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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Mühen der Ebene

Es scheint ein schier end­lo­ser poli­ti­scher Weg gewe­sen zu sein, obwohl die Stra­ßen, um die es ging (Von-Seeckt-Stra­ße und Von-Einem-Stra­ße in Essen-Rüt­ten­scheid), gar nicht so end­los sind.

Ich hat­te mich (par­tei­los) seit 1990, nach zwei­jäh­ri­gen Vor­ar­bei­ten durch Jür­gen Küp­pers (Grü­ne), mei­nem Vor­gän­ger in der Bezirks­ver­tre­tung II, mit dem Pro­blem die­ser bei­den Stra­ßen­na­men beschäf­tigt und ver­sucht, eine Lösung anzu­bie­ten. Eine Schwie­rig­keit bestand dar­in, dass die­se bei­den sau­be­ren Her­ren kei­ne ein­ge­schrie­be­nen Nazis waren. Des­halb woll­te von der CDU und von der FDP auch kei­ner an die Sache ran.

Von Einem, Gene­ral im ersten Welt­krieg, war zu Zei­ten der Wei­ma­rer Repu­blik bereits in Ruhe­stand, aber publi­zi­stisch als Natio­na­list aktiv, wäh­rend von Seeckt Chef der Reichs­wehr wur­de, die­se ent­ge­gen den Bestim­mun­gen des Ver­sailler Ver­tra­ges auf­rü­ste­te und sie den Nazis qua­si wie rei­fes Obst in den Schoß leg­te. Als Carl von Ossietzky über die­sen Ver­stoß in der Weltbühne berich­te­te, wur­de er von der Justiz der Repu­blik nicht gelobt, son­dern gericht­lich belangt und eingesperrt.

Gedankt wur­de vom Nazi­re­gime dann den bei­den Hand­lan­gern im Jahr 1937 mit Stra­ßen­na­men in ver­schie­de­nen Städ­ten, auch in Essen. Etli­che soge­nann­te Wehr­wirt­schafts­füh­rer waren eben­falls nicht ein­ge­schrie­be­ne Mit­glie­der der NSDAP, wur­den jedoch in Nürn­berg zu Haft­stra­fen ver­ur­teilt, die­se bei­den nicht. Eine Umbe­nen­nung der bei­den Stra­ßen in Essen wur­de nach dem Zwei­ten Welt­krieg nicht vor­ge­nom­men. Trotz ent­spre­chen­der Anträ­ge in den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts wur­de eine Umbe­nen­nung von der poli­ti­schen Mehr­heit der Stadt Essen aus nicht immer nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den abge­lehnt. Der ver­stor­be­ne Stadt­hi­sto­ri­ker Dr. Ernst Schmidt und ande­re Esse­ner Histo­ri­ker emp­fah­len des­halb Zusatz­schil­der, die erläu­tern soll­ten, um wen es sich bei die­sen Nazi­hel­fern gehan­delt habe. Zusatz­schil­der wur­den vom Pla­nungs­amt aber aus Kosten­grün­den (!) und wegen Per­so­nal­man­gels (!) abgelehnt.

Eine drit­te Lösung, die ich ins­be­son­de­re zusam­men mit den Grü­nen in der Bezirks­ver­tre­tung II erar­bei­tet hat­te, war dann ein Mahn­stein mit einer Erläu­te­rungs­ta­fel an der Kreu­zung der bei­den Stra­ßen. Es stand dort ein rela­tiv gro­ßes Baum­beet zur Ver­fü­gung; Stö­run­gen der ver­kehr­li­chen Situa­ti­on konn­ten nicht ent­ste­hen. Das muss­te berück­sich­tigt wer­den, da sol­che Argu­men­te gern zur Ver­hin­de­rung bestimm­ter Din­ge her­hal­ten müs­sen. Ich ent­warf einen kur­zen Text für die Erläu­te­rungs­ta­fel und sprach ihn mit dem koope­ra­ti­ven Lei­ter des Stadt­ar­chivs, Herrn Dr. Wisotz­ky, ab. Er wur­de von der BV II öffent­lich lobend akzep­tiert, obwohl die CDU bis zuletzt durch Kri­tik und angeb­li­chen Erklä­rungs­be­darf ver­such­te, die Sache durch die Hin­ter­tür zu ver­hin­dern. Anfang 2004 wur­de dann mit Mehr­heit beschlos­sen, einen Mahn­stein auf­zu­stel­len und den Betrag von 600 Euro dafür zur Ver­fü­gung zu stel­len. Ende des Jah­res 2004 lehn­te dann aber das städ­ti­sche Rech­nungs­prü­fungs­amt die­sen Posten als ein­zi­gen vom Gesamt­etat der Bezirks­ver­tre­tung (250.000 Euro) ab. Dar­auf­hin gelang es mit Unter­stüt­zung des Akti­ons­krei­ses Rüt­ten­scheid (einer ört­li­chen Bür­ger­initia­ti­ve), 300 Euro von pri­va­ten Spen­dern aufzutreiben.

Nach­dem eini­ges die­ser Pos­se in der hei­mi­schen Pres­se publik wur­de, gab es einen erneu­ten Beschluss der Bezirks­ver­tre­tung im Jahr 2006, wonach 500 Euro für den Mahn­stein zur Ver­fü­gung gestellt wer­den konn­ten. Man hat­te, wie es im Pro­to­koll hieß, in einer Haus­halts­fal­te noch Geld gefun­den. Der Gra­nit­stein war am Esse­ner Süd­west­fried­hof vor­han­den und koste­te nichts. Die Spon­so­ren­gel­der waren nicht mehr nötig. Die öffent­li­che Auf­stel­lung des Mahn­steins mit Text erfolg­te am 14. März 2008.

Die gesam­ten Bemü­hun­gen dau­er­ten über 20 Jah­re. Die Unter­la­gen über den Vor­gang habe ich 2010 an das Stadt­ar­chiv über­ge­ben. Das Unbe­ha­gen bleibt. Spä­te­re Histo­ri­ker wer­den hof­fent­lich die Köp­fe schüt­teln über die moder­nen, demo­kra­ti­schen, fort­schritt­li­chen und effek­ti­ven Ver­wal­tun­gen im Ruhr­ge­biet des 20. und 21. Jahrhunderts.