Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Misere der Bahn und das Zugpersonal

Nach­dem eine Freun­din mei­nen Bei­trag »Betriebs­stö­run­gen« (Ossietzky 21/​2024) gele­sen hat­te, reagier­te sie mit der Fra­ge: »Das ist doch eine Sati­re?« Dar­auf muss­te ich ihr ant­wor­ten: »Nein, das habe ich alles selbst erlebt«.

Ich möch­te nun nicht in den Ver­dacht gera­ten, den Zustand der deut­schen Bah­nen zu blo­ßer Sati­re zu nut­zen; dafür ist er zu ernst. So soll im fol­gen­den Bericht auch nicht die Befind­lich­keit des Bericht­erstat­ters im Mit­tel­punkt stehen.

Wenn ich trotz aller vor­be­rei­ten­den Bemer­kun­gen doch noch ein­mal auf mei­nen Arti­kel »Betriebs­stö­run­gen« zurück­grei­fe, so nur, um deut­lich zu machen, dass ich aus nega­ti­ven Erfah­run­gen zu ler­nen ver­sucht habe. Kon­kret: Die­ses Mal wähl­te ich, um von Han­no­ver nach Ham­burg zu gelan­gen, eine Ver­bin­dung des Regio­nal­ex­pres­ses (RE), ver­such­te also, die Regio­nal­bahn (vul­go: Bum­mel­bahn; amt­lich: RB) zu ver­mei­den. Der von mir gewähl­te Zug soll­te mir über­dies den mit dem Umstei­gen in Uel­zen ver­bun­de­nen Zeit­ver­lust ersparen.

Der »Metro­nom« fuhr dann auch pünkt­lich ab. Bald lagen auch die Sta­tio­nen im Umland von Han­no­ver hin­ter uns. Eigen­ar­tig fand ich dann aber, dass deren Namen auf dem Dis­play des Wag­gons immer wie­der auf­tauch­ten. Dann aber wur­den kei­ne Unter­wegs­sta­tio­nen, auch kei­ne Uhr­zeit oder Wagen­num­mer mehr ange­zeigt. Moch­ten dies noch Klei­nig­kei­ten gewe­sen sein, so konn­te es schon bedenk­lich stim­men, als ein­deu­tig fal­sche Infor­ma­tio­nen zum Aus­stieg vom Band kamen: Wer ihnen gefolgt wäre, wäre auf das Neben­gleis, statt auf den Bahn­steig geraten.

Vor­läu­fi­ge Zusam­men­fas­sung aus der Sicht des Bericht­erstat­ters: Die Elek­tro­nik spiel­te ein wenig ver­rückt; doch die Falsch­an­ga­ben waren durch Zug­per­so­nal offen­bar korrigierbar.

Die­ses schien jedoch bereits zu die­sem Zeit­punkt alar­miert, denn die Rei­sen­den wur­den wie­der­holt um Geduld gebe­ten, und ihnen wur­de in zuneh­mend fle­hend klin­gen­dem Ton ver­si­chert, man gebe sich größ­te Mühe, den Scha­den zu beheben.

Die Situa­ti­on ver­än­der­te sich für die Rei­sen­den jedoch deut­lich, als die­se gebe­ten wur­den, jeweils eine Per­son des jewei­li­gen Wag­gons zu bestim­men, die eine Wagen­tür ein­mal schlie­ßen und dann wie­der öff­nen möge. Das Ergeb­nis war: Die Tür­schließ­elek­tro­nik war defekt. Der Zug soll­te in Uel­zen aus­ge­setzt wer­den. Alle Mit­tei­lun­gen waren wie­der mit vie­len Ent­schul­di­gun­gen und der Ver­si­che­rung ver­bun­den, alles noch Mög­li­che zu tun, um grö­ße­ren Scha­den abzuwenden.

In Uel­zen soll­te ein Zug (RB!) eine Drei­vier­tel­stun­de spä­ter in Rich­tung Ham­burg abfah­ren. Das Wet­ter war unge­müt­lich, die Aus­sicht, auf dem Bahn­steig war­ten zu müs­sen, eben­falls. (Dort aber hät­te man sich auf­hal­ten müs­sen, um spon­tan auf even­tu­el­le neue Nach­rich­ten reagie­ren zu können.)

Nun stell­te ich fest, dass schon nach 20 Minu­ten ein ICE hal­ten soll­te, der auf sei­ner Fahrt nach Ham­burg bereits 60 Minu­ten Ver­spä­tung ange­sam­melt hat­te. Die­se Infor­ma­ti­on brach­te mich auf einen Plan, der sich wider Erwar­ten rea­li­sie­ren ließ: Als die­ser Zug hielt, sprang mir ein Zug­be­glei­ter fast vor die Füße; so hat­te ich Gele­gen­heit, ihm in aller Kür­ze mit­zu­tei­len, dass ich mit den übri­gen Fahr­gä­sten des »Metro­nom« in Uel­zen gestran­det sei. Mit einer knap­pen, aber ein­deu­tig ein­la­den­den Hand­be­we­gung gestat­te­te er mir kulan­ter­wei­se die Mitfahrt.

Als ich im Zug saß, setz­te er sich mir gegen­über, und ich berich­te­te ihm von mei­nem gera­de erleb­ten Aben­teu­er. So kamen wir über den Zustand der deut­schen Bah­nen ins Gespräch. In die­sem Zusam­men­hang erfuhr ich bei­spiels­wei­se, dass die Lok­füh­rer zeit­wei­se zu 11½-Stun­den­schich­ten ein­ge­teilt wür­den. Dabei müss­ten sie nach jeweils 6 Stun­den eine Pau­se machen. Die Pro­ble­me, die sich aus die­sem Vor­ge­hen erge­ben, lie­gen auf der Hand.

Wäh­rend wir uns so mit­ein­an­der unter­hiel­ten, mach­te er mich auf ein rascheln­des Geräusch auf­merk­sam; ich hat­te nichts Auf­fäl­li­ges bemerkt. Dass er es bemerkt hat­te, hing außer mit sei­ner beruf­li­chen Erfah­rung auch mit der Situa­ti­on zusam­men: Sein ICE hat­te im Lau­fe der Fahrt, wie erwähnt, in Uel­zen bereits eine Ver­spä­tung von 60 Minu­ten ange­sam­melt; die Fahr­gä­ste wirk­ten erschöpft und ein wenig überreizt.

Bald wie­der­hol­te sich das Geräusch in einer Laut­stär­ke, dass auch ich es die­ses Mal bemerk­te – was ich dem Zug­be­glei­ter signa­li­sier­te. Die­ser konn­te mei­nen Lern­erfolg nicht wür­di­gen, da ihn viel­mehr der Zustand des Fahr­werks beun­ru­hig­te. Er rief einen Kol­le­gen an, der mit ern­ster Mie­ne erschien. Bei­de berie­ten nun, was zu tun sei. Schließ­lich sag­te der Kol­le­ge mit Gra­bes­stim­me: »Dann ist das eben so!« Er teil­te den Fahr­gä­sten mit Hil­fe des Zug­laut­spre­chers mit, dass der Zug im Schritt­tem­po den näch­sten Bahn­hof ansteu­ern wür­de. Es han­del­te sich um Win­sen. Nun ergab sich das Pro­blem, dass der ICE sehr lang und der Bahn­steig in Win­sen zu kurz war, als dass alle Fahr­gä­ste gefahr­los hät­ten aus­stei­gen kön­nen. Also ver­kün­de­te der Kol­le­ge, in Win­sen wer­de der Zug »eva­ku­iert«. Die­ses Wort signa­li­sier­te eine Gefah­ren­si­tua­ti­on, die an Not­rut­schen und Ähn­li­ches den­ken ließ. Davon konn­te kei­ne Rede sein; nur bestimm­te Wag­gons durf­ten nicht zum Aus­stei­gen benutzt werden.

In Win­sen wur­de bereits ein Zug erwar­tet, genau­er gesagt: eine Regio­nal­bahn (RB); noch genau­er gesagt; die RB, auf die ich in Uel­zen nicht hat­te war­ten wol­len. Dass es ihr gelun­gen war, den ICE in Win­sen ein­zu­ho­len, darf nicht einen Schluss auf ihre Schnel­lig­keit, son­dern nur auf die außer­or­dent­lich zeit­rau­ben­den Vor­gän­ge im ICE zulassen.

Von Win­sen an ver­kehr­te die RB auch noch unter erschwer­ten Bedin­gun­gen, da die Vor­gän­ge allein in den bei­den von mir benutz­ten Zügen Ver­zö­ge­run­gen bewirk­ten, denen eine RB als letz­te Stu­fe in der Zug­hier­ar­chie beson­ders aus­ge­setzt war. Dass die näch­sten Bahn­hö­fe – zunächst Ashau­sen – in schlep­pen­dem, aber auch durch etli­che »Zug­über­ho­lun­gen« zusätz­lich ver­zö­ger­tem Tem­po ange­fah­ren wur­den, ließ das Ziel einer durch­schnitt­li­chen RB-Geschwin­dig­keit sehr bald illu­so­risch werden.

Dafür wie­der­hol­te sich umso ein­dring­li­cher das Bit­ten der Zug­durch­sa­gen um das Ver­ständ­nis der Fahr­gä­ste, das ich bereits im RE und ICE erlebt hat­te. Die­se Durch­sa­gen erschie­nen mir geprägt von Erschöp­fung des Per­so­nals, zusätz­lich aber auch durch ein Gefühl der Demü­ti­gung. Die­ses Gefühl der Demü­ti­gung hat sei­nen Grund im Kern nicht in etwa­igem eige­nem Ver­sa­gen, son­dern dem des Mate­ri­als, und des­sen Ver­sa­gen wie­der­um hat sei­nen Grund im Kern in einem jahr­zehn­te­lan­gen ver­fehl­ten Fah­ren auf Ver­schleiß, auf Geheiß des Bahn­ma­nage­ments. An der Spit­ze der Schuld­hier­ar­chie aber steht die Rei­he der unfä­hi­gen, weil neo­li­be­ral aus­ge­rich­te­ten Ver­kehrs­mi­ni­ster und der jewei­li­gen Kabi­net­te, die ihre neo­li­be­ra­le Poli­tik der Untä­tig­keit selbst nach dem Schock der Leh­man-Brot­hers-Kri­se (die glück­li­cher­wei­se den Bör­sen­gang der Bahn illu­so­risch wer­den ließ) nicht änder­ten. Unse­re Soli­da­ri­tät soll­te im Zwei­fels­fall dem Zug­per­so­nal gelten.