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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Prophezeiung des Gauleiters

Noch im Jahr 1978 bekun­de­te er gegen­über dem stell­ver­tre­ten­den Chef­re­dak­teur einer Regio­nal­zei­tung: »Der Füh­rer war ein Genie, das nur mit sei­ner Zeit in Wider­streit kam. In sei­ner Unge­duld, er müs­se alles machen, schei­ter­te er. (…) Die Dich­ter der kom­men­den Jahr­hun­der­te wer­den von ihm sin­gen. Die Fest-Fol­ge ist nur ein Fin­ger­zeig.« (Gemeint waren Joa­chim Fests Buch und Film über Hit­ler.) Er selbst hat sich nie als Geschei­ter­ter gefühlt, dage­gen jahr­zehn­te­lang als Opfer, weil er eini­ge Jah­re – ver­gleichs­wei­se pri­vi­le­giert – in Gefäng­nis­sen zubrin­gen muss­te. Aber am Ende hat­te er doch gesiegt, so mein­te er. Und den Sieg schrieb er Deutsch­land zu.

Tobi­as Port­schy (1905-1996) stu­dier­te Rechts­wis­sen­schaf­ten, wur­de als Deutsch­na­tio­na­ler bei einem Stu­di­en­auf­ent­halt im Jahr 1928 in Göt­tin­gen zum Anhän­ger des Natio­nal­so­zia­lis­mus und trat 1931 der öster­rei­chi­schen NSDAP bei. Er stamm­te aus dem Bur­gen­land, das in der k. & k.-Monarchie ein Teil West­un­garns war und 1921 der Repu­blik Öster­reich zuge­spro­chen wur­de. Inmit­ten die­ses Bun­des­lan­des, im Raum Ober­wart, sind seit über drei­hun­dert Jah­ren tau­sen­de Roma wohn­haft, grund­sätz­lich sess­haft, aber auch einen Wan­de­rungs­raum in der Umge­bung nut­zend. Port­schy wuchs nicht weit ent­fernt von ihnen auf; ihr »Außen­sei­ter­tum« und ihre »Anders­ar­tig­keit« wur­den bereits früh­zei­tig zu sei­nem zen­tra­len Thema.

»Die Zigeu­ner und die Juden sind seit der Grün­dung des Drit­ten Rei­ches untrag­bar. Glaubt uns, dass wir die­se Fra­ge mit natio­nal­so­zia­li­sti­scher Kon­se­quenz lösen wer­den.« So wur­de Port­schy am 10. April 1938, dem Tag der Anschluss-Volks­ab­stim­mung nach dem Ein­marsch der Wehr­macht, in der Ober­war­ter Sonn­tags-Zei­tung zitiert. Da wur­de er bereits in der Öffent­lich­keit Lan­des­haupt­mann oder Gau­lei­ter des Bur­gen­lan­des genannt, als der er seit 1935 in der ille­ga­len NSDAP fun­giert hat­te. Mit sei­ner im August 1938 publi­zier­ten Denk­schrift »Die Zigeu­ner­fra­ge« leg­te er ein Pro­gramm vor, das »Die natio­nal­so­zia­li­sti­sche Lösung der Zigeu­ner­fra­ge« bis in alle Ein­zel­hei­ten beschreibt. Das Gas fehl­te noch.

In dem 1992 erschie­ne­nen Film »Schuld und Gedächt­nis«, der damals spät nachts im ORF gezeigt wur­de, inter­view­te der Regis­seur Egon Humer vier öster­rei­chi­sche Natio­nal­so­zia­li­sten, dar­un­ter Port­schy. Wie die ande­ren drei auch prä­sen­tier­te er sich als Unschulds­lamm und Opfer (das von den 15 Jah­ren schwe­ren Ker­kers, zu denen er 1949 ver­ur­teilt wur­de, gera­de zwei absit­zen muss­te). Bemer­kens­wert ist aber eine beson­de­re Erzäh­lung, die die­sen Film heu­te zusätz­lich aktu­ell macht, auch weil ein Teil des Inter­views just am 10. Novem­ber 1989 geführt wur­de: »Gestern hab ich geweint in der Nacht im Bett. Ich hab geweint, weil ich die Abge­ord­ne­ten im Bun­des­tag die Hym­ne Deutsch­lands sin­gen gehört hab, mit einer Begei­ste­rung son­der­glei­chen.« Der ehe­ma­li­ge Gau­lei­ter des Bur­gen­lan­des und nach des­sen Auf­tei­lung ehe­ma­li­ge stell­ver­tre­ten­de Gau­lei­ter der Stei­er­mark und pro­gram­ma­ti­sche »End­lö­ser der Zigeu­ner­fra­ge« war in sei­nem Wohn­zim­mer auf­ge­stan­den und hat­te mit­ge­sun­gen, wohl zusätz­lich auch die nicht mehr offi­zi­el­le erste Stro­phe mit »Deutsch­land über alles«, und mal­te sich etwas spä­ter die Kon­se­quen­zen aus dem nun ablau­fen­den »Fall des Eiser­nen Vor­hangs« aus: »Dann wer­den die Euro­pä­er zu Euro­pä­ern. Denn die Deut­schen waren jahr­tau­send­hin­durch die Füh­rung Euro­pas. (…) Der Revi­sio­nis­mus hat ein­ge­setzt, voll. Ich sehe das vor allem im Deutsch­land­ver­trag, ich sehe das im Auf­bruch der Völ­ker im Osten (…); unse­re Welt­an­schau­ung hat gesiegt: Die Völ­ker steh‘n auf! (…) der Rus­se will Rus­se sein, der Ungar will Ungar sein, der Pole will Pole sein – wer hat denn das gelehrt?!«

Zu einem aller­dings reich­te sei­ne pro­phe­ti­sche Fan­ta­sie nicht aus. Eine Frau als »Füh­re­rin Euro­pas« hät­te er sich nicht vor­stel­len kön­nen, da er Frau­en dafür wenig geeig­net hielt. Aber eine unge­wähl­te deut­sche Füh­re­rin (Füh­rer­prin­zip?) als Auf­rü­stungs­ein­peit­sche­rin wäre ihm sicher auch recht gewesen.