­fach vergolden.

Der eigent­li­che Skan­dal liegt jedoch tie­fer: Rund ein Vier­tel der Abge­ord­ne­ten im Bun­des­tag stammt selbst aus dem Beam­ten­ap­pa­rat. Wer woll­te da ernst­haft hof­fen, dass die Mehr­heit des Par­la­ments für eine Ver­fas­sungs­än­de­rung stimmt, die ihre eige­nen Pri­vi­le­gi­en beschnei­det? Die »her­ge­brach­ten Grund­sät­ze des Berufs­be­am­ten­tums« sind nicht nur juri­stisch zemen­tiert, sie sind auch poli­tisch durch eine stil­le Selbst­ver­tre­tung abge­si­chert. So wird das Grund­ge­setz zur Lebens­ver­si­che­rung einer Kaste, die im Namen des Vol­kes regiert – und zugleich in ihrem eige­nen Interesse.

Es ist kein Zufall, dass Deutsch­land die­sen Son­der­weg geht. Die Bun­des­re­pu­blik war von Anfang an eine Demo­kra­tie der »insti­tu­tio­nel­len Sta­bi­li­tät«. Der Beam­ten­sta­tus garan­tier­te Kon­ti­nui­tät, ver­an­ker­te Loya­li­tät – und ver­hin­der­te damit zugleich radi­ka­le Brü­che. Doch was in den 1950er-Jah­ren als Sta­bi­li­täts­an­ker galt, wirkt heu­te wie ein Klotz am Bein.

Eine Demo­kra­tie, die Bür­ger­geld kürzt, Ren­ten ein­friert und Pfle­ge­kräf­te am Limit arbei­ten lässt, wäh­rend sie gleich­zei­tig Beam­ten­pen­sio­nen auf Jahr­zehn­te sichert, wirkt nicht glaub­wür­dig. Sie wirkt wie ein System, das sich nach innen ver­schanzt und nach außen spart.

Man stel­le sich vor: Ein Bür­ger­geld­emp­fän­ger erklärt dem Job­cen­ter, er kön­ne lei­der nicht ver­mit­telt wer­den, da er nach den »her­ge­brach­ten Grund­sät­zen sei­nes Lebens­un­ter­halts« unkünd­bar sei. Oder eine Rent­ne­rin wei­gert sich, Kür­zun­gen hin­zu­neh­men, mit der Begrün­dung, ihre Pen­si­on sei »ver­fas­sungs­recht­lich geschützt«. Der Spott läge auf der Hand – aber die Rea­li­tät zeigt, dass die­ses Argu­ment für Beam­te ernst gemeint ist.

Die Bun­des­re­pu­blik schützt nicht die Schwa­chen, son­dern die Star­ken im Staats­dienst. Der Sozi­al­staat wird abge­baut, das Beam­ten­pri­vi­leg ver­tei­digt. Demo­kra­tie sieht anders aus.

Die eigent­li­che Fra­ge ist also nicht, ob wir Beam­te brau­chen. Selbst­ver­ständ­lich braucht ein Staat Poli­zei, Justiz, Leh­rer, Ver­wal­tung. Aber war­um muss die­se Arbeit mit einem mon­ar­chi­schen Relikt abge­si­chert sein? War­um gilt Unkünd­bar­keit als Tugend – und nicht die demo­kra­ti­sche Pflicht zur Rechenschaft?

Es wäre an der Zeit, den Beam­ten­sta­tus zu demo­kra­ti­sie­ren: weg von Pri­vi­le­gi­en, hin zu glei­chen Rech­ten und Pflich­ten für alle, die im öffent­li­chen Dienst arbei­ten. Loya­li­tät ent­steht nicht durch Pen­sio­nen, son­dern durch Iden­ti­fi­ka­ti­on mit einer Gesell­schaft, die fair mit allen umgeht.

Bis dahin bleibt das deut­sche Beam­ten­tum ein Denk­mal sei­ner selbst: ein Muse­ums­po­sten, finan­ziert von jenen, die man gleich­zei­tig zur Haus­halts­kon­so­li­die­rung schröpft. Die wah­re Revo­lu­ti­on in Deutsch­land wäre nicht die Ein­füh­rung eines ech­ten Bür­ger­gelds, son­dern die Abschaf­fung des Beam­ten­tums. Aber dar­auf war­tet man wohl län­ger als auf den Weltfrieden.