Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Rhetorik der Vertreibung

Es war nicht das Bild eines sin­ken­den Boots im Mit­tel­meer, das den deut­schen Dis­kurs über Migra­ti­on 2024/​25 präg­te. Es war das Echo eines ein­zel­nen Sat­zes, gespro­chen in der küh­len Klar­heit einer Talk­show-Kulis­se, sach­lich vor­ge­tra­gen, prä­zi­se gesetz­te Sil­ben: »Wir wer­den kon­se­quent abschie­ben.« Fried­rich Merz sag­te das nicht zum ersten Mal, aber dies­mal klang es wie eine Voll­macht. Für eine Poli­tik der kal­ten Hand. Für eine Gesell­schaft, die ihr Mit­ge­fühl in ein Lager am Rand verbannt.

I.

Die poli­ti­sche Spra­che hat sich ver­än­dert. Nicht plötz­lich. Nicht schlag­ar­tig. Aber unüber­hör­bar. Der Dis­kurs über Migra­ti­on ist in jenen Mona­ten nicht ver­roht, son­dern ver­fei­nert wor­den – auf gefähr­li­che Wei­se. Die Dif­fa­mie­rung des Ande­ren hat ihre gro­be Schär­fe ver­lo­ren und wur­de ersetzt durch eine tech­no­kra­ti­sche Rhe­to­rik, die sich auf Ord­nung beruft, aber Aus­schluss meint. Begrif­fe wie »Migra­ti­ons­druck«, »ille­ga­le Migra­ti­on«, »Pull-Fak­to­ren« oder »Remi­gra­ti­on« erschei­nen wie Ver­wal­tungs­be­grif­fe. Doch sie tra­gen eine Last: Sie ver­wan­deln Men­schen in Pro­ble­me. Und in Dinge.

Die­se seman­ti­sche Ver­schie­bung ist kein sprach­li­cher Zufall, son­dern eine geziel­te Stra­te­gie. Wer Migra­ti­on als »Bela­stung« codiert, als »Her­aus­for­de­rung für den Rechts­staat«, wie es in fast jeder Regie­rungs­er­klä­rung steht, eröff­net einen mora­li­schen Rah­men, in dem Hil­fe zur Schwä­che, Kon­trol­le zur Pflicht und Abschie­bung zur Tugend wird. Die Rhe­to­rik ver­folgt ein kla­res Ziel: Sie will Zustim­mung zur Ver­wei­ge­rung erzeugen.

In sei­nem Werk Poli­tik und Rhe­to­rik hat der Sprach­wis­sen­schaft­ler Josef Klein die Funk­ti­on poli­ti­scher Spra­che als Mit­tel der Deu­tungs­ho­heit beschrie­ben. Rhe­to­rik, so Klein, ist kein Orna­ment der Poli­tik, son­dern ihr Werk­zeug – sie dient der »Erzeu­gung kol­lek­ti­ver Deu­tungs­mu­ster« (Klein, 2022, S. 41). Wer die Begrif­fe kon­trol­liert, kon­trol­liert die Legitimation.

Ein Blick in das CDU-Grund­satz­pro­gramm von 2024 zeigt, wie sorg­fäl­tig die­se Spra­che gebaut ist: Dort heißt es, die Steue­rung von Migra­ti­on sei »eine Über­le­bens­fra­ge für die gesell­schaft­li­che Ord­nung«. Das klingt nicht radi­kal, nicht pole­misch, son­dern ver­nünf­tig – und ist doch in sei­nem seman­ti­schen Kern eine Aus­gren­zungs­for­mel. Denn wer Migra­ti­on als exi­sten­ti­el­le Gefahr dar­stellt, erklärt den Migran­ten impli­zit zum Risi­ko. Spra­che erzeugt Wirklichkeit.

Beson­ders per­fi­de ist die Stra­te­gie des mora­li­schen Ref­ramings: In den Reden von Merz, Söder oder Dob­rindt erscheint der Akt der Abschie­bung nicht als Ver­stoß gegen Huma­ni­tät, son­dern als not­wen­di­ger Akt zur »Wah­rung des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts«. Hier wird sprach­lich eine ethi­sche Umkeh­rung voll­zo­gen: Nicht die Aus­gren­zung ist mora­lisch frag­wür­dig, son­dern ihre Ableh­nung. Wer hel­fen will, gefähr­det angeb­lich die Ord­nung. Es ist die rhe­to­ri­sche Voll­endung des vor­aus­ei­len­den Gehor­sams. Ich darf ein Mon­ster sein und mich gleich­zei­tig als ver­nünf­ti­ger Staats­bür­ger fühlen.

Ein wei­te­res Stil­mit­tel die­ser neu­en Ver­trei­bungs­rhe­to­rik ist die seman­ti­sche Ver­schie­bung durch Anti­the­tik: Wer für »ver­ant­wor­tungs­vol­le Zuwan­de­rung« ist, stellt sich – so die Logik – auto­ma­tisch gegen »unkon­trol­lier­te Ein­wan­de­rung«. Wer »Ord­nung« for­dert, lehnt angeb­lich das »Cha­os« ab. Doch das Cha­os ist eine rhe­to­ri­sche Pro­jek­ti­on. Der Dis­kurs pro­du­ziert sei­ne eige­nen Feind­bil­der, um die repres­si­ven Maß­nah­men als Reak­ti­on erschei­nen zu lassen.

Die­se Tech­ni­ken funk­tio­nie­ren, weil sie auf eine tief ver­wur­zel­te poli­ti­sche Kul­tur der Auto­ri­täts­gläu­big­keit tref­fen – und weil gro­ße Tei­le der Medi­en­land­schaft die Codie­run­gen über­neh­men, ohne sie zu hin­ter­fra­gen. Wenn Poli­ti­ker von »Über­for­de­rung der Kom­mu­nen« spre­chen, titeln Nach­rich­ten­sei­ten in Win­des­ei­le: »Bür­ger­mei­ster schla­gen Alarm«. Der Dis­kurs zir­ku­liert, er ver­dich­tet sich, er ver­engt den Möglichkeitsraum.

Doch ein huma­ni­sti­scher Maß­stab müss­te auch hier gel­ten: Die Wür­de des Men­schen ist unteil­bar. Und wer die Spra­che ent­mensch­licht, berei­tet der Ent­wür­di­gung den Weg. Es ist Zeit, ihr die Wor­te zurück­zu­neh­men – und mit Klar­heit zu benen­nen, was geschieht: Es ist die kon­trol­lier­te Erset­zung des Mit­ge­fühls durch Mecha­nis­men der Ver­wal­tung. Die Spra­che macht den Weg frei.

II.

Die Spra­che der Macht ver­rät, was sich hin­ter der Büh­ne der Beschlüs­se for­miert. Wäh­rend Para­gra­fen noch dis­ku­tiert und Geset­zes­ent­wür­fe ver­han­delt wer­den, ist der sprach­li­che Boden oft längst berei­tet. Was sich in der deut­schen Migra­ti­ons­po­li­tik seit dem Amts­an­tritt von Fried­rich Merz als Oppo­si­ti­ons­füh­rer, spä­ter als fak­ti­scher Kurs­ge­ber der poli­ti­schen Mit­te, ent­fal­tet hat, ist mehr als eine Ver­schär­fung. Es ist ein orche­strier­ter Bedeu­tungs­wan­del. Die­ser Wan­del zeigt sich weni­ger im Laut­stär­ke­pe­gel öffent­li­cher Debat­ten als in der struk­tu­rel­len Ver­schie­bung von Begrif­fen: Migra­ti­on ist nicht mehr Teil glo­ba­ler Bewe­gungs­rea­li­tä­ten, son­dern Bedro­hung für »unse­re Ord­nung«. Asyl ist nicht mehr Men­schen­recht, son­dern Sicher­heits­ri­si­ko. Inte­gra­ti­on wird nicht als Pro­zess gegen­sei­ti­ger Annä­he­rung ver­stan­den, son­dern als ein­sei­ti­ger Beweis des Dazu­ge­hö­rens. Wer nicht passt, fällt durchs Raster – und das Raster wird enger.

Die­se Form der Poli­tik bedient sich einer auto­ri­tä­ren Seman­tik, deren Ziel es ist, Deu­tungs­macht zu mono­po­li­sie­ren und Dis­sens zu dele­gi­ti­mie­ren. Was frü­her als kon­tro­ver­se Mei­nung galt, wird heu­te als »naiv«, »ideo­lo­gisch« oder »rea­li­täts­fern« eti­ket­tiert. Es ist eine sub­ti­le Ent­waff­nung der poli­ti­schen Debat­te durch sprach­li­che Patho­lo­gi­sie­rung. Der Raum des Sag­ba­ren wird nicht durch Zen­sur ver­engt, son­dern durch Konnotation.

Beson­ders auf­fäl­lig ist die rhe­to­ri­sche Ent­kopp­lung poli­ti­scher Ver­ant­wor­tung: Ent­schei­dun­gen wer­den nicht mehr als Ergeb­nis nor­ma­ti­ver Aus­hand­lung prä­sen­tiert, son­dern als Sach­zwang. »Wir müs­sen«, »Es bleibt uns nichts ande­res übrig«, »Die Rea­li­tät zwingt uns dazu« – die­se Phra­sen begeg­nen uns in fast jeder migra­ti­ons­po­li­ti­schen Erklä­rung. Was so klingt, als wür­de man nur umset­zen, was unaus­weich­lich sei, ist in Wahr­heit das rhe­to­ri­sche Grund­ge­rüst für auto­ri­tä­re Steue­rung: Die Poli­tik macht sich zum Exe­ku­tor angeb­li­cher Notwendigkeiten.

In der Öffent­lich­keit ent­steht dar­aus der Ein­druck, dass huma­ni­sti­sche Posi­tio­nen nicht mehr ver­tret­bar, son­dern maxi­mal noch »pri­vat legi­tim« sei­en. Der mora­li­sche Impe­ra­tiv wird durch den funk­tio­na­len ersetzt. Aus Ethik wird Effi­zi­enz. Aus Recht wird Ord­nung. Aus Gesell­schaft wird Stand­ort. Die­se Trans­for­ma­ti­on fin­det nicht auf der Stra­ße statt, son­dern im Satzbau.

Die auto­ri­tä­re Rhe­to­rik funk­tio­niert des­halb so wir­kungs­voll, weil sie sich nicht an Schrei­häl­se bin­det, son­dern an Appa­ra­te. In Mini­ste­ri­al­tex­ten, Gesetz­ent­wür­fen, Par­tei­pro­gram­men wird ein Ver­wal­tungs­den­ken eta­bliert, das die poli­ti­sche Öffent­lich­keit unter­läuft. Es ist eine Spra­che ohne Sub­jekt – eine Spra­che der Struk­tu­ren. Und genau dar­in liegt ihre Gefahr: Sie prä­sen­tiert sich als neu­tral, obwohl sie nor­ma­tiv ist. Sie erscheint als not­wen­dig, obwohl sie histo­risch kon­tin­gent ist. Sie klingt ratio­nal, obwohl sie ideo­lo­gi­sche Wir­kung hat.

Übri­gens war die Weltbühne stets ein Ort, an dem Macht durch Spra­che ent­larvt wur­de. Die­se Tra­di­ti­on fort­zu­füh­ren, heißt heu­te: die neue Ver­wal­tungs­rhe­to­rik auf ihre poli­ti­sche Sub­stanz abzu­klop­fen. Denn hin­ter der sprach­li­chen Glät­te ver­birgt sich die här­te­ste Zumu­tung unse­rer Zeit: Die syste­ma­ti­sche Ver­ab­schie­dung vom poli­ti­schen Streit als Raum für Alternativen.

III.

Wenn poli­ti­sche Spra­che das Den­ken struk­tu­riert, dann sind es die Medi­en, die die­se Spra­che ver­viel­fäl­ti­gen – selek­tiv, for­ma­tie­rend, rah­men­set­zend. Der Mythos einer objek­ti­ven, neu­tra­len Bericht­erstat­tung wird vor allem dann zur Fas­sa­de, wenn gesell­schaft­li­che Mehr­hei­ten begin­nen, Aus­gren­zung als Ord­nung zu ver­ste­hen. In die­sen Momen­ten zeigt sich, was Noam Chom­sky und Edward S. Her­man in ihrem Pro­pa­gan­da-Modell ein­dring­lich beschrie­ben haben: Die Pres­se in libe­ra­len Demo­kra­tien mag for­mal unab­hän­gig sein – funk­tio­nal agiert sie häu­fig als Ver­stär­ker hege­mo­nia­ler Macht.

Die fünf Fil­ter, die Chom­sky und Her­man benen­nen – Eigen­tums­ver­hält­nis­se, Wer­be­fi­nan­zie­rung, Quel­len­pri­vi­le­gi­en, Flak (orga­ni­sier­te Gegen­macht) und ideo­lo­gi­sche Feind­bil­der – sind in der deut­schen Medi­en­land­schaft deut­lich erkenn­bar. Ihre Anwen­dung auf die aktu­el­le Migra­ti­ons­be­richt­erstat­tung offen­bart ein System syste­ma­ti­scher Verzerrung.

  1. Eigen­tums­ver­hält­nis­se: Ob Sprin­ger-Ver­lag, Bur­da Media oder RTL Group – die media­le Land­schaft ist hoch kon­zen­triert und geprägt von markt­wirt­schaft­li­cher Logik. Der Focus spricht vom »Asyl­cha­os«, die Welt titelt »Deutsch­land ver­liert die Kon­trol­le« – nicht, weil es die Rea­li­tät ist, son­dern weil es Quo­te bringt und die Eigen­tü­mer­inter­es­sen affir­miert. Es geht um Stim­mung, nicht Auf­klä­rung. Der Appa­rat schreibt sich selbst.
  2. Wer­be­fi­nan­zie­rung: Klick­zah­len und Reich­wei­te dik­tie­ren Inhal­te. Angst ver­kauft sich. Migra­ti­on wird zum dau­er­haf­ten Trig­ger – ver­bun­den mit Bil­dern nächt­li­cher Grenz­über­trit­te, dra­ma­ti­scher Poli­zei­ein­sät­ze, »auf­fäl­li­ger Grup­pen« auf Stadt­plät­zen. Das Pro­blem: Die­se Bil­der sind oft nicht reprä­sen­ta­tiv, aber wir­kungs­mäch­tig. Die Ste­reo­ty­pe wer­den ins Publi­kum gedrückt wie Nach­rich­ten. Dahin­ter ste­hen nicht sel­ten Markt­me­cha­nis­men, die jede Empa­thie dele­gi­ti­mie­ren, weil sie sich nicht in Reich­wei­te umrech­nen lässt.
  3. Nach­rich­ten­quel­len: Die syste­ma­ti­sche Pri­vi­le­gie­rung offi­zi­el­ler Quel­len – Mini­ste­ri­en, Poli­zei, EU-Behör­den – führt zu einem Jour­na­lis­mus, der Macht berich­tet, nicht Men­schen. NGOs, Betrof­fe­ne, kri­ti­sche Wis­sen­schaft­ler kom­men sel­ten zu Wort. Sie stö­ren die Strin­genz der offi­zi­el­len Erzäh­lung, die meist lau­tet: »Wir tun, was nötig ist.« Ein Jour­na­lis­mus, der syste­ma­tisch auf Behör­den­hö­rig­keit trai­niert wur­de, ver­liert die Fähig­keit zur Gegenrede.
  4. Flak (Gegen­macht): Wer sich der herr­schen­den Ord­nung wider­setzt, spürt schnell die orga­ni­sier­te Empö­rung. Akti­vi­sten, See­not­ret­ter, lin­ke Jour­na­li­sten wer­den öffent­lich dis­kre­di­tiert – als »NGO-Lob­by«, »Asyl­in­du­strie« oder »Migra­ti­ons­ro­man­ti­ker«. Beson­ders in sozia­len Medi­en, aber auch in Talk­shows wer­den sie zur Ziel­schei­be. Die­se Flak ist kein Neben­pro­dukt – sie ist Teil des Systems. Sie wirkt abschreckend. Sie ver­schiebt den Kor­ri­dor des Sagbaren.
  5. Ideo­lo­gi­sche Feind­bil­der: Der »jun­ge männ­li­che Flücht­ling« – am besten dun­kel­häu­tig, des Deut­schen nicht mäch­tig, reli­gi­ös mar­kiert – ist das zen­tra­le Bild der media­len Fein­der­zäh­lung. Der Ein­zel­fall wird zur Alle­go­rie, der Aus­nah­me­fall zur Regel. Selbst in öffent­lich-recht­li­chen For­ma­ten wird Migra­ti­on kaum als glo­ba­le Gerech­tig­keits­fra­ge ver­han­delt, son­dern als Pro­blem der inne­ren Sicher­heit. So wird Poli­tik gemacht – durch das Fernsehen.

Die syste­ma­ti­sche Anwen­dung die­ser Fil­ter erzeugt ein Mei­nungs­bild, das sich selbst bestä­tigt. Der Dis­kurs wird eng, die Abwei­chung dele­gi­ti­miert, die kom­ple­xe Rea­li­tät ver­ein­facht. Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist dabei die Ver­wechs­lung von Plu­ra­li­tät mit Aus­ge­wo­gen­heit: Die »eine Sei­te« sagt dies, die »ande­re« das – als wären ras­si­sti­sche und men­schen­recht­li­che Per­spek­ti­ven gleich­wer­tig. Was fehlt, ist die kla­re Par­tei­nah­me für das Humanum.

Ein huma­ni­sti­scher Jour­na­lis­mus beginnt dort, wo er sich nicht mit der Beob­ach­tung begnügt, son­dern sich sei­ner Ver­ant­wor­tung stellt. Das bedeu­tet: dem mani­pu­la­ti­ven Design der Nach­richt ent­ge­gen­zu­wir­ken, nicht zur Ver­stär­kung struk­tu­rel­ler Gewalt bei­zu­tra­gen, son­dern ihr ent­ge­gen­zu­schrei­ben. Es bedeu­tet, sich der Spra­che zu ver­wei­gern, die entmenschlicht.

IV.

Die Gren­zen der Exe­ku­ti­ve wer­den nicht mehr nur in Geset­zen gezo­gen – sie wer­den dis­kur­siv vor­ver­legt. Das bedeu­tet: Bevor ein Gesetz ver­ab­schie­det ist, bevor ein Erlass in Kraft tritt, sind sei­ne Kon­se­quen­zen längst durch die Spra­che legi­ti­miert. Wer von »Bela­stungs­gren­zen«, »Inte­gra­ti­ons­ver­wei­ge­rern« oder »unkon­trol­lier­ten Strö­men« spricht, berei­tet nicht nur seman­tisch, son­dern macht­po­li­tisch den Boden für repres­si­ve Maßnahmen.

Die­se dis­kur­si­ve Vor­ver­la­ge­rung funk­tio­niert über drei inein­an­der­grei­fen­de Mecha­nis­men: die sprach­li­che Kon­struk­ti­on des Aus­nah­me­zu­stands, die Ent­nor­mie­rung recht­li­cher Stan­dards und die natu­ra­li­sier­te Dar­stel­lung poli­ti­scher Gewalt als Ver­wal­tungs­akt. In Sum­me ergibt sich dar­aus ein auto­ri­tä­res Steue­rungs­mo­dell mit demo­kra­ti­scher Oberfläche.

Ein Bei­spiel: Als im Früh­jahr 2025 die Ein­füh­rung der bun­des­wei­ten Bezahl­kar­te für Asyl­su­chen­de beschlos­sen wur­de, ging der Ent­schei­dung ein mona­te­lan­ger Dis­kurs über angeb­li­chen »Asyl­miss­brauch«, »Geld­trans­fers in Her­kunfts­län­der« und »Pull-Fak­to­ren« vor­aus. Die­se Begrif­fe schu­fen ein Kli­ma, in dem die fak­ti­sche Ein­schrän­kung von Bewe­gungs- und Kon­sum­frei­heit als ver­nünf­tig, ja alter­na­tiv­los erschien. Die Repres­si­on wur­de zum Akt der Effizienz.

Die Bun­des­re­gie­rung ver­kauf­te das Pro­jekt als »Signal an jene, die unse­re Hil­fe miss­brau­chen wol­len« (Nan­cy Faeser, SPD). Doch hin­ter die­ser For­mel ver­birgt sich eine grund­le­gen­de Umkehr: Der Schutz­su­chen­de wird nicht mehr als Mensch mit Rech­ten adres­siert, son­dern als poten­zi­el­ler Stör­fak­tor, des­sen Ver­hal­ten kor­ri­giert wer­den soll. Repres­si­on wird prä­ven­tiv – nicht als Reak­ti­on, son­dern als Generalverdacht.

Die­ser Wech­sel von recht­li­cher Reak­ti­on zu vor­sor­gen­der Dis­zi­pli­nie­rung spie­gelt sich auch im admi­ni­stra­ti­ven Design: Lager­struk­tu­ren, ver­län­ger­te Abschie­be­haft, Bewe­gungs­ver­bo­te, Wohn­sitz­auf­la­gen – all das wird nicht mehr als Ein­griff betrach­tet, son­dern als »Lösung«. Und wer dage­gen auf­be­gehrt, gilt als unver­nünf­tig, als Ideo­lo­ge oder – zuneh­mend – als Sicherheitsrisiko.

Die­se Umdeu­tung der Norm zum Aus­nah­me­fall ist gefähr­lich. Sie ent­zieht dem Recht sei­nen bin­den­den Cha­rak­ter und macht die Ver­wal­tung zur Instanz poli­ti­scher Macht. Was in die­ser Logik zählt, ist nicht das Sub­jekt, son­dern die Funk­ti­on. Wer nicht zu funk­tio­nie­ren scheint, ver­liert sei­ne Sub­jekt­qua­li­tät. Er wird zur Kate­go­rie, zur Num­mer, zum Fall.

Die dis­kur­si­ve Vor­ver­la­ge­rung der Repres­si­on hat noch eine zwei­te Wir­kung: Sie ent­mach­tet die demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit. Denn wenn poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen nicht mehr aus einem Streit um Wer­te her­vor­ge­hen, son­dern als alter­na­tiv­lo­se Exe­ku­ti­on insze­niert wer­den, dann wird das Poli­ti­sche selbst neu­tra­li­siert. In die­sem Kli­ma sind Kri­tik und Dis­sens kei­ne legi­ti­men Aus­drucks­for­men mehr, son­dern Stö­run­gen einer als not­wen­dig dekla­rier­ten Ordnung.

Die Ver­tei­di­gung demo­kra­ti­scher Grund­rech­te beginnt daher nicht erst im Pro­test gegen kon­kre­te Maß­nah­men – sie beginnt in der Spra­che. Wer das Sag­ba­re ver­schiebt, ver­schiebt das Mach­ba­re. Und wer das Mach­ba­re ein­schrän­ken will, muss das Sag­ba­re zurück­er­obern. In die­sem Sin­ne ist die Ana­ly­se der Rhe­to­rik kein aka­de­mi­sches Bei­werk, son­dern eine Form demo­kra­ti­scher Selbstverteidigung.

V.

Zwi­schen Zah­len­ko­lon­nen, Asyl­bi­lan­zen und sicher­heits­po­li­ti­schen Rah­mun­gen ist ein zen­tra­ler Aspekt aus dem migra­ti­ons­po­li­ti­schen Dis­kurs ver­schwun­den: der Mensch. Die Trans­for­ma­ti­on des Sub­jekts in ein Objekt staat­li­cher Kon­trol­le ist nicht bloß admi­ni­stra­tiv, son­dern seman­tisch voll­zo­gen wor­den. Aus Geflüch­te­ten wer­den »Fäl­le«, aus Asyl­su­chen­den »Kon­tin­gen­te«, aus Schutz­be­dürf­ti­gen »Antrags­stel­ler«. Das Indi­vi­du­um löst sich im Kol­lek­tiv­bild auf – ein Vor­gang, der sprach­lich schlei­chend, aber poli­tisch kon­se­quent verläuft.

Die huma­ni­tä­re Per­spek­ti­ve, einst nor­ma­ti­ver Kern euro­päi­scher Flücht­lings­po­li­tik, wird dabei nicht offen ver­wor­fen, son­dern sprach­lich ent­kernt. Man spricht von »Rück­füh­run­gen«, nicht von Abschie­bun­gen. Von »Resett­le­ment«, nicht von Auf­nah­me. Von »Inte­gra­ti­ons­un­wil­lig­keit«, nicht von bio­gra­fi­schen Brü­chen. In die­ser Umdeu­tung geht nicht nur die Empa­thie ver­lo­ren – es geht der Begriff von Wür­de selbst verloren.

Die Migra­ti­ons­po­li­tik der letz­ten Jah­re wirkt in ihrer Logik wie eine Repa­ra­tur­bü­ro­kra­tie für eine Gesell­schaft, die sich vor der eige­nen Auf­lö­sung fürch­tet. Die Betrof­fe­nen die­ser Poli­tik – Men­schen mit Namen, Geschich­ten, Ver­letz­lich­keit – sind in der öffent­li­chen Dar­stel­lung ent­we­der Täter oder Bela­stung. Nie aber Sub­jekt. Nie Dia­log­part­ner. Nie Bür­ger im Warten.

Dabei gäbe es Alter­na­ti­ven. Es gäbe die Mög­lich­keit, Migra­ti­on als Begeg­nung zu gestal­ten – nicht als Risi­ko. Es gäbe die Chan­ce, aus der Flucht­ge­schich­te eine gemein­sa­me Erzäh­lung zu machen – nicht eine admi­ni­stra­ti­ve Abfol­ge. Und es gäbe die Pflicht, jeden Ein­griff in die Frei­heit als poli­ti­schen Akt zu kenn­zeich­nen – nicht als Verwaltungsroutine.

Was ver­lo­ren gegan­gen ist, ist nicht nur der Blick auf den Ande­ren, son­dern auch auf uns selbst. In der Art, wie wir über Migran­ten spre­chen, offen­bart sich unser Bild vom Mensch­li­chen. Wer ande­ren das Recht auf Kom­ple­xi­tät abspricht, ver­ein­facht nicht die Welt – er zer­stört sie. Wer Migra­ti­on auf Ord­nung redu­ziert, ent­mensch­licht auch das Eigene.

Unse­re Auf­ga­be soll­te es sein, die­sen Ver­lust zu benen­nen. Denn die Ver­tei­di­gung des Human­ums beginnt dort, wo man sich wei­gert, den Men­schen zu abstra­hie­ren. Die Spra­che kann tren­nen. Aber sie kann auch erin­nern: dass hin­ter jeder Kate­go­rie ein Gesicht steht. Und hin­ter jedem Gesicht ein Anspruch auf Achtung.

VI.

Die poli­ti­sche Ver­ro­hung beginnt nicht erst im Gesetz – sie beginnt im Satz. Wer Migra­ti­on ent­mensch­licht, schafft die Bedin­gun­gen für Ent­rech­tung. Wer Spra­che auf Effi­zi­enz trimmt, instal­liert die Gram­ma­tik der Ver­drän­gung. Und wer Rhe­to­rik als blo­ße Ver­packung begreift, hat nicht ver­stan­den, dass Wor­te Waf­fen sein kön­nen – eben­so wie Werk­zeu­ge der Emanzipation.

Die Ana­ly­se poli­ti­scher Rhe­to­rik ist daher kein aka­de­mi­sches Ritu­al, son­dern eine demo­kra­ti­sche Not­wen­dig­keit. Sie ist die Rück­ge­win­nung des­sen, was in Zei­ten tech­no­kra­ti­scher Alter­na­tiv­lo­sig­keit ver­lo­ren zu gehen droht: die Fähig­keit, Wirk­lich­keit zu hin­ter­fra­gen, Macht zu benen­nen, Ideo­lo­gie zu ent­lar­ven. In die­sem Sin­ne ist die rhe­to­ri­sche Kri­tik kein Bei­werk, son­dern Widerstand.

Wider­stand durch Ana­ly­se heißt: das Sag­ba­re zurück­zu­er­obern, um das Denk­ba­re zu erwei­tern – und damit das Han­del­ba­re. Spra­che ist mehr als ein Werk­zeug der Macht – sie ist auch Mit­tel der Befreiung.

Ausgabe 15.16/2025