Alle Regierungen ab 1982 haben wirtschaftspolitisch völlig versagt. Sie folgten dem neoliberalen Paradigma von Privatisierung, Deregulierung und einer gigantischen Umverteilung von den Arbeits- zu den Mehrwerteinkünften. Es kam sozusagen zu einem erbeuteten Reichtum. Helmut Kohl (CDU) forderte eine »geistig moralische Wende« hin zum Individualismus und Gerhard Schröder (SPD) die Errichtung eines Niedriglohnsektors sowie Angela Merkel (CDU) eine »marktkonforme Demokratie«. Dann kam Olaf Scholz (SPD) und sprach von einer »Zeitenwende«, um damit das größte Rüstungsprogramm in der deutschen Nachkriegsgeschichte auszulösen – als hätten die Deutschen nicht einen ersten und zweiten Weltkrieg zu verantworten. Unternehmerverbände griffen mit Unterstützung der Regierenden massiv die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften an. Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, sprach 2003 das aus, was Kapitalvertreter dachten: »Man müsste Lagerfeuer machen und erstmal die ganzen Flächentarifverträge verbrennen und das Betriebsverfassungsgesetz dazu und dann das Ganze schlank neugestalten.« Heute arbeiten von den gut 42 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland nur noch rund 50 Prozent im Rahmen eines Tarifvertrages, das heißt über 20 Millionen müssen mit ihrem Unternehmer Arbeitsentgelte und Arbeitszeiten individuell aushandeln. Wer da den Kürzeren zieht, ist klar. Und zwischen 5 und 7,5 Millionen Menschen haben 2024, je nach Definition, als prekär Beschäftigte ihr Arbeitsleben bei niedrigsten Arbeitsentgelten ertragen müssen.
Unter dem neoliberalen Paradigma wurde die öffentliche Infrastruktur zerstört und der grundgesetzlich festgeschriebene Sozialstaat immer wieder als »Kostgänger« der privaten Wirtschaft angegriffen und diskreditiert. Selbst die Rente wurde mit der »Riesterrente« teilweise den Marktgesetzen überlassen. Alles Staatliche ist schlechtgeredet worden, und das Private wurde marktradikal mit Konzentrations- und Zentralisationsprozessen in der Wirtschaft hofiert. Hier haben es die versagenden Regierungen bis heute nicht einmal geschafft, das Bundeskartellamt mit einem adäquaten Wettbewerbsrecht auszustatten. Es gibt kaum noch Märkte, wo nicht mächtige Unternehmen sowohl auf ihren Beschaffungs- als auch Absatzmärkten ihre Marktmacht nach dem Credo »the Winner-takes-it-all« ausbeuterisch zum Einsatz bringen.
Besonders hervorgehoben werden muss auch die neoliberal herbeigeführte Verarmung. Rund 17 Prozent der Bevölkerung, das sind ca. 13 bis 14 Millionen Menschen in Deutschland, haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) zur Verfügung. Für einen Alleinlebenden waren das 2024 weniger als 1.381 Euro im Monat. Darauf werden noch Abgaben fällig. Netto verbleiben etwa 1.100 Euro. Auch wächst mittlerweile jedes 5. Kind, das sind rund 3 Millionen, in Armut auf. Arme Eltern haben arme Kinder. Aber auch der Staat ist von Neoliberalen verarmt worden, das zeigt die kumulierte Staatsverschuldung und eine unterlassene adäquate Besteuerung des erbeuteten Mehrwerts. Seit Karl Marx wissen wir, dass der Staat im Kapitalismus, neben den Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln, der eigentliche Gegner einer direkten Volksdemokratie ist. Später beschrieben dies Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit einer »privilegierten Komplizenschaft« zwischen Kapitaleigentümern und Politik. Adäquate Besteuerungen des Mehrwerts und Vermögens sind hier nicht zu befürchten. Anders sieht es bei indirekten Steuern aus, also bei Umsatz- und Verbrauchsteuern, die vor allem die Einkommensempfänger mit nur geringem Einkommen hart trifft. Sie müssen ihr gesamtes Einkommen konsumieren. Zum Sparen bleibt da nichts übrig.
Auch unter der Merz/Klingbeil-Regierung wird die neoliberale Wirtschaftspolitik bruchlos fortgesetzt. Der Mehrwert wird sogar noch weniger besteuert (siehe Abschreibungserleichterungen und Senkung der Körperschaftsteuer), und durch die mit Sonderschulden im Grundgesetz abgesicherte Hochrüstung wird es jetzt im »Normal-Staatshaushalt« sogar zu einer noch verschärften neoliberalen Austeritätspolitik kommen. Das hier zur Umgehung der Schuldenbremse, diese wird von töricht Herrschenden (vgl. Bontrup auf den NachDenkSeiten) nicht abgeschafft, auch das staatliche Infrastrukturprogramm mit Sonderschulden finanziert wird, ist dabei nur als Alibi für das gigantische Aufrüstungsprogramm einzustufen. Gerade hat eine Studie der Universität Mannheim gezeigt, dass der kurzfristige Fiskalmultiplikator für Militärausgaben in Deutschland nicht wesentlich größer als 0,5 ist, und eventuell sogar bei null liegen kann. Ein zusätzlicher Euro für die Rüstungsindustrie schafft also höchstens 50 Cent zusätzliche gesamtwirtschaftliche Produktion und Einkommen oder hat gar keinen ökonomischen Effekt. Dagegen liegt der Fiskalmultiplikator für zivile Staatsausgaben zwischen zwei und drei. »Aus ökonomischer Sicht ist die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite«, schreiben die Wissenschaftler der Studie. Hohe Renditen erzielen aber die Rüstungsindustriellen. Sie realisieren auf Grund der besonderen Preissetzung bei Rüstungsgütern höchste Profite (vgl. Bontrup »Die Eurofighter-Gewinnformel« in Ossietzky, Heft 3/1998,). Das stört die Bellizisten in der Politik aber nicht, auch werden die Warnungen der Wissenschaftler des schwedischen Sipri-Instituts negiert, die nachdrücklich vor einem neuen Wettrüsten und einem dritten Weltkrieg warnen. Merz droht dagegen dem russischen Machthaber Wladimir Putin, er müsse mit den Deutschen und ihrer jetzt initiierten Hochrüstung rechnen. Seine Regierung werde mit der SPD und einer bereitgestellten Finanzierung alles daransetzen, die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee der Europäischen Union zu machen – »wie es einem Land unserer Größe und Wirtschaftskraft angemessen ist und wie es unsere Alliierten zu Recht von uns erwarten«. Dann muss man wohl beim deutschen Kanzler von Realitätsverlust und einem nicht vorhandenen Geschichtswissen sprechen. Im Namen der Mehrheit des Volkes und auch in meinen Namen spricht er hier jedenfalls nicht.
Aber in einer nur indirekten repräsentativen Demokratie überträgt das Volk seine Herrschaft auf »Volksvertreter« und gibt damit seine individuelle und kollektive Selbstbestimmung auf. Zwischen den Wahltagen hat das Volk nichts mehr zu sagen. Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff schreibt in diesem Kontext: »Die Bürger sind, was politisches Entscheiden angeht, weitestgehend auf Wahlen beschränkt.« Und der langjährige und herausragende SPD-Politiker Herbert Wehner befand über Wahlen in einer indirekten Demokratie: »Der Wähler legitimiert mit seiner Wahl die Entscheidungen, die anschließend gegen ihn unternommen werden.« Dies bestätigte unverhohlen die ehemalige Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), indem sie der Ukraine eine uneingeschränkte Unterstützung zusagte, »ganz egal, was meine deutschen Wähler denken«.
Wahre Volkssouveränität, als Macht, die vom Volke ausgeht, gibt es nur in einer direkten Demokratie, in der das Volk in Abstimmungen über Sach- und Personalentscheidungen die Entscheidungsgewalt hat. Grundgesetzveränderungen haben keine nur gewählten Politiker zu entscheiden, sondern das Volk, das gilt auch für die existenzielle Frage von Krieg und Aufrüstung. Auch über viele grundsätzliche wirtschaftspolitische Fragen sollte das Volk direkt entscheiden, beispielsweise über eine Vermögensteuer und die Besteuerung hoher Einkommen sowie über die Höhe der Staatsverschuldung. Wieso wird der Bundespräsident, als oberstes Staatsorgan, in Deutschland nicht vom Volk gewählt? Das gleiche gilt im Kontext der Gewaltenteilung für die Wahl von Richtern in der Judikative. Deutschland benötigt dringend vielfältige direkt demokratische Interventionen in einen zunehmend pervertierenden parlamentarischen Politikbetrieb, der nur noch die Interessen einer Kapitalminderheit gegen die Mehrheit im Volk vertritt.
Auch in der Wirtschaft sind die kapitalistischen Widersprüche zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und den abhängigen Produzenten aufzuheben. Erste umfassende ordnungstheoretische Überlegungen dazu hat schon 1928 der Ökonom Fritz Naphtali im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) vorgelegt. Er schrieb: »Die übliche Übersetzung des Wortes Demokratie lautet: Volksherrschaft. (…) Jede Herrschaft setzt Herrschende und Beherrschte voraus, während das Wesen der Demokratie in der Beseitigung dieser Teilung liegt. Herrschen können einige Teile des Volkes über die anderen: Über wen kann aber das Volk herrschen (…)? Wenn trotz der politischen Demokratie die Herrschaft bestehen bleibt, so ist das keine Volksherrschaft, sondern die Herrschaft der Minderheit, die zwar nicht mehr politische, dafür aber andere, vor allem wirtschaftliche Privilegien hat, und die über das Volk (…) herrscht. Im tiefsten Sinne demokratisch ist deshalb die Reaktion gegen die wirtschaftliche Autokratie: gegen die Despotie des Unternehmers oder seiner Agenten im Betrieb, gegen die Wirtschafts- und allgemeine Politik, die den Staat dem Kapital ausliefert. Die Demokratisierung der Wirtschaft bedeutet die Beseitigung jeder Herrschaft und die Umwandlung der leitenden Organe der Wirtschaft aus Organen der kapitalistischen Interessen in solche der Allgemeinheit.« In der Tat: Erst dann liegt eine gesellschaftliche Demokratie in Staat und Wirtschaft vor.
Der Autor ist pensionierter Wirtschaftsprofessor. Von ihm ist gerade sein neues Buch: Erbeuteter Reichtum. Wege aus der neoliberalen Zerstörung, im Kölner PapyRossa Verlag erschienen (460 S., 26,90 €).